"Eigentümlich, wie schnell sich die Welt verändern kann, wenn man sie herausfordert." Wie sehr der Ich-Erzähler in Michael Krügers falschem Haus damit recht behalten soll, ahnt er noch nicht, als er in seinem beschmutzten Hemd vor einer alten Villa steht.
Eigentlich ist der Redakteur einer Zeitung aus Süddeutschland nur in Hamburg, um einen Artikel über den Kongreß des Verbandes der Bibliothekare zu schreiben. Doch auf dem Weg ins Hotel landet der Ball eines Jungen auf seinem Hemd und hinterläßt einen gewaltigen Fleck. Mißtrauisch einerseits, mit der Aussicht auf ein frisches Hemd andererseits, folgt er der Einladung der Mutter des Jungen in das "falsche Haus".
Die erstaunliche Gastfreundschaft nimmt ungeahnte Ausmaße an. Zum frischen Hemd gesellen sich noch Socken und Krawatte, eine Einladung zum Duschen dazu, und innerhalb kürzester Zeit wird der eher schüchterne Redakteur Mitbewohner in der mysteriösen Villa. Er wird Zeuge der Verstrickungen, in die dieses merkwürdige Paar, Mutter und Sohn, verwickelt ist, und bald wird auch er in den Bann ihrer Geheimnisse gezogen: Wer ist der Mann, der Einlaß begehrt und wütend gegen die Tür zum Garten trommelt? Was hat es mit dem Vater der Frau auf sich, vor dem alle Welt zu kuschen scheint? Und wer ist Isabella? Wer eigentlich der Mann, der hier erzählt?
Spannend wie einen Kriminalroman, mit Witz und großem Tempo erzählt Michael Krüger die Geschichte eines Mannes, der nicht nur den Mythen eines fremden Hauses auf der Spur ist, sondern auch den "anderen Leben".
Eigentlich ist der Redakteur einer Zeitung aus Süddeutschland nur in Hamburg, um einen Artikel über den Kongreß des Verbandes der Bibliothekare zu schreiben. Doch auf dem Weg ins Hotel landet der Ball eines Jungen auf seinem Hemd und hinterläßt einen gewaltigen Fleck. Mißtrauisch einerseits, mit der Aussicht auf ein frisches Hemd andererseits, folgt er der Einladung der Mutter des Jungen in das "falsche Haus".
Die erstaunliche Gastfreundschaft nimmt ungeahnte Ausmaße an. Zum frischen Hemd gesellen sich noch Socken und Krawatte, eine Einladung zum Duschen dazu, und innerhalb kürzester Zeit wird der eher schüchterne Redakteur Mitbewohner in der mysteriösen Villa. Er wird Zeuge der Verstrickungen, in die dieses merkwürdige Paar, Mutter und Sohn, verwickelt ist, und bald wird auch er in den Bann ihrer Geheimnisse gezogen: Wer ist der Mann, der Einlaß begehrt und wütend gegen die Tür zum Garten trommelt? Was hat es mit dem Vater der Frau auf sich, vor dem alle Welt zu kuschen scheint? Und wer ist Isabella? Wer eigentlich der Mann, der hier erzählt?
Spannend wie einen Kriminalroman, mit Witz und großem Tempo erzählt Michael Krüger die Geschichte eines Mannes, der nicht nur den Mythen eines fremden Hauses auf der Spur ist, sondern auch den "anderen Leben".
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 21.09.2002Nichts ist in Ordnung
Bungalow der Metamorphosen: Michael Krügers Novelle
Die Helden von Michael Krügers deutschen Geschichten zeichnet eine unerschütterlich idealistische Liebe zur Gelehrsamkeit aus, wie sie (natürlich rein zufällig) auch dem Münchner Verleger eignet. Oft sind sie gerade mit einer Forschungsarbeit befaßt, mit der sie allerdings nicht vorankommen, weil sich die Lebenswelt (ebenfalls rein zufällig oft in Gestalt einer Frau), von der sie wenig halten, tückisch dem Fortschritt der Geistigkeit widersetzt. Daher scheinen ihre unerhörten Erlebnisse Variationen der antiken Anekdote vom Brunnensturz des Philosophen zu sein, der über seinen Betrachtungen nicht bemerkt, was ihm vor Augen und zu Füßen liegt. Über diese Urszene aller Komik der Theorie aber lacht (keineswegs zufällig) ein Mädchen. Das Mißverhältnis zwischen Deutung und Wahrnehmung ist bei Krüger allerdings verdreht. Seine Helden sind fürchterliche Beobachter, gnadenlos aufmerksame Physiognomiker der Menschen- wie der Dingwelt, die noch die kleinste Sonderlichkeit der Erscheinung registrieren und interpretieren. Daß sie bei Betrachtung einer Wespe in der Limonadenflasche an Wittgenstein denken müssen, folglich todsicher den falschen Schluß ziehen, führt sie aber um so gewisser zur Einsicht in die "Unmöglichkeit des Lebens".
Krügers Ich-Erzähler ist diesmal Redakteur der Seite "Das politische Buch" bei einer renommierten süddeutschen Zeitung, die sich allerdings in letzter Zeit schmerzlich verändert hat. Allein er stellt in seiner Rubrik noch Bücher vor, die keine Chance haben, gelesen zu werden, weil er findet, daß dem "allgemeinen Interesse eine übertriebene Bedeutung beigemessen" wird. Sein Beruf ist ihm lediglich Möglichkeitsbedingung der Gelehrsamkeit, die er in heroischer Sonderung einem verkannten deutschen Philosophen des achtzehnten Jahrhunderts widmen möchte. Vorher aber gilt es, einen Artikel über den Bibliothekarskongreß zu schreiben, was dadurch erschwert ist, daß der Berichterstatter ihn nicht besuchen konnte. Denn eine Verschwörung der Dingwelt oder eigenes Ungeschick hat ihn in ein fremdes Haus verschlagen, an Tisch und Bett einer blonden, nicht mehr jungen Frau.
In diesem Haus, das sich als "Bungalow der extremen Metamorphosen" erweisen wird, ist den Dingen gegeben, was ihnen gebührt, eine ehrwürdige Ordnung der Analogie: "Hier lagen farbige Seifenkugeln in einer Art höherem Einweckglas, in dessen Zwilling sich farbige Wattebäusche tummelten." Die Unvereinbarkeit seiner Person mit einem Haushalt, in dem Pferdestiche an der Wand hängen und wo auf einem weißen Ledersofa gesessen wird, führt den Erzähler überraschend zu Wünschen, "die bis jetzt zusammengefaltet in mir gelebt haben müssen". Die Verfehltheit des Bestehenden zeigt sich ihm gleichwohl in jedem Ding des bürgerlichen Ambiente: "Über ihr an der Wand hing eine große runde Küchenuhr, deren kleiner Zeiger nach jeder Minute ein Stück weiterhüpfte. Er hat sechzig Sekunden Zeit, Anlauf zu nehmen, dann hüpft er einen halben Zentimeter, dachte ich. Irgendwie lächerlich." Er aber übersieht diese Warnung und nimmt Anlauf zu einem Tigersprung ins Leben.
Unter dem Andrang seltsamer Ereignisse, die sich zu einem Kriminalfall zu verdichten scheinen, muß sich aber zunächst die elaborierte Interpretationsfähigkeit des Erzählers bewähren, was sie selbstverständlich nicht tut. Wenn der gelehrte Redakteur gegen seine Verachtung des Erfolgs auch noch Absichten realisieren will, ist sichergestellt, daß eine Verwirrung entstehen wird, die dem Fortgang seines gelehrten Werks entspricht: "Je länger ich an meinem Buch schrieb, desto unklarer wurde mir, was ich damit beabsichtigte." Er tröstet sich aber mit der poetologischen wie lebensphilosophischen Erkenntnis, daß "jedes Werk im Lauf der Zeit des Schreibens seinen Zusammenhang und seinen Zusammenhalt verliert", was nur die Notwendigkeit beweist, es irgendwann zu beenden. Nach dem Tod eines rechtsanarchistischen Großvaters naht dieses Ende heran. Der Erzähler entrinnt der Verkettung der Dinge im falschen Haus und geht wie Chaplins Tramp dem ferneren Mißgeschick entgegen.
Krügers slapstickhafte Beschreibungskomik entsteht aus der Überbietung eines Prinzips, das Kant die Auflösung einer gespannten Erwartung in nichts genannt hat, wie der Erzähler beiläufig auch wissen läßt: "Ich erinnerte mich, wie ich mein erstes Telefon angestarrt hatte, in der Hoffnung, es würde läuten und mir eine überraschende Nachricht bringen, und wie, als es endlich läutete, die Post nachfragte, ob alles in Ordnung sei. Nichts ist in Ordnung, hatte ich geantwortet und aufgelegt." In den Naturschilderungen Krügers aber, die das Verfahren von Brehms Tierleben in ästhetische Strategie verwandeln, erscheint der Sturz als schöne Kunst mit Zuschauern: "Dem jubelnden Gesang nach waren es Lerchen, die sich mit Aufwind in die Höhe treiben ließen, um plötzlich wie Steine herabzustürzen, sehr zum Mißfallen der großen Möwen, die zu diesen atemberaubenden Kunststücken nicht fähig waren. Sie hingen mit offenen Schnäbeln mißmutig im Wind und gaben so kümmerliche Schreie von sich, daß nicht ein einziges Schaf es für nötig hielt, den Kopf zu heben." Wen solche Sätze nicht entzücken, der sollte Krügers wunderbare Phänomenologie einer sich selbst aufzehrenden Gelehrsamkeit nicht lesen, sondern sich fortan auf dem Deich damit beschäftigen, "die kaum mit dem Wachsen nachkommenden Grashalme auszurupfen".
Michael Krüger: "Das falsche Haus". Eine Novelle. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2002. 176 S., geb., 18,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Bungalow der Metamorphosen: Michael Krügers Novelle
Die Helden von Michael Krügers deutschen Geschichten zeichnet eine unerschütterlich idealistische Liebe zur Gelehrsamkeit aus, wie sie (natürlich rein zufällig) auch dem Münchner Verleger eignet. Oft sind sie gerade mit einer Forschungsarbeit befaßt, mit der sie allerdings nicht vorankommen, weil sich die Lebenswelt (ebenfalls rein zufällig oft in Gestalt einer Frau), von der sie wenig halten, tückisch dem Fortschritt der Geistigkeit widersetzt. Daher scheinen ihre unerhörten Erlebnisse Variationen der antiken Anekdote vom Brunnensturz des Philosophen zu sein, der über seinen Betrachtungen nicht bemerkt, was ihm vor Augen und zu Füßen liegt. Über diese Urszene aller Komik der Theorie aber lacht (keineswegs zufällig) ein Mädchen. Das Mißverhältnis zwischen Deutung und Wahrnehmung ist bei Krüger allerdings verdreht. Seine Helden sind fürchterliche Beobachter, gnadenlos aufmerksame Physiognomiker der Menschen- wie der Dingwelt, die noch die kleinste Sonderlichkeit der Erscheinung registrieren und interpretieren. Daß sie bei Betrachtung einer Wespe in der Limonadenflasche an Wittgenstein denken müssen, folglich todsicher den falschen Schluß ziehen, führt sie aber um so gewisser zur Einsicht in die "Unmöglichkeit des Lebens".
Krügers Ich-Erzähler ist diesmal Redakteur der Seite "Das politische Buch" bei einer renommierten süddeutschen Zeitung, die sich allerdings in letzter Zeit schmerzlich verändert hat. Allein er stellt in seiner Rubrik noch Bücher vor, die keine Chance haben, gelesen zu werden, weil er findet, daß dem "allgemeinen Interesse eine übertriebene Bedeutung beigemessen" wird. Sein Beruf ist ihm lediglich Möglichkeitsbedingung der Gelehrsamkeit, die er in heroischer Sonderung einem verkannten deutschen Philosophen des achtzehnten Jahrhunderts widmen möchte. Vorher aber gilt es, einen Artikel über den Bibliothekarskongreß zu schreiben, was dadurch erschwert ist, daß der Berichterstatter ihn nicht besuchen konnte. Denn eine Verschwörung der Dingwelt oder eigenes Ungeschick hat ihn in ein fremdes Haus verschlagen, an Tisch und Bett einer blonden, nicht mehr jungen Frau.
In diesem Haus, das sich als "Bungalow der extremen Metamorphosen" erweisen wird, ist den Dingen gegeben, was ihnen gebührt, eine ehrwürdige Ordnung der Analogie: "Hier lagen farbige Seifenkugeln in einer Art höherem Einweckglas, in dessen Zwilling sich farbige Wattebäusche tummelten." Die Unvereinbarkeit seiner Person mit einem Haushalt, in dem Pferdestiche an der Wand hängen und wo auf einem weißen Ledersofa gesessen wird, führt den Erzähler überraschend zu Wünschen, "die bis jetzt zusammengefaltet in mir gelebt haben müssen". Die Verfehltheit des Bestehenden zeigt sich ihm gleichwohl in jedem Ding des bürgerlichen Ambiente: "Über ihr an der Wand hing eine große runde Küchenuhr, deren kleiner Zeiger nach jeder Minute ein Stück weiterhüpfte. Er hat sechzig Sekunden Zeit, Anlauf zu nehmen, dann hüpft er einen halben Zentimeter, dachte ich. Irgendwie lächerlich." Er aber übersieht diese Warnung und nimmt Anlauf zu einem Tigersprung ins Leben.
Unter dem Andrang seltsamer Ereignisse, die sich zu einem Kriminalfall zu verdichten scheinen, muß sich aber zunächst die elaborierte Interpretationsfähigkeit des Erzählers bewähren, was sie selbstverständlich nicht tut. Wenn der gelehrte Redakteur gegen seine Verachtung des Erfolgs auch noch Absichten realisieren will, ist sichergestellt, daß eine Verwirrung entstehen wird, die dem Fortgang seines gelehrten Werks entspricht: "Je länger ich an meinem Buch schrieb, desto unklarer wurde mir, was ich damit beabsichtigte." Er tröstet sich aber mit der poetologischen wie lebensphilosophischen Erkenntnis, daß "jedes Werk im Lauf der Zeit des Schreibens seinen Zusammenhang und seinen Zusammenhalt verliert", was nur die Notwendigkeit beweist, es irgendwann zu beenden. Nach dem Tod eines rechtsanarchistischen Großvaters naht dieses Ende heran. Der Erzähler entrinnt der Verkettung der Dinge im falschen Haus und geht wie Chaplins Tramp dem ferneren Mißgeschick entgegen.
Krügers slapstickhafte Beschreibungskomik entsteht aus der Überbietung eines Prinzips, das Kant die Auflösung einer gespannten Erwartung in nichts genannt hat, wie der Erzähler beiläufig auch wissen läßt: "Ich erinnerte mich, wie ich mein erstes Telefon angestarrt hatte, in der Hoffnung, es würde läuten und mir eine überraschende Nachricht bringen, und wie, als es endlich läutete, die Post nachfragte, ob alles in Ordnung sei. Nichts ist in Ordnung, hatte ich geantwortet und aufgelegt." In den Naturschilderungen Krügers aber, die das Verfahren von Brehms Tierleben in ästhetische Strategie verwandeln, erscheint der Sturz als schöne Kunst mit Zuschauern: "Dem jubelnden Gesang nach waren es Lerchen, die sich mit Aufwind in die Höhe treiben ließen, um plötzlich wie Steine herabzustürzen, sehr zum Mißfallen der großen Möwen, die zu diesen atemberaubenden Kunststücken nicht fähig waren. Sie hingen mit offenen Schnäbeln mißmutig im Wind und gaben so kümmerliche Schreie von sich, daß nicht ein einziges Schaf es für nötig hielt, den Kopf zu heben." Wen solche Sätze nicht entzücken, der sollte Krügers wunderbare Phänomenologie einer sich selbst aufzehrenden Gelehrsamkeit nicht lesen, sondern sich fortan auf dem Deich damit beschäftigen, "die kaum mit dem Wachsen nachkommenden Grashalme auszurupfen".
Michael Krüger: "Das falsche Haus". Eine Novelle. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2002. 176 S., geb., 18,90 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
"Als wunderbare Phänomenologie einer sich selbst aufzehrenden Gelehrsamkeit" bezeichnet Rezensent Friedmar Apel die Novelle des Münchner Verlegers Michael Krüger. Die Beschreibung des Plot klingt, als habe Krüger hier auch eine Novelle zur Strukturkrise des Feuilletons geschrieben. Der Ich-Erzähler ist Redakteur der Seite "Politisches Buch" bei einer "renommierten süddeutschen Zeitung", die sich in der letzten Zeit schmerzhaft verändert habe, lesen wir. Allein er stelle in seiner Rubrik noch Bücher vor, die keine Chance hätten gelesen zu werden. Dem allgemeinen Interesse werde "eine übertriebene Bedeutung" beigemessen, wird das trotzig begründet. Doch der Protagonist der Novelle muss auch mit einer "Verschwörung der Dingwelt" kämpfen, lässt Apel uns wissen, was ganz offensichtlich zu recht verschrobenen Verwicklungen der Geschichte führt. Nur auf Umwegen ist von unserem höflichen Rezensenten zu erfahren, dass Krüger für seinen Geschmack gelegentlich doch zu schrullig schreibt und man beginnt zu ahnen: Figuren wie dieser Redakteur werden das Feuilleton als solches nicht retten können.
© Perlentaucher Medien GmbH
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