Der Hegarty-Clan versammelt sich in Dublin, um Liam, das schwarze Schaf der Familie, zu Grabe zu tragen - doch schnell gerät der Anlass zur Nebensache. Nur Veronica wagt es, nach den Umständen zu fragen, die ihren Bruder in den Tod getrieben haben mögen. Ein beeindruckend intensiver Roman über die Frage nach Schuld und Verantwortung, nach der Liebe und ihren Folgen.
Als Kinder haben sie sich stets alle Geheimnisse anvertraut, und auch als Erwachsene sind Veronica und ihr Bruder Liam noch immer aufs Engste miteinander verbunden. Doch dann stürzt Liam sich mit Steinen in den Hosentaschen ins Meer, und Veronica bleibt allein zurück mit der Frage nach dem Warum. Während sie im Dubliner Elternhaus die Beerdigung vorbereitet, überwältigen sie die Erinnerungen an ihre Kindheit, an ihre Großmutter, die aus Vernunftgründen auf die Liebe ihres Lebens verzichtete, an ihre Mutter, die sich nach den vielen Geburten und Fehlgeburten nicht einmal die Namen all ihrer Kinder merken konnte.Und an jenen Tag, an dem ihrem Bruder Liam, gerade neun Jahre alt, etwas angetan wurde, vor dem sie ihn hätte beschützen müssen.
Ein bewegender Roman, dessen sprachliche Finesse und eindrucksvolle Bildlichkeit einen bisher ungekannten Blick auf das verletzliche Wesen der menschlichen Seele zu werfen vermag.
Als Kinder haben sie sich stets alle Geheimnisse anvertraut, und auch als Erwachsene sind Veronica und ihr Bruder Liam noch immer aufs Engste miteinander verbunden. Doch dann stürzt Liam sich mit Steinen in den Hosentaschen ins Meer, und Veronica bleibt allein zurück mit der Frage nach dem Warum. Während sie im Dubliner Elternhaus die Beerdigung vorbereitet, überwältigen sie die Erinnerungen an ihre Kindheit, an ihre Großmutter, die aus Vernunftgründen auf die Liebe ihres Lebens verzichtete, an ihre Mutter, die sich nach den vielen Geburten und Fehlgeburten nicht einmal die Namen all ihrer Kinder merken konnte.Und an jenen Tag, an dem ihrem Bruder Liam, gerade neun Jahre alt, etwas angetan wurde, vor dem sie ihn hätte beschützen müssen.
Ein bewegender Roman, dessen sprachliche Finesse und eindrucksvolle Bildlichkeit einen bisher ungekannten Blick auf das verletzliche Wesen der menschlichen Seele zu werfen vermag.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 15.10.2008Unseren Knochen eingeschrieben
Klar wie der Hass: Anne Enrights "Das Familientreffen" / Von Rose-Maria Gropp
Einmal fährt Veronica, die Erzählerin in diesem Buch, aus der Stadt hinaus und hat das Gefühl, dass sie schon bald, lange bevor sie das Ufer erreicht, mit ihrem Auto ins Gleiten über dem Wasser gerät, das an die Bucht von Dublin andrängt. Nichts ist an seinem sicheren Ort in diesem Roman. Nicht die Lebenden und nicht die Toten, nicht die Wirklichkeit und nicht die Phantasie, nicht die Liebe und nicht die Körper, nicht die Vergangenheit und nicht die Zukunft. Das kündigen schon die ersten drei Sätze an: "Ich möchte niederschreiben, was im Haus meiner Großmutter geschah in dem Sommer, als ich acht oder neun war. Aber ob es wirklich geschehen ist? Mit Gewissheit kann ich es nicht sagen." Ich - heißt das erste Worte dieses Romans. Und was folgen wird, ist durch diese Instanz nicht gesichert. Jedoch der Leser muss dem Roman vertrauen; denn er tritt immer wieder ganz nah an die Wahrheit heran, an die Schmerzgrenzen.
Auch noch der deutsche Titel "Das Familientreffen" meint mehr als die Zusammenkunft einer Zwangsgemeinschaft miteinander Versippter, deren Angehörige von der Erzählerin gern als "psychotisch" bezeichnet werden. Aufgemacht ist das ganze Feld von Beziehungen, die menschliches Zusammenleben bedeuten; nicht nur seine Unausweichlichkeit, sondern auch seine Notwendigkeit. "The Gathering" heißt das Buch von Anne Enright im Original; es ist das Sammeln, um das es geht, in allen seinen Formen, die Ernte der Erinnerungen. Liam ist tot. Er hat sich im englischen Seebad Brighton das Leben genommen, indem er sich ins Meer stürzte. Er ist einer aus dem Verband der Hagertys, der zwölf Kinder umfasst, von denen neun als Erwachsene noch am Leben sind, und deren Mutter, die sieben Fehlgeburten erlitten hat. Liams Schwester Veronica gerät durch seinen Verlust in eine Verfassung, die ihr geordnetes Leben aufsprengt. Man könnte auch sagen, sie dreht ziemlich durch.
Veronica begibt sich auf eine riskante Reise an die ausgefransten Ränder ihrer Kindheit und ihrer Wahrnehmung, die sie mit ihren Aufzeichnungen begleitet, genauer gesagt, festzuschreiben versucht. In ihr wächst eine Unruhe, die sie nachts herumfahren lässt, dabei Wein trinkend. Worüber Veronica sich selbst und uns dabei Rechenschaft ablegt, ist Liams Geschichte, für die sie lange vor der Geburt ihres Bruders beginnen muss. Warum das? Veronica muss so früh einsetzen, weil es eben nicht nur Liams Geschichte ist, sondern auch bis ins Mark ihre eigene, eine verschüttete verstellte Genealogie. Der Bewusstseinsstrom dieses Buchs erteilt Auskunft über den Zustand einer Frau, die kurz vor ihrem vierzigsten Jahr beinah jede Stelle ihrer Existenz abtastet.
Die irische Schriftstellerin Anne Enright, die 1962 in Dublin geboren wurde, bekam für "The Gathering" im vergangenen Jahr den Man-Booker-Preis, die wichtigste Auszeichnung für englischsprachige Literatur. Unerwartet genug, schlug sie damit vor allem Ian McEwans Novelle "Am Strand" aus dem Rennen. Vergleicht man diese beiden Bücher, dann ist es so, als stehe eine englische Tasse Tee einem Glas voll irischen Whiskeys gegenüber. Beide Romane handeln viel über Sex, aber Enright bringt die Gewalt der Geschlechtlichkeit aufs Tapet. Sie phantasiert die Abgründe aus, für sich selbst, für Liam - und zurück in die zwei Generationen vor ihr und ihren Geschwistern. Sie muss ihre Großmutter Ada in ihrer Erinnerung regelrecht herstellen, als dreidimensionales Geschöpf gewissermaßen, in deren Jugend eindringen, zu den zwei jungen Männern gelangen, die Adas Leben bestimmen sollten - aber auch Veronicas und das offenbar unlebbare von Liam. "Was der Zukunft vorgeschrieben ist, ist dem Körper eingeschrieben, der Rest ist nur eine Spur. Ich weiß nicht, wann Liams Schicksal seinen Knochen eingeschrieben wurde."
Ihr Name, so sagt es dem kleinen Mädchen eine Nonne, als sie über Monate gemeinsam mit Liam im Haus ihrer Großmutter Ada bleiben muss, sei der einer Heiligen: Veronika war die Frau mit dem Tuch am Kalvarienberg; sie hat das Gesicht von Jesus abgewischt, und ihr blieb das Schweißtuch. Ein Schemen, eine Idee, ein Versprechen für die Zukunft, fast wie ein Stigma: "Ich dachte, wenn ich erwachsen wäre, könnte ich jemand werden, der Dinge abwischt: Blut, Tränen, all das." So steht dreißig Jahre später Veronica im Kreis ihrer Familie, im Angesicht des Todes, der Tränen. Die Wunde, die offensteht am Sarg von Liam ist nicht die des Warum, sondern die des Was wird?. Die drei "kleinen Todesumstände" für Liam, so empfindet es Veronica, waren eine fluoreszierende Jacke, Steine in den Hosentaschen und keine Unterhose. Liam wird zur versunkenen Lichtgestalt einer für immer verpassten Chance: Er wollte gefunden werden, deshalb die Jacke; er wollte untergehen; er wollte ganz sauber sein, wenn er auftaucht als Leiche. So sieht die Narbe aus, um die sich "The Gathering" schließt.
Anne Enright hat ein zornmütiges Buch geschrieben, das despotisch gebietet, geliebt zu werden. Es ist kostbar, wie darin dem ungebändigten Kummer Raum gegeben ist, in beinharten Beobachtungen, die gleichsam nicht mit einer einzigen Wimper zucken: "Gott, ich hasse meine Familie", steht da, "diese Menschen, die zu lieben ich mir nie ausgesucht habe und die ich dennoch liebe." Sie alle sind geschildert, in ihrer Not, Insuffizienz, Blödigkeit, Hilflosigkeit und Ignoranz. Veronica ist nichts so wenig wie eine demütige Beobachterin. Sie ist hochfahrend, ungeduldig und sehr ungerecht, im Angesicht all der Banalität, von der sie selbst ein Teil ist. Es tut weh, wenn an die Nerven der Wahrheit gerührt wird. Aber es ist zugleich atemraubende Erzählkunst, die kein Entrinnen zulässt in einem Erzählstrom, der nichts mit profaner Zeitrechnung gemein hat, in der Evokation von Bildern, die auf den Film nicht warten müssen, den ein hoffentlich begabter Regisseur aus ihnen einmal machen wird. Die ständig sich auflösende zerfledderte Story steht dabei gewissermaßen dauernd unter Strom; der Leser kann sich ihr nicht entziehen. Am Ende bleibt gar nicht nur die Zerstörung, sondern eine Art humane Feigheit Veronicas. Sie wird das Ergebnis ihrer einsamen Bohrungen in der Vergangenheit an ihren älteren Bruder Ernest, den hypokriten Priester, delegieren. Soll er es allen verkündigen; sie selbst hat die Worte nicht dafür. Denn diese Worte müssten mildern und kaschieren, und sie würden ihr die dumpfige Missbilligung ihrer verbliebenen Geschwister eintragen.
Anne Enright umfängt ihre Geschichte mit einer Sprache, auch in der deutschen Übersetzung, die sich wie mit Sehnen um das brüchige Skelett der Existenz legt. Das Gerüst wird in seiner Nacktheit sichtbar, manchmal rüde, sarkastisch zuweilen und mit einer Trauer ohne Trost; ohne Sentimentalität, mit einer Klarsicht, wie sie nur der Hass hervorbringen kann. Aber das warme Fleisch fügt sie auch dazu, es pulsiert im Sprachfluss dieses Romans. Es ist die unauslöschliche Sehnsucht nach der Liebe. Der Liebe der Lebenden und der Toten.
Anne Enright: "Das Familientreffen". Roman. Aus dem Englischen übersetzt von Hans-Christian Oeser. Deutsche Verlags-Anstalt, München 2008. 343 S., geb., 19,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Klar wie der Hass: Anne Enrights "Das Familientreffen" / Von Rose-Maria Gropp
Einmal fährt Veronica, die Erzählerin in diesem Buch, aus der Stadt hinaus und hat das Gefühl, dass sie schon bald, lange bevor sie das Ufer erreicht, mit ihrem Auto ins Gleiten über dem Wasser gerät, das an die Bucht von Dublin andrängt. Nichts ist an seinem sicheren Ort in diesem Roman. Nicht die Lebenden und nicht die Toten, nicht die Wirklichkeit und nicht die Phantasie, nicht die Liebe und nicht die Körper, nicht die Vergangenheit und nicht die Zukunft. Das kündigen schon die ersten drei Sätze an: "Ich möchte niederschreiben, was im Haus meiner Großmutter geschah in dem Sommer, als ich acht oder neun war. Aber ob es wirklich geschehen ist? Mit Gewissheit kann ich es nicht sagen." Ich - heißt das erste Worte dieses Romans. Und was folgen wird, ist durch diese Instanz nicht gesichert. Jedoch der Leser muss dem Roman vertrauen; denn er tritt immer wieder ganz nah an die Wahrheit heran, an die Schmerzgrenzen.
Auch noch der deutsche Titel "Das Familientreffen" meint mehr als die Zusammenkunft einer Zwangsgemeinschaft miteinander Versippter, deren Angehörige von der Erzählerin gern als "psychotisch" bezeichnet werden. Aufgemacht ist das ganze Feld von Beziehungen, die menschliches Zusammenleben bedeuten; nicht nur seine Unausweichlichkeit, sondern auch seine Notwendigkeit. "The Gathering" heißt das Buch von Anne Enright im Original; es ist das Sammeln, um das es geht, in allen seinen Formen, die Ernte der Erinnerungen. Liam ist tot. Er hat sich im englischen Seebad Brighton das Leben genommen, indem er sich ins Meer stürzte. Er ist einer aus dem Verband der Hagertys, der zwölf Kinder umfasst, von denen neun als Erwachsene noch am Leben sind, und deren Mutter, die sieben Fehlgeburten erlitten hat. Liams Schwester Veronica gerät durch seinen Verlust in eine Verfassung, die ihr geordnetes Leben aufsprengt. Man könnte auch sagen, sie dreht ziemlich durch.
Veronica begibt sich auf eine riskante Reise an die ausgefransten Ränder ihrer Kindheit und ihrer Wahrnehmung, die sie mit ihren Aufzeichnungen begleitet, genauer gesagt, festzuschreiben versucht. In ihr wächst eine Unruhe, die sie nachts herumfahren lässt, dabei Wein trinkend. Worüber Veronica sich selbst und uns dabei Rechenschaft ablegt, ist Liams Geschichte, für die sie lange vor der Geburt ihres Bruders beginnen muss. Warum das? Veronica muss so früh einsetzen, weil es eben nicht nur Liams Geschichte ist, sondern auch bis ins Mark ihre eigene, eine verschüttete verstellte Genealogie. Der Bewusstseinsstrom dieses Buchs erteilt Auskunft über den Zustand einer Frau, die kurz vor ihrem vierzigsten Jahr beinah jede Stelle ihrer Existenz abtastet.
Die irische Schriftstellerin Anne Enright, die 1962 in Dublin geboren wurde, bekam für "The Gathering" im vergangenen Jahr den Man-Booker-Preis, die wichtigste Auszeichnung für englischsprachige Literatur. Unerwartet genug, schlug sie damit vor allem Ian McEwans Novelle "Am Strand" aus dem Rennen. Vergleicht man diese beiden Bücher, dann ist es so, als stehe eine englische Tasse Tee einem Glas voll irischen Whiskeys gegenüber. Beide Romane handeln viel über Sex, aber Enright bringt die Gewalt der Geschlechtlichkeit aufs Tapet. Sie phantasiert die Abgründe aus, für sich selbst, für Liam - und zurück in die zwei Generationen vor ihr und ihren Geschwistern. Sie muss ihre Großmutter Ada in ihrer Erinnerung regelrecht herstellen, als dreidimensionales Geschöpf gewissermaßen, in deren Jugend eindringen, zu den zwei jungen Männern gelangen, die Adas Leben bestimmen sollten - aber auch Veronicas und das offenbar unlebbare von Liam. "Was der Zukunft vorgeschrieben ist, ist dem Körper eingeschrieben, der Rest ist nur eine Spur. Ich weiß nicht, wann Liams Schicksal seinen Knochen eingeschrieben wurde."
Ihr Name, so sagt es dem kleinen Mädchen eine Nonne, als sie über Monate gemeinsam mit Liam im Haus ihrer Großmutter Ada bleiben muss, sei der einer Heiligen: Veronika war die Frau mit dem Tuch am Kalvarienberg; sie hat das Gesicht von Jesus abgewischt, und ihr blieb das Schweißtuch. Ein Schemen, eine Idee, ein Versprechen für die Zukunft, fast wie ein Stigma: "Ich dachte, wenn ich erwachsen wäre, könnte ich jemand werden, der Dinge abwischt: Blut, Tränen, all das." So steht dreißig Jahre später Veronica im Kreis ihrer Familie, im Angesicht des Todes, der Tränen. Die Wunde, die offensteht am Sarg von Liam ist nicht die des Warum, sondern die des Was wird?. Die drei "kleinen Todesumstände" für Liam, so empfindet es Veronica, waren eine fluoreszierende Jacke, Steine in den Hosentaschen und keine Unterhose. Liam wird zur versunkenen Lichtgestalt einer für immer verpassten Chance: Er wollte gefunden werden, deshalb die Jacke; er wollte untergehen; er wollte ganz sauber sein, wenn er auftaucht als Leiche. So sieht die Narbe aus, um die sich "The Gathering" schließt.
Anne Enright hat ein zornmütiges Buch geschrieben, das despotisch gebietet, geliebt zu werden. Es ist kostbar, wie darin dem ungebändigten Kummer Raum gegeben ist, in beinharten Beobachtungen, die gleichsam nicht mit einer einzigen Wimper zucken: "Gott, ich hasse meine Familie", steht da, "diese Menschen, die zu lieben ich mir nie ausgesucht habe und die ich dennoch liebe." Sie alle sind geschildert, in ihrer Not, Insuffizienz, Blödigkeit, Hilflosigkeit und Ignoranz. Veronica ist nichts so wenig wie eine demütige Beobachterin. Sie ist hochfahrend, ungeduldig und sehr ungerecht, im Angesicht all der Banalität, von der sie selbst ein Teil ist. Es tut weh, wenn an die Nerven der Wahrheit gerührt wird. Aber es ist zugleich atemraubende Erzählkunst, die kein Entrinnen zulässt in einem Erzählstrom, der nichts mit profaner Zeitrechnung gemein hat, in der Evokation von Bildern, die auf den Film nicht warten müssen, den ein hoffentlich begabter Regisseur aus ihnen einmal machen wird. Die ständig sich auflösende zerfledderte Story steht dabei gewissermaßen dauernd unter Strom; der Leser kann sich ihr nicht entziehen. Am Ende bleibt gar nicht nur die Zerstörung, sondern eine Art humane Feigheit Veronicas. Sie wird das Ergebnis ihrer einsamen Bohrungen in der Vergangenheit an ihren älteren Bruder Ernest, den hypokriten Priester, delegieren. Soll er es allen verkündigen; sie selbst hat die Worte nicht dafür. Denn diese Worte müssten mildern und kaschieren, und sie würden ihr die dumpfige Missbilligung ihrer verbliebenen Geschwister eintragen.
Anne Enright umfängt ihre Geschichte mit einer Sprache, auch in der deutschen Übersetzung, die sich wie mit Sehnen um das brüchige Skelett der Existenz legt. Das Gerüst wird in seiner Nacktheit sichtbar, manchmal rüde, sarkastisch zuweilen und mit einer Trauer ohne Trost; ohne Sentimentalität, mit einer Klarsicht, wie sie nur der Hass hervorbringen kann. Aber das warme Fleisch fügt sie auch dazu, es pulsiert im Sprachfluss dieses Romans. Es ist die unauslöschliche Sehnsucht nach der Liebe. Der Liebe der Lebenden und der Toten.
Anne Enright: "Das Familientreffen". Roman. Aus dem Englischen übersetzt von Hans-Christian Oeser. Deutsche Verlags-Anstalt, München 2008. 343 S., geb., 19,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension
Bernadette Conrad zeigt sich verhalten bei der Lektüre des mit dem Booker-Preis ausgezeichneten Buchs "Das Familientreffen? von Anne Enright. Conrad referiert hauptsächlich die Handlung und hebt hervor, was Enright ihrer Meinung nach mit dem Roman bezwecken wollte. In der Familiengeschichte geht es um die 39-jährige Veronica, die nach dem Selbstmord ihres Bruders auf die schwierigen Familienverhältnisse zurückblickt und versucht, mit der Wut auf ihre Eltern und ihre Geschwister ins Reine zu kommen. Conrad zufolge holt die Autorin dabei noch weiter aus und zeichnet ein gesellschaftliches Porträt der katholischen Rigidität, die das Irland vor, aber auch während ihrer Zeit prägte. Conrad kritisiere die viel verbreitete häusliche Gewalt und den Alkoholismus in ihrer Thematisierung von Verdrängung und Aufarbeitung im Buch. Um eine Menge Wut geht es, aber auch um Liebe. Conrad verrät lediglich: "pathetisch, inspirierend, sprachlich nicht immer geglückt.?
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH
»Ein starkes, unbequemes und zuweilen sogar wütendes Buch... Ein schonungsloser Blick auf eine trauernde Familie in harter, beeindruckender Sprache... Ein sehr lesbarer Roman.« Aus der Jury-Begründung des Man Booker Prize