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Stolp ist ein Tagedieb, ein Sonderling und Daher-Schwadronierer, der sich in einem nicht endenden freien Fall befindet. Soeben hat er ein winziges Apartment in Paris geerbt, doch statt sich dieses Glücksfalls zu erfreuen, flieht er die Wohnung, sooft es nur geht, um nicht von der unerwartet ausbrechenden Verzweiflung verschlungen zu werden. Auf der Suche nach den »Offenbarungen der Forelle« begegnet er Carmen. Eine Liebe könnte beginnen, wäre da nicht die peinigende Erinnerung an die einst in Liebesraserei herbeigeführte Trennung von seiner Frau. Mehr und mehr verliert Stolp, Abkömmling einer…mehr

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Produktbeschreibung
Stolp ist ein Tagedieb, ein Sonderling und Daher-Schwadronierer, der sich in einem nicht endenden freien Fall befindet. Soeben hat er ein winziges Apartment in Paris geerbt, doch statt sich dieses Glücksfalls zu erfreuen, flieht er die Wohnung, sooft es nur geht, um nicht von der unerwartet ausbrechenden Verzweiflung verschlungen zu werden. Auf der Suche nach den »Offenbarungen der Forelle« begegnet er Carmen. Eine Liebe könnte beginnen, wäre da nicht die peinigende Erinnerung an die einst in Liebesraserei herbeigeführte Trennung von seiner Frau. Mehr und mehr verliert Stolp, Abkömmling einer Luftakrobaten
dynastie (wie er behauptet), die Bodenhaftung, und ebenso tapfer wie unaufhaltsam gleitet dieser klägliche, aber liebenswerte Himmelsstürmer in das gelbe Glück des Wahnsinns, um endlich »ganz einfach in der Luft zu verschwinden«.
In Paul Nizons neuem Roman über einen Liebesversehrten, der aus der Welt und Zeit gefallen ist, wird das Allerschwerste mit den allerleichtesten Sätzen in der Schwebe gehalten - ein luftiges, unwiderstehliches Prosakunststück, das mit Komik überrascht.

»Hatte ich endlich abgehoben? Ich öffnete
staunend den Mund. Abgehoben? O ja.«
»Andere haben ein Herz,
ich an der Stelle eine Forelle.«
Autorenporträt
Nizon, PaulPaul Nizon, geboren 1929 in Bern, lebt in Paris. Der »Verzauberer, der zur Zeit größte Magier der deutschen Sprache« (Le Monde) erhielt für sein Werk, das in mehreren Sprachen übersetzt ist, zahlreiche Ehrungen und Auszeichnungen, u. a. 2010 den Österreichischen Staatspreis für Europäische Literatur.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 25.11.2005

Trauermantel der Überflüssigkeit
Das Talent zu verproblematisieren: Neues von und über Paul Nizon

An gewissen Punkten ihres Werks mögen manche Autoren versucht sein, sich beschreibend nur noch den Objekten zuzuwenden. Geringfügigkeiten wie das Scheppern eines Rolladens, der Geruch von Hobelspänen in der Schreinerei, das Gebiß einer Kneifzange in der Schaufensterauslage sind dann nicht mehr Beiwerk einer Geschichte, sondern Realitäten an sich, unerheblich, aber doch mit dem ihnen eigenen "Gewicht der Welt", wie Peter Handke es 1977 in seinem "Journal" nannte. Dinge also für jene, so Handkes Untertitel damals, "die es angeht".

Dieses Buch könnte uns alle angehen. Der Pariser Brummbär der deutschen Literatur, Paul Nizon, hat das Eigenleben der Dinge so zurechtgelegt, daß eine Figur dazwischenpaßt: Stolp, ein Sonderling, ein Tagedieb, der sich in Pariser Straßen, Cafés, Waschsalons, Kurzwarenläden herumtreibt, jedoch weder zu Menschen noch zu Dingen ins richtige Verhältnis gelangt, allmählich die Bodenhaftung verliert, abhebt und schließlich in der Luft verschwindet. Dank diesem erzählenden Ich wird aus dem Buch doch noch so etwas wie ein Roman.

In seinem Buch "Stolz" hatte Nizon schon 1975 eine Figur geschaffen, die sich im Fortgang der Handlung gleichsam selbst abhanden kam. Der Stolp, dem wir hier begegnen, ist nicht nur dem Namen nach ein Verwandter jenes Luftikus. Doch läuft die Sache diesmal andersherum. Stolp tritt gleich zu Beginn in die von einer gerade verstorbenen Tante geerbte kleine Wohnung am Montmartre, als hielte nicht er das Gepäck, sondern vielmehr dieses ihn in der Welt. Kaum sind Koffer und Taschen abgestellt, juckt es den Mann schon in den Beinen. Würde er das Niederschmetternde dieser Ankunft in einer Geschichte lesen, sagt er sich, dann wäre im Fortgang der Handlung zumindest Rettung möglich. Es ist aber keine Geschichte, sondern reine Gegenwart, deren Last er, so scheint ihm, kaum mehr tragen kann. Und doch zeigt sich ihm gerade in dieser Niedergeschlagenheit ein Irrlicht von Glück. Ihm folgt er dann, "als wenn das Buch meines Lebens sich öffnen und ich das erste Wort lesen könnte".

Eines der ersten Worte, die der Ankommende auf seinen Streifzügen durch die Straßen des Montmartre liest, heißt "Das Fell der Forelle". Es ist der Titel eines kolorierten Stichs mit pelzgekleideter Dame im Schaufenster eines Kürschnergeschäfts. Drei Frauen sind es denn auch, die den Strolch daran hindern, auf der Sprossenleiter der Dinge und Situationen des Stadtlebens sogleich in vollkommene Weltfremdheit abzuheben. Da ist zunächst Ghislaine, eine Freundin der verstorbenen Tante, dann Carmen, eine Gelegenheitsbekanntschaft aus der Fußballbar, schließlich die verstorbene Tante selbst, mit welcher der junge Mann, auf dem Bett liegend, Gespräche führt. Und dann ist da auch die Erinnerung an Stolps frühere Frau. An ihrer Seite hat er in einer Art totalitärer Liebe das Lieben verlernt - sollte er diese Fähigkeit denn je besessen haben -, und ihretwegen ist er den Menschen und Dingen gegenüber gefühllos geworden. Das hat auch seine Vorteile, denn er kann sich nicht mehr fürchten: "Ich heiße Frank und fürchte mich nicht, ich kann ja fliegen." Fliegen: nicht wie Vögel dies tun, mit geradliniger Bahn und regelmäßigem Flügelschlag, sondern wie Akrobaten es beinah vermögen. Tatsächlich stammt Stolp, so behauptet er zumindest, von einer Luftakrobatenfamilie ab. Eine ihrer Zirkusnummern habe, unter dem Namen "Fliegender Holländer", darin bestanden, daß das vom Trapez abgesprungene Paar sich, bevor es sich an den Händen erwischte, mit den Mündern berührte.

Gefühlsimmune Erotik mit oder ohne Pelz, szenische Großstadtschnipsel, monologische Dialoge und viel Akrobatenmetaphorik sind die Mittel, mit denen Nizon in engschraffierten Einzelskizzen das Wegdriften seiner Figur nachzeichnet bis hin zur Konsistenzlosigkeit. Am gelungensten ist das Buch dort, wo die Beschreibung auf den Fersen des rastlosen Helden sich sputet und, kaum ist er in die enge Tantenwohnung zurückgekommen, schon wieder mit ihm auf der Straße steht. "Sind Sie nicht etwas zimperlich? Sie haben die Neigung, alles zu verproblematisieren", sagt die Tantenfreundin Ghislaine einmal zu Stolp: "Auch scheinen Sie mir etwas nervös." Nervös? Das will der Angesprochene nicht gelten lassen: "Ich habe es nur immer eilig." Eile, Eile, murmelt er immerfort, wenn er durch die Straßen wirbelt, ohne zu wissen, wohin ihn seine Füße tragen wollen. Dort jedenfalls, wo Nizons Erzählung manchmal bildhaft innehält und der Figur den Spiegel der Selbstreflexion entgegenstreckt, ist nicht sein Platz. "Ich ging in einem ewigen widerlichen Sonntag durch die Werktagswelt der anderen und trug die Scham meiner Überflüssigkeit wie einen Trauermantel", geht es Stolp einmal, vor einem Gemüseladen stehend, durch den Kopf.

Die Frage, ob auf diesem Stafettenlauf in die Luft letztlich die Figur oder die Dinge um sie, die polierten Äpfel, die der Gemüsehändler gerade in die Auslage legt, die im Wohnungsflur sich stapelnden Pelzkleider der Tante, der in einem Werkzeugladen erstandene und in der Tasche mitgetragene Schraubenschlüssel, schwerer wiegen, macht die reizvolle Offenheit dieses Buches aus. Als Leser neigt man bald dem sich auflösenden Ich, bald der sich verdichtenden Dingwelt zu. Wo allerdings ein Autor statt Körper nur Lücken bearbeitet, kann keine kritische Erzählmasse entstehen. Darin dürfte ein Grundzug von Paul Nizons Gesamtwerk liegen. Seit dem erfolgreichen Erstlingsband "Die gleitenden Plätze" (1959) und dem befremdlichen Buch "Canto" vier Jahre später hat dieser Autor der Brüche und des Abtauchens mehr Spuren eines möglichen Werkes als wirklich ein Werk hinterlassen.

Lange habe er gedacht, seine Bücher seien nicht einzeln, sondern im Zusammenhang zu lesen und müßten so "nach vielen Jahren eine unübersehbare Bergkette bilden", sagt Paul Nizon in einer ebenfalls gerade erschienenen Gesprächsbiographie unter dem schönen Titel "Die Republik Nizon". Wegen der langen Zeiträume zwischen den Publikationen seien sie aber in lauter Einzelwerke zerfallen. Der 1929 geborene Nizon führt das teilweise darauf zurück, daß er quer zu seiner Zeit stand - engagierte Literatur habe ihn nie interessiert. Politisch hätte er sich weder der Linken noch der Rechten zuordnen können, sondern allenfalls die Richtung zum Terrorismus eingeschlagen, sagt er. Aus einer pessimistischen Veranlagung heraus neige er dazu, alles zu verachten und zu zerstören, nur der Schöpfungsakt des Schreibens lasse für ihn Hoffnung und "eine gewisse Liebe zum Leben" aufsteigen. Über die Risse seines leidenschaftlich chaotischen Lebens, seine Treue zu Céline, Henry Miller, Robert Walser, Blaise Cendrars und über die absolute Hingabe zum Schreiben hinweg macht diese von Stefan Gmünder bearbeitete Gesprächsbiographie - das französische Original erschien vor fünf Jahren - die Melancholie eines Autors anschaulich, der sich selbst grollend stets am nächsten stand.

JOSEPH HANIMANN

Paul Nizon: "Das Fell der Forelle". Roman. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2005. 128 S., geb., 16,80 [Euro].

Paul Nizon: "Die Republik Nizon". Eine Biographie in Gesprächen, geführt mit Philippe Derivière. Herausgegeben von Stefan Gmünder, aus dem Französischen übersetzt von Erich Wolfgang Skawara. Edition Selene, Wien 2005. 198 S., geb., 22,- [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension

Der Schweizer Schriftsteller Paul Nizon wird in Frankreich gern gelesen, in der Schweiz und in Deutschland ist er immer noch ein Geheimtipp, schreibt Rezensent Martin Lüdke, der das ganz offensichtlich bedauert. Nizon schreibt Grotesken, lesen wir. Getrieben werde er dabei von Verzweiflung und einer "erotischen Energie", die der von Henry Miller vergleichbar sei. In diesem Buch geht es um einen Mann, der die Wohnung einer Tante erbt. Da steht er nun mit seinem Gepäck - in einer Wohnung, die ihm nicht nur fremd ist, sondern ihn 'anfremdet', zitiert Lüdke. Der Rezensent hebt die immer wieder aufblitzende Komik hervor. Und auch das Ende, an dem der Held buchstäblich abhebt, hat ihn glücklich gemacht.

© Perlentaucher Medien GmbH