Als Urania Cabral nach langen New Yorker Exiljahren nach Santo Domingo zurückkehrt, auf die Insel, die sie nie wieder betreten wollte, findet sie ihren Vater stumm und im Rollstuhl vor. Der einstige Senatspräsident und Günstling des Diktators blickt sie auf ihre schweren Vorwürfe nur starr an, und Urania bleibt allein mit ihren Erinnerungen an die Zeit der Willkür - und an ein ungeheuerliches Geschehen.
Mit ihr kehren wir zurück ins Jahr 1961, als die dominikanische Hauptstadt noch Ciudad Trujillo heißt. Dort herrscht ein Mann, der nie schwitzt, mit absoluter Macht über drei Millionen Untertanen, nackte Gewalt ausübend, wo sie ihm nutzt, Charme und intellektuelle Überlegenheit ausspielend, wo er die Gebildeten und die Oberschicht ins Kalkül zieht. Uranias Vater ist da nur eine Schachfigur im perfiden Spiel des Diktators.
Während der "Große Wohltäter", der fast das ganze Land in seinen persönlichen Besitz gebracht hat, Militär, Kirche, amerikanische Botschaft im Schach zu halten vermeint, sind seine Attentäter längst unterwegs - ohne ihrerseits zu ahnen, daß in ihrem Rücken ein machiavellistischer Machtwechsel im Gange ist.
Im eisigen Zentrum von Vargas Llosas Roman steht die nur allzu reale Gestalt des General Leónidas Trujillo, genannt "Der Ziegenbock". Doch der Blick des Schriftstellers dringt unter die historische Haut, macht uns zu Zeitgenossen, zu Mitwissern. Den Verschwörern mit ihrer brennenden Begierde, ihren Demütiger zu beseitigen, den intelligenten Politschranzen und den Opfern gibt der Erzähler seine eindringliche Stimme. Und er schürzt den dramatischen Knoten so gekonnt, dass diese Psychographie der Macht und ihrer Verheerungen wie ein Thriller zu lesen ist.
Mit ihr kehren wir zurück ins Jahr 1961, als die dominikanische Hauptstadt noch Ciudad Trujillo heißt. Dort herrscht ein Mann, der nie schwitzt, mit absoluter Macht über drei Millionen Untertanen, nackte Gewalt ausübend, wo sie ihm nutzt, Charme und intellektuelle Überlegenheit ausspielend, wo er die Gebildeten und die Oberschicht ins Kalkül zieht. Uranias Vater ist da nur eine Schachfigur im perfiden Spiel des Diktators.
Während der "Große Wohltäter", der fast das ganze Land in seinen persönlichen Besitz gebracht hat, Militär, Kirche, amerikanische Botschaft im Schach zu halten vermeint, sind seine Attentäter längst unterwegs - ohne ihrerseits zu ahnen, daß in ihrem Rücken ein machiavellistischer Machtwechsel im Gange ist.
Im eisigen Zentrum von Vargas Llosas Roman steht die nur allzu reale Gestalt des General Leónidas Trujillo, genannt "Der Ziegenbock". Doch der Blick des Schriftstellers dringt unter die historische Haut, macht uns zu Zeitgenossen, zu Mitwissern. Den Verschwörern mit ihrer brennenden Begierde, ihren Demütiger zu beseitigen, den intelligenten Politschranzen und den Opfern gibt der Erzähler seine eindringliche Stimme. Und er schürzt den dramatischen Knoten so gekonnt, dass diese Psychographie der Macht und ihrer Verheerungen wie ein Thriller zu lesen ist.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 15.05.2000Grausamer Ziegenbock
Mario Vargas Llosas meisterhafter neuer Diktatorenroman
MADRID, 14. Mai
Mario Vargas Llosa hat sicher schon fast alles getan, was man von einem politisch engagierten Intellektuellen aus Lateinamerika erwartet. Er kandidierte sogar für die Präsidentschaft seines Geburtslandes Peru, gewann die erste Runde und verlor die Stichwahl gegen den Autokraten Fujimori, den loszuwerden sich heute, zwölf Jahre später, die meisten auch der Peruaner bemühen, die ihn damals gewählt haben. Der Schriftsteller mit spanischem und peruanischem Pass veröffentlicht im Madrider "El País" und in zahlreichen anderen großen Zeitungen auf dem europäischen und dem amerikanischen Kontinent alle vierzehn Tage einen langen Kommentar zu den Ereignissen oder den großen Debatten der internationalen Politik. Mario Vargas Llosa ist ein Autor, der überall Gehör findet, mit seinen oft provozierenden Thesen häufig Proteste und Polemiken hervorruft, doch immer ernst genommen wird.
Im umfangreichen erzählerischen Werk von Vargas Llosa fehlte bisher noch der Diktatorenroman. Eine ganze Reihe von großen Romanen der lateinamerikanischen, genauer: der hispanoamerikanischen Literatur hat einen zivilen oder militärischen Diktator zum Protagonisten. Sie haben einen existierenden oder imaginären Diktator zur zentralen Figur in literarisch bedeutenden Werken wie "Der Herr Präsident", "Ich, der Allmächtige" oder "Der Herbst des Patriarchen" gemacht. Vargas Llosa hatte schon eine Reihe von Romanen mit politischer Thematik geschrieben, doch erst jetzt in seinem bisher letzten Roman "La Fiesta del Chivo" ("Das Fest des Ziegenbocks", Madrid 2000) steht ein Diktator im Mittelpunkt des erzählten Geschehens. Man mag sich fragen: Wollte Vargas Llosa nun auch noch seinen Beitrag zu einer wichtigen Sparte innerhalb der lateinamerikanischen Literatur liefern und warum eigentlich jetzt ein Diktatorenroman, wo es kaum noch Diktatoren in seinem Heimatkontinent gibt? Nun, an Aktualität fehlt es dem Stoff auch heute nicht, auch wenn die gewalttätigen Alleinherrscher, wie sie García Márquez, Miguel Angel Asturias oder Roa Bastos schildern, nicht mehr an der Macht sind. Die Versuchung zu einer autokratischen Machtausübung ist immer noch da - am sichtbarsten in manipulierten populistischen Scheindemokratien, wie derzeit in Peru und Venezuela.
Vargas Llosa schreibt über einen Diktator, dessen Tod fast vierzig Jahre zurückliegt: über Rafael Leónidas Trujillo, der nach 32 Jahren grausamer und korrupter Alleinherrschaft über die Dominikanische Republik von ehemaligen Mitarbeitern und Untergebenen 1961 umgebracht wurde. Der Tod Trujillos wird häufig bis hin zur katholischen Moraltheologie als Beispiel für die Rechtfertigung des Tyrannenmords herangezogen.
Nach moralischen Kriterien beurteilt, gehört Trujillo sicher zu den besonders verachtungswürdigen Figuren in der Geschichte des letzten Jahrhunderts. Ein korrupter Machthaber, der sich und seine Familie immens bereicherte, der nicht nur politische Gegner foltern ließ, sondern bei den schlimmsten Folterungen selbst gerne zuschaute. Das ganze Land gehörte ihm, über alle Dominikaner konnte er frei verfügen. Wer einen Wunsch von ihm ablehnte, wurde den Haifischen zum Fraß vorgeworfen. Seine engsten Mitarbeiter mussten dem Diktator ihre noch unberührten Töchter zu dessen perversem sexuellem Amüsement ins Haus schicken.
Doch in dem moralischen Monstrum steckte ein intelligenter Politiker mit großer persönlicher Ausstrahlung, ein Mann, der Menschen überzeugte, sie in seinen Bann zog, der nicht nur Opportunisten und Feiglinge für sich zu gewinnen wusste. Wenn ein Autor sich, wie Vargas Llosa es tut, einen der größten Schurken unserer Zeit zum Protagonisten eines Romans auswählt, liegt die Gefahr nahe, einen einseitigen und eintönigen Bericht über eine von einem abstoßenden Menschen geprägte schlimme Zeit zu schreiben. Dieser Gefahr ist Mario Vargas Llosa entgangen. Nicht dass er sich um Objektivität hätte bemühen müssen; denn es ist kaum möglich, Trujillo Unrecht zu tun. Er hat Einseitigkeit und Eintönigkeit vermieden dank der Darstellung zahlreicher Details und der Vielzahl der in ihrem Charakter und in ihren Verhaltensformen sehr unterschiedlichen Personen. Der Autor stützt sich auf umfangreiche eigene Recherchen in der Dominikanischen Republik und hat offensichtlich die vorliegende Literatur eingehend studiert. Die Persönlichkeit Trujillos hat ihn offensichtlich auch fasziniert, und das aus verschiedenen Gründen: sicher besonders wegen der intellektuellen Überlegenheit des Diktators über seine Mitarbeiter, die er ständig korrumpiert und deren Mittelmäßigkeit er gezielt gefördert hat.
Die gebildete Marionette
Faszination übte Trujillo auf viele Zeitgenossen aus und - vielleicht wegen der Konsequenz des Bösen, das er repräsentiert - auf Historiker und bestimmt auf die Leser des Buches "La Fiesta del Chivo". Es gibt nur einen einzigen Mann in diesem Roman - und wohl auch in den dreißig Jahren Diktatur - , der Trujillo gewachsen ist. Das ist Joaquín Balaguer, lange Zeit hindurch der loyale schweigsame Gehilfe Trujillos, der dann gleich nach der Ermordung des Tyrannen dessen Werk zu zerstören beginnt und das Land nach und nach zu einer zumindest formalen Demokratie hinführt. Balaguer wird dann mehrmals zum Präsidenten seines Landes gewählt und kandidiert, inzwischen 94 Jahre alt und völlig erblindet, auch wieder bei den Wahlen am Dienstag dieser Woche. Mario Vargas Llosa hat mit vielen noch lebenden Zeitgenossen und Mitarbeitern Trujillos gesprochen, auch mit Joaquín Balaguer. Ob dieser in die Verschwörung gegen den Tyrannen eingeweiht war, weiß mit Sicherheit auch heute, vier Jahrzehnte später, noch niemand - außer ihm selbst. Mario Vargas Llosa hat es bei seinen Gesprächen mit Balaguer nicht herausbekommen. Doch hat er von dem später demokratischen Politiker eine vielleicht verblüffende, doch treffende Antwort bekommen auf die Frage, warum er in hohen Ämtern Folter und Mord schweigend und damit nach außen hin billigend mit angesehen habe. "Was hätte ich, ein junger Mann aus einfachen Verhältnissen und mit politischen Ambitionen, denn sonst tun können? Ich habe aber nie mit eigenen Händen gefoltert, habe selbst keinen einzigen Menschen umgebracht." Der gebildete Mitläufer Balaguer - er schreibt seit seiner Jugend Gedichte und nicht einmal die schlechtesten - hatte es so als Marionette Trujillos immerhin bis zum Präsidenten seines Landes gebracht.
Zwischen historischer Realität und der Fiktion des Schriftstellers besteht ein dialektischer Bezug. So kann der derzeitige Präsidentschaftskandidat Balaguer sich im Spiegel der Romanfigur Balaguer betrachten, kann jetzt versuchen, sein Bild im Roman noch zu verändern, zu korrigieren. Vargas Llosa mischt Phantasie und Geschichte: Das ist ein waghalsiger Balanceakt, weil ja die dargestellte Zeit schließlich eine sehr junge Geschichte ist, die noch in die Gegenwart hineinragt. Als der Autor in diesen Tagen sein Buch in Santo Domingo vorstellte, befanden sich unter den Zuhörern auch einige seiner Romanfiguren, andere beschimpften und bedrohten den Schriftsteller, der es gewagt hat, sich mit ihrer Vergangenheit zu beschäftigen.
Doch nicht wenige Dominikaner, welche die Diktatur noch bewusst erlebt hatten, bestätigten Vargas Llosa, dass der Roman die Realität der Trujillo-Zeit, trotz der erfundenen Details und Personen, sehr gut widerspiegelt, dass also die Wahrheit der Fiktion es durchaus mit der von Geschichtsbüchern aufnehmen kann. Es gibt wohl nichts in dem Buch, was, wenn erfunden, sich nicht hätte so, wie es erzählt wird, ereignen können. Seine alte Maxime - der Roman erzählt Lügen, um die Wahrheit zu sagen - hat Vargas Llosa in diesem, seinem bisher letzten Werk besonders ernst genommen. Auch die Definition Balzacs, der Roman sei die private Geschichte der Nation, dürfte der peruanische Schriftsteller beherzigt haben. Die privaten Personen in "La Fiesta del Chivo" sind genauso glaubhaft wie die aufgrund von langen Recherchen beschriebenen und charakterisierten Akteure.
Die Wahrheit der Fiktion
Die Meisterschaft des erfahrenen Romanschreibers Vargas Llosa zeigt sich vor allem in der Konstruktion von "La Fiesta del Chivo" und in der Rekonstruktion einer historischen Periode. Das Lebensgefühl, die Ängste und Hoffnungen der Menschen jener Zeitspanne auf der Insel Hispaniola in der Dominikanischen Republik werden, ohne dass der Autor es erklärt, in jedem Kapitel spürbar. Aus dem Verhalten der Untertanen des Alleinherrschers wird deutlich, wie die Diktatur mit ihrer totalen Kontrolle und bewussten Willkür ihre Mitarbeiter gezielt erniedrigt, wie die meisten Bürger im Staate des "großen Wohltäters Rafael Leónidas Trujillo" versuchen, sich mit der Tyrannei einzurichten und sich einen - wenn auch noch so kleinen - privaten Freiraum zu bewahren. Mit einer geschickten Struktur des Erzählstoffes und der gut dosierten Vermittlung der notwendigen historischen Kenntnisse vermeidet Vargas Llosa die bei der Vielzahl der Personen und Ereignisse leicht mögliche Verwirrung beim Leser. Die Vorbereitung und die Ausführung des Attentates auf Trujillo ziehen sich mit Rückblenden und Vorgriffen wie ein roter Faden durch die Handlungsstränge des Romans.
Die Handlung wiederum ist eingebettet in die Geschichte der erfundenen Person Urania Cabral - als junges Mädchen einst von ihrem politisch ambitiösen Vater dem Diktator als Geschenk zur Entjungferung überreicht. In der Erinnerung der nach vielen Jahren in den Vereinigten Staaten in ihre Heimat zurückgekehrten Urania wird die politische und gesellschaftliche Geschichte der letzten Jahre der Diktatur aufgerollt. Es sind sicher auch die handwerklichen Fähigkeiten des Schriftstellers Vargas Llosa, die Raum und Zeit des Erzählten so flexibel und variabel werden lassen, dass die Spannung bei der Lektüre, trotz der Komplexität und der Dichte des Stoffes, sich nicht verliert.
Vargas Llosa benutzt das von ihm genau studierte volkstümliche Spanisch der Dominikanischen Republik, um humoristische, satirische oder sarkastische Effekte zu erzielen. Auch der Hang der karibischen Völker zur öffentlichen, ja melodramatischen Zurschaustellung tragischer Konflikte drückt sich in der Sprache dieses Romans aus. Das "Fest des Ziegenbocks" ist auch sprachlich ein eigenständiges und besonders interessantes Buch innerhalb des schon umfangreichen bisherigen Gesamtwerkes des peruanischen Erzählers. Die großen Diktatorenromane von "Tyrann Banderas" (1926) des Spaniers Valle-Inclán bis hin zu "Der Herbst des Patriarchen" (1975) des Kolumbianers García Márquez hätten keinen Einfluss auf seinen neuen Roman gehabt, meint Vargas Llosa: "Hingegen sehr von Nutzen war mir die Lektüre von Joseph Roths ,Radetzkymarsch'."
Von großem Nutzen dürfte die Lektüre von "Das Fest des Ziegenbocks" für alle sein, die das System der brutalen Ein-Mann-Herrschaft über ein ganzes Land - und das Leben in einem solchen System - von innen her kennen lernen wollen.
Einige Kritiker haben Vargas Llosa vorgeworfen, ein mehr journalistisches als literarisches Buch geschrieben zu haben - zu Unrecht, denn mit "La Fiesta del Chivo" beweist der peruanische Schriftsteller, dass eine gut recherchierte journalistische Reportage die Grundlage für ein bedeutendes Werk der literarischen Fiktion sein kann. Mit "Das Fest des Ziegenbocks" hat Vargas Llosa nach dem Abgleiten in eher verspielt erotische Belanglosigkeit von "Die geheimen Aufzeichnungen des Don Rigoberto" wieder einen großen Roman geschrieben.
WALTER HAUBRICH
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Mario Vargas Llosas meisterhafter neuer Diktatorenroman
MADRID, 14. Mai
Mario Vargas Llosa hat sicher schon fast alles getan, was man von einem politisch engagierten Intellektuellen aus Lateinamerika erwartet. Er kandidierte sogar für die Präsidentschaft seines Geburtslandes Peru, gewann die erste Runde und verlor die Stichwahl gegen den Autokraten Fujimori, den loszuwerden sich heute, zwölf Jahre später, die meisten auch der Peruaner bemühen, die ihn damals gewählt haben. Der Schriftsteller mit spanischem und peruanischem Pass veröffentlicht im Madrider "El País" und in zahlreichen anderen großen Zeitungen auf dem europäischen und dem amerikanischen Kontinent alle vierzehn Tage einen langen Kommentar zu den Ereignissen oder den großen Debatten der internationalen Politik. Mario Vargas Llosa ist ein Autor, der überall Gehör findet, mit seinen oft provozierenden Thesen häufig Proteste und Polemiken hervorruft, doch immer ernst genommen wird.
Im umfangreichen erzählerischen Werk von Vargas Llosa fehlte bisher noch der Diktatorenroman. Eine ganze Reihe von großen Romanen der lateinamerikanischen, genauer: der hispanoamerikanischen Literatur hat einen zivilen oder militärischen Diktator zum Protagonisten. Sie haben einen existierenden oder imaginären Diktator zur zentralen Figur in literarisch bedeutenden Werken wie "Der Herr Präsident", "Ich, der Allmächtige" oder "Der Herbst des Patriarchen" gemacht. Vargas Llosa hatte schon eine Reihe von Romanen mit politischer Thematik geschrieben, doch erst jetzt in seinem bisher letzten Roman "La Fiesta del Chivo" ("Das Fest des Ziegenbocks", Madrid 2000) steht ein Diktator im Mittelpunkt des erzählten Geschehens. Man mag sich fragen: Wollte Vargas Llosa nun auch noch seinen Beitrag zu einer wichtigen Sparte innerhalb der lateinamerikanischen Literatur liefern und warum eigentlich jetzt ein Diktatorenroman, wo es kaum noch Diktatoren in seinem Heimatkontinent gibt? Nun, an Aktualität fehlt es dem Stoff auch heute nicht, auch wenn die gewalttätigen Alleinherrscher, wie sie García Márquez, Miguel Angel Asturias oder Roa Bastos schildern, nicht mehr an der Macht sind. Die Versuchung zu einer autokratischen Machtausübung ist immer noch da - am sichtbarsten in manipulierten populistischen Scheindemokratien, wie derzeit in Peru und Venezuela.
Vargas Llosa schreibt über einen Diktator, dessen Tod fast vierzig Jahre zurückliegt: über Rafael Leónidas Trujillo, der nach 32 Jahren grausamer und korrupter Alleinherrschaft über die Dominikanische Republik von ehemaligen Mitarbeitern und Untergebenen 1961 umgebracht wurde. Der Tod Trujillos wird häufig bis hin zur katholischen Moraltheologie als Beispiel für die Rechtfertigung des Tyrannenmords herangezogen.
Nach moralischen Kriterien beurteilt, gehört Trujillo sicher zu den besonders verachtungswürdigen Figuren in der Geschichte des letzten Jahrhunderts. Ein korrupter Machthaber, der sich und seine Familie immens bereicherte, der nicht nur politische Gegner foltern ließ, sondern bei den schlimmsten Folterungen selbst gerne zuschaute. Das ganze Land gehörte ihm, über alle Dominikaner konnte er frei verfügen. Wer einen Wunsch von ihm ablehnte, wurde den Haifischen zum Fraß vorgeworfen. Seine engsten Mitarbeiter mussten dem Diktator ihre noch unberührten Töchter zu dessen perversem sexuellem Amüsement ins Haus schicken.
Doch in dem moralischen Monstrum steckte ein intelligenter Politiker mit großer persönlicher Ausstrahlung, ein Mann, der Menschen überzeugte, sie in seinen Bann zog, der nicht nur Opportunisten und Feiglinge für sich zu gewinnen wusste. Wenn ein Autor sich, wie Vargas Llosa es tut, einen der größten Schurken unserer Zeit zum Protagonisten eines Romans auswählt, liegt die Gefahr nahe, einen einseitigen und eintönigen Bericht über eine von einem abstoßenden Menschen geprägte schlimme Zeit zu schreiben. Dieser Gefahr ist Mario Vargas Llosa entgangen. Nicht dass er sich um Objektivität hätte bemühen müssen; denn es ist kaum möglich, Trujillo Unrecht zu tun. Er hat Einseitigkeit und Eintönigkeit vermieden dank der Darstellung zahlreicher Details und der Vielzahl der in ihrem Charakter und in ihren Verhaltensformen sehr unterschiedlichen Personen. Der Autor stützt sich auf umfangreiche eigene Recherchen in der Dominikanischen Republik und hat offensichtlich die vorliegende Literatur eingehend studiert. Die Persönlichkeit Trujillos hat ihn offensichtlich auch fasziniert, und das aus verschiedenen Gründen: sicher besonders wegen der intellektuellen Überlegenheit des Diktators über seine Mitarbeiter, die er ständig korrumpiert und deren Mittelmäßigkeit er gezielt gefördert hat.
Die gebildete Marionette
Faszination übte Trujillo auf viele Zeitgenossen aus und - vielleicht wegen der Konsequenz des Bösen, das er repräsentiert - auf Historiker und bestimmt auf die Leser des Buches "La Fiesta del Chivo". Es gibt nur einen einzigen Mann in diesem Roman - und wohl auch in den dreißig Jahren Diktatur - , der Trujillo gewachsen ist. Das ist Joaquín Balaguer, lange Zeit hindurch der loyale schweigsame Gehilfe Trujillos, der dann gleich nach der Ermordung des Tyrannen dessen Werk zu zerstören beginnt und das Land nach und nach zu einer zumindest formalen Demokratie hinführt. Balaguer wird dann mehrmals zum Präsidenten seines Landes gewählt und kandidiert, inzwischen 94 Jahre alt und völlig erblindet, auch wieder bei den Wahlen am Dienstag dieser Woche. Mario Vargas Llosa hat mit vielen noch lebenden Zeitgenossen und Mitarbeitern Trujillos gesprochen, auch mit Joaquín Balaguer. Ob dieser in die Verschwörung gegen den Tyrannen eingeweiht war, weiß mit Sicherheit auch heute, vier Jahrzehnte später, noch niemand - außer ihm selbst. Mario Vargas Llosa hat es bei seinen Gesprächen mit Balaguer nicht herausbekommen. Doch hat er von dem später demokratischen Politiker eine vielleicht verblüffende, doch treffende Antwort bekommen auf die Frage, warum er in hohen Ämtern Folter und Mord schweigend und damit nach außen hin billigend mit angesehen habe. "Was hätte ich, ein junger Mann aus einfachen Verhältnissen und mit politischen Ambitionen, denn sonst tun können? Ich habe aber nie mit eigenen Händen gefoltert, habe selbst keinen einzigen Menschen umgebracht." Der gebildete Mitläufer Balaguer - er schreibt seit seiner Jugend Gedichte und nicht einmal die schlechtesten - hatte es so als Marionette Trujillos immerhin bis zum Präsidenten seines Landes gebracht.
Zwischen historischer Realität und der Fiktion des Schriftstellers besteht ein dialektischer Bezug. So kann der derzeitige Präsidentschaftskandidat Balaguer sich im Spiegel der Romanfigur Balaguer betrachten, kann jetzt versuchen, sein Bild im Roman noch zu verändern, zu korrigieren. Vargas Llosa mischt Phantasie und Geschichte: Das ist ein waghalsiger Balanceakt, weil ja die dargestellte Zeit schließlich eine sehr junge Geschichte ist, die noch in die Gegenwart hineinragt. Als der Autor in diesen Tagen sein Buch in Santo Domingo vorstellte, befanden sich unter den Zuhörern auch einige seiner Romanfiguren, andere beschimpften und bedrohten den Schriftsteller, der es gewagt hat, sich mit ihrer Vergangenheit zu beschäftigen.
Doch nicht wenige Dominikaner, welche die Diktatur noch bewusst erlebt hatten, bestätigten Vargas Llosa, dass der Roman die Realität der Trujillo-Zeit, trotz der erfundenen Details und Personen, sehr gut widerspiegelt, dass also die Wahrheit der Fiktion es durchaus mit der von Geschichtsbüchern aufnehmen kann. Es gibt wohl nichts in dem Buch, was, wenn erfunden, sich nicht hätte so, wie es erzählt wird, ereignen können. Seine alte Maxime - der Roman erzählt Lügen, um die Wahrheit zu sagen - hat Vargas Llosa in diesem, seinem bisher letzten Werk besonders ernst genommen. Auch die Definition Balzacs, der Roman sei die private Geschichte der Nation, dürfte der peruanische Schriftsteller beherzigt haben. Die privaten Personen in "La Fiesta del Chivo" sind genauso glaubhaft wie die aufgrund von langen Recherchen beschriebenen und charakterisierten Akteure.
Die Wahrheit der Fiktion
Die Meisterschaft des erfahrenen Romanschreibers Vargas Llosa zeigt sich vor allem in der Konstruktion von "La Fiesta del Chivo" und in der Rekonstruktion einer historischen Periode. Das Lebensgefühl, die Ängste und Hoffnungen der Menschen jener Zeitspanne auf der Insel Hispaniola in der Dominikanischen Republik werden, ohne dass der Autor es erklärt, in jedem Kapitel spürbar. Aus dem Verhalten der Untertanen des Alleinherrschers wird deutlich, wie die Diktatur mit ihrer totalen Kontrolle und bewussten Willkür ihre Mitarbeiter gezielt erniedrigt, wie die meisten Bürger im Staate des "großen Wohltäters Rafael Leónidas Trujillo" versuchen, sich mit der Tyrannei einzurichten und sich einen - wenn auch noch so kleinen - privaten Freiraum zu bewahren. Mit einer geschickten Struktur des Erzählstoffes und der gut dosierten Vermittlung der notwendigen historischen Kenntnisse vermeidet Vargas Llosa die bei der Vielzahl der Personen und Ereignisse leicht mögliche Verwirrung beim Leser. Die Vorbereitung und die Ausführung des Attentates auf Trujillo ziehen sich mit Rückblenden und Vorgriffen wie ein roter Faden durch die Handlungsstränge des Romans.
Die Handlung wiederum ist eingebettet in die Geschichte der erfundenen Person Urania Cabral - als junges Mädchen einst von ihrem politisch ambitiösen Vater dem Diktator als Geschenk zur Entjungferung überreicht. In der Erinnerung der nach vielen Jahren in den Vereinigten Staaten in ihre Heimat zurückgekehrten Urania wird die politische und gesellschaftliche Geschichte der letzten Jahre der Diktatur aufgerollt. Es sind sicher auch die handwerklichen Fähigkeiten des Schriftstellers Vargas Llosa, die Raum und Zeit des Erzählten so flexibel und variabel werden lassen, dass die Spannung bei der Lektüre, trotz der Komplexität und der Dichte des Stoffes, sich nicht verliert.
Vargas Llosa benutzt das von ihm genau studierte volkstümliche Spanisch der Dominikanischen Republik, um humoristische, satirische oder sarkastische Effekte zu erzielen. Auch der Hang der karibischen Völker zur öffentlichen, ja melodramatischen Zurschaustellung tragischer Konflikte drückt sich in der Sprache dieses Romans aus. Das "Fest des Ziegenbocks" ist auch sprachlich ein eigenständiges und besonders interessantes Buch innerhalb des schon umfangreichen bisherigen Gesamtwerkes des peruanischen Erzählers. Die großen Diktatorenromane von "Tyrann Banderas" (1926) des Spaniers Valle-Inclán bis hin zu "Der Herbst des Patriarchen" (1975) des Kolumbianers García Márquez hätten keinen Einfluss auf seinen neuen Roman gehabt, meint Vargas Llosa: "Hingegen sehr von Nutzen war mir die Lektüre von Joseph Roths ,Radetzkymarsch'."
Von großem Nutzen dürfte die Lektüre von "Das Fest des Ziegenbocks" für alle sein, die das System der brutalen Ein-Mann-Herrschaft über ein ganzes Land - und das Leben in einem solchen System - von innen her kennen lernen wollen.
Einige Kritiker haben Vargas Llosa vorgeworfen, ein mehr journalistisches als literarisches Buch geschrieben zu haben - zu Unrecht, denn mit "La Fiesta del Chivo" beweist der peruanische Schriftsteller, dass eine gut recherchierte journalistische Reportage die Grundlage für ein bedeutendes Werk der literarischen Fiktion sein kann. Mit "Das Fest des Ziegenbocks" hat Vargas Llosa nach dem Abgleiten in eher verspielt erotische Belanglosigkeit von "Die geheimen Aufzeichnungen des Don Rigoberto" wieder einen großen Roman geschrieben.
WALTER HAUBRICH
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