Als einen "gelassenen Zauberer des Alltags" hat ihn Heinrich Detering einmal bezeichnet. Und in der Tat wird in den Gedichten von Lars Gustafsson das Alltägliche besonders, das Unbelebte lebendig, das Abstrakte konkret: das Eisen verlangt danach, Rost zu werden, und die Bücher beginnen miteinander zu reden. Und ein Hobel kann sich erinnern: "Unter der Oberfläche der Dinge / verbirgt sich nichts anderes / als die Oberfläche der Dinge. / So lange wie etwas / von den Dingen übrig bleibt, / ist es Oberfläche. Nichts anderes." Der neue Band mit den besten Gedichten aus den letzten Jahren zeigt den zeitgenössischen Dichter aus Schweden auf der Höhe seiner Meisterschaft.
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Begeistert verkündet Rezensent Wulf Segebrecht das Erscheinen eines neuen Gedichtbandes des schwedischen Autors Lars Gustafsson: In "Das Feuer und die Töchter" folgt er einmal mehr Gustafssons Kunst des Perspektivwechsels, etwa wenn das lyrische Ich plötzlich nicht mehr die Welt wahrnimmt, sondern von dieser wahrgenommen wird oder der Winterschnee selbst zur Sprache wird. Die erkenntnistheoretischen Aporien Gustafssons erscheinen dem Kritiker nie anstrengend, vielmehr kommen sie angenehm ironisch, humorvoll oder in "resignativer Grandezza" daher. Und so kann er die Lektüre dieser lyrischen Ausflüge in die nordische Tierwelt und Landschaft, in wissenschaftliche Theoreme oder gesellschaftliche Ereignisse nur unbedingt empfehlen.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 03.03.2015Wenn wir einander träumen in der Nacht
Das Einfache, das schwer zu machen ist: Lars Gustafssons Gedichte verbinden Logik mit Sinnlichkeit
Der schwedische Dichter Lars Gustafsson muss hierzulande nicht mehr vorgestellt werden. Er gehört seit langem zur literarischen Landschaft Deutschlands, wo er mehrfach für einige Jahre gelebt hat, wo seine Gedichte, Essays und Romane (zuletzt erschien "Der Mann auf dem blauen Fahrrad") regelmäßig erschienen und wo er Preise und Auszeichnungen erhielt, darunter die Goethe-Medaille. Schon vor mehr als fünfzig Jahren nahm die "Gruppe 47", wohl auf Anregung Hans Magnus Enzensbergers, den jungen Mann als Gast in ihren Kreis auf, als sie ihre Tagung im schwedischen Sigtuna abhielt. Über die "fast unausstehliche Aufrichtigkeit" der Kritik, die dort herrschte, hat Gustafsson damals in der schwedischen Presse verblüfft und fasziniert berichtet.
Enzensberger war es dann auch, der Gustafssons lyrischen Erstling unter dem Titel "Die Maschinen" ins Deutsche übertrug (1967). Gustafsson hat diesem Werk einen kulturhistorischen, linguistischen und philosophischen Selbstkommentar beigegeben, der inzwischen zu den Grundtexten der modernen Lyriktheorie gehört. Einer seiner Kernsätze besagt, "dass unseren Worten und unserm Sprechen etwas Mechanisches und gleichsam Unpersönliches anhaftet, als wären nicht wir es, die unsere Gedanken hervorbrächten, sondern als dächte die Sprache in uns und als liehen wir bloß einer größeren, unübersehbaren sprachlichen Struktur unsere Stimme...". Und weiter heißt es in seinem Selbstkommentar zu "Die Maschinen": "Der Mensch wird darin aufgefasst als eine kybernetische Vorrichtung, die mit unserer eigenen Sprache und unserer eigenen Logik programmiert ist. Es handelt sich um einen Versuch, die Perspektive zu verändern und das, was uns am besten bekannt ist, unter einem neuen Gesichtswinkel zu betrachten."
Solche Veränderungen der Perspektive gehören nach wie vor zum kennzeichnenden Inventar der Poesie Gustafssons. So wird etwa das aufgeschlagene Buch (im Gedicht "Firnis an einem Ruder") nicht gelesen, sondern es liest sich selbst. Oder: Durchs geöffnete Fenster (im Gedicht "Der Mai ist ein Fenster") wird nicht die Außenwelt betrachtet, sondern "die Welt nimmt mich plötzlich wahr"; und der Winter mit Neuschnee, Schneewehen und Schneekrusten ist "in Wirklichkeit eine Sprache". "Fast alles, was geschieht/ wird von niemandem gesehen", liest man da und: "Das meiste, das den Dingen geschieht, / hat überhaupt nichts mit ihnen zu tun". Gustafsson führt seine konkreten Beobachtungen der "Dinge" auf dem kürzesten Weg in erkenntnistheoretische Aporien, die aber nichts existentiell Quälendes haben. Sie werden vielmehr, oft in aphoristischer Form, mit leicht resignativer Grandezza, mit Selbstironie und auch mit Humor in reim- und strophenlosen Texten vorgetragen.
Ob er sich nordischen Wetterverhältnissen oder der Tierwelt, geographischen Gegebenheiten oder wissenschaftlichen Theoremen, merkwürdigen Personen oder gesellschaftlichen Ereignissen zuwendet - stets verwickelt er seine Themen in vertrackte und zuletzt rätselhafte Denkprozesse; nicht zufällig kommt Bernhard Riemanns Vermutung über das immer seltenere Auftreten der Primzahlen in der Zahlenreihe gleich zweimal vor, und sein Gedicht "In den milden Gärten der Erinnerung", angelehnt an die Schrift "De memoria et reminiscentia" des Aristoteles, treibt ein zugleich heiteres und ernstes Spiel mit dem Erinnern und dem Vergessen bis hin zur Schlusszeile: "Mir war entfallen, dass ich mich genau daran erinnerte". Als Liebesbekenntnis erscheint dieses Spiel in einem anderen Gedicht ("Durch den Spiegel") so: "Liebste, / so weit voneinander schlafend / teilen wir doch die Nacht. // Und wir träumen einander. / Erwachte ich jetzt, / wäre ich nicht. // Ich träume dich, die mich träumt. // Wenn ich dich wecke, / werde ich verschwinden." Gustafssons Gedichte verbinden auf einzigartige Weise Logik mit Sinnlichkeit. Sie geben zu denken, aber sie geben nicht vor, dass das Denken das Dasein wirklich erschöpfen kann. Sie beweisen die große Kunst, Kompliziertestes auf die äußerste Simplizität zurückzuführen, aber sie leugnen nicht, dass in dieser Simplizität selbst wieder äußerst komplexe Verhältnisse enthalten sind. Das zeichnet diese Gedichte aus.
WULF SEGEBRECHT
Lars Gustafssson:
"Das Feuer und die Töchter". Gedichte.
Aus dem Schwedischen von Barbara M. Karlson und Verena Reichel. Carl Hanser Verlag 2014. 103 S., geb., 15,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Das Einfache, das schwer zu machen ist: Lars Gustafssons Gedichte verbinden Logik mit Sinnlichkeit
Der schwedische Dichter Lars Gustafsson muss hierzulande nicht mehr vorgestellt werden. Er gehört seit langem zur literarischen Landschaft Deutschlands, wo er mehrfach für einige Jahre gelebt hat, wo seine Gedichte, Essays und Romane (zuletzt erschien "Der Mann auf dem blauen Fahrrad") regelmäßig erschienen und wo er Preise und Auszeichnungen erhielt, darunter die Goethe-Medaille. Schon vor mehr als fünfzig Jahren nahm die "Gruppe 47", wohl auf Anregung Hans Magnus Enzensbergers, den jungen Mann als Gast in ihren Kreis auf, als sie ihre Tagung im schwedischen Sigtuna abhielt. Über die "fast unausstehliche Aufrichtigkeit" der Kritik, die dort herrschte, hat Gustafsson damals in der schwedischen Presse verblüfft und fasziniert berichtet.
Enzensberger war es dann auch, der Gustafssons lyrischen Erstling unter dem Titel "Die Maschinen" ins Deutsche übertrug (1967). Gustafsson hat diesem Werk einen kulturhistorischen, linguistischen und philosophischen Selbstkommentar beigegeben, der inzwischen zu den Grundtexten der modernen Lyriktheorie gehört. Einer seiner Kernsätze besagt, "dass unseren Worten und unserm Sprechen etwas Mechanisches und gleichsam Unpersönliches anhaftet, als wären nicht wir es, die unsere Gedanken hervorbrächten, sondern als dächte die Sprache in uns und als liehen wir bloß einer größeren, unübersehbaren sprachlichen Struktur unsere Stimme...". Und weiter heißt es in seinem Selbstkommentar zu "Die Maschinen": "Der Mensch wird darin aufgefasst als eine kybernetische Vorrichtung, die mit unserer eigenen Sprache und unserer eigenen Logik programmiert ist. Es handelt sich um einen Versuch, die Perspektive zu verändern und das, was uns am besten bekannt ist, unter einem neuen Gesichtswinkel zu betrachten."
Solche Veränderungen der Perspektive gehören nach wie vor zum kennzeichnenden Inventar der Poesie Gustafssons. So wird etwa das aufgeschlagene Buch (im Gedicht "Firnis an einem Ruder") nicht gelesen, sondern es liest sich selbst. Oder: Durchs geöffnete Fenster (im Gedicht "Der Mai ist ein Fenster") wird nicht die Außenwelt betrachtet, sondern "die Welt nimmt mich plötzlich wahr"; und der Winter mit Neuschnee, Schneewehen und Schneekrusten ist "in Wirklichkeit eine Sprache". "Fast alles, was geschieht/ wird von niemandem gesehen", liest man da und: "Das meiste, das den Dingen geschieht, / hat überhaupt nichts mit ihnen zu tun". Gustafsson führt seine konkreten Beobachtungen der "Dinge" auf dem kürzesten Weg in erkenntnistheoretische Aporien, die aber nichts existentiell Quälendes haben. Sie werden vielmehr, oft in aphoristischer Form, mit leicht resignativer Grandezza, mit Selbstironie und auch mit Humor in reim- und strophenlosen Texten vorgetragen.
Ob er sich nordischen Wetterverhältnissen oder der Tierwelt, geographischen Gegebenheiten oder wissenschaftlichen Theoremen, merkwürdigen Personen oder gesellschaftlichen Ereignissen zuwendet - stets verwickelt er seine Themen in vertrackte und zuletzt rätselhafte Denkprozesse; nicht zufällig kommt Bernhard Riemanns Vermutung über das immer seltenere Auftreten der Primzahlen in der Zahlenreihe gleich zweimal vor, und sein Gedicht "In den milden Gärten der Erinnerung", angelehnt an die Schrift "De memoria et reminiscentia" des Aristoteles, treibt ein zugleich heiteres und ernstes Spiel mit dem Erinnern und dem Vergessen bis hin zur Schlusszeile: "Mir war entfallen, dass ich mich genau daran erinnerte". Als Liebesbekenntnis erscheint dieses Spiel in einem anderen Gedicht ("Durch den Spiegel") so: "Liebste, / so weit voneinander schlafend / teilen wir doch die Nacht. // Und wir träumen einander. / Erwachte ich jetzt, / wäre ich nicht. // Ich träume dich, die mich träumt. // Wenn ich dich wecke, / werde ich verschwinden." Gustafssons Gedichte verbinden auf einzigartige Weise Logik mit Sinnlichkeit. Sie geben zu denken, aber sie geben nicht vor, dass das Denken das Dasein wirklich erschöpfen kann. Sie beweisen die große Kunst, Kompliziertestes auf die äußerste Simplizität zurückzuführen, aber sie leugnen nicht, dass in dieser Simplizität selbst wieder äußerst komplexe Verhältnisse enthalten sind. Das zeichnet diese Gedichte aus.
WULF SEGEBRECHT
Lars Gustafssson:
"Das Feuer und die Töchter". Gedichte.
Aus dem Schwedischen von Barbara M. Karlson und Verena Reichel. Carl Hanser Verlag 2014. 103 S., geb., 15,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
"Gustafssons Gedichte verbinden auf einzigartige Weise Logik mit Sinnlichkeit ... Sie beweisen die große Kunst, Kompliziertestes auf die äußerste Simplizität zurückzuführen, aber sie leugnen nicht, dass in dieser Simplizität selbst wieder äußerst komplexe Verhältnisse enthalten sind." Wulf Segebrecht, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 03.03.15
"Die Gedichte von Lars Gustafsson sind sehr poetisch und tief philosophisch, meistens heiter und ziemlich schwedisch." Iris Radisch, Die Zeit, 02.10.14
"Wundersame Gebilde aus fast nichts, federleicht und voller Zauber." Manfred Papst, Neue Zürcher Zeitung am Sonntag, 28.12.14
"Die Gedichte von Lars Gustafsson sind sehr poetisch und tief philosophisch, meistens heiter und ziemlich schwedisch." Iris Radisch, Die Zeit, 02.10.14
"Wundersame Gebilde aus fast nichts, federleicht und voller Zauber." Manfred Papst, Neue Zürcher Zeitung am Sonntag, 28.12.14