Francesca Haig hat etwas geschafft, was inzwischen gar nicht mehr so einfach ist: sie hat eine Dystopie geschrieben, die sich liest wie etwas völlig Neues. Die Grundidee fand ich dermaßen faszinierend, dass das Buch bei mir schon halb gewonnen hatte:
In einer post-nuklearen Zukunft werden
ausschließlich Zwillinge geboren, immer ein Junge und ein Mädchen. Aber während das eine Kind grundsätzlich…mehrFrancesca Haig hat etwas geschafft, was inzwischen gar nicht mehr so einfach ist: sie hat eine Dystopie geschrieben, die sich liest wie etwas völlig Neues. Die Grundidee fand ich dermaßen faszinierend, dass das Buch bei mir schon halb gewonnen hatte:
In einer post-nuklearen Zukunft werden ausschließlich Zwillinge geboren, immer ein Junge und ein Mädchen. Aber während das eine Kind grundsätzlich gesund, kräftig und makellos ist, hat das andere irgendeine Form von Behinderung oder Deformierung.
Nach vielen Generationen der Zwillingsgeburten hat sich die Gesellschaft in zwei Gruppen gespalten: die gesunden Alphas, die privilegiert in wohlhabenden, sauberen Städten leben, und die "defekten" Omegas, die schon als Kleinkinder gebrandmarkt und in reine Omega-Siedlungen abgeschoben werden, wo sie nicht halb so viele Rechte genießen wie ihre Zwillinge. Die Omegas werden gefürchtet, da sie als Inbegriff alles Schlechten gesehen werden, und womöglich würde diese Furcht sich in einem Genozid entladen - wäre da nicht die simple Tatsache, dass kein Alpha ohne sein Omega leben kann. Stirbt der eine Zwilling, stirbt auch der andere.
Cass ist eine Omega, weil sie seherische Fähigkeiten besitzt - was von Alphas und Omegas gehasst und gefürchtet wird. Am Anfang hatte ich das Gefühl, keinen rechten Zugang zu ihr zu finden, denn die Geschichte durchläuft in den ersten Kapiteln sozusagen im Zeitraffer mehrere Jahre, wodurch ich Cass' Emotionen einfach nicht unmittelbar spüren konnte. Aber ab dem Punkt, ab dem wir die Geschichte wieder langsamer aus Cass' Sicht miterleben, wuchs sie mir immer mehr ans Herz!
Sie hat eine Schwäche, die eigentlich eine Stärke ist: sie sieht das Gute im Menschen und vertraut lieber einmal zu oft, als einmal zu wenig. Obwohl sie selber allen Grund dazu hätte, die Alphas zu hassen, empfindet sie eine zutiefst verwurzelte Überzeugung, dass nicht Krieg die Lösung für die Unterdrückung der Omegas ist, sondern nur ein friedliches Zusammenleben von Alphas und Omegas.
Ihren Zwillingsbruder Zack, der seine eigene Karriere über Cass' Wohlergehen stellt, konnte ich bis zu einem gewissen Punkt sogar verstehen; in seinen Augen hat seine Schwester ihn um die Kindheit betrogen, die ihm zustand. Vieles von dem, was er tut, wird von einer ganz instinktiven Angst davor motiviert, nicht dazu zu gehören oder gut genug zu sein. Womit ich sein Verhalten nicht entschuldigen will! Aber ich fand es gut, dass die Autorin ihn als Menschen mit nachvollziehbaren Motiven zeigt.
Dann gibt es da noch Kip, den Cass vor einem schrecklichen Schicksal rettet. Er war mir direkt sehr sympathisch! Obwohl er sein Gedächtnis verloren hat und deswegen quasi nochmal ganz von vorne anfangen muss, hat er eine starke Persönlichkeit, die einem im Gedächtnis bleibt. In den unmöglichsten Situationen zeigt er immer wieder einen flapsigen Humor, was das düstere und hochspannende Buch manchmal etwas auflockert.
Über ein paar andere Charaktere hätte ich gerne noch mehr erfahren, wie zum Beispiel Piper, den Anführer des Widerstands, oder die gefürchtete Seherin, die als "Beichtmutter" bekannt ist. Sie tut wirklich schreckliche Dinge und ich hätte gerne besser verstanden, was sie dazu gebracht hat!
Die Liebesgeschichte ist hat mir gut gefallen, obwohl (oder vielleicht gerade weil) sie sich langsam aufbaut und nicht im Mittelpunkt der Handlung steht. Ich fand sie rührend und gut geschrieben!
Obwohl die Handlung manchmal eher bedächtig voranschreitet, passiert in meinen Augen auch in den ruhigeren Passagen immer genug, um das Interesse wach zu halten. Die Grundidee wird schlüssig ausgebaut, und auch die Welt erschien mir stets gut durchdacht und komplex.
Der Schreibstil gefällt mir an sich sehr gut, aber nach meinem Empfinden verliert er in der Übersetzung viel seiner Dringlichkeit und seiner interessanten Sprachmelodie. Manche Stellen sind meines Erachtens auch ein wenig verfälscht übersetzt.