Worin liegt der kritische Gehalt von Literaturkritik? Was macht sie umgekehrt so anfällig für den Umschlag ins Ideologische? Und in welchem Verhältnis stehen die kritischen Formen zum Feuilleton, in dem sie erscheinen und den Begriffen, mit denen sie operieren? Barbara Wildenhahn begegnet diesen Fragen mit einem Konzept Kritischer Form, das die geschichtsphilosophischen Implikationen kritischer Rede während der Weimarer Republik als formal generierte entlarvt. Literaturkritiken und allgemein kulturkritische Texte aus Frankfurter Zeitung und Deutscher Allgemeiner Zeitung bilden das Material, auf dessen Grundlage die Autorin drei der während der Weimarer Republik mit großer Vehemenz eingesetzten Begriffe literaturkritischen Wertens verfolgt: 'Leben', 'Kraft' und 'Das Neue'. Die Funktion von Literatur wird über ihre Kritik denkbar, und es zeigt sich fast nebenbei, welche theoretische Hypothek des Feuilletons den Theoretisierungsprozessen der Nachkriegszeit abzuarbeiten blieb.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.07.2009Mit Kraft macht man Kultur
Barbara Wildenhahn entdeckt das Feuilleton der Weimarer Republik als Energiequelle
Die Weimarer Republik war ein Höhepunkt des deutschen Zeitungsfeuilletons. Legendäre liberale Blätter wie die "Frankfurter Zeitung", das "Berliner Tageblatt" oder die "Vossische Zeitung" hatten ihre Gipfel als politische Kommentatoren des Zeitgeschehens schon hinter sich - sie lagen im Kaiserreich und dabei vor allem im Ersten Weltkrieg, als die regierungskritischen Journalisten beim "Tanz zwischen Dornenspitzen", wie Theodor Wolff, der langjährige Chefredakteur des "Berliner Tageblatts", die Arbeit unter Bedingungen der Kriegszensur nannte, bewundernswerte Klarsicht bewahrt hatten.
In der von ihnen erwünschten und mit erkämpften Republik verloren diese Zeitungen dann ihre Vorreiterrolle, doch sie blieben meinungsprägend durch ihre Feuilletons, die damals wirklich noch "unter dem Strich", also jeweils am unteren Ende der Seiten zu finden waren. Dort und in den seinerzeit noch redaktionell separierten "Literaturblättern" bildete sich ein kulturpolitischer und gesellschaftskritischer Diskurs heraus, der zum Nährboden werden sollte für das, was Horkheimer und Adorno, die beide mit und in diesen Zeitungen sozialisiert wurden, später als "Kritische Theorie" etablierten.
Barbara Wildenhahn tut deshalb recht daran, zur Grundlage ihrer Analyse zweier bedeutender deutscher Feuilletons aus der Weimarer Zeit jene Konzeption zu nehmen, die Adorno 1958 in seinem Aufsatz "Der Essay als Form" entwicket hat: Sprache weist gestalt- wie formbildendes Potential auf - als Garantin des "Neuen", wie einer der drei von Wildenhahn untersuchten Zentralbegriffe des feuilletonistischen Schreibens und Bewertens jener Jahre lautet. Das Neue war der Zug der Zeit: in der neuen Republik und in der neuen Situation einer durch die Weltkriegsniederlage gedemütigten Kulturnation. Auf beides galt es Antworten zu finden, und Literatur und Feuilleton rangen darum. Einen Ausweg fanden sie in Paradigmen, die nicht mehr aus den enttäuschenden Erfahrungen des unmittelbar Politischen gewonnen wurden, sondern aus dem sich am Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts zur neuen Leitkultur entwickelnden naturwissenschaftlichen Denken. Kein Wunder, dass die anderen zwei Begriffe, die im Mittelpunkt von Wildenhagens Aufmerksamkeit stehen, "Leben" und "Kraft" lauten.
Grundlage dieser Dissertation sind die Artikel der Kulturteile der schon erwähnten "Frankfurter Zeitung" (FZ), deren Feuilleton die Konstanzer Kulturhistorikerin Almut Todorow in den neunziger Jahren vollständig erschlossen hat, und der noch nicht wissenschaftlich aufbereiteten "Deutschen Allgemeinen Zeitung" (DAZ), die nach dem Ersten Weltkrieg aus der früheren "Norddeutschen Allgemeinen Zeitung" hervorging, jenem Berliner Blatt, das von Bismarck zum offiziösen Sprachrohr der kaiserlichen Regierung gemacht worden war. Wildenhahn hat also eine liberale und eine konservaive Zeitung ausgewählt, die aber beide begehrte Foren für die intellektuellen Debatten der zwanziger Jahre waren. Sie legt zudem in die Fülle der in anderthalb Jahrzehnten erschienenen Artikel drei zeitliche Längsschnitte: 1919, 1925 und 1929, um die Genesen der von ihr speziell untersuchten Begriffe zu rekonstruieren.
Die methodische Einführung der ersten Häfte des Buches ist notgedrungen theorielastig und in einigen Punkten redundant. Doch die sich daran anschließende Textanalyse, deren Nachvollzug dadurch erleichtert wird, dass im Buch einundzwanzig Artikel aus FZ und DAZ vollständig nachgedruckt sind, ist immens detailreich und klug.
Wildenhahn hat weit über die beiden Feuilletons hinaus die kulturellen Reizthemen der Weimarer Zeit untersucht und kann so über die Formdiskussion hinaus auch ein intellektuelles Profil jener Jahre erkennbar machen, das die Frontbildungen zwischen links und rechts, liberal und konservativ, radikal und reformerisch, die letztlich das Ende der Republik begünstigten, von Beginn an abbildete. Faszinierend, wie etwa die gesellschaftliche Funktion des Romans in beiden Zeitungen diskutiert wurde: jeweils in klarer Abgrenzung zum ehedem vorherrschenden Naturalismusideal, aber auch unversöhnlich gespalten in der jeweiligen Erwartungshaltung ans kritische Bewusstsein eines Autors.
Doch die Gräben verliefen auch innerhalb der Redaktionen. Die Rezeption nach Erscheinen von Thomas Manns "Zauberberg" bietet dafür ein Beispiel. In der FZ erschien zunächst ein harscher Verriss, doch ein halbes Jahr später gab das Blatt einer Gegenmeinung Raum, die Thomas Mann so erfreute, dass er deren Autor, Karl Alphéus, persönlich dankte. Nur wenige Schriftsteller waren "neutrale" Gegenstände journalistischer Aufmerksamkeit, denn fast alle waren für die wichtigen deutschen Zeitungen als Beiträger tätig, und entsprechend fiel manche Rezension aus. Doch nicht das Urteil interessiert Barbara Wildenhahn, sondern die Struktur der Argumentation, und da kann sie einen von links bis rechts durchgehenden Zug in den Feuilletons nachweisen, der tatsächlich die politische Komponente wieder der formalen unterwirft.
Das Interessante daran ist nun, dass diese Einstellung von den Feuilletonisten durchaus reflektiert wurde und dennoch immer noch ein stark politischer Impetus den Kulturjournalismus prägte. Erst Adorno, der gelegentlich für die FZ schrieb, hat dieses scheinbare Paradox aufgelöst, als er das Formbedürfnis einer kritischen Position zur Welt in den Mittelpunkt seiner ästhetischen Theorie stellte. So ist aus Feuilletondebatten vor beinahe hundert Jahren eine der wirkungsmächtigsten philosophischen Positionen des zwanzigsten Jahrhunderts erwachsen.
Wie viel uns dennoch von dieser Glanzzeit trennt, zeigen die Begrifflichkeiten, das Pathos und die Themen der Feuilletons der zwanziger Jahre. Es ist eine andere Welt, die da noch einmal aufscheint - intellektuell höchst herausfordernd, aber dann untergegangen, weil sie den Primat der Politik eben doch nicht überwinden konnte.
ANDREAS PLATTHAUS
Barbara Wildenhahn: "Feuilleton zwischen den Kriegen". Die Form der Kritik und ihre Theorie. Wilhelm Fink Verlag, München 2008. 342 S., br., 39,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Barbara Wildenhahn entdeckt das Feuilleton der Weimarer Republik als Energiequelle
Die Weimarer Republik war ein Höhepunkt des deutschen Zeitungsfeuilletons. Legendäre liberale Blätter wie die "Frankfurter Zeitung", das "Berliner Tageblatt" oder die "Vossische Zeitung" hatten ihre Gipfel als politische Kommentatoren des Zeitgeschehens schon hinter sich - sie lagen im Kaiserreich und dabei vor allem im Ersten Weltkrieg, als die regierungskritischen Journalisten beim "Tanz zwischen Dornenspitzen", wie Theodor Wolff, der langjährige Chefredakteur des "Berliner Tageblatts", die Arbeit unter Bedingungen der Kriegszensur nannte, bewundernswerte Klarsicht bewahrt hatten.
In der von ihnen erwünschten und mit erkämpften Republik verloren diese Zeitungen dann ihre Vorreiterrolle, doch sie blieben meinungsprägend durch ihre Feuilletons, die damals wirklich noch "unter dem Strich", also jeweils am unteren Ende der Seiten zu finden waren. Dort und in den seinerzeit noch redaktionell separierten "Literaturblättern" bildete sich ein kulturpolitischer und gesellschaftskritischer Diskurs heraus, der zum Nährboden werden sollte für das, was Horkheimer und Adorno, die beide mit und in diesen Zeitungen sozialisiert wurden, später als "Kritische Theorie" etablierten.
Barbara Wildenhahn tut deshalb recht daran, zur Grundlage ihrer Analyse zweier bedeutender deutscher Feuilletons aus der Weimarer Zeit jene Konzeption zu nehmen, die Adorno 1958 in seinem Aufsatz "Der Essay als Form" entwicket hat: Sprache weist gestalt- wie formbildendes Potential auf - als Garantin des "Neuen", wie einer der drei von Wildenhahn untersuchten Zentralbegriffe des feuilletonistischen Schreibens und Bewertens jener Jahre lautet. Das Neue war der Zug der Zeit: in der neuen Republik und in der neuen Situation einer durch die Weltkriegsniederlage gedemütigten Kulturnation. Auf beides galt es Antworten zu finden, und Literatur und Feuilleton rangen darum. Einen Ausweg fanden sie in Paradigmen, die nicht mehr aus den enttäuschenden Erfahrungen des unmittelbar Politischen gewonnen wurden, sondern aus dem sich am Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts zur neuen Leitkultur entwickelnden naturwissenschaftlichen Denken. Kein Wunder, dass die anderen zwei Begriffe, die im Mittelpunkt von Wildenhagens Aufmerksamkeit stehen, "Leben" und "Kraft" lauten.
Grundlage dieser Dissertation sind die Artikel der Kulturteile der schon erwähnten "Frankfurter Zeitung" (FZ), deren Feuilleton die Konstanzer Kulturhistorikerin Almut Todorow in den neunziger Jahren vollständig erschlossen hat, und der noch nicht wissenschaftlich aufbereiteten "Deutschen Allgemeinen Zeitung" (DAZ), die nach dem Ersten Weltkrieg aus der früheren "Norddeutschen Allgemeinen Zeitung" hervorging, jenem Berliner Blatt, das von Bismarck zum offiziösen Sprachrohr der kaiserlichen Regierung gemacht worden war. Wildenhahn hat also eine liberale und eine konservaive Zeitung ausgewählt, die aber beide begehrte Foren für die intellektuellen Debatten der zwanziger Jahre waren. Sie legt zudem in die Fülle der in anderthalb Jahrzehnten erschienenen Artikel drei zeitliche Längsschnitte: 1919, 1925 und 1929, um die Genesen der von ihr speziell untersuchten Begriffe zu rekonstruieren.
Die methodische Einführung der ersten Häfte des Buches ist notgedrungen theorielastig und in einigen Punkten redundant. Doch die sich daran anschließende Textanalyse, deren Nachvollzug dadurch erleichtert wird, dass im Buch einundzwanzig Artikel aus FZ und DAZ vollständig nachgedruckt sind, ist immens detailreich und klug.
Wildenhahn hat weit über die beiden Feuilletons hinaus die kulturellen Reizthemen der Weimarer Zeit untersucht und kann so über die Formdiskussion hinaus auch ein intellektuelles Profil jener Jahre erkennbar machen, das die Frontbildungen zwischen links und rechts, liberal und konservativ, radikal und reformerisch, die letztlich das Ende der Republik begünstigten, von Beginn an abbildete. Faszinierend, wie etwa die gesellschaftliche Funktion des Romans in beiden Zeitungen diskutiert wurde: jeweils in klarer Abgrenzung zum ehedem vorherrschenden Naturalismusideal, aber auch unversöhnlich gespalten in der jeweiligen Erwartungshaltung ans kritische Bewusstsein eines Autors.
Doch die Gräben verliefen auch innerhalb der Redaktionen. Die Rezeption nach Erscheinen von Thomas Manns "Zauberberg" bietet dafür ein Beispiel. In der FZ erschien zunächst ein harscher Verriss, doch ein halbes Jahr später gab das Blatt einer Gegenmeinung Raum, die Thomas Mann so erfreute, dass er deren Autor, Karl Alphéus, persönlich dankte. Nur wenige Schriftsteller waren "neutrale" Gegenstände journalistischer Aufmerksamkeit, denn fast alle waren für die wichtigen deutschen Zeitungen als Beiträger tätig, und entsprechend fiel manche Rezension aus. Doch nicht das Urteil interessiert Barbara Wildenhahn, sondern die Struktur der Argumentation, und da kann sie einen von links bis rechts durchgehenden Zug in den Feuilletons nachweisen, der tatsächlich die politische Komponente wieder der formalen unterwirft.
Das Interessante daran ist nun, dass diese Einstellung von den Feuilletonisten durchaus reflektiert wurde und dennoch immer noch ein stark politischer Impetus den Kulturjournalismus prägte. Erst Adorno, der gelegentlich für die FZ schrieb, hat dieses scheinbare Paradox aufgelöst, als er das Formbedürfnis einer kritischen Position zur Welt in den Mittelpunkt seiner ästhetischen Theorie stellte. So ist aus Feuilletondebatten vor beinahe hundert Jahren eine der wirkungsmächtigsten philosophischen Positionen des zwanzigsten Jahrhunderts erwachsen.
Wie viel uns dennoch von dieser Glanzzeit trennt, zeigen die Begrifflichkeiten, das Pathos und die Themen der Feuilletons der zwanziger Jahre. Es ist eine andere Welt, die da noch einmal aufscheint - intellektuell höchst herausfordernd, aber dann untergegangen, weil sie den Primat der Politik eben doch nicht überwinden konnte.
ANDREAS PLATTHAUS
Barbara Wildenhahn: "Feuilleton zwischen den Kriegen". Die Form der Kritik und ihre Theorie. Wilhelm Fink Verlag, München 2008. 342 S., br., 39,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Andreas Platthaus ist ganz und gar gefangen von Barbara Wildenhahns Dissertation über das Zeitungsfeuilleton in der Weimarer Zeit. Wildenhahns Berufung auf Adornos Konzeption des formbildenden Potentials von Sprache für die Analyse der Kulturteile der Frankfurter Zeitung (FZ) und der Deutschen Allgemeinen Zeitung (DAZ) 1919, 1925 und 1929 leuchtet ihm ein. Ebenso die von ihr in ihrer Genese untersuchten Zentralbegriffe ("Das Neue", "Leben" und "Kraft"). Nachdem sich Platthaus durch die theorielastige methodische Einführung gekämpft hat, geben ihm die "detailreichen und klugen" Textanalysen (samt der mit abgedruckten Artikel) einen Eindruck vom intellektuellen Profil jener Zeit und vom Verlauf der Fronten auch innerhalb der Zeitungsredaktionen. Dass es Wildenhahn nicht um das jeweilige Urteil geht, sondern um die Sichtbarmachung von Argumentationsstrukturen, erscheint dem Rezensenten als Glücksfall.
© Perlentaucher Medien GmbH
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