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"Grundrechte kann man nicht einfach für die einen abstellen, während sie für die anderen weiter gelten. Sie sind, wie Maya Angelou, die amerikanische Schriftstellerin und Ikone der Bürgerrechtsbewegung, so treffend formulierte, wie Luft: Entweder alle haben sie - oder niemand."
Flucht ist ein Widerspruch: Man will bleiben, muss aber weg. Flucht ist traumatisierend: Man sucht Sicherheit, muss dafür aber sein Leben aufs Spiel setzen. Und Flucht (nach Europa) ist paradox: Man muss Recht brechen, nämlich "illegal" Grenzen passieren, um zu seinem Recht auf Asyl zu kommen. Nur um sich im…mehr

Produktbeschreibung
"Grundrechte kann man nicht einfach für die einen abstellen, während sie für die anderen weiter gelten. Sie sind, wie Maya Angelou, die amerikanische Schriftstellerin und Ikone der Bürgerrechtsbewegung, so treffend formulierte, wie Luft: Entweder alle haben sie - oder niemand."

Flucht ist ein Widerspruch: Man will bleiben, muss aber weg. Flucht ist traumatisierend: Man sucht Sicherheit, muss dafür aber sein Leben aufs Spiel setzen. Und Flucht (nach Europa) ist paradox: Man muss Recht brechen, nämlich "illegal" Grenzen passieren, um zu seinem Recht auf Asyl zu kommen. Nur um sich im Aufnahmeland abermals mit widersprüchlichen Anforderungen und unerfüllbaren Zuschreibungen der Integration auseinandersetzen zu müssen.

Die Fluchtforscherin Judith Kohlenberger liefert eine detaillierte Analyse unseres Umgangs mit Vertreibung und Vertriebenen, zeichnet die historischen und rezenten Entwicklungen, nicht erst seit dem Krieg in der Ukraine, in rechtlicher, gesellschaftlicher und individueller Perspektive nach und zeigt, wie wir zu einer menschlichen Asyl- und Integrationspolitik kommen, wenn wir unsere moralische Verantwortung wahrnehmen, kurz: wenn wir der Stärke unserer Institutionen, unseres Rechtsstaats und unserer Zivilgesellschaft vertrauen.
Autorenporträt
ist Kulturwissenschaftlerin und Migrationsforscherin am Institut für Sozialpolitik der WU Wien, wo sie zu Fluchtmigration, Integration und Zugehörigkeit forscht und lehrt. Im Herbst 2015 war sie an einer der europaweit ersten Studien zur großen Fluchtbewegung beteiligt. Ihre Arbeit wurde in internationalen Journals veröffentlicht und mit dem Kurt-Rothschild-Preis 2019 sowie dem Förderpreis der Stadt Wien ausgezeichnet. Neben ihrer wissenschaftlichen Tätigkeit schreibt sie für den FALTER Think Tank, ist im Integrationsrat der Stadt Wien tätig und engagiert sich als Gründungsmitglied von COURAGE - Mut zur Menschlichkeit für legale Fluchtwege. 
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Auch wenn Rezensent Holger Thünemann nicht mit allem einverstanden ist, was Judith Kohlenberger in ihrem Band zur Flucht- und Asylpolitik der EU schreibt, attestiert er ihr, doch ein wichtiges Buch verfasst zu haben. Wie sie die vielen Widersprüche aufzeigt, Lebenslügen und inhumane Praktiken, das rechnet ihr Thünemann hoch an: Wie kann es sein, dass Asylsuchende erst mehrfach gegen europäisches Recht verstoßen müssen, um überhaupt Asyl beantragen zu können? Wieso wird die Asylverantwortung zunehmend an undemokratische Regimes ausgelagert? Angesichts substantieller und berechtigter Kritik verzeiht der Rezensent, wenn die Autorin in ihrem "wild und spontan" geschriebenen Buch einige Male übers Ziel hinausschießt.

© Perlentaucher Medien GmbH

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 14.11.2022

Die Not
der anderen
Judith Kohlenberger über die
Widersprüche der Asylpolitik
München – Deutschland nimmt eine neue Kategorie von Flüchtlingen auf: Die Kriegsvertriebenen. Das Wort verwenden Politiker seit einiger Zeit für Menschen, die vor Putins Angriffskrieg fliehen. Es klingt nach großem, unverschuldetem Leid: Bei Flucht entzieht sich ein Mensch rein sprachlich gesehen aktiv einer Notlage. Vertreibung dagegen ist passiv, der Vertriebene somit das ultimative Opfer seiner Umstände. Es bedurfte eines solchen neues Wort, um den Asyldiskurs zu drehen, argumentiert die österreichische Kulturwissenschaftlerin Judith Kohlenberger in ihrem Buch „Das Fluchtparadox“. Jahrelang ging es in der öffentlichen Debatte darum, die EU gegen weiteren Zuzug von Flüchtlingen abzuschotten. Nun aber wollte man plötzlich Millionen willkommen heißen.
Hurra, könnte man rufen. Die EU zeigt sich endlich geschlossen und human im Umgang mit Vertriebenen. Kohlenberg aber raubt dem Leser diese Hoffnung gleich wieder: Den universellen Schutzanspruchs des Asylrechts sieht sie durch die einseitige Hilfe für die Ukraine eher bedroht. Eine Arbeitserlaubnis für Ukrainer und Pushbacks für Syrer – Widersprüche wie diese prägen die gesamte Asylpolitik, schreibt Kohlenberger. Schon Flucht an sich sei ein Paradox, schreibt sie: Man will bleiben, muss aber weg. Um zu seinem Recht auf Schutz zu kommen, muss man Recht brechen und illegal einreisen.
Paradox ist auch der Umgang unserer Gesellschaft mit Flüchtlingen. Recht auf Schutz haben in unserer Vorstellung vor allem die maximal Hilfsbedürftigen, Frauen mit Kindern etwa, Kranke, Ertrinkende. Gleichzeitig feiern wir dann die Fitten und Fleißigen als Beispiele gelungener Integration. Den Ankommenden gewähren wir wenig Rechte, vielfach dürfen sie nicht mal arbeiten. Trotzdem sollen sie sich möglichst schnell integrieren.
Ein andere Flüchtlingspolitik wäre möglich. Mit Aufnahmen direkt aus den Flüchtlingslagern des UNHCR, mit sicheren Fluchtwegen und legaler Einwanderung für die Arbeitsfähigen, schreibt Kohlenberger. Aber wo sind die Bürger, die dafür kämpfen? Die Europäer seien zu bequem, zu selbstgewiss auch, dass ihnen die Rechtlosigkeit, wie sie im Mittelmeer und auf Lesbos herrscht, nicht passieren kann.
Asylpolitik betrifft uns alle, das ist die simple und durchaus aufrührende Message. Wer sich konkrete Handlungsanweisungen an die Politik gewünscht hat, wird enttäuscht. Dafür beschenkt die Autorin die Leser mit einem moralischen Auftrag: Es gehe darum, die Geflüchteten, nicht als Andere zu betrachten, sondern als Menschen, die wir selbst sein könnten. Verantwortung übernehmen hieße, sich konsequent und beharrlich in jeden, der da kommt, hineinzuversetzen. Eine Asylpolitik, die das beherzigen würde, wäre ohnehin eine andere.
NINA VON HARDENBERG
Judith Kohlenberger:
Das Fluchtparadox. Über unseren widersprüchlichen Umgang mit Vertreibung und Vertriebenen. Kremayr & Scheriau, Wien 2022. 240 Seiten, 24 Euro. E-Book: 16,99 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 27.12.2022

Paradoxien der Asylpolitik

Wenn Rechtsbruch die Voraussetzung für die Erlangung eines Rechtes ist: Europa und die Menschen, die kommen um (besser) zu leben.

Gerade in jüngster Zeit, in der es europaweit zu einer immer stärkeren Renationalisierung im Bereich der Asylpolitik kommt, führt das Thema Flucht und Migration wieder zu manchmal heftigem Streit. Während die einen, insbesondere Menschenrechtsorganisationen und christliche Kirchen, einen humanen Umgang mit Geflüchteten anmahnen, sprechen andere von "Sozialtourismus" oder sehen gar das christliche Abendland in Gefahr. Und eine große deutsche Boulevardzeitung konfrontiert ihre Leserinnen und Leser regelmäßig mit SOS-Meldungen, wobei es bezeichnenderweise nicht um die Hilferufe derer geht, die im Mittelmeer zu ertrinken drohen, sondern um Länder und Kommunen, die auf erheblichen Platzmangel in ihren Flüchtlingsunterkünften hinweisen.

Es sind Paradoxien wie diese, für die die österreichische Kulturwissenschaftlerin und Migrationsforscherin Judith Kohlenberger in ihrem engagiert geschriebenen Buch den Blick zu schärfen versucht, um auf diese Weise neue Perspektiven für eine verantwortungsbewusste Asylpolitik zu entwickeln. Um welche Paradoxien geht es konkret? Erstens identifiziert Kohlenberger ein "Asylparadox". Um überhaupt ihr Recht auf Asyl geltend machen zu können, müssten Geflüchtete mangels legaler Fluchtwege oftmals zunächst Recht brechen, nämlich ohne Visa und Einreisegenehmigungen staatliche Grenzen passieren. Zweitens weist die Autorin auf ein "Flüchtlingsparadox" hin. Denn die Erwartungshaltung, mit der Geflüchtete in der Regel konfrontiert seien, bestehe darin, "gleichzeitig schwach und schutzbedürftig, aber auch leistungswillig und integrationsfähig" zu sein. Drittens thematisiert Kohlenberger in enger Anlehnung an den Soziologen Aladin El-Mafaalani ein "Integrationsparadox". Einerseits werde "Integration durch Leistung" seitens der Mehrheitsgesellschaft nämlich nachdrücklich eingefordert, andererseits sei allzu großer beruflicher und sozialer Erfolg oftmals nicht erwünscht; vielmehr könne er sogar Anlass zu stärkerer Diskriminierung sein. Und schließlich spricht die Autorin mit einem Begriff der belgischen Politikwissenschaftlerin Chantal Mouffe von einem "demokratischen Paradox", um deutlich zu machen, dass gerade diejenigen, deren Menschenrechte nicht beachtet würden, zugleich kaum in der Lage seien, diese Rechte erfolgreich einzuklagen.

Obwohl Kohlenbergers Überlegungen insgesamt nicht vollkommen neu sind, gelingt es ihr doch, auf grundsätzliche Widersprüche hinzuweisen, vor denen nicht nur die Asylpolitik in Europa zurzeit steht. Das gilt beispielsweise auch, wie das 2016 zwischen der EU und der Türkei geschlossene Abkommen zeigt, für den Versuch, Fragen der Asylverantwortung zunehmend nach außen zu verlagern und damit an Länder zu delegieren, deren Rechtsstaatlichkeit mehr als fragwürdig ist. Aber nicht nur auf solche sehr problematischen Tendenzen weist die Autorin zu Recht hin. Sie sensibilisiert ebenso für sprachliche Phänomene der Dehumanisierung, die sich etwa dann beobachten lassen, wenn von Geflüchteten nicht mehr als individuellen Personen und konkreten Menschen die Rede ist, sondern ausschließlich in Form einer drohenden "Flüchtlingswelle". Mit diesem Bild verbinden sich in den Zielländern dann vor allem Ängste und Gefahren, während die Potentiale und Chancen von Migration ebenso ausgeblendet werden wie die Prinzipien der Rechtsstaatlichkeit und Humanität, denen sich Europa grundsätzlich verpflichtet weiß. Insofern ist es ein wichtiges Anliegen, wenn Kohlenberger nicht nur die unmittelbar politisch Verantwortlichen, sondern uns alle mit den Worten von Emmanuel Levinas und Hannah Arendt nachdrücklich daran erinnert, dass es immer auch um das "Antlitz des Anderen" gehe und dass "das Recht jedes Menschen, zur Menschheit zu gehören, von der Menschheit selbst garantiert werden" müsse.

Gleichwohl hinterlässt das Buch stellenweise einen ambivalenten Eindruck. Das hängt zum einen damit zusammen, dass der Text, wie man im Nachwort lesen kann, offenbar "wild und spontan" geschrieben wurde, was zu mancher Zuspitzung, zu vereinzelten Ungenauigkeiten und vor allem zu zahlreichen Redundanzen führt. Zum anderen schießt Kohlenberger bei aller berechtigten Kritik an einem oftmals problematischen "Asylregime" manchmal deutlich über ihr Ziel hinaus; etwa dann, wenn sie behauptet, Staaten brauchten Flüchtlinge, "die sie offiziell abwehren und draußen halten wollen, weil sie damit nach innen hin ihre Macht und Souveränität signalisieren" und zugleich "denen, die in den Staat als demos eingeschlossen sind, ihre Rechte und Privilegien verdeutlichen" könnten. Und nicht zuletzt hätte man sich gewünscht, dass die Autorin ihr Plädoyer für einen humaneren Umgang mit Geflüchteten nicht auf die insgesamt eher vage Reflexion grundsätzlicher Handlungsmaximen beschränkt, sondern dass sie ganz konkrete Schritte benennt, um politisches Handeln zu verändern und den Skeptikern einer liberaleren und menschenrechtskonformen Asylpolitik argumentativ den Wind aus den Segeln zu nehmen. Trotz dieser Kritik kann jedoch kein Zweifel daran bestehen, dass Kohlenberger ein sehr wichtiges Buch geschrieben hat. Es legt einerseits zahlreiche Paradoxien der gegenwärtigen Migrationspolitik schonungslos offen, andererseits bietet es die Chance, einen oft eindimensionalen Blick auf Migration und insbesondere auf die Geflüchteten selbst nachhaltig zu differenzieren. Und vor allem wird kaum jemand nach der Lektüre dieses Buches noch einen Zweifel daran haben, dass es nicht nur inhuman, sondern angesichts von (Bürger-)Kriegen, Wirtschaftskrisen und Klimakatastrophen auch völlig unrealistisch ist, die vermeintliche "Festung Europa" mithilfe immer schärfer bewachter Grenzen oder gar neuer Mauern vom Rest der Welt hermetisch abzuriegeln. Auch wenn die Chancen dafür schon einmal deutlich besser standen, brauchen wir endlich eine verantwortungsbewusste Weltinnenpolitik. HOLGER THÜNEMANN

Judith Kohlenberger: Das Fluchtparadox. Über unseren widersprüchlichen Umgang mit Vertreibung und Vertriebenen.

Kremayr & Scheriau Verlag, Wien 2022. 240 S., 24,- Euro.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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