Das "Frankfurter Malerviertel" hat sich als anspruchsvolles, geschlossenes Wohnquartier der Jahrzehnte um 1900 innerhalb des Rings zwischen einstiger Stadtmauer und Landwehr entlang der Südseite des Mains entwickelt. Die angenehme Lage am Fluss außerhalb der engen, ins Mittelalter zurückreichenden Bebauung des ehemaligen Brückenkopfs "Sachsenhausen" hatte hier bereits um die Mitte des 18. Jahrhunderts frühe Sommerhäuser entstehen lassen. Mit gleichzeitigem Baubeginn von Untermainbrücke und Städelmuseum waren 1874 zugleich der direkte Anschluss an Frankfurts Zentrum bzw. ein urbanistischer Anfang geschaffen, denen Planung und Bebauung des schließlich knapp 800 Gebäude aufweisenden Viertels mit seinen teils noblen Villen und Etagenhäusern während der nächsten 65 Jahre folgten.Dass sich 2015 zum 200. Mal Johann Friedrich Städels Stiftung von Pinakothek und Akademie jährte, rechtfertigt zusätzlich diese Publikation über die Entstehung des nach Süden bis zum Bahndamm reichenden Städel-Hinterlands mit seinen zumeist nach Künstlern benannten Straßen. Seine Nordgrenze bildet das "Museumsufer", das die Bedeutung von Frankfurt als Kulturstadt während der letzten Jahrzehnte gefestigt hat.Der promovierte Kunsthistoriker Heinz Schomann war als Konservator beim Landesamt für Denkmalpflege Hessen tätig, bevor er ab 1972 in seiner Geburtsstadt Frankfurt eine kommunale Denkmalschutzbehörde aufbaute, die er fast drei Jahrzehnte lang leitete. Er verfasste zahlreiche Aufsätze und Bücher zur regionalen Kunst in und um Frankfurt sowie zur Kunstgeschichte Italiens und der iberischen Halbinsel.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.01.2016Wohnungen und Museen statt Sommeridyll
Dass Frankfurt wächst, ist nichts Neues. So wurde Sachsenhausen von 1874 bis 1939 um das Malerviertel erweitert. Heinz Schomann hat eine lesenswerte Dokumentation darüber verfasst.
Von Stefan Toepfer
Wer heute über die Gartenstraße fährt, ahnt kaum, warum sie seit 1849 ihren Namen trägt: nämlich wegen der großen, mit Sommerhäusern bebauten Gärten, die wohlhabende Bürger im Westen Sachsenhausens angelegt hatten, um dem Stadtleben auf der anderen Flussseite zu entfliehen. Doch damit war wenig später Schluss, denn es sollte ein neues Viertel entstehen, um dringend benötigten Wohnraum zu schaffen.
Es sollte 65 Jahre dauern, bis das neue Quartier geplant und vollständig bebaut war - begrenzt vom Main, dem Bahndamm, der Stresemannallee und der Schweizer Straße. Die Bevölkerung hatte recht bald einen Namen für das Quartier: Malerviertel. Etwa die Hälfte der 33 Straßen, die zu ihm gehören, tragen die Namen von Künstlern.
Kein Wunder, denn einer der prägendsten öffentlichen Bauten des Viertels ist das Städel, das 1873 mit Sammlung und Schule von der Neuen Mainzer Straße nach Sachsenhausen zog. Für den früheren Stadtkonservator Heinz Schomann gehört das Städel mit der Alten Oper, der Börse und dem Hauptbahnhof zu jenen Monumentalbauten, die den Aufstieg Frankfurts zur Großstadt markieren.
Detailliert zeichnet Schomann die Entwicklung des Quartiers und den Ist-Stand von mehr als 700 Häusern nach, die dort stehen. Nach dem Bahnhofs- und dem Holzhausenviertel hat sich der 76 Jahre alte Schomann zum dritten Mal intensiv mit einem Quartier befasst und umfassend recherchiert. Das Ergebnis kann sich sehen lassen: 347 Seiten stark ist sein reich bebildertes Werk.
Ein weiteres Quartier in diesem Umfang will Schomann nicht mehr beschreiben, schließlich gingen von der Idee bis zum fertigen Buch drei bis fünf Jahre ins Land und manche Recherche sei überaus mühsam, sagt er. Auch wer das neue Werk nur durchblättert, ahnt, was Schomann meint: Alle rund 250 Architekten und Bauunternehmer, die in dem Viertel tätig waren, hat er aufgelistet, auch ist jedes der 772 Gebäude (ohne Hinterhäuser) aufgeführt.
Davon bilden Villen den kleinsten Teil. Etwa 70 Prozent der Gebäude sind Mietshäuser, 20 Prozent Ein- und Zweifamilienhäuser. Von 1930 an gab es auch Ansätze zum Bau von Siedlungen, wenn sie auch klein ausfielen. Wie Schomann erläutert, gab es mehr Bedarf an preiswertem Wohnraum, die Nachfrage nach Repräsentationsbauten war gesunken. Dennoch: Viele Häuser im Malerviertel sind aufwendig gestaltet. Auf Elemente wie Erker und Giebel geht Schomann genauso ein wie auf den reichen figürlichen Schmuck. Die Fotos und der Text helfen, den Stadtteil neu zu entdecken, denn viele Verzierungen sind beim Vorbeigehen schwer zu entdecken, zumindest jene an den Wohnhäusern.
An den öffentlichen Gebäuden ist das anders - Figuren von Dürer und Holbein zieren die Städel-Fassade, die vier Evangelisten den Turm der 1913 errichteten evangelischen Lukaskirche, und Bonifatius schmückt die nach ihm benannte katholische Kirche. Der Bau der Lukaskirche wurde nötig, weil die Dreikönigskirche am Mainufer den Gläubigen zu wenig Platz bot. Die Bonifatiuskirche konnte erst nach dem Ersten Weltkrieg gebaut werden, von 1926 bis 1932.
Beiden Gotteshäusern widmet Schomann eigene Abschnitte, genauso wie den fünf Schulen, die binnen eines Jahrzehnts, von 1899 bis 1909, gebaut wurden. Die Gebäude waren zwar nach Schulformen unterschiedlich, hatten laut Schomann aber eines gemeinsam: "eine mit viel Aufwand realisierte Repräsentationsarchitektur, wie sie für die wilhelminische Ära typisch ist".
Repräsentativ ist freilich noch ein anderes Gebäude, das zum Malerviertel gehört: das Liebieghaus. Schomann nennt es "die Burg von Sachsenhausen". Errichten ließ sie der Tuchfabrikant Heinrich von Liebieg, nicht zuletzt, um seine Kunstsammlung angemessen unterzubringen. Er legte fest, dass das Haus für "ewige Zeiten" ein öffentliches Museum sein solle. Nach seinem Tod verkaufte seine Schwester es an die Stadt, die es 1909 für ihre Skulpturensammlung erweiterte. Zum Typus jener "Bürgerburgen" zählt Schomann auch die knapp außerhalb des Malerviertels gelegene Villa Speyer an der Kennedyallee, die zu einem Hotel umgebaut wurde.
Den Zweiten Weltkrieg nicht überstanden hat das Hippodrom, eine doppelgeschossige Reithalle, die auch für Konzerte genutzt werden konnte. Bis zu 4900 Besucher fanden in ihr Platz.
So viel Kunst das Malerviertel in seinen Museen und an den Fassaden zu bieten hat, so wenig ist im öffentlichen Raum zu sehen. Die einzige Skulptur, die dafür geschaffen wurde, ist der Rotkäppchenbrunnen, wie Schomann erläutert. 1912 errichtet, wurde er einige Male am Schnittpunkt von Kennedyallee und Gartenstraße neu aufgestellt - aber immer vis-à-vis der Schillerschule, die damals eine Höhere Mädchenschule war. Schomann hat eine Idee, warum der Brunnen dort blieb: "Vielleicht soll er Schülerinnen als Mahnung dienen."
Das Buch "Das Frankfurter Malerviertel" von Heinz Schomann ist im Michael Imhof Verlag erschienen und kostet 49,95 Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Dass Frankfurt wächst, ist nichts Neues. So wurde Sachsenhausen von 1874 bis 1939 um das Malerviertel erweitert. Heinz Schomann hat eine lesenswerte Dokumentation darüber verfasst.
Von Stefan Toepfer
Wer heute über die Gartenstraße fährt, ahnt kaum, warum sie seit 1849 ihren Namen trägt: nämlich wegen der großen, mit Sommerhäusern bebauten Gärten, die wohlhabende Bürger im Westen Sachsenhausens angelegt hatten, um dem Stadtleben auf der anderen Flussseite zu entfliehen. Doch damit war wenig später Schluss, denn es sollte ein neues Viertel entstehen, um dringend benötigten Wohnraum zu schaffen.
Es sollte 65 Jahre dauern, bis das neue Quartier geplant und vollständig bebaut war - begrenzt vom Main, dem Bahndamm, der Stresemannallee und der Schweizer Straße. Die Bevölkerung hatte recht bald einen Namen für das Quartier: Malerviertel. Etwa die Hälfte der 33 Straßen, die zu ihm gehören, tragen die Namen von Künstlern.
Kein Wunder, denn einer der prägendsten öffentlichen Bauten des Viertels ist das Städel, das 1873 mit Sammlung und Schule von der Neuen Mainzer Straße nach Sachsenhausen zog. Für den früheren Stadtkonservator Heinz Schomann gehört das Städel mit der Alten Oper, der Börse und dem Hauptbahnhof zu jenen Monumentalbauten, die den Aufstieg Frankfurts zur Großstadt markieren.
Detailliert zeichnet Schomann die Entwicklung des Quartiers und den Ist-Stand von mehr als 700 Häusern nach, die dort stehen. Nach dem Bahnhofs- und dem Holzhausenviertel hat sich der 76 Jahre alte Schomann zum dritten Mal intensiv mit einem Quartier befasst und umfassend recherchiert. Das Ergebnis kann sich sehen lassen: 347 Seiten stark ist sein reich bebildertes Werk.
Ein weiteres Quartier in diesem Umfang will Schomann nicht mehr beschreiben, schließlich gingen von der Idee bis zum fertigen Buch drei bis fünf Jahre ins Land und manche Recherche sei überaus mühsam, sagt er. Auch wer das neue Werk nur durchblättert, ahnt, was Schomann meint: Alle rund 250 Architekten und Bauunternehmer, die in dem Viertel tätig waren, hat er aufgelistet, auch ist jedes der 772 Gebäude (ohne Hinterhäuser) aufgeführt.
Davon bilden Villen den kleinsten Teil. Etwa 70 Prozent der Gebäude sind Mietshäuser, 20 Prozent Ein- und Zweifamilienhäuser. Von 1930 an gab es auch Ansätze zum Bau von Siedlungen, wenn sie auch klein ausfielen. Wie Schomann erläutert, gab es mehr Bedarf an preiswertem Wohnraum, die Nachfrage nach Repräsentationsbauten war gesunken. Dennoch: Viele Häuser im Malerviertel sind aufwendig gestaltet. Auf Elemente wie Erker und Giebel geht Schomann genauso ein wie auf den reichen figürlichen Schmuck. Die Fotos und der Text helfen, den Stadtteil neu zu entdecken, denn viele Verzierungen sind beim Vorbeigehen schwer zu entdecken, zumindest jene an den Wohnhäusern.
An den öffentlichen Gebäuden ist das anders - Figuren von Dürer und Holbein zieren die Städel-Fassade, die vier Evangelisten den Turm der 1913 errichteten evangelischen Lukaskirche, und Bonifatius schmückt die nach ihm benannte katholische Kirche. Der Bau der Lukaskirche wurde nötig, weil die Dreikönigskirche am Mainufer den Gläubigen zu wenig Platz bot. Die Bonifatiuskirche konnte erst nach dem Ersten Weltkrieg gebaut werden, von 1926 bis 1932.
Beiden Gotteshäusern widmet Schomann eigene Abschnitte, genauso wie den fünf Schulen, die binnen eines Jahrzehnts, von 1899 bis 1909, gebaut wurden. Die Gebäude waren zwar nach Schulformen unterschiedlich, hatten laut Schomann aber eines gemeinsam: "eine mit viel Aufwand realisierte Repräsentationsarchitektur, wie sie für die wilhelminische Ära typisch ist".
Repräsentativ ist freilich noch ein anderes Gebäude, das zum Malerviertel gehört: das Liebieghaus. Schomann nennt es "die Burg von Sachsenhausen". Errichten ließ sie der Tuchfabrikant Heinrich von Liebieg, nicht zuletzt, um seine Kunstsammlung angemessen unterzubringen. Er legte fest, dass das Haus für "ewige Zeiten" ein öffentliches Museum sein solle. Nach seinem Tod verkaufte seine Schwester es an die Stadt, die es 1909 für ihre Skulpturensammlung erweiterte. Zum Typus jener "Bürgerburgen" zählt Schomann auch die knapp außerhalb des Malerviertels gelegene Villa Speyer an der Kennedyallee, die zu einem Hotel umgebaut wurde.
Den Zweiten Weltkrieg nicht überstanden hat das Hippodrom, eine doppelgeschossige Reithalle, die auch für Konzerte genutzt werden konnte. Bis zu 4900 Besucher fanden in ihr Platz.
So viel Kunst das Malerviertel in seinen Museen und an den Fassaden zu bieten hat, so wenig ist im öffentlichen Raum zu sehen. Die einzige Skulptur, die dafür geschaffen wurde, ist der Rotkäppchenbrunnen, wie Schomann erläutert. 1912 errichtet, wurde er einige Male am Schnittpunkt von Kennedyallee und Gartenstraße neu aufgestellt - aber immer vis-à-vis der Schillerschule, die damals eine Höhere Mädchenschule war. Schomann hat eine Idee, warum der Brunnen dort blieb: "Vielleicht soll er Schülerinnen als Mahnung dienen."
Das Buch "Das Frankfurter Malerviertel" von Heinz Schomann ist im Michael Imhof Verlag erschienen und kostet 49,95 Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main