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»Heute gibt es kaum noch Fremdenzimmer, heute heißt es Gästezimmer oder einfach nur Zimmer. Es heißt Zimmer frei oder kein Zimmer frei, Zimmer belegt. Ein Zimmer steht zur Vermietung für die Ferien, ein Ferienzimmer. Aber eigentlich hat Fremdenzimmer am besten gepaßt, denn in einem solchen Zimmer bleibt man immer ein Fremder.«Und nicht nur dort: Die Protagonisten in Muggenthalers Erzählungen sind allesamt Fremde in der Welt, durch haarfeine Ränder von ihr geschieden. Ob es der Erschrecker in der Geisterbahn ist, die Wurstverkäuferin hinter ihrer Theke, der Taxifahrer oder der Geiger eines…mehr

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Produktbeschreibung
»Heute gibt es kaum noch Fremdenzimmer, heute heißt es Gästezimmer oder einfach nur Zimmer. Es heißt Zimmer frei oder kein Zimmer frei, Zimmer belegt. Ein Zimmer steht zur Vermietung für die Ferien, ein Ferienzimmer. Aber eigentlich hat Fremdenzimmer am besten gepaßt, denn in einem solchen Zimmer bleibt man immer ein Fremder.«Und nicht nur dort: Die Protagonisten in Muggenthalers Erzählungen sind allesamt Fremde in der Welt, durch haarfeine Ränder von ihr geschieden. Ob es der Erschrecker in der Geisterbahn ist, die Wurstverkäuferin hinter ihrer Theke, der Taxifahrer oder der Geiger eines berühmten Orchesters, alle sehen auf die Wirklichkeit als etwas Fremdes, das nicht mit ihrem magisch-romantischen Weltbild in Einklangkommen will. Sie sind Träumer, die von der Welt verlangen, nach ihrer Traumlogik zu funktionieren. Und tatsächlich tut die Welt ihnen den Gefallen zumeist aber wer könnte diesen Träumern und reinen Toren auch etwas abschlagen? Insgesamt bilden die Erzählungen ein Mosaik von Randexistenzen, die in die Mitte rücken, von Verlierern, die Helden werden, wenigstens für einen Tag. Wäre die Welt so, wie Muggenthaler sie beschreibt, wäre sie vollkommen; dann aber brauchte man keine Bücher mehr, die von der Sehnsucht nach dieser Vollkommenheit handeln.
Autorenporträt
Johannes Muggenthaler, 1955 geboren, wurde zunächst als Künstler bekannt, Ausstellungen hatte er u. a. im Lenbachhaus, München, und im Museum für moderne Kunst, Wien. Das Fremdenzimmer ist bereits seine dritte Publikation im Weidle Verlag, nach den landauf, landab gepriesenen Romanen »Regen und andere Niederschläge oder Die Falsche Inderin« und »Der Idiotenhügel«.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 01.08.2007

Konstante Konstanze
Johannes Muggenthaler stellt seinen Erzählungsband vor
„Im Gebirge findet man heute noch vereinzelt Pensionen, gut und ordentlich geführte Häuser, die Fremdenzimmer vermieten. Am Gartenzaun oder neben dem Hauseingang ist ein Schild montiert, man liest: Fremdenzimmer . . . Meine Tante vermietete Fremdenzimmer im Gebirge. Es waren Fremdenzimmer, keine Gästezimmer. Denn die Fremden sollten Fremde bleiben.” So schlicht und sicher auch treffend hat uns schon lange keiner mehr das fortgeschrittene Verblassen der Nachkriegswelt nahegelegt. „Das Fremdenzimmer” ist die titelgebende Schlüsselgeschichte zu einem eben erschienen Erzählband von Johannes Muggenthaler. Nein, es handelt sich hier nicht um einen Namensvetter des in München lebenden bildenden Künstlers, sondern um den Bildpoeten persönlich. „Der Liebe Pilgerfahrt – Photographische Schautafeln zur Seelenforschung” hieß 1992 eine seiner größten Ausstellungen im Münchner Stadtmuseum. Bereits da hat Muggenthaler metaphernlastig mit fotografischen und reichlich romantisierenden Sinnbildern gearbeitet.
Betont harmlos beginnen jetzt viele seiner anekdotischen Geschichten, nach einer halbwegs überraschenden Wendung versickern sie auch wieder in sentimentaler Kontemplation. „Das Fremdenzimmer” handelt eigentlich von einer verwitweten Tante, die vereinsamt jeden Tag zwei Stück Apfelkuchen isst. Eines Tages fällt die bei Fremden sonst so Vorsichtige auf einen Hochstapler herein, der sie und ihre Pension in den Ruin zu treiben scheint, bis – wir müssen es einfach verraten – dieser ihr ausgerechnet einen Cézanne vermacht. Es geht Johannes Muggenthaler um durch ihr stereotypes Schicksal betrogene Menschen, die sich in Tagträumereien verlieren. Um die Wurstverkäuferin Konstanze etwa, deren Nomen zum Omen wurde, weil sie den lieben langen Tag als „Konstante” hinter der Wursttheke verharrt: „Unbeweglich wie ein schmales, weiß verkleidetes Hochhaus.”
Johannes Muggenthaler, Leiter der städtischen Artothek schon seit vielen Jahren, scheint sich mehr auf die Schriftstellerei verlegen zu wollen. „Unsinn”, behauptet der Autor: „Ich wechsle keineswegs zwischen bildender Kunst und Literatur hin und her. Es ist vielmehr so, dass sich je nach Lebenssituation immer verschiedene Schwerpunkte herauskristallisieren. Und ich will mich auch nicht von der Kunst verabschieden, sondern hatte letztes Jahr einen größeren Umzug und deshalb nicht mehr so viel Platz zum Kunstmachen. Jetzt geht es wieder besser . . .” Genauso lakonisch wie Muggenthaler seine vorübergehende Kehrtwende zum literarischen Genre erklärt, ist letztlich auch der Tenor seiner Kurzgeschichten gehalten. Eine Unaufgeregtheit beherrscht die beschriebenen Szenerien. Es ist, als ob jemand partout das Zeitfenster in der Vergangenheit festzurren wollte. Meist wird einem ein bisschen langweilig mit dieser geruhsamen Schau auf eine Welt, in der jedes moderne Kommunikationsmittel ausgefallen ist. Aber das stört vorläufig nicht, vielmehr gefällt man sich als Leser gerade jetzt in der ferienberuhigten Zeit in Muggenthalers beschaulichen Großmama-Schauplätzen.
Wie ein Nachfahre des berühmten Fotografen August Sander versucht Muggenthaler Repräsentanten einer antiquiert nach Berufszweigen geordneten Gesellschaft zu entwerfen: der Taxifahrer, der Angestellte, der Tonkünstler, die Stewardess, der Polizist . . . Alle Geschichten sind zwar Ich-Erzählungen, aber mitnichten autobiographisch. Muggenthaler als Stewardess, das könne selbst er sich schwer vorstellen, sagt der Autor lachend. Einzig „Ich als Zufall” hat autobiographische Züge, weil der 1955 geborene Künstler dort nicht nur seine Existenz als Hitlers Zweitem Weltkrieg geschuldet reflektiert, sondern auch die Münchner Akademie der Bildenden Künste historisch beleuchtet.
Natürlich ist die Geschichte von Hitlers gescheiterter Bewerbung an der hiesigen Akademie hinreichend bekannt, aber Muggenthaler erzählt sie mit einem kurios schiefen Blick auf die Dinge neu. Mit einem Blick, der durch die wiederholte Betrachtung der gleichen Gegebenheiten surreal ins Stocken geraten ist. Und so muss man unter Muggenthalers Soap-Opera-Regie zusammen mit dem imaginierten Hitler erneut die Freitreppe zu der von den Bronzefiguren Castor und Pollux gehüteten Akademie hochsteigen. „Es passieren in meinen Kurzgeschichten nicht die großen Morde, sondern man sieht sich in innere Abenteuer verstrickt”, erklärt der Autor, „mich interessiert, in welchen gedanklichen Gebäuden die Menschen wohnen.” Wer in Muggenthalers Psychogrammen fiktiver und doch fast nachbarschaftlich vertraut erscheinender Menschen schmökert, ahnt mit einem Mal, warum man den Künstler manchmal so abwesend um die Häuser der Stadt schleichen sieht. Vermutlich fühlt er sich da gerade wieder in die Wurstverkäuferin oder den notorisch fremdgängerischen Skilehrer ein, und ist wie alle seine gescheiterten Helden einfach nicht für diese Welt zu haben.
(Heute um 20 Uhr liest Ruth Geiersberger aus seinem im Weidleverlag erschienen Erzählband bei Dichtung und Wahrheit, Burgstraße 2.) BIRGIT SONNA
Typischer Muggenthaler: „Die Sünde”, frei nach Franz von Stuck, heißt diese Fotoarbeit. Foto: Galerie Konrad Bayer
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