Joyce Carol Oates hat unter dem Pseudonym Rosamond Smith wiederholt das Universitäts-Milieu und auch Gewalttaten zum Mittelpunkt ihrer Romane gemacht. In "Das Frühlingsopfer" verknüpft sie das Schicksal einiger Musikprofessoren des Forest Park Konservatoriums. Margaret Blackburn hat sich für das
Unterrichten an einer Universität und gegen eine Karriere als Pianistin entschieden, weil sie sich…mehrJoyce Carol Oates hat unter dem Pseudonym Rosamond Smith wiederholt das Universitäts-Milieu und auch Gewalttaten zum Mittelpunkt ihrer Romane gemacht. In "Das Frühlingsopfer" verknüpft sie das Schicksal einiger Musikprofessoren des Forest Park Konservatoriums. Margaret Blackburn hat sich für das Unterrichten an einer Universität und gegen eine Karriere als Pianistin entschieden, weil sie sich nicht selbstbewusst genug fand, um im Rampenlicht zu stehen. Maggie lebt allein und hat nur eine enge Freundin. Sie ist in ihrem Beruf angesehen, ihre Kollegen wundern sich nur über den sonderbaren Gegensatz zwischen Maggies direktem Auftreten und ihrem Wunsch nach Zurückgezogenheit. Für die Handlung des Psycho-Thrillers muss Maggies Persönlichkeit wichtig sein, wie auch ihre eigenartigen Erinnerungslücken, da die Musikprofessorin so ausführlich charakterisiert wird. - Im Anschluss an eine Party in Maggies Haus, die sie in offizieller Funktion für neue Studenten und Fachbbereichs-Mitarbeiter ausrichtet, wird ein - männlicher - Student vom prominenten Musikprofessor Rolfe Christensen mit Alkohol abgefüllt und vergewaltigt. Brendan vertraut sich Maggie an und vermittelt ihr äußerst raffiniert das Gefühl, schuldig an den Ereignissen zu sein, da sie ja Täter und Opfer eingeladen hat. "Ihr müsst das doch gewusst haben!", wirft Brendan seiner Fakultätsberaterin vor. Tatsächlich zieht Christensen einen Rattenschwanz von Verfahren wegen Übergriffen auf Studenten hinter sich her, die alle im Sande verliefen. Wie kann ein Mann mit einem solchen Lebenslauf eine Stelle als Musikprofessor ergattern? Maggie lässt der Fall nicht los. Bei einem Gespräch mit Calvin Gould, dem von ihr umschwärmten Dekan, stellt sich heraus, dass Gould über Alkoholexzesse und sexuelle Belästigung Abhängiger durch Christensen sehr wohl informiert ist. Brendan muss derweil vor einem Untersuchungsausschuss des Konservatoriums aussagen. Obwohl die Mitglieder dieser Kommission zum Stillschweigen verpflichtet sind, lässt sich die Tat an der Hochschule nicht unter den Teppich kehren. Brendan und auch Maggie als seine Unterstützerin werden an der Hochschule zu geächteten Außenseitern. Als Christensen tot aufgefunden wird, ist Brendan natürlich der Hauptverdächtige. Doch könnte es nicht weitere Opfer geben, die Christensen in der Vergangenheit missbrauchte und die sich nun an ihm gerächt haben? Könnten Christensens als unverdient angesehener beruflicher Erfolg und sein sichtbarer Wohlstand ein Motiv für die Tat sein? Maggie hat mit einem Mal keine Zeit mehr für unbezahlte Zusatzaufgaben, die ihr die Kollegen aus lieber Gewohnheit aufhalsen wollen. Sie sieht sich als Tochter eines pensionierten Staatsanwalts in der Rolle einer Ermittlerin, die an ihrem Konservatorium das Netzwerk einflussreicher Männer entwirren muss, die sich gegenseitig Posten und Stipendien zuschanzen. - Smith/Oates konstruiert ihren Psychothriller aus dem Zusammentreffen mehrerer exzentrischer Persönlichkeiten; Maggie, die sich wie von Krakenarmen an den Fall Brendan binden lässt, Brendan, der Maggie manipuliert und sich über die Vorgänge an seiner vorigen Hochschule seltsam widersprüchlich äußert, und eine Gruppe homosexueller Männer, die einander in verheerender Hassliebe zugeneigt sind. Die Autorin beschreibt die Persönlichkeiten ihrer Figuren bis ins winzigste Detail und analysiert klug den Mikrokosmos Universität. Die Ereignisse, die der Gewalttat an Brendan folgen, entwickelt sie mit solcher Raffinesse, dass ihre Leser in jedem Kapitel die eigene Wahrnehmung neu infragestellen müssen. Sogar die Erfahrung aus jahrelanger Krimi-Lektüre, welche Mord-Methoden typisch für männliche oder weibliche Täter sein könnten, bringt Smith ins Wanken. Ein subtiler Psycho-Thriller, der aus verschiedenen Perspektiven nach Antwort auf die Frage sucht, wer eigentlich Opfer und wer Täter ist.