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Mitten in einem erotischen Rendezvous beschließt ein Cabaretmusiker, dem Teufel seine Seele für eine Erektion zu verkaufen. Von diesem Zeitpunkt an sind seine Tage auf Erden gezählt. Quim Monzo schrieb unter dem Deckmantel einer Komödie ein faustisches Märchen über die ewige Unzufriedenheit und Ungeduld des Menschen.

Produktbeschreibung
Mitten in einem erotischen Rendezvous beschließt ein Cabaretmusiker, dem Teufel seine Seele für eine Erektion zu verkaufen. Von diesem Zeitpunkt an sind seine Tage auf Erden gezählt. Quim Monzo schrieb unter dem Deckmantel einer Komödie ein faustisches Märchen über die ewige Unzufriedenheit und Ungeduld des Menschen.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 01.10.1996

Heute ein Kinderfreund
Der Farcenschreiber Quim Monzó / Von Ingeborg Harms

Man könnte "Das ganze Ausmaß der Tragödie" als pseudodarwinistische Parabel lesen. Quim Monzós neuer Roman führt zwar nicht den Kampf der Arten, wohl aber den der Geschlechter vor. Der Witwer Ramon-Maria ist Trompeter in einem Varieté-Orchester und der Erzfeind seiner Stieftochter Anna-Francesca. Beide gehen einander, soweit das in einer baufälligen Villa möglich ist, aus dem Weg. Sie findet seine auf den Küchentisch gepfefferte Pyjamajacke, er trifft auf ihren an die Tür geklebten Zettel mit der Aufschrift "Kein Wasser". Der Autor läßt keinen Zweifel daran, daß die zwei Rücken an Rücken hausenden Geschöpfe ihren vierbeinigen Verwandten an instinktiver Selbstsucht nicht nachstehen. Ramon-Maria nimmt heimlich eine Hypothek auf das Haus auf, und Anna-Francesca setzt ihren ganzen Ehrgeiz in die Planung des perfekten Mords. Ihr entgeht, daß Ramon-Marias Tage ohnehin gezählt sind, seit der irgendwo zwischen der Satyriasis und dem Priapismus angesiedelte Fall einer Dauererektion mit Todesfolge bei ihm ausgebrochen ist. Was er sich in einer Nacht der verminderten sexuellen Leistungsfähigkeit gewünscht hat, ist zum Fluch für Ramon-Maria geworden.

Das macht seine Geschichte noch nicht zu einem faustischen Märchen, wie es der Verlag auf dem Umschlag verkündet. Auch Casanova ist für Ramon-Maria ein schlechtes Vorbild. Zwar steigt er, um die verbleibende Zeit totzuschlagen, wie Faust in wechselnden Rollen, doch sie sind ihm nicht etwa zu klein, sie sind ihm zu groß. Als sich unter den Damen wie ein Lauffeuer herumspricht, was er zu bieten hat, hilft er bereitwillig aus. Doch statt zum Supermann aufzuschießen, bleibt er Kleinbürger mit spärlichem Haar und weichlicher Wampe. Die Natur spielt ihm mit, ohne daß er je zu ihrem Meister würde. Sein kommunikativer Defekt führt ihn in eine Reihe von tragikomischen Situationen, über deren Verlauf nicht Ramon-Marias Persönlichkeit, sondern deren skurriles Supplement entscheidet.

"Das ganze Ausmaß der Tragödie" ist kein Märchen und keine Parabel, sondern eine Farce. Monzó hat als Comiczeichner begonnen, und dieses Genre verbirgt sich auch im Aufbau des Romans. Seine Protagonisten werden von Bildidee zu Bildidee geleitet. Sie sind Aufhänger für schrille Vorstellungsinhalte, bestenfalls ready mades der Kulturkritik. Wenn Anna-Francesca bei der Lektüre eines medizinischen Werkes neun Seiten lang originelle Todesarten aufzählt, so könnte diese phantasievolle Reihe der körperlichen Entstellungen vielleicht einen Comic füllen, als erzählerische Liste ist sie ermüdend und stumpft ab. Genauso ergeht es dem Leser, der erfährt, Ramon-Maria habe an einem Tag den Kriminellen gespielt. "Danach den Lustlosen. Dann den Perversen. Dann einen, dessen Lieblingsbeschäftigung es ist, Leserbriefe zu schreiben. Dann war er Kinderfreund. Dann Kettenraucher. Dann ein Mann, dessen Tage gezählt sind. Dann Musiknarr. Und nacheinander: Griesgram, Trauerkloß, Kindskopf, Faulpelz, Hansdampf, Tourist (er zog mit Koffer, Bermudahosen, Sonnenbrille und Hawaiihemd ausstaffiert in ein Hotel), Exhibitionist, Verführer von Minderjährigen, Scheinheiliger, Trunkenbold, Sammler von alten Platten, Straßenmusikant, Ex-Asylant . . ."

In solchen Serien implodiert die Kunst des Erzählens. Der Autor überläßt es dem Leser, sich die Posten seiner Listen auszumalen. Das Hawaiihemd und die Sonnenbrille geben die Richtung vor: Es geht nicht um Individuen und Einzelschicksale, sondern um Typen, um die gelungene Karikatur. Vielleicht ist Monzó das bei Anna-Francesca noch besser gelungen. Die skrupellose Fünfzehnjährige ist als Typus auf Anhieb überzeugend. Was ihr Stiefvater noch durch Kostümierung darstellt, ist beim konsumbewußten Teenager Natur. Mühelos und ohne ironischen Kratzer bewegt sie sich von Klischee zu Klischee, wobei wie bei ihrem Widersacher alle Gedanken um das Verhältnis der Geschlechter kreisen. "Und daß sie attraktiv und erregend gefunden, begehrt wurde, das mußte sie wissen. Aber nur wegen ihres Körpers wollte sie auch nicht geliebt werden. . . . Sie wollte das frei entscheiden können: heute ja, morgen nein. Andererseits wollte sie nicht frei sein. Nein. Das war nicht ganz richtig. Sie wollte sich vor allem sozusagen beherrscht fühlen."

Anna-Francescas Make-up-Phase dauert den ganzen Nachmittag und umfaßt mehrere Feuchtigkeits- und Anti-Falten-Masken. Ihr erster Gedanke nach dem Ableben des Stiefvaters gilt dem Umstand, daß sie sich jetzt eine Fettabsaugung "oder vielleicht die Behandlung mit dem Body Styler" leisten könne. Der väterlichen Potenz korrespondiert sie in ihren Affären durch die Verweigerung der Hingabe. Konsequent baut Monzós bitterer Humor in ihr den Prototyp des zeitgenössischen Narzißmus auf, ihr Ich ist unendlich verspiegelt und leer.

Quim Monzós Roman exponiert den Sieg der Bildmedien über die Sprache. Weil er die Worte mit Vorliebe demonstrativ verwendet, verbreitet seine Prosa das fahle Licht billiger Kaufhäuser und schlecht gemachter Fernsehspiele. Bei ihm verpaßt man alles, wenn man nicht sieht. Das gilt selbst für das zentrale Emblem des Textes, den Phallus. Die Literaturtheorie sieht ihn gern in Analogie zum Schreibutensil, zu Füllfederhalter und Stift. Der Sündenfall der Gutenberg-Galaxis macht aus dem unsichtbaren Instrument der Leselust wieder das sichtbare Objekt der Scham, das nur die Schaulustigen begeistert.

Quim Monzó: "Das ganze Ausmaß der Tragödie". Roman. Aus dem Katalanischen übersetzt von Elisabeth Brilke. Frankfurter Verlagsanstalt, Frankfurt am Main 1996. 279 S., geb., 38,- DM.

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