Afghanistans Nachbar - der unsichere Partner im »Krieg gegen den Terror«Nicht nur in Afghanistan herrscht Krieg. Auch jenseits des Hindukusch sterben Menschen an politischer Gewalt: In Pakistan allein 2007 fast 4.000. Das prominenteste Opfer war die frühere Ministerpräsidentin Benazir Bhutto. Pakistan ist aber kein unbedeutendes Land - es hat doppelt so viele Einwohner wie Deutschland, verfügt über Atomwaffen und hat mehrmals am Rand eines Krieges mit Indien gestanden. Ohne ein stabiles und friedliches Pakistan wird sich auch der Konflikt in Afghanistan nicht lösen lassen.Pakistan ist ein junges Land, das erst 1947 gegründet wurde - aber es verfügt über eine mehr als 4.000-jährige Geschichte. Die spektakulären Gewaltakte der letzten Jahre - Selbstmordanschläge, Terrorismus, Krieg an der afghanischen Grenze - verstellen leicht das Verständnis für die Widersprüche, Probleme und Chancen der pakistanischen Gesellschaft. Religiöser Extremismus, lange Phasen der militärischen Herrschaft und korrupte und unfähige politische Parteien gehören ebenso zu seiner Realität wie der Kampf um Demokratie und eine Tradition kultureller Toleranz. Seit dem 11. September 2001 ist Pakistan eines der Schlüsselländer im Kampf gegen den Terrorismus und wird von den USA aufgerüstet - während man sich zugleich weltweit Sorgen macht, ob das Land zerbrechen oder unter die Kontrolle militanter Extremisten geraten könnte.Jochen Hippler, ausgewiesener Kenner des Landes, gibt einen umfassenden Überblick über Geschichte und Gegenwart Pakistans. Er zeigt Pakistan als multiethnisches Entwicklungsland und zugleich als außergewöhnlichen Krisenherd und untersucht die Frage, welche Chancen - trotz Militärdiktatur und religiösem Extremismus - die Entwicklung einer eigenständigen Demokratie hat.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 24.11.2008Pakistan als Hort der Stabilität?
Jochen Hippler verkennt das südasiatische Krisenland
Während Pakistan in den Vereinigten Staaten schon seit geraumer Zeit mit Dringlichkeit diskutiert wird, herrscht in Deutschland Nachholbedarf. Wer in dieser Lage ein Buch vorlegt, das nicht nur die Kenntnis über das südasiatische Krisenland erweitern, sondern das "Schablonen"-Denken über Pakistan aufbrechen will, hat den richtigen Zeitpunkt gewählt. Schon der Titel "Das gefährlichste Land der Welt?" zeigt mit seinem provokativen Fragezeichen, dass der Autor an einer Bedrohung durch Pakistan Zweifel hat. Einen unaufgeregten Blick auf ein Land zu richten, das derzeit von vielen als Hort der Finsternis betrachtet wird, erfordert Courage, aber auch eine überzeugende Argumentation. Letztere bleibt Jochen Hippler leider schuldig.
Hippler schreibt als scheinbar neutraler Politologe, der seine Leserschaft belehren will und dabei so sehr auf die Faszination seines Inhalts vertraut, dass ihm sprachliche Mühen verzichtbar erscheinen. Über lange Strecken liest sich das Buch papiern, fast lexikalisch; manche Kapitel werden nur von Prozentzahlen, Jahresdaten und Organisationsbezeichnungen zusammengehalten. Nachdem der Autor zunächst die Bausteine zu einer kleinen Geschichte Pakistans zusammengetragen hat, führt er den Leser durch die gesellschaftlichen Subsysteme Pakistans, seine Traditionen, Ethnien und Provinzen. Erst im letzten Teil wendet er sich der aktuellen Krise zu, ohne sie jedoch dingfest zu machen. Untersucht werden stattdessen die Strukturen des Militärs, die er für weitgehend intakt hält, und die zahlreichen Gewaltkonflikte im Land. Den entscheidenden - den bewaffneten Kampf der Taliban gegen die Regierung - interpretiert Hippler als bloße Reaktion auf die Militäroffensiven in den Stammesgebieten. Die neue Militanz im Nordwesten, die unbestreitbare Machtausdehnung der Taliban, die Verzehnfachung der Selbstmordanschläge im vergangenen Jahr - all dies addiert sich für den Autor nicht zu einer neuen Qualität der Bedrohung. Im Gegenteil: Im Blick auf die sechzigjährige Geschichte des Landes macht er sogar ein "Übermaß an Stabilität" aus, die er vor allem durch Militär und Bürokratie gewährleistet sieht.
Dies ist kein Versehen. Der Autor meint aus seiner Bestandsaufnahme allen Ernstes ableiten zu können, dass der islamistische Extremismus "den Staat nicht in seinem Kern erschüttert". Dass der Anschlag auf das Hotel Marriott, der immerhin der Staatsführung galt, nicht erwähnt wird, kann man ihm nicht vorwerfen; er wurde erst nach Drucklegung verübt. Aber warum er die systematischen Anschläge auf den Sicherheitsapparat und die politische Klasse sowie die Einschüchterung ganzer Städte durch die Taliban als nicht staatsgefährdend einstuft, bleibt sein Geheimnis. Nicht nur die von ihm als "panisch" eingestuften "Beobachter", von denen viele das Land besser kennen als der Autor, auch die Pakistaner selber sehen die Bedrohung inzwischen als existentiell an. Erst unlängst beschwor das Parlament in einer Resolution die "schwere Gefahr" für die Stabilität und Integrität des Staates.
Man fragt sich, wen Hippler mit seiner immer wieder vorgetragenen Erkenntnis belehren will, dass Pakistans Krise nicht über den Antagonismus zwischen säkularen Kräften und religiösen Fanatikern definiert werden kann. Allen, die sich ernsthaft mit Pakistan beschäftigen, ist bewusst, dass die Lage komplexer ist. Aber im Gegensatz zum Autor erkennen sie, dass eine unheilvolle, nie dagewesene Entwicklung eingesetzt hat. "Die Taliban expandieren in Pakistan schneller, als sich irgendwer hätte vorstellen können", schreibt der wohl beste Kenner der Region, Ahmed Rashid, in seinem dichten, gerade erschienenen Buch "Descent into Chaos". Zurzeit gebe es keine Kraft, die diese "gewaltige Bedrohung für die Staaten der Region" wirkungsvoll eindämmen könne - schreibt Rashid.
Obwohl Hippler keinen Aspekt unerwähnt lässt, bleiben die dunklen Facetten Pakistans sträflich unterbelichtet - darunter auch die (mindestens halb-)staatliche Weiterverbreitung von nuklearen Blaupausen an Länder wie Iran, Libyen und Nordkorea. Vielleicht kommt er auch deshalb zu dem grotesken Schluss, dass pakistanische Atomwaffen zwar ein Grund zur Sorge seien, "aber nicht mehr als auch indische, israelische, US-amerikanische oder chinesische".
JOCHEN BUCHSTEINER
Jochen Hippler: Das gefährlichste Land der Welt? Pakistan zwischen Militärherrschaft, Extremismus und Demokratie. Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2008. 292 S., 9,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Jochen Hippler verkennt das südasiatische Krisenland
Während Pakistan in den Vereinigten Staaten schon seit geraumer Zeit mit Dringlichkeit diskutiert wird, herrscht in Deutschland Nachholbedarf. Wer in dieser Lage ein Buch vorlegt, das nicht nur die Kenntnis über das südasiatische Krisenland erweitern, sondern das "Schablonen"-Denken über Pakistan aufbrechen will, hat den richtigen Zeitpunkt gewählt. Schon der Titel "Das gefährlichste Land der Welt?" zeigt mit seinem provokativen Fragezeichen, dass der Autor an einer Bedrohung durch Pakistan Zweifel hat. Einen unaufgeregten Blick auf ein Land zu richten, das derzeit von vielen als Hort der Finsternis betrachtet wird, erfordert Courage, aber auch eine überzeugende Argumentation. Letztere bleibt Jochen Hippler leider schuldig.
Hippler schreibt als scheinbar neutraler Politologe, der seine Leserschaft belehren will und dabei so sehr auf die Faszination seines Inhalts vertraut, dass ihm sprachliche Mühen verzichtbar erscheinen. Über lange Strecken liest sich das Buch papiern, fast lexikalisch; manche Kapitel werden nur von Prozentzahlen, Jahresdaten und Organisationsbezeichnungen zusammengehalten. Nachdem der Autor zunächst die Bausteine zu einer kleinen Geschichte Pakistans zusammengetragen hat, führt er den Leser durch die gesellschaftlichen Subsysteme Pakistans, seine Traditionen, Ethnien und Provinzen. Erst im letzten Teil wendet er sich der aktuellen Krise zu, ohne sie jedoch dingfest zu machen. Untersucht werden stattdessen die Strukturen des Militärs, die er für weitgehend intakt hält, und die zahlreichen Gewaltkonflikte im Land. Den entscheidenden - den bewaffneten Kampf der Taliban gegen die Regierung - interpretiert Hippler als bloße Reaktion auf die Militäroffensiven in den Stammesgebieten. Die neue Militanz im Nordwesten, die unbestreitbare Machtausdehnung der Taliban, die Verzehnfachung der Selbstmordanschläge im vergangenen Jahr - all dies addiert sich für den Autor nicht zu einer neuen Qualität der Bedrohung. Im Gegenteil: Im Blick auf die sechzigjährige Geschichte des Landes macht er sogar ein "Übermaß an Stabilität" aus, die er vor allem durch Militär und Bürokratie gewährleistet sieht.
Dies ist kein Versehen. Der Autor meint aus seiner Bestandsaufnahme allen Ernstes ableiten zu können, dass der islamistische Extremismus "den Staat nicht in seinem Kern erschüttert". Dass der Anschlag auf das Hotel Marriott, der immerhin der Staatsführung galt, nicht erwähnt wird, kann man ihm nicht vorwerfen; er wurde erst nach Drucklegung verübt. Aber warum er die systematischen Anschläge auf den Sicherheitsapparat und die politische Klasse sowie die Einschüchterung ganzer Städte durch die Taliban als nicht staatsgefährdend einstuft, bleibt sein Geheimnis. Nicht nur die von ihm als "panisch" eingestuften "Beobachter", von denen viele das Land besser kennen als der Autor, auch die Pakistaner selber sehen die Bedrohung inzwischen als existentiell an. Erst unlängst beschwor das Parlament in einer Resolution die "schwere Gefahr" für die Stabilität und Integrität des Staates.
Man fragt sich, wen Hippler mit seiner immer wieder vorgetragenen Erkenntnis belehren will, dass Pakistans Krise nicht über den Antagonismus zwischen säkularen Kräften und religiösen Fanatikern definiert werden kann. Allen, die sich ernsthaft mit Pakistan beschäftigen, ist bewusst, dass die Lage komplexer ist. Aber im Gegensatz zum Autor erkennen sie, dass eine unheilvolle, nie dagewesene Entwicklung eingesetzt hat. "Die Taliban expandieren in Pakistan schneller, als sich irgendwer hätte vorstellen können", schreibt der wohl beste Kenner der Region, Ahmed Rashid, in seinem dichten, gerade erschienenen Buch "Descent into Chaos". Zurzeit gebe es keine Kraft, die diese "gewaltige Bedrohung für die Staaten der Region" wirkungsvoll eindämmen könne - schreibt Rashid.
Obwohl Hippler keinen Aspekt unerwähnt lässt, bleiben die dunklen Facetten Pakistans sträflich unterbelichtet - darunter auch die (mindestens halb-)staatliche Weiterverbreitung von nuklearen Blaupausen an Länder wie Iran, Libyen und Nordkorea. Vielleicht kommt er auch deshalb zu dem grotesken Schluss, dass pakistanische Atomwaffen zwar ein Grund zur Sorge seien, "aber nicht mehr als auch indische, israelische, US-amerikanische oder chinesische".
JOCHEN BUCHSTEINER
Jochen Hippler: Das gefährlichste Land der Welt? Pakistan zwischen Militärherrschaft, Extremismus und Demokratie. Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2008. 292 S., 9,95 [Euro].
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