In einer kühnen Tiefenbohrung verbindet Christoph Geiser 1992 autobiografischeErfahrungen in Berlin mit historischen Figuren, in denen sich der innere Widerstreitseiner Wünsche spiegelt: Goethe und D.A.F. de Sade. In einem Ausbruchvulkanischer Fantasie lässt Geiser die beiden gegensätzlichen Geister auf demVesuv zusammenprallen.Et in Arcadio ego: Diesen Traum des Bildungsbürgers, der auf Goethes Spurendurch Italien wandelt, hatte Sade nämlich in einen Albtraum verwandelt und dieKlassik durch die Wiederkehr der orgiastischen Antike gesprengt. Im Zerrspiegelder Berliner Clubkultur verschmelzen die Gegensätze nun wie die taumelndentanzenden Körper. Doch nicht nur die Körperglieder, auch die Satzglieder werdenim Zug der erotischen Entgrenzung entfesselt und entführen uns in einen exzessivenSprachrausch, wo die Sprache selbst sinnlich wird: Dank ihr entkommt mandem Kerker der Wünsche.
Perlentaucher-Notiz zur Dlf-Rezension
Christoph Geisers Roman spielt zwar im Berlin der Nachwendezeit und enthält viele Beschreibungen der damaligen Schwulenszene, aber letztlich geht es dem Autor laut Rezensent Lothar Müller nicht um Ort und Milieu, sondern um Selbstbefragung. Und zwar geschieht dies, lesen wir, mithilfe zweier Figuren einer älteren Zeit, die Geisers Erzählstimme beschwört: dem Marquis de Sade und Goethe. Müller führt aus, dass letzterer die bürgerliche Gesellschaft der Schweizer Heimat Geisers repräsentiert, während de Sade für die Befreiung des schwulen Begehrens steht. Deshalb sucht der Erzähler auch um so mehr die Nähe des Marquis, je härter es zur Sache geht, erläutert der Rezensent. Was den Roman freilich interessant macht, ist, analysiert Müller, dass er in der klaren Opposition der beiden Gestalten letztlich nicht aufgeht, weil auch Goethe etwas von der Sinnlichkeit versteht und de Sade sich nicht selten als ein kleinkrämerischer Bürokrat der Lüste erweist.
© Perlentaucher Medien GmbH
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