Wie ist die Stimmung? Nicht so gut. Von Zuversicht kann keine Rede sein. Wir fühlen uns bedroht, wollen das Erreichte sichern. Wer weiß, was die Zukunft bringt? Für Heinz Bude sind Stimmungen die Gefühle der Gesellschaft. Er analysiert, wie sie entstehen, wie sie beeinflusst werden können, aber auch, wie sie kippen können. Stimmungen entscheiden darüber, wie wir die Welt wahrnehmen, deshalb ist es Politikern so wichtig, die Stimmung der Wähler zu kennen. Heinz Bude zeigt, warum Stimmungen in der Politik oft mehr entscheiden als Argumente. Stimmungen sind vage, flüchtig und unberechenbar. Aber wer verstehen will, wie unsere Demokratie funktioniert, muss von ihrer Macht über die Menschen wissen.
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Hannes Hintermeier lässt sich die griffigen Pointen des Soziologen Heinz Bude gern gefallen, doch eine haltbare Gegenwartsdiagnose kann er in diesem Band nicht sehen. Schon Budes Ausgangsthese, dass sich die derzeitige allgemeine Gereiztheit aus einem Antagonismus von Antikapitalisten und Systemfatalisten ergebe, findet der Rezensent fragwürdig, und beim Ritt durch die Geschichte der nationalen Stimmungslagen kann Hintermeier dem Soziologen auch nicht ganz folgen. Richtig enttäuschend findet er allerdings, dass Bude seine Untersuchung genau an dem Punkt abbricht, wenn sie spannend zu werden verheißt: wenn es nämlich darum geht, wie die "Gesetze der sozialen Zeit" die Hierarchien zwischen Alteingesessenen und Neuhinzugekommenen formen.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.03.2016Wenn man nur wüsste, wie es weitergeht
In welcher Zukunft wollen wir leben? Heinz Bude verspricht viel, wenn er mit der Macht der Stimmung die Mechanismen der Politik erklären will.
Von Hannes Hintermeier
Das Volk versteht das meiste falsch; aber es fühlt das meiste richtig" - diesem Befund Kurt Tucholskys könnte der Kasseler Soziologe Heinz Bude bestimmt zustimmen. Schließlich dreht er in seinem neuen Buch, das mit hundertzwanzig Seiten reiner Textlänge (ohne Fußnoten) recht handlich daherkommt, selbst die Schraube eine Umdrehung weiter: "Wer spricht für die, die für sich selbst sprechen könnten, wenn sie denn wüssten, was sie zu sagen haben?" Die Antwort ist naheliegend: Bude, übernehmen Sie!
Dazu wird zunächst eine Unterscheidung getroffen: Der Autor unterscheidet den "Antikapitalisten" vom "Systemfatalisten". Der Erste ist Teil der "Misstrauensgesellschaft", kann sich weder zur Weltverneinung noch zu Weltbejahung entschließen, lehnt die Ökonomisierung ab, fühlt sich heimatlos und ist gern universell empört. Der Zweite ist viel entspannter. Er hat "die Idee eines vernünftigen Ganzen mit ehrbaren Kaufleuten, sozial verantwortlichen Unternehmern und starken Volksparteien längst aufgegeben".
Im Spannungsfeld zwischen diesen Antagonisten gärt es. Auf der einen Seite Empörung über "eine Politik ohne Alternative, über Lügenpresse und Volksverdummer", auf der anderen "die Normalität des Durchwurstelns, die Selbstreferenz der Massenmedien und die Relativität der Wahrheiten". Die Unsicherheit, ob man in dieser Welt noch zu Hause sei, erhält keine befriedigende Antwort. Das drückt aufs Gemüt. Die Stimmung ist gereizt. Und an diesem Punkt will Budes Beweiskette ansetzen.
Dazu müsste man freilich wissen, was dieses Schwammwort recht eigentlich meint: "Stimmungen sind Arten und Weisen des Daseins" in der Welt - dieser erste, tastende Definitionsversuch führt dann über Heidegger und Foucault zur Emotionsforschung und danach zu einem Durchgang durch die Stimmungslagen der Nachkriegszeit. Rauchen, Trinken, Sex, Philosophie, Pop - alles Ausdruck einer bestimmten Stimmungslage, und wer hat es als Erster erkannt? Willy Brandt identifiziert Heinz Bude als den Politiker, der gespürt habe, dass "Stimmung die Münze der Politik" sei. Siehe auch: Schröder, Gerhard.
Je näher Bude bei seinem Streifzug der Gegenwart kommt, desto unübersichtlicher wird die Lage: "Wenn niemand mehr sich zutraut, Positionen zu erobern und Ansprüche zu erheben, dann kommt der Wechsel der Stimmungen zum Erliegen." Und so leben wir jetzt: Der Punk ist lang vorbei, die Babyboomer und die Generationen X und Y leben mehr schlecht als recht nebeneinanderher, die Richtlinienkompetenz hat der Jahrgang 1954.
In jenem Jahr wurde nicht nur Angela Merkel geboren, sondern auch der Autor; mithin sind beide nun in der "Prominenzphase" des Lebens angelangt. Die zehn Jahre jüngeren Babyboomer stehen zusammen mit der Generation Y den Vierzigjährigen der Generation X gegenüber, die ihr Unglück nicht fassen kann, zwischen welche Mühlsteine sie da geraten ist. Wie kam es so weit? Ein Blick in die Geschichte der Soziologie hilft weiter: Norbert Elias untersuchte Mitte der sechziger Jahre mit John L. Scotson die Machtverhältnisse in einer englischen Gemeinde, die überwiegend von Vertretern der Arbeiterklasse bewohnt war ("Etablierte und Außenseiter"). Sie fanden heraus, dass es die Wohndauer ist, die Alteingesessene und Neusiedler unterscheidet. "Es ist das Gesetz der sozialen Zeit", schreibt Bude, "aus dem die Etablierten die Berechtigung ableiten, dass sie die Zugezogenen wie Außenseiter behandeln können."
Dieses Erklärungsmuster überträgt Bude auf die Beziehungsgeschichte zwischen einheimischen Deutschen und zugezogen Minderheiten. Leider nur in Ansätzen, denn genau an der Stelle, an der es in diesen AfD- und Pegida-Tagen spannend wäre, bricht er die Untersuchung ab, belässt es bei Andeutungen zu Flüchtlingskrise, innerdeutschem Ost-West-Konflikt, einem bisschen Kopftuch und Spott für die "Biodeutschen". Zumal auch der anschließende Ausritt in die Geschlechterfrage nicht recht überzeugt: "Feministinnen, Frauenhausaktivistinnen und Männerbücher über ,Männerphantasien' haben dem Sex die Unschuld genommen." Wer dazu als Beleg den Monaco Franze aus der gleichnamigen Fernsehserie von 1983 heranzieht, wie Bude es tut, sammelt bei seinen Leserinnen kaum Bonuspunkte. Und Männer, die ihre Männlichkeit in Extremsportarten "außererotisch vergeuden", haben ohnehin keine Zeit zum Lesen.
Heinz Budes Arbeitsgebiet wird gern mit "Deutung von Gegenwartsphänomenen" etikettiert. Tatsächlich ist er auch in dieser Schrift ein Anhänger der griffigen Pointe, weniger wissenschaftlich denn feuilletonistisch. Gleichwohl kann er seine Prägung durch den Fachjargon nie ganz verbergen, wie ein Blick in sein Wörterbuch verrät: Stimmungssymbiose, Systemaversion, Betrogenheitsempfindung, Selbstmandatierung, Durchpoetisierung, Erinnerungsmelancholie, Konsumgroll, Beschleunigungsimperativ, Statusfatalität, Publikumsdemokratie, Befreiungspathos, Statuskonsum, Fortschrittsentschlossenheit, Schimpfklatsch.
Der Rauswerfer lockt mit einem Stimmungsaufheller: Die "Zukünftigen" zeichne "sortierte Skepsis" aus - sie seien "weder die blökenden Lämmer eines mörderischen Kapitalismus noch die kecken Däumlinge eines digitalen Zeitalters".
Heinz Bude: "Das Gefühl der Welt". Über die Macht von Stimmungen.
Carl Hanser Verlag, München 2016. 141 S., geb., 18,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
In welcher Zukunft wollen wir leben? Heinz Bude verspricht viel, wenn er mit der Macht der Stimmung die Mechanismen der Politik erklären will.
Von Hannes Hintermeier
Das Volk versteht das meiste falsch; aber es fühlt das meiste richtig" - diesem Befund Kurt Tucholskys könnte der Kasseler Soziologe Heinz Bude bestimmt zustimmen. Schließlich dreht er in seinem neuen Buch, das mit hundertzwanzig Seiten reiner Textlänge (ohne Fußnoten) recht handlich daherkommt, selbst die Schraube eine Umdrehung weiter: "Wer spricht für die, die für sich selbst sprechen könnten, wenn sie denn wüssten, was sie zu sagen haben?" Die Antwort ist naheliegend: Bude, übernehmen Sie!
Dazu wird zunächst eine Unterscheidung getroffen: Der Autor unterscheidet den "Antikapitalisten" vom "Systemfatalisten". Der Erste ist Teil der "Misstrauensgesellschaft", kann sich weder zur Weltverneinung noch zu Weltbejahung entschließen, lehnt die Ökonomisierung ab, fühlt sich heimatlos und ist gern universell empört. Der Zweite ist viel entspannter. Er hat "die Idee eines vernünftigen Ganzen mit ehrbaren Kaufleuten, sozial verantwortlichen Unternehmern und starken Volksparteien längst aufgegeben".
Im Spannungsfeld zwischen diesen Antagonisten gärt es. Auf der einen Seite Empörung über "eine Politik ohne Alternative, über Lügenpresse und Volksverdummer", auf der anderen "die Normalität des Durchwurstelns, die Selbstreferenz der Massenmedien und die Relativität der Wahrheiten". Die Unsicherheit, ob man in dieser Welt noch zu Hause sei, erhält keine befriedigende Antwort. Das drückt aufs Gemüt. Die Stimmung ist gereizt. Und an diesem Punkt will Budes Beweiskette ansetzen.
Dazu müsste man freilich wissen, was dieses Schwammwort recht eigentlich meint: "Stimmungen sind Arten und Weisen des Daseins" in der Welt - dieser erste, tastende Definitionsversuch führt dann über Heidegger und Foucault zur Emotionsforschung und danach zu einem Durchgang durch die Stimmungslagen der Nachkriegszeit. Rauchen, Trinken, Sex, Philosophie, Pop - alles Ausdruck einer bestimmten Stimmungslage, und wer hat es als Erster erkannt? Willy Brandt identifiziert Heinz Bude als den Politiker, der gespürt habe, dass "Stimmung die Münze der Politik" sei. Siehe auch: Schröder, Gerhard.
Je näher Bude bei seinem Streifzug der Gegenwart kommt, desto unübersichtlicher wird die Lage: "Wenn niemand mehr sich zutraut, Positionen zu erobern und Ansprüche zu erheben, dann kommt der Wechsel der Stimmungen zum Erliegen." Und so leben wir jetzt: Der Punk ist lang vorbei, die Babyboomer und die Generationen X und Y leben mehr schlecht als recht nebeneinanderher, die Richtlinienkompetenz hat der Jahrgang 1954.
In jenem Jahr wurde nicht nur Angela Merkel geboren, sondern auch der Autor; mithin sind beide nun in der "Prominenzphase" des Lebens angelangt. Die zehn Jahre jüngeren Babyboomer stehen zusammen mit der Generation Y den Vierzigjährigen der Generation X gegenüber, die ihr Unglück nicht fassen kann, zwischen welche Mühlsteine sie da geraten ist. Wie kam es so weit? Ein Blick in die Geschichte der Soziologie hilft weiter: Norbert Elias untersuchte Mitte der sechziger Jahre mit John L. Scotson die Machtverhältnisse in einer englischen Gemeinde, die überwiegend von Vertretern der Arbeiterklasse bewohnt war ("Etablierte und Außenseiter"). Sie fanden heraus, dass es die Wohndauer ist, die Alteingesessene und Neusiedler unterscheidet. "Es ist das Gesetz der sozialen Zeit", schreibt Bude, "aus dem die Etablierten die Berechtigung ableiten, dass sie die Zugezogenen wie Außenseiter behandeln können."
Dieses Erklärungsmuster überträgt Bude auf die Beziehungsgeschichte zwischen einheimischen Deutschen und zugezogen Minderheiten. Leider nur in Ansätzen, denn genau an der Stelle, an der es in diesen AfD- und Pegida-Tagen spannend wäre, bricht er die Untersuchung ab, belässt es bei Andeutungen zu Flüchtlingskrise, innerdeutschem Ost-West-Konflikt, einem bisschen Kopftuch und Spott für die "Biodeutschen". Zumal auch der anschließende Ausritt in die Geschlechterfrage nicht recht überzeugt: "Feministinnen, Frauenhausaktivistinnen und Männerbücher über ,Männerphantasien' haben dem Sex die Unschuld genommen." Wer dazu als Beleg den Monaco Franze aus der gleichnamigen Fernsehserie von 1983 heranzieht, wie Bude es tut, sammelt bei seinen Leserinnen kaum Bonuspunkte. Und Männer, die ihre Männlichkeit in Extremsportarten "außererotisch vergeuden", haben ohnehin keine Zeit zum Lesen.
Heinz Budes Arbeitsgebiet wird gern mit "Deutung von Gegenwartsphänomenen" etikettiert. Tatsächlich ist er auch in dieser Schrift ein Anhänger der griffigen Pointe, weniger wissenschaftlich denn feuilletonistisch. Gleichwohl kann er seine Prägung durch den Fachjargon nie ganz verbergen, wie ein Blick in sein Wörterbuch verrät: Stimmungssymbiose, Systemaversion, Betrogenheitsempfindung, Selbstmandatierung, Durchpoetisierung, Erinnerungsmelancholie, Konsumgroll, Beschleunigungsimperativ, Statusfatalität, Publikumsdemokratie, Befreiungspathos, Statuskonsum, Fortschrittsentschlossenheit, Schimpfklatsch.
Der Rauswerfer lockt mit einem Stimmungsaufheller: Die "Zukünftigen" zeichne "sortierte Skepsis" aus - sie seien "weder die blökenden Lämmer eines mörderischen Kapitalismus noch die kecken Däumlinge eines digitalen Zeitalters".
Heinz Bude: "Das Gefühl der Welt". Über die Macht von Stimmungen.
Carl Hanser Verlag, München 2016. 141 S., geb., 18,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
"Das Buch legt den Grundstein für eine neue Auseinandersetzung mit einer so widersprüchlichen wie konfliktreichen Gegenwart." Gert Scobel, Philosophie Magazin, Juni/Juli 2016
"Das Buch ist klug und inspirierend und soll gelesen werden." Bodo Morshäuser, Deutschlandradio Kultur, 23.04.16
"Wenige deutsche Soziologen haben ein solches Gespür für aktuelle und brisante Themen wie Heinz Bude." Ralph Gerstenberg, Deutschlandfunk, 14.03.16
"Ein sehr interessantes, anregendes Buch ..." Andrea Gerk, MDR Figaro, 6.4.16
"Das Buch ist klug und inspirierend und soll gelesen werden." Bodo Morshäuser, Deutschlandradio Kultur, 23.04.16
"Wenige deutsche Soziologen haben ein solches Gespür für aktuelle und brisante Themen wie Heinz Bude." Ralph Gerstenberg, Deutschlandfunk, 14.03.16
"Ein sehr interessantes, anregendes Buch ..." Andrea Gerk, MDR Figaro, 6.4.16