Das Kind und der Zauberspuk Wie funktioniert Oper für Kinder und was ist das Besondere daran? Wer könnte das besser wissen als Elke Heidenreich und Christian Schuller, die seit über zehn Jahren an der Kölner Kinderoper äußerst erfolgreich ihr junges Publikum begeistern.Sie graben vergessene Stücke aus und bearbeiten große Klassiker der Opernbühne. Zwanzig Opern orientalische, absurde, märchenhafte und komische haben Elke Heidenreich und Christian Schuller bereits gemeinsam auf die Bühne gebracht: von Strawinskis Die Nachtigall und Hans Gáls Die heilige Ente über Alice im Wunderland von Robert Chauls bis hin zu Ravels Das Kind und der Zauberspuk oder neueren Stücken wie Das Opernschiff von Marius Felix Lange. Die Autoren berichten, wie sie die Stücke übersetzen, aktualisieren, kürzen und die Kinder zum Staunen bringen, sie ins "geheime Königreich" der Oper entführen. Die jungen Besucher der Kinderoper nehmen Schönheit und Poesie von Musik und Inszenierung in ihre Seelen auf und erleben den unvergleichlichen Zauber des Wunderwerks Oper. Der unerwartete, schöne Nebeneffekt ist, dass über die Kinderoper auch viele Erwachsene zum ersten Mal mit der Oper in Berührung kommen und ihre Scheu verlieren.Dieses Buch ist die begeisternde Geschichte der Kölner Kinderoper. Es dokumentiert die Arbeit und den Erfolg von Elke Heidenreich und Christian Schuller und ist ein leidenschaftliches Plädoyer für die Oper insgesamt. Die über 200 beeindruckenden Bilder von Theaterfotograf Klaus Lefebvre machen diesen Band neben einer Zeitreise durch 10 Jahre Kinderoper auch zu einem ästhetischen Genuss.Mit Fotos von Klaus Lefebvre. Klaus Lefebvre erhielt 1980 in Bremen seinen ersten Vertrag als Theaterfotograf. 1988 machte er sich selbstständig und arbeitet seither in erster Linie für die Städtischen Bühnen der Stadt Köln.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 01.10.2007Was für Geschichten!
Elke Heidenreich und Christian Schuller über die Oper für Kinder
Hier werden nicht nur Ihre Kinder an die Oper herangeführt, auch Sie selbst werden diese Kunstgattung neu für sich entdecken. Elke Heidenreich und Christian Schuller ist ein phantastisches Opernbuch gelungen.
Was ist ein traumhaftes Sachbuch, woran ist es zu erkennen? Erstens bis drittens: ein traumhaftes Sachbuch ist daran zu erkennen, dass es gute Unterhaltung ist. Nein, nicht notwendigerweise so, wie Sie jetzt gleich denken mögen: Unterhaltung ist kein Kniefall vor dem Seichten. Traumhafte Unterhaltung bedeutet vielmehr, einen anspruchsvollen Gegenstand so populär nahegebracht zu bekommen, dass man ihn für sich selbst erst zu entdecken meint und sich angespornt fühlt, die Sache dieses Sachbuchs zu seiner eigenen Sache beziehungsweise, mehr noch, zur Sache seiner Kinder zu machen.
Nun, genau das ist mir passiert, als ich das Buch über die "Oper für Kinder" von Elke Heidenreich und Christian Schuller dieser Tage in die Hände bekam. Ich war angerührt, bestellte für meine fünfjährigen Zwillingstöchter umgehend Karten für die "Zauberflöte", die derzeit im Frankfurter Papageno-Theater für Kinder geboten wird und ließ sie auf der Autofahrt dorthin mit großem "Oooh" und "Aaah" schon einmal durch die prächtigen Bühnenfotos blättern, die der Opernband von Heidenreich und Schuller enthält. Als wir im Theater unsere Plätze eingenommen hatten, erlebten viele der Kinder, auch meine, die "Zauberflöte" zum ersten Mal. Der Saal war aufgewühlt, die Kinder aus dem Häuschen. Sie lachten, schrien, bangten und jubelten. Sie nahmen an sich selbst all die "großen Gefühle" wahr, von denen Papageno und Papagena im Wechsel singen, nachdem sie sich endlich gefunden hatten. Ein Opernnachmittag, von dem ich nicht wüsste, wie wir ihn wieder vergessen könnten.
Mit just der "Zauberflöte" beginnt Elke Heidenreich auch ihre Vorrede zu diesem zauberhaften Buch. Sie spricht von der Nachkriegszeit, ihrer Kinderzeit. "Die Väter waren an Leib und Seele beschädigt aus Russland, Frankreich, Italien zurückgekommen, die Mütter hatten in den Bombennächten die Zärtlichkeit verlernt, Schönheit galt nichts, Poesie war unbekannt, es ging ums Wiederaufbauen. Wie hätte ich wissen sollen, was Oper ist? Für so etwas war ohnehin kein Geld übrig." Aber dann wurde sie im Alter von dreizehn Jahren von einer älteren Freundin mit in die "Zauberflöte" genommen, "und eine lebenslange Liebe begann - die Liebe zur unvernünftigsten, herrlichsten, leidenschaftlichsten aller Kunstgattungen, zur Oper. ,Zu Hilfe, zu Hilfe, sonst bin ich verloren!', singt der Prinz Tamino ganz zu Beginn dieser Oper. Ich fühlte mich auch verloren in der Lieblosigkeit der Nachkriegsjahre, und hier nun waren auf einmal Kraft, Schönheit, Poesie, Magie, Anmut, Geheimnis, hier waren starke optische und akustische Eindrücke und Erschütterungen. Als ich nach Hause kam, war ich verändert und für immer die verlorene Tochter der Königin der Nacht."
Man merkt diesem Buch den stark empfundenen persönlichen Hintergrund an, mit dem es ins Werk gesetzt wurde. Heidenreichs Sprache, die völlige Abwesenheit von Zynismus und Abgeklärtheit, bringen das Wunder der Oper kindgerecht, besser würde man sagen: überhaupt erst zur Geltung. Denn wie ließe sich das Phantastische dieser Kunstgattung besser erschließen als durch die Augen der Kinder? Ob es sich um eine Oper oder ausdrücklich um eine Oper für Kinder handelt, tut ja eigentlich nichts zur Sache. Eine Oper ist immer eine Oper für Kinder, für den Kind gebliebenen Erwachsenen. Diese großartige Synthese von Musik, Bühnendichtung und szenischer Darstellung ist zuallererst Kinderkram, welche Oper hätte nichts von "Alice im Wunderland" oder "Des Kaisers neue Kleider"?
Noch einmal: Was ist ein traumhaftes Sachbuch, woran ist es zu erkennen? Daran, dass es auf wunderbar belebter und beleuchteter Bühne uns über uns selbst aufklärt. Daran, dass es mit Illusionen hantiert, die der Leser nach und nach als seine eigenen erkennt und schließlich nie mehr vergessen wird. Ein solches Sachbuch ist ein Traum, und ein solcher Traum wird uns hier unter dem Titel "Das geheime Königreich - Oper für Kinder" auf zweihundert Seiten aufgeblättert.
Es ist der Traum der Oper, an dem die beiden Autoren uns mitträumen lassen, und natürlich tun wir das auch deshalb so gern, weil unser Hunger nach Schlimmem, nach Katastrophen und Sensationen groß ist und groß bleibt. Dass dieser Hunger auch ohne zynisches Syndrom gestillt werden kann, einfach aus Neugier und Mitgefühl, ist eine der befreienden Erfahrungen des Operngängers im Allgemeinen und des Lesers dieses Opernbuchs im besonderen. Elke Heidenreich spricht nicht mit der Attitüde des "such is life" zu uns, wenn sie ausmalt, wie auf der Bühne die Prinzessin auf der Erbse eine fürchterliche Nacht verbringt und Aladins Wunderlampe unsere geheimen Sehnsüchte und Wünsche beleuchtet. Sie sagt nicht "such is life", sie sagt "Was für eine Geschichte!" und hebt diese Geschichte damit erst aus dem Zugleich der Geschichten heraus, das uns täglich in Funk, Fernsehen und Illustrierte zu schaffen macht.
Der Gang in die Oper wie die Lektüre dieses Opernbuchs sind auch abwehrende, filternde Maßnahmen gegen die Vergleichgültigung von Geschichten, die immer schneller, immer exklusiver auf uns einprasseln, ohne dass sie ins Ohr gingen, im Herzen hafteten. Ein gutes, ein traumhaftes Sachbuch sorgt dafür, dass sein Stoff ins Ohr geht, im Herzen haftet. Es durchbricht das Gesetz des Zynismus, unter dem die öffentliche Kommunikation steht, und erhellt uns die Welt auf begütigend voraussetzungslose Weise: "Die Inszenierung muss stimmen, um 130 kleine Zuhörer für eine ganze Stunde mucksmäuschenstill zu halten und in ihren Seelen dieses Samenkorn zu pflanzen, das vielleicht zu einer lebenslangen Liebe zur Musik, vor allem zur Oper wird - so wie es bei uns gewesen ist, als wir Kinder waren."
Wie kam es zu diesem Buch, was außer schönen Kindheitserinnerungen steckt dahinter? Dahinter steckt eine jahrelange Berufserfahrung: Elke Heidenreich und Christian Schuller erarbeiten seit 1996 gemeinsam das Programm der Kölner Kinderoper, der Ort, von dem aus auch Heidenreichs Literatursendung "Lesen!" übertragen wird. Schuller ist Oberspielleiter an den Kölner Bühnen und dort auch künstlerischer Leiter der Kinderoper. Er stöberte immer wieder in Archiven vergessene Opern vergessener Komponisten auf, die er dann zusammen mit Heidenreich in eine kindgerechte Inszenierung brachte. "Oft musste er", schreibt Heidenreich, "die Stücke kürzen, straffen, neu gliedern, manchmal mußte ein Werk erstmals übersetzt werden, und ich versuchte dann mithilfe des Klavierauszugs, den deutschen Text in den richtigen Rhythmus zu bringen. Die Mühe, die Liebe, das Engagement, die Arbeit sind für die Kinderoper genauso intensiv wie für die große Oper."
Das vorliegende Buch dokumentiert diese Arbeit anhand von zwanzig aufgeführten Opern in Text und Bildern. Es erzählt, welche Lasten und Freuden damit verbunden waren, gibt Einblick in das Handwerk, mit dem sich ein Repertoire von Opern neu erschließen läßt. Das Buch ist freilich weit mehr, ja etwas ganz anderes als eine Dokumentation aus archivarischem Interesse: "Es soll einen Weg zeigen, wie man Kinder an die Oper heranführen kann, damit diese Kunstform auch in Zukunft ihr Publikum findet. Dieser Weg, den wir gewählt haben, heißt: Kinderoper nicht Oper mit Kindern, sondern Oper für Kinder. Kinderoper ist nicht ,klein', sie ist nur im Sujet, in der Geschichte, die erzählt wird, dem Niveau der kindlichen Erfahrungswelt angepasst. Künstlerisch gibt es keine Abstriche oder Kompromisse, alles könnte auch so im großen Haus laufen."
Heiter und tragisch, komisch und ernst geht es in diesem Buch über die Oper für Kinder zu, ganz so, wie im wirklichen Leben der Oper. Sollte man erraten, welche Oper, die sie im Lauf der Jahre bearbeitete, der Heidenreich besonders ans Herz gewachsen ist, dann würde ich auf die Schlangenoper tippen. "Sid, die Schlange, die singen wollte" versucht das Unmögliche: zu singen. Und erst als sie nach vielen vergeblichen Versuchen, nach mancherlei Vorsingen in aller Welt auf den Trümmern ihrer Träume sitzt und verzweifelt, stimmt sie aus tiefstem Herzen ein trauriges Lied an. Dieses Lied klingt nun so authentisch, dass alle herbeigelaufen kommen und beeindruckt sind. Der Durchbruch ist geschafft, Sid ist eine Sängerin geworden! Elke Heidenreich bekennt, sie alle an den Kölner Bühnen hätten diese Schlangenoper geliebt und gibt mit dem Ausruf "Was für eine Geschichte" abermals ein Beispiel dafür, wie die Moral - immer einfach in ihrem Anspruch, immer anrührend in ihrer Unbefangenheit - eines traumhaften Sachbuchs auszusehen hat: "Was für eine liebenswerte Geschichte über Ehrgeiz, Scheitern, Erfolg und darüber, wie wichtig es ist, mit dem Herzen zu sprechen. Sid schlängelt sich grün und prächtig um die ganze Welt, um am Ende bei sich selbst anzukommen. Erst als Sid ungekünstelt und ganz wahrhaftig aus tiefstem Herzen singt, erreicht ihre Musik auch die anderen." Wetten, dass auch Sie nach der Lektüre dieses bewegenden Buches gleich aufstehen, um die Karten für die Oper zu bestellen?
CHRISTIAN GEYER
Elke Heidenreich, Christian Schuller: "Das geheime Königreich". Oper für Kinder. Mit Bühnenfotos von Klaus Lefebvre. Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2007. 208 S., Abb., geb., 25,60 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Elke Heidenreich und Christian Schuller über die Oper für Kinder
Hier werden nicht nur Ihre Kinder an die Oper herangeführt, auch Sie selbst werden diese Kunstgattung neu für sich entdecken. Elke Heidenreich und Christian Schuller ist ein phantastisches Opernbuch gelungen.
Was ist ein traumhaftes Sachbuch, woran ist es zu erkennen? Erstens bis drittens: ein traumhaftes Sachbuch ist daran zu erkennen, dass es gute Unterhaltung ist. Nein, nicht notwendigerweise so, wie Sie jetzt gleich denken mögen: Unterhaltung ist kein Kniefall vor dem Seichten. Traumhafte Unterhaltung bedeutet vielmehr, einen anspruchsvollen Gegenstand so populär nahegebracht zu bekommen, dass man ihn für sich selbst erst zu entdecken meint und sich angespornt fühlt, die Sache dieses Sachbuchs zu seiner eigenen Sache beziehungsweise, mehr noch, zur Sache seiner Kinder zu machen.
Nun, genau das ist mir passiert, als ich das Buch über die "Oper für Kinder" von Elke Heidenreich und Christian Schuller dieser Tage in die Hände bekam. Ich war angerührt, bestellte für meine fünfjährigen Zwillingstöchter umgehend Karten für die "Zauberflöte", die derzeit im Frankfurter Papageno-Theater für Kinder geboten wird und ließ sie auf der Autofahrt dorthin mit großem "Oooh" und "Aaah" schon einmal durch die prächtigen Bühnenfotos blättern, die der Opernband von Heidenreich und Schuller enthält. Als wir im Theater unsere Plätze eingenommen hatten, erlebten viele der Kinder, auch meine, die "Zauberflöte" zum ersten Mal. Der Saal war aufgewühlt, die Kinder aus dem Häuschen. Sie lachten, schrien, bangten und jubelten. Sie nahmen an sich selbst all die "großen Gefühle" wahr, von denen Papageno und Papagena im Wechsel singen, nachdem sie sich endlich gefunden hatten. Ein Opernnachmittag, von dem ich nicht wüsste, wie wir ihn wieder vergessen könnten.
Mit just der "Zauberflöte" beginnt Elke Heidenreich auch ihre Vorrede zu diesem zauberhaften Buch. Sie spricht von der Nachkriegszeit, ihrer Kinderzeit. "Die Väter waren an Leib und Seele beschädigt aus Russland, Frankreich, Italien zurückgekommen, die Mütter hatten in den Bombennächten die Zärtlichkeit verlernt, Schönheit galt nichts, Poesie war unbekannt, es ging ums Wiederaufbauen. Wie hätte ich wissen sollen, was Oper ist? Für so etwas war ohnehin kein Geld übrig." Aber dann wurde sie im Alter von dreizehn Jahren von einer älteren Freundin mit in die "Zauberflöte" genommen, "und eine lebenslange Liebe begann - die Liebe zur unvernünftigsten, herrlichsten, leidenschaftlichsten aller Kunstgattungen, zur Oper. ,Zu Hilfe, zu Hilfe, sonst bin ich verloren!', singt der Prinz Tamino ganz zu Beginn dieser Oper. Ich fühlte mich auch verloren in der Lieblosigkeit der Nachkriegsjahre, und hier nun waren auf einmal Kraft, Schönheit, Poesie, Magie, Anmut, Geheimnis, hier waren starke optische und akustische Eindrücke und Erschütterungen. Als ich nach Hause kam, war ich verändert und für immer die verlorene Tochter der Königin der Nacht."
Man merkt diesem Buch den stark empfundenen persönlichen Hintergrund an, mit dem es ins Werk gesetzt wurde. Heidenreichs Sprache, die völlige Abwesenheit von Zynismus und Abgeklärtheit, bringen das Wunder der Oper kindgerecht, besser würde man sagen: überhaupt erst zur Geltung. Denn wie ließe sich das Phantastische dieser Kunstgattung besser erschließen als durch die Augen der Kinder? Ob es sich um eine Oper oder ausdrücklich um eine Oper für Kinder handelt, tut ja eigentlich nichts zur Sache. Eine Oper ist immer eine Oper für Kinder, für den Kind gebliebenen Erwachsenen. Diese großartige Synthese von Musik, Bühnendichtung und szenischer Darstellung ist zuallererst Kinderkram, welche Oper hätte nichts von "Alice im Wunderland" oder "Des Kaisers neue Kleider"?
Noch einmal: Was ist ein traumhaftes Sachbuch, woran ist es zu erkennen? Daran, dass es auf wunderbar belebter und beleuchteter Bühne uns über uns selbst aufklärt. Daran, dass es mit Illusionen hantiert, die der Leser nach und nach als seine eigenen erkennt und schließlich nie mehr vergessen wird. Ein solches Sachbuch ist ein Traum, und ein solcher Traum wird uns hier unter dem Titel "Das geheime Königreich - Oper für Kinder" auf zweihundert Seiten aufgeblättert.
Es ist der Traum der Oper, an dem die beiden Autoren uns mitträumen lassen, und natürlich tun wir das auch deshalb so gern, weil unser Hunger nach Schlimmem, nach Katastrophen und Sensationen groß ist und groß bleibt. Dass dieser Hunger auch ohne zynisches Syndrom gestillt werden kann, einfach aus Neugier und Mitgefühl, ist eine der befreienden Erfahrungen des Operngängers im Allgemeinen und des Lesers dieses Opernbuchs im besonderen. Elke Heidenreich spricht nicht mit der Attitüde des "such is life" zu uns, wenn sie ausmalt, wie auf der Bühne die Prinzessin auf der Erbse eine fürchterliche Nacht verbringt und Aladins Wunderlampe unsere geheimen Sehnsüchte und Wünsche beleuchtet. Sie sagt nicht "such is life", sie sagt "Was für eine Geschichte!" und hebt diese Geschichte damit erst aus dem Zugleich der Geschichten heraus, das uns täglich in Funk, Fernsehen und Illustrierte zu schaffen macht.
Der Gang in die Oper wie die Lektüre dieses Opernbuchs sind auch abwehrende, filternde Maßnahmen gegen die Vergleichgültigung von Geschichten, die immer schneller, immer exklusiver auf uns einprasseln, ohne dass sie ins Ohr gingen, im Herzen hafteten. Ein gutes, ein traumhaftes Sachbuch sorgt dafür, dass sein Stoff ins Ohr geht, im Herzen haftet. Es durchbricht das Gesetz des Zynismus, unter dem die öffentliche Kommunikation steht, und erhellt uns die Welt auf begütigend voraussetzungslose Weise: "Die Inszenierung muss stimmen, um 130 kleine Zuhörer für eine ganze Stunde mucksmäuschenstill zu halten und in ihren Seelen dieses Samenkorn zu pflanzen, das vielleicht zu einer lebenslangen Liebe zur Musik, vor allem zur Oper wird - so wie es bei uns gewesen ist, als wir Kinder waren."
Wie kam es zu diesem Buch, was außer schönen Kindheitserinnerungen steckt dahinter? Dahinter steckt eine jahrelange Berufserfahrung: Elke Heidenreich und Christian Schuller erarbeiten seit 1996 gemeinsam das Programm der Kölner Kinderoper, der Ort, von dem aus auch Heidenreichs Literatursendung "Lesen!" übertragen wird. Schuller ist Oberspielleiter an den Kölner Bühnen und dort auch künstlerischer Leiter der Kinderoper. Er stöberte immer wieder in Archiven vergessene Opern vergessener Komponisten auf, die er dann zusammen mit Heidenreich in eine kindgerechte Inszenierung brachte. "Oft musste er", schreibt Heidenreich, "die Stücke kürzen, straffen, neu gliedern, manchmal mußte ein Werk erstmals übersetzt werden, und ich versuchte dann mithilfe des Klavierauszugs, den deutschen Text in den richtigen Rhythmus zu bringen. Die Mühe, die Liebe, das Engagement, die Arbeit sind für die Kinderoper genauso intensiv wie für die große Oper."
Das vorliegende Buch dokumentiert diese Arbeit anhand von zwanzig aufgeführten Opern in Text und Bildern. Es erzählt, welche Lasten und Freuden damit verbunden waren, gibt Einblick in das Handwerk, mit dem sich ein Repertoire von Opern neu erschließen läßt. Das Buch ist freilich weit mehr, ja etwas ganz anderes als eine Dokumentation aus archivarischem Interesse: "Es soll einen Weg zeigen, wie man Kinder an die Oper heranführen kann, damit diese Kunstform auch in Zukunft ihr Publikum findet. Dieser Weg, den wir gewählt haben, heißt: Kinderoper nicht Oper mit Kindern, sondern Oper für Kinder. Kinderoper ist nicht ,klein', sie ist nur im Sujet, in der Geschichte, die erzählt wird, dem Niveau der kindlichen Erfahrungswelt angepasst. Künstlerisch gibt es keine Abstriche oder Kompromisse, alles könnte auch so im großen Haus laufen."
Heiter und tragisch, komisch und ernst geht es in diesem Buch über die Oper für Kinder zu, ganz so, wie im wirklichen Leben der Oper. Sollte man erraten, welche Oper, die sie im Lauf der Jahre bearbeitete, der Heidenreich besonders ans Herz gewachsen ist, dann würde ich auf die Schlangenoper tippen. "Sid, die Schlange, die singen wollte" versucht das Unmögliche: zu singen. Und erst als sie nach vielen vergeblichen Versuchen, nach mancherlei Vorsingen in aller Welt auf den Trümmern ihrer Träume sitzt und verzweifelt, stimmt sie aus tiefstem Herzen ein trauriges Lied an. Dieses Lied klingt nun so authentisch, dass alle herbeigelaufen kommen und beeindruckt sind. Der Durchbruch ist geschafft, Sid ist eine Sängerin geworden! Elke Heidenreich bekennt, sie alle an den Kölner Bühnen hätten diese Schlangenoper geliebt und gibt mit dem Ausruf "Was für eine Geschichte" abermals ein Beispiel dafür, wie die Moral - immer einfach in ihrem Anspruch, immer anrührend in ihrer Unbefangenheit - eines traumhaften Sachbuchs auszusehen hat: "Was für eine liebenswerte Geschichte über Ehrgeiz, Scheitern, Erfolg und darüber, wie wichtig es ist, mit dem Herzen zu sprechen. Sid schlängelt sich grün und prächtig um die ganze Welt, um am Ende bei sich selbst anzukommen. Erst als Sid ungekünstelt und ganz wahrhaftig aus tiefstem Herzen singt, erreicht ihre Musik auch die anderen." Wetten, dass auch Sie nach der Lektüre dieses bewegenden Buches gleich aufstehen, um die Karten für die Oper zu bestellen?
CHRISTIAN GEYER
Elke Heidenreich, Christian Schuller: "Das geheime Königreich". Oper für Kinder. Mit Bühnenfotos von Klaus Lefebvre. Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2007. 208 S., Abb., geb., 25,60 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Das Buch bewegt Christian Geyer zu Jubelstürmen. Und zu einer Wette. Geyer ist sicher, dass die Lektüre den Leser in die Oper zieht. Wetten? Jedenfalls stellt der Band für den Rezensenten so etwas wie die Blaupause aller gelungenen Sachbücher dar: Unterhaltsam, anrührend und einen anspruchsvollen Gegenstand ganz unzynisch und ansteckend begeistert rüberbringend. Geyer hat es so erfahren und ist mit seinen Kindern sogleich in die Zauberflöte gegangen, um das von den beiden Autoren so "kindgerecht" angepriesene "Wunder der Oper" selbst zu erleben. Diesen Verdienst führt Geyer zum einen zurück auf die Berufserfahrung der Autoren durch die Programmgestaltung der Kölner Kinderoper, zum anderen auf die Herzlichkeit der Präsentation, die das Buch für ihn erst zu einem "traumhaften Sachbuch" macht.
© Perlentaucher Medien GmbH
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