Ein Glanzstück – so funkelnd wie eine Perle
Orsola lebt zur Blütezeit der Renaissance als Tochter der Glasmacherfamilie Rosso auf der venezianischen Nachbarinsel Murano und sieht sich jeden Tag Bergen von Wäsche gegenüber, obwohl sie sich lieber in der Werkstatt ihres Vaters dem tänzerischen
Gebärden des Lehrmeisters und seiner Lehrlinge im Umgang mit Glas anschließen würde – undenkbar für eine…mehrEin Glanzstück – so funkelnd wie eine Perle
Orsola lebt zur Blütezeit der Renaissance als Tochter der Glasmacherfamilie Rosso auf der venezianischen Nachbarinsel Murano und sieht sich jeden Tag Bergen von Wäsche gegenüber, obwohl sie sich lieber in der Werkstatt ihres Vaters dem tänzerischen Gebärden des Lehrmeisters und seiner Lehrlinge im Umgang mit Glas anschließen würde – undenkbar für eine junge Frau. Nach einem schweren Schicksalsschlag entschließt sich Orsola entgegen den Widerständen die Perlenherstellung zu erlernen und somit der Familie zu helfen. Doch sie stößt auf viele Hindernisse unterschiedlichster Natur, so auch eine verbotene Liebe, Krankheit und Tod.
Mit „Das Geheimnis der Glasmacherin“ beweist Tracy Chevalier mal wieder, dass sie ihr Handwerk, so wie Orsola, beherrscht und weiß, wie sie eine bewegende Geschichte erzählen kann. Dabei schreckt sie auch nicht davor zurück, ihre Leserschaft herauszufordern, in dem sie mit der ‚venezianischen Zeit‘ ein abstraktes, aber auch einzigartiges Element einführt, das mir persönlich noch nie in einem Buch begegnet ist. Ohne zu viel zu verraten, so viel vorab: Die Autorin führt uns nicht nur über Venedig, sondern mehrere Jahrhunderte hinweg bis in die Gegenwart. Ein Geniestreich, meiner Meinung nach, der Offenheit von Lesenden für eine Brise magischen Realismus erbittet. Somit bringt Chevalier uns sowohl den Ort als auch seine Geschichte näher, ohne dabei wie ein Geschichtsbuch zu klingen. Denn ihre meisterlich konzipierten Figuren fesseln und geben einen identifikatorischen Anker, damit wir im Strom der Zeit nicht verloren gehen. Jede Figur nimmt eine individuelle, wichtige Rolle ein, sodass keine hätte ersetzt werden können, sowohl auf charakterlichen als auch erzählerischen Ebene. Zugegeben, bei dem vielen Rosso-Nachwuchs fiel es dann doch etwas schwer, den Überblick zu behalten. Jedoch sind Orsola, ihre Brüder, Laura Rosso, Stella und Nicht-Muranesen wie Familie Klingenberg und natürlich Domenego starke, aber nicht idealisierte Figuren, die Ecken und Kanten aufweisen, die sie weder gut noch schlecht, sondern einfach nur menschlich zeichnen. Ich habe sowohl diese natürlichen, klug geschriebenen Figuren genossen, als auch den ausgefeilten Schreibstil der Autorin selbst, der einen über die Seiten hinweg schweben lässt mit seiner Eleganz und eindrücklichen Bildsprache. Chevalier erzählt dabei oft an den richtigen Stellen mal etwas langsamer und ausführlicher, mal etwas flotter mit einigen Zeitsprüngen, sodass die Handlung nie stagniert, sondern immer weiterfließt. Meiner Meinung nach hätte man das Buch jedoch um ein paar dutzend Seiten kürzen können, da es doch zu Beginn etwas zu langsam, zum Ende hin wesentlich schneller erzählt wird. Zumal lassen die ewiglangen Kapitel den Leseprozess langwieriger erscheinen als er ist. Einfache, kleine Zwischenkapitel hätten den Text etwas aufgelockert. Lobenswert ist dagegen das ausführliche Glossar im Anhang, in dem man die vielen italienischen Begriffe, die beim Lesen eine authentische Atmosphäre beschwören, nachschlagen kann.
„Das Geheimnis der Glasmacherin“ ist eine wundervoll erzählte Geschichte, die ein umfassendes Bild über Venedig, aber vor allem das Glashandwerk erschafft. Trotz kleiner Längen sollte jeder Fan von der Lagunenstadt zu diesem Werk greifen und sich von Orsolas Figur verzaubern lassen. Eine klare Empfehlung.