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Phineas Gilbert Nanson, Student der Literaturwissenschaft, beschließt beim Anblick einer schmutzigen Fensterscheibe, seine Doktorarbeit über "Personifizierungen weiblichen Begehrens in den Romanen Firbanks, Forsters und Maughams" endgültig aufzugeben. Eine schmutzige Fensterscheibe ist eben, so wird ihm klar, nicht nur eine Metapher für Unzufriedenheit und Blindheit, sondern einfach auch ein Gegenstand, nämlich eine schmutzige Fensterscheibe. Phineas will Fakten sehen und ein neues Leben beginnen. Sein Doktorvater gibt ihm den Rat, sich mit dem unterschätzten Genre der Biographie zu…mehr

Produktbeschreibung
Phineas Gilbert Nanson, Student der Literaturwissenschaft, beschließt beim Anblick einer schmutzigen Fensterscheibe, seine Doktorarbeit über "Personifizierungen weiblichen Begehrens in den Romanen Firbanks, Forsters und Maughams" endgültig aufzugeben. Eine schmutzige Fensterscheibe ist eben, so wird ihm klar, nicht nur eine Metapher für Unzufriedenheit und Blindheit, sondern einfach auch ein Gegenstand, nämlich eine schmutzige Fensterscheibe. Phineas will Fakten sehen und ein neues Leben beginnen.
Sein Doktorvater gibt ihm den Rat, sich mit dem unterschätzten Genre der Biographie zu beschäftigen, und empfiehlt ihm die Lebensbeschreibung des berühmten viktorianischen Reisenden und Gelehrten Sir Elmer Bole aus der Feder des fast gänzlich unbekannt gebliebenen Biographen Scholes Destry-Scholes.
Phineas beginnt mit wachsender Faszination zu lesen, wobei sich sein Interesse allmählich vom Gegenstand der Biographie auf ihren Verfasser selbst verlagert.
Er faßt den Entschluß, eine Biographie dieses Biographen zu schreiben. Bei seinen Recherchen macht er erstaunliche Entdeckungen: Neben einer umfangreichen Korrespondenz finden sich Notizen zu Carl von Linne, Francis Galton und Henrik Ibsen. Was haben, so fragt sich Phineas, Linnes biologisches System, Galtons eugenische Messungen und Ibsens Peer Gynt miteinander zu tun?
Während Phineas Ordnung in die scheinbar unzusammehängenden Papiere zu bringen versucht, meldet sich eine Nichte des Biographen, die seit Jahren einige Habseligkeiten ihres Onkels aufbewahrt. Zur gleichen Zeit lernt Phineas in der Linnaean Society eine schwedische Ökologin und Bestäubungsspezialistin kennen, in die er sich heftig verliebt, und um seine Forschungen zu finanzieren, läßt er sich von den - homosexuellen - Inhabern eines Reisebüros, das Reisen besonderer Art vermittelt, als Aushilfskraft einstellen.
Von so viel Wirklichkeit bedrängt und verunsichert, flieht Phineas aus London. Nach einer Reise zu den Lofoten, wo er den Mahlstrom, in dem Destry- Scholes verschollen sein soll, mit eigenen Augen sehen will, schließt er sich einer Exkursion in die Türkei an, wo die schwedische Ökologin die Bestäubung roter Blumen durch den bislang für farbenblind gehaltenen Amphicoma-Käfer studiert. Für Phineas aber stellt sich die Frage nach der Wirklichkeit und nach der Wahrheit seines eigenen Lebens erneut.
Autorenporträt
A. S. Byatt gelangte mit ihrem Roman "Besessen", der 1990 mit dem Booker-Preis ausgezeichnet wurde, zu Weltruhm. Ihr Werk umfasst neun Romane, zahlreiche Erzählungen und literaturkritische Texte; für ihr Schaffen wurde sie vielfach ausgezeichnet und 1999 von der Queen zur Dame Commander of the British Empire ernannt. A. S. Byatt kam 1936 in Yorkshire zur Welt, hat drei Töchter und lebt in London.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 09.10.2001

Was Murmeln verraten
Antonia Byatt entsendet einen Biographen / Von Thomas David

Die britische Schriftstellerin Antonia S. Byatt weiß vermutlich mehr über Bienen und sonstige Insekten als jede andere Autorin sogenannter "postmoderner Romane", sofern es diese spezifische Art - oder sagen wir Gattung? - im Gegensatz zu den Insekten, die sich ja täglich mehren, heute überhaupt noch gibt. Sie erklärt - in "Morpho Eugenia" zum Beispiel - gern junge Naturwissenschaftler zu ihren Helden und läßt diese Ameisen oder Schmetterlinge erforschen. Damit hat die Autorin freilich immer auch eine gleichsam empfindliche wie bunte Metaphorik zur Hand, zumal Byatts Romane und Erzählungen getragen werden von einem großen aufklärerischen Geist und jedes sachte Schlagen eines Schmetterlingsflügels seine Parallele in der menschlichen Gesellschaft finden soll. Ihre Romane - "Besessen" oder "Stilleben" - sind durchdrungen von erstaunlicher Gelehrsamkeit. Sie entzücken den gebildeten Laien ebenso wie den Botaniker oder Entomologen, tragen ihre schönsten Blüten aber wohl in den Gärten literaturwissenschaftlicher Seminare. Das "Geheimnis des Biographen", Byatts neuer Roman, handelt von der Vertreibung aus diesem Paradies.

Phineas G. Nanson, ein Zwerg von Name und Gestalt und Byatts kleinmütiger Erzähler und Doktorand der Literaturgeschichte, verspürt beim Anblick dreckiger Fenster inmitten eines Theorieseminars über Lacan einen plötzlich aufschießenden akademischen Überdruß. Er verliert gewissermaßen die gläubige Unschuld des Seminaristen und will partout kein postmoderner Literaturtheoretiker mehr sein. Es dürstet ihn nur mehr nach Gegenständen, nach einem "Leben voller Dinge"; ihm behage, so Phineas erfreut, "das sichere und solide germanische Wort". Dem Leser - dem impliziten zumal, den die Topographie einer anders gearteten Realität vermutlich ebenfalls nur verwirren würde - sei damit bereits signalisiert, daß Phineas der dingfesten Wirklichkeit seines zweiten Lebens in einer literarischen Spiegelung habhaft zu werden versucht. Denn Dinge sind für Phineas immer zuerst Bücher. Dem kläglichen Mißlingen seiner folgenden Anstrengungen steht das Scheitern von Byatts Roman bedauerlicherweise in nichts nach.

Dabei trägt Phineas' Entschluß, eine Biographie zu verfassen, Daten zu sammeln und Fakten, durchaus den Keim eines guten Romans in sich und kann sich auf Vorläufer wie Nabokovs "Das wahre Leben des Sebastian Knight" oder, weniger artistisch, Patrick Modianos "Dora Bruder" berufen. Doch wo Modianos Buch auf interessante Weise kunstvoll ist, ist "Das Geheimnis des Biographen" nur penetrant und, vor allem, hochtrabend langweilig. Schon Byatts Entscheidung, ihren selbsterklärten Biographen ausgerechnet auf die Fährte eines anderen Biographen zu setzen, des obskuren Autors eines einzigen, ungelesenen Werkes, zeugt von der mühevoll arrangierten Künstlichkeit des Romans, der auf bald dreihundert Seiten sowenig ins Leben findet wie Phineas G. Nanson in die geheime Welt jenes Scholes Destry-Scholes.

Destry-Scholes nämlich hat neben seiner monumentalen Biographie über den Viktorianer Sir Elmer Bole nur wenige Spuren hinterlassen; die gewichtigen Namen von Byatts Figuren, doch dies nur am Rande, machen immerhin größeren Eindruck. Einmal hat Destry-Scholes an Phineas' Institut einen Vortrag gehalten, Professor Ormerod Goode weiß aber kaum etwas über den Abend und seine Hauptfigur zu berichten: "Ich kann mich nur schwach daran erinnern. Eher blond." Das genialische Vakuum also, um das Byatts Roman kreisen muß, scheint so gewaltig wie der Mahlstrom, in dem Destry-Scholes ertrank, wahrscheinlich ertrank, vielleicht ertrank. Als Phineas zuerst ein Päckchen mit unsortierten Papieren über den Taxonomen Carl von Linné, den Statistiker Francis Galton und Henrik Ibsen entdeckt und von der Nichte des Biographen schließlich einen Koffer mit dessen Murmeln erhält, mit Karteikarten und alten Fotografien, mit authentischen Dingen also, ist er wie elektrisiert. Werden die Murmeln Phineas G. Nanson helfen, das Geheimnis des Biographen zu lüften? Auch die Fotos und Destry-Scholes' umfangreiche Notizen stiften nur Verwirrung. An dieser Stelle des Buches legt Byatt ihre Karten offen auf den Tisch, mit einem guten Blatt war schon nicht mehr zu rechnen, und opfert den Roman vollends der keineswegs originellen Behauptung, daß sich eine Biographie, eine postmoderne natürlich - Fakten, Dinge hin oder her -, eben niemals schreiben lasse. Denn Geschichte ist bekanntlich Fiktion, Vergangenheit verloren: "Das Geheimnis des Biographen" sei daher, so Byatt in ihrer Essay-Sammlung "On Histories and Stories", "eine Erzählung über die Leben der Toten, welche die imaginären Welten der Lebenden ausmachen. Eine Studie über die Ästhetik des Erfindens oder Wieder-Erfindens oder Kombinierens von echten und erfundenen Menschen." Als Phineas sich zusehends im Labyrinth von Destry-Scholes' fragmentarischen Aufzeichnungen, in abwegigen Episoden aus den Biographien Linnés, Galtons und Ibsens verirrt, fällt der Roman vor den Augen des Lesers auseinander.

Es ist also weniger das inzwischen vertraute Sujet, welches Byatts Roman so unerträglich macht, das alte Spiel von Dichtung und Wahrheit, als dessen unzulängliche Aufbereitung. Zwar scheint die Autorin mit durchaus ironischem Witz zeigen zu wollen, daß sich das Leben des Scholes Destry-Scholes im Verfassen seiner großen Biographie erfüllte, daß sein eigenes Leben in dem Sir Elmer Boles nahezu vollständig aufging. Doch Byatts Entscheidung, ihren Ich-Erzähler diese Erkenntnis unter Beihilfe einer schwedischen Bestäubungsspezialistin am eigenen Leib nachspüren zu lassen, und der Versuch, eine biographische Annäherung in ihrer quälenden Vergeblichkeit durchzuspielen, fordern die Selbstaufgabe auch auf seiten des Lesers, der doch gewissermaßen in Phineas' staubigen Kleidern steckt. "Haben Sie eigentlich ein eigenes Leben?" fragt Ormerod Goode seinen eifrigen Schüler, als dieser schon nicht mehr weiterweiß. Im Gegensatz zu Phineas G. Nanson böte sich dem Leser freilich nicht erst am Ende des Romans die Gelegenheit zu dieser Frage. Dort enthüllt die Autorin das Geheimnis des farbenblinden Amphicoma-Käfers. Die Entomologen unter den Lesern haben vielleicht die nötige Geduld.

Antonia S. Byatt: "Das Geheimnis des Biographen". Roman. Aus dem Englischen übersetzt von Melanie Walz. Insel Verlag, Frankfurt am Main und Leipzig 2001. 275 S., geb., 42,- DM.

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Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension

Im Zentrum des neuen Romans von Antonia S. Byatt steht ein Doktorand der Literaturwissenschaft, der während eines poststrukturalistischen Seminars seine Unzufriedenheit erkennt und seine Doktorarbeit fallen lässt, Stattdessen beschäftigt er sich mit dem "Genre der Biografie", erzählt Elke Brüns. In Verlagsarchiven setzt er sich mit einer Biografie auseinander und schreibt dabei seine eigene, so Brüns. Die Biografie der Biografie oder die Biografie in der Biografie? Egal, denn bedauerlicherweise funktioniere S. Byatts Erzähltechnik des detektivischen Aufspürens nicht mehr wie in ihrem erfolgreichen Debütroman "Besessen", klagt Brüns. Trotz der "Seitenhiebe auf Unibetrieb und Theorieblüten" verliere der Leser die Lust, meint Brüns. So viel Dekonstruktion macht sie müde.

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