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Produktdetails
  • Verlag: Peter Hammer Verlag
  • Seitenzahl: 221
  • Deutsch
  • Abmessung: 230mm
  • Gewicht: 426g
  • ISBN-13: 9783872948199
  • ISBN-10: 3872948199
  • Artikelnr.: 24032554
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 28.12.1999

Indische Flötentöne
Martin Kämpchen malt ein ganzes Dorf in seiner Wahl-Heimat

"In deinem Alter habe ich schon . . . ", leiten Eltern ihre Vorwürfe gern ein. Es folgt eine Aufzählung von kilometerlangen Schulwegen, ehernen Pflichten und eisernen Disziplinen. Auch in Indien versuchen Eltern sich an dieser Formel: "Mit zweiundzwanzig bin ich nicht herumgestreunert wie du. Wer essen will, muss arbeiten", bekommt Schona von seinem Vater zu hören. Doch Schona, ein indischer Junge aus Ghosaldanga in Westbengalen, hört nicht wirklich zu, hat Wichtigeres im Kopf und möchte sich nicht einfügen in die von den Eltern vorgelebten Bahnen. Schona will weiterhin zur Schule gehen, als Erster aus seinem Heimatdorf ein College besuchen. In einer armen Gegend ohne Strom und geteerte Straßen, wo zwar nicht die Lust, aber das Licht zum Lernen fehlt, ist das ein verwegener Gedanke.

Doch was Jugendromanhelden wollen, bekommen sie meist auch. Schon träumt Schona den indischen Tagtraum vom Jungen, der seine Familie verlässt, um viel Geld zu verdienen, womöglich als Beamter in einem Regierungsbüro. Jeden Monat würde er Geld nach Hause schicken und auch manchmal zurückkehren in sein Dorf, als kleiner Prinz "mit dem Selbstbewusstsein eines Mannes, der es geschafft hatte". Schonas bester Freund Bimal, der sanftmütige Flötenspieler, interessiert sich nur mäßig fürs Geld. Er möchte heiraten, so schnell wie möglich. Seine Braut hat er sich in einem Nachbardorf schon ausgeguckt. Seine Eltern können sich ihre In-deinem-Alter-habe-ich-Vorwürfe also sparen.

Der Autor Martin Kämpchen begleitet die beiden Jungen, erzählt von der Liebe, dem Tod und der Arbeit, also vom Leben in Ghosaldanga - einem Leben, das Martin Kämpchen bestens kennt. Seit mehr als fünfundzwanzig Jahren lebt er in Indien, die vergangenen Jahre in Santiniketan, und arbeitet dort als Übersetzer, Publizist und Entwicklungshelfer für ebenjenes Dorf Ghosaldanga, das nur eine Fahrradstunde von seinem Wohnort entfernt liegt. Seine spröden Bewohner sind die Hauptpersonen des Romans "Das Geheimnis des Flötenspielers".

Kämpchen fügt Abenteuer-, Adoleszenz- und Liebesgeschichte zu einem Roman zusammen. Die Gegensätze, die er in den Jungen Schona und Bimal verkörpert, ziehen sich durch alle Kapitel des Buches. Es ist die indische Zerrissenheit zwischen Land und Stadt, Aberglaube und Vernunft. Dabei schlägt sich der Autor nicht lautstark auf eine der Seiten, sondern belässt alles in seiner kippeligen Balance aus Sehnsucht und Wirklichkeit. Die Arroganz der Städter steht der Überheblichkeit der Dörfler dabei in nichts nach, und der Aberglaube berührt sich mit der ungehemmten Fortschrittshörigkeit.

Kämpchen tränkt seine Worte nicht in dem pittoresken Dritte-Welt-Charme, der den europäischen Lesern das Elend bunt vor Augen führt. So hat seine Schilderung einer Verbrennungszeremonie nichts vom aufgeregten Tonfall so manch anderer Autoren angesichts der fremdartigen Fremde. Umso ärgerlicher sind die vielen Druckfehler, die das Buch bis ins ansonsten vorbildliche Glossar verfolgen. Kämpchen aber beherrscht die klassischen Reportage-Tugenden: gut recherchieren, genau hinschauen und lebendig schildern. Distanziert, doch nicht emotionslos. Der Autor empfiehlt sich mit seinem Wahl-Heimatroman als nüchterner und liebevoller Beobachter, den weniger die Exotik der Szenerie reizt als das ganz normale Leben - zehn Flugstunden von Europa entfernt. Auf den ersten Blick so fern. Und doch so nah.

SHIRIN SOJITRAWALLA

Martin Kämpchen: "Das Geheimnis des Flötenspielers". Peter Hammer Verlag, Wuppertal 1999. 221 S., geb., 26,80 DM.

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