Was braucht es, um ein perfektes Verbrechen zu begehen? Eine Schweinekälte über Paris und Umgebung, bei der sich keine Sau auf die Strasse begibt. Dazu Nebel, so dick, dass man ihn mit dem Messer schneiden kann, und ein Generalstreik der Polizei, der laut Presse gut eine Woche dauern wird. Was will man als Verbrecher mehr?Tardi hat den 1959 spielenden Krimi von Pierre Siniac - wie immer mit viel Flair für das damalige Ambiente - zuerst als Feuilleton in fünf Folgen veröffentlicht, aufgemacht mit reisserischen Titelseiten und Hintergrundartikeln zur politischen Situation. Die deutsche Buchausgabe folgt dieser Erstveröffentlichung und bietet als Bonus vier (!) alternative Lösungen des Falls, die zunächst gewissermaßen "versiegelt", das heißt nicht aufgeschnitten sind, und die man erst am Ende der Lektüre öffnen sollte!
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 29.11.2007Auf den Spuren des Würgers – Jacques Tardi führt uns in seinem neuen Comic durch Paris
Wie erzeugt man in einer Zeichnung einen Nebel, der alle Konturen verwischt? Der französische Comic-Zeichner Jacques Tardi führt es in seinem neuesten strichtechnischen Meisterstück „Das Geheimnis des Würgers” eindrucksvoll vor: Kurze Schrägstriche, stur wie in einer Strafarbeit in Reihen neben- und übereinander aufs leere Papier gesetzt, legen eine dicke Suppe über alles, was sich in den Bildvierecken bewegt, lassen Häuser und Figuren aus dem Ungefähren auftauchen und wieder verschwinden und breiten einen gnädigen Schleier über alles, was sich an Schrecken ereignet.
Fünfmal folgen wir dem Mitternachtswürger bei Nebel durch die Straßen von Paris, fünfmal sehen wir zu, wie er in schönster Umgebung seine Opfer brutal erwürgt. Makabrer und bizarrer kann eine Führung durch die Stadtlandschaft von Paris wohl kaum sein. Und da Tardi, der schon in seinen Comic-Versionen der Nestor-Burma-Romane von Léo Malet zahlreiche pittoreske Winkel im Paris der fünfziger Jahre höchst suggestiv evoziert hat, bei jedem Mordspaziergang neue Ecken ins Bild holt – in unserem Fall die Robida-Treppen an der Rue Rozier im 19. Bezirk –, wünscht man sich als Leser und Betrachter des Comics, dass das Morden in Paris nie aufhören möge.
Es endet dann natürlich doch irgendwann, aber so ganz anders, als man es sich ausgemalt hat, nicht so simpel wie in den meisten Kriminalromanen, nein, gleich acht verschiedene, sich widersprechende Schlussversionen bieten die Autoren als Lösungen für das im Titel beschworene „Geheimnis des Würgers” an. Vier von ihnen kann man sogar nur mit dem Büchermesser oder dem Brieföffner erobern; sie sind als „Sonderbonus für Neugierige” hinter den übrigen „Ende”-Versionen in unaufgeschnittenen Seiten versteckt. Das „Geheimnis” wird also nur partiell und in Etappen aufgelöst. Dennoch glaubt man am Ende zu wissen, wer warum wen ermordet hat.
Der Bilder-Geschichte Tardis liegt der 1992 erschienene Roman „Monsieur Cauchemar” von Pierre Siniac zugrunde. Tardi hat den Stoff in fünf Portionen aufgeteilt und zwischen März und August 2006 im Monatsabstand als fiktive Zeitschrift unter dem Titel „l’ètrangleur” erscheinen lassen. In der deutschen Buchfassung (Tardi – Siniac: Das Geheimnis des Würgers. Edition Moderne, Zürich, 2007. 22 Euro) sind die fünf Zeitschriften mit ihren zeitungsartigen Titel- und Schluss-Seiten faksimileartig nachgedruckt, was beträchtliche zusätzliche Wonnen beschert. Denn in den dort abgedruckten Zeitungsartikeln werden politische und soziale Ereignisse jenes Jahres 1959, in dem der Würger aktiv gewesen sein soll, fiktiv reportiert. Unter diesen Artikeln ist auch eine Kolumne „Neu im Kino”, deren Autor lustvoll die aktuellen filmischen Sensationen kommentiert: Anita Ekberg auf dem Weg zu Fellini nach Rom; die Filmkritiker Chabrol, Godard, Truffaut und Rivette drehen ihre ersten Filme; Belmondo, Lino Ventura, Sautet und José Giovanni beleben den Gangsterfilm; Hitchcock dreht „North by Northwest” und streckt in der beigefügten Karikatur gleich viermal seinen Schädel als Präsidentenkopf aus der Felswand; und dann die fabelhaften Western von 1959 . . . Die Freunde des Bild-Erzählers Tardi kommen also auf ihre Kosten, ja sie werden sogar reich beschenkt. GOTTFRIED KNAPP
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Eine Dienstleistung der DIZ München GmbH
Wie erzeugt man in einer Zeichnung einen Nebel, der alle Konturen verwischt? Der französische Comic-Zeichner Jacques Tardi führt es in seinem neuesten strichtechnischen Meisterstück „Das Geheimnis des Würgers” eindrucksvoll vor: Kurze Schrägstriche, stur wie in einer Strafarbeit in Reihen neben- und übereinander aufs leere Papier gesetzt, legen eine dicke Suppe über alles, was sich in den Bildvierecken bewegt, lassen Häuser und Figuren aus dem Ungefähren auftauchen und wieder verschwinden und breiten einen gnädigen Schleier über alles, was sich an Schrecken ereignet.
Fünfmal folgen wir dem Mitternachtswürger bei Nebel durch die Straßen von Paris, fünfmal sehen wir zu, wie er in schönster Umgebung seine Opfer brutal erwürgt. Makabrer und bizarrer kann eine Führung durch die Stadtlandschaft von Paris wohl kaum sein. Und da Tardi, der schon in seinen Comic-Versionen der Nestor-Burma-Romane von Léo Malet zahlreiche pittoreske Winkel im Paris der fünfziger Jahre höchst suggestiv evoziert hat, bei jedem Mordspaziergang neue Ecken ins Bild holt – in unserem Fall die Robida-Treppen an der Rue Rozier im 19. Bezirk –, wünscht man sich als Leser und Betrachter des Comics, dass das Morden in Paris nie aufhören möge.
Es endet dann natürlich doch irgendwann, aber so ganz anders, als man es sich ausgemalt hat, nicht so simpel wie in den meisten Kriminalromanen, nein, gleich acht verschiedene, sich widersprechende Schlussversionen bieten die Autoren als Lösungen für das im Titel beschworene „Geheimnis des Würgers” an. Vier von ihnen kann man sogar nur mit dem Büchermesser oder dem Brieföffner erobern; sie sind als „Sonderbonus für Neugierige” hinter den übrigen „Ende”-Versionen in unaufgeschnittenen Seiten versteckt. Das „Geheimnis” wird also nur partiell und in Etappen aufgelöst. Dennoch glaubt man am Ende zu wissen, wer warum wen ermordet hat.
Der Bilder-Geschichte Tardis liegt der 1992 erschienene Roman „Monsieur Cauchemar” von Pierre Siniac zugrunde. Tardi hat den Stoff in fünf Portionen aufgeteilt und zwischen März und August 2006 im Monatsabstand als fiktive Zeitschrift unter dem Titel „l’ètrangleur” erscheinen lassen. In der deutschen Buchfassung (Tardi – Siniac: Das Geheimnis des Würgers. Edition Moderne, Zürich, 2007. 22 Euro) sind die fünf Zeitschriften mit ihren zeitungsartigen Titel- und Schluss-Seiten faksimileartig nachgedruckt, was beträchtliche zusätzliche Wonnen beschert. Denn in den dort abgedruckten Zeitungsartikeln werden politische und soziale Ereignisse jenes Jahres 1959, in dem der Würger aktiv gewesen sein soll, fiktiv reportiert. Unter diesen Artikeln ist auch eine Kolumne „Neu im Kino”, deren Autor lustvoll die aktuellen filmischen Sensationen kommentiert: Anita Ekberg auf dem Weg zu Fellini nach Rom; die Filmkritiker Chabrol, Godard, Truffaut und Rivette drehen ihre ersten Filme; Belmondo, Lino Ventura, Sautet und José Giovanni beleben den Gangsterfilm; Hitchcock dreht „North by Northwest” und streckt in der beigefügten Karikatur gleich viermal seinen Schädel als Präsidentenkopf aus der Felswand; und dann die fabelhaften Western von 1959 . . . Die Freunde des Bild-Erzählers Tardi kommen also auf ihre Kosten, ja sie werden sogar reich beschenkt. GOTTFRIED KNAPP
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Eine Dienstleistung der DIZ München GmbH
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Völlig hingerissen ist Gottfried Knapp von Jacques Tardis Bildergeschichte "Das Geheimnis des Würgers", die auf Pierre Siniacs 1992 erschienenen Roman "Monsieur Cauchemar" basiert. Die Strichtechnik des Zeichners scheint ihm geradezu meisterhaft. Gebannt folgt er dem Mitternachtswürger durch die im Nebel liegenden Straßen von Paris, in denen dieser fünfmal eiskalt mordet. "Makabrer und bizarrer", findet Knapp, "kann eine Führung durch die Stadtlandschaft von Paris wohl kaum sein." Zugleich gefällt ihm die Atmosphäre, die Tardi zaubert, so gut, dass er sich wünscht, das Morden würde niemals enden. Zu seiner Freude hat die Geschichte ein überaus raffiniertes Ende, das dem Leser gleich acht verschiedene, sich widersprechende Schlussversionen bietet. Reizvoll findet er auch die abgedruckten Zeitschriften, in denen die Ereignisse des Jahres 1959 fiktiv berichtet werden. Besonders angetan hat es ihm hier die Kolumne "Neu im Kino", in der die filmischen Sensationen des Jahres kommentiert werden.
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH