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Produktdetails
  • Wolffs Broschur
  • Verlag: Friedenauer Presse
  • Originaltitel: Le bruit des trousseaux
  • Seitenzahl: 108
  • Erscheinungstermin: 9. September 2010
  • Deutsch
  • Abmessung: 183mm x 123mm x 10mm
  • Gewicht: 130g
  • ISBN-13: 9783932109645
  • ISBN-10: 3932109643
  • Artikelnr.: 29667359
  • Herstellerkennzeichnung
  • Die Herstellerinformationen sind derzeit nicht verfügbar.
Autorenporträt
Philippe Claudel, geboren 1962 in Dombasle-sur-Meurthe, Schriftsteller und Dramatiker, veröffentlichte bisher mehrere Romane. Ihm gelang die große Sensation des französischen Bücherherbstes 2003: «Die grauen Seelen» wurde mit dem Prix Renaudot ausgezeichnet, zum Buch des Jahres gewählt und stand monatelang auf Platz 1 der Bestsellerliste.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 27.11.2010

Der gelähmte Blick

Elf Jahre lang hat Philippe Claudel als Lehrer in einem Gefängnis gearbeitet. Daraus ist ein beklemmender Bericht entstanden.

Von Jochen Schimmang

Jeder, der schon einmal besuchsweise in einem Gefängnis war, kennt es: das Geräusch der Schlüssel, den "Umschluss" an vielen aufeinander folgenden Türen, bis man sein Ziel erreicht hat, und dasselbe noch einmal in umgekehrter Reihenfolge beim Verlassen der Haftanstalt, bis man endlich wieder beim Pförtner angekommen ist. Du betrittst eine geschlossene Welt, sagt das Geräusch der Schlüssel am Anfang, und später sagt es: Du verlässt eine Welt, die sich hinter dir wieder schließen wird.

Philippe Claudel, bei uns vor allem durch die Romane "Die grauen Seelen" und "Brodecks Bericht" bekannt geworden, hat diese Erfahrung nicht nur angelegentlich gemacht, sondern elf Jahre lang beinahe täglich. So lange nämlich hat der Autor als Lehrer für Literatur im Gefängnis von Nancy gearbeitet. Gleich zu Anfang teilt er uns die prägende Erfahrung seines ersten Tages mit: "Das erste Mal, als ich das Gefängnis verließ, konnte ich mich auf dem Bürgersteig nicht sofort bewegen. Ich bin einige Minuten reglos dort stehengeblieben." Die Erfahrung, frei über sich verfügen zu können, ist im ersten Moment ein Schock und kann angstbesetzt sein, so wie in dieser Szene aus der Mitte des Buches: "Zwei Häftlinge brachten jeden Morgen die Mülltonnen nach draußen. Ein Wärter ließ die große und schwere Schiebetür aufrollen. Die beiden Gefangenen schoben dann die Container auf den Bürgersteig . . . Ich habe mich oft gefragt, wie das wohl auf diese beiden Männer wirken würde, dass sie, für einige Minuten, zu den Geräuschen des Lebens zurückfanden. Sie schritten am Rand des Bürgersteigs wie auf einer Grenze. Ich hatte bemerkt, dass sie sehr oft nur auf den Boden schauten. Ihre Blicke blieben in eine kleine Asphaltzone eingeschlossen, wagten nicht, sich zu heben, alles Übrige zu umfassen. Die Gefangenen waren ganz bei ihren Bewegungen, hielten sich nicht auf, kehrten rasch ins Innere des Gefängnisses zurück."

Es ist eine Abfolge von Szenen wie dieser, aus denen Claudel nach und nach das Bild des Gefängnisses selbst entstehen lässt. Er erzählt auch kurze Geschichten von einzelnen Häftlingen, die in ihrer Lakonie zuweilen atemberaubend sind: "Charles C. war seit der Zerschlagung eines Netzes von Pädophilen inhaftiert, die Kinder vergewaltigten und sie dabei filmten. Im Gefängnis kümmerte er sich ganz selbstverständlich um das interne Fernsehnetz." Und: "Jener Hüne, an dessen Namen ich mich nicht mehr erinnere. Ich sehe nur eine große Gestalt vor mir, sein rosiges Gesicht, sein blondes Haar. Er hatte mit einem einzigen Faustschlag ins Gesicht einen Menschen getötet - in einer gewöhnlichen Schlägerei, die nicht gewalttätiger war als andere auch. Er verehrte die Fliegen. Ich scherze nicht. Er versuchte, sie zu zähmen."

Claudels Bilder und Geschichten folgen, sieht man vom Anfang und vom Schluss des Buches ab, keiner Chronologie. Sie zeigen keine Entwicklung auf, was angesichts des Sujets dieses Textes auch angemessen ist, denn im Gefängnis gibt es keine Entwicklung. Wenn sie miteinander verknüpft sind, dann in der Art eines Rhizoms im Sinne von Deleuze und Guattari. Claudels Gestus ist weder kommentierend noch interpretierend, wo es doch einmal einen Kommentar gibt, ist er knapp und sparsam und hat nicht die Form einer Erklärung.

Philippe Claudel: "Das Geräusch der Schlüssel". Aus dem Französischen von Rainer G. Schmidt. Friedenauer Presse, Berlin 2010. 80 S., br., 16,- [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension

Renate Wiggershaus betritt die Parallelwelt Gefängnis. Geführt von dem französischen Schriftsteller und Regisseur Philippe Claudel, der hier Literatur unterrichtete, streift sie durch feuchte Gänge, riecht den Schweiß und den Kohlgeruch und horcht auf das Rasseln der Schlüssel und das Brüllen der Wärter. Schön ist das nicht, was Claudel in seinen Miniaturen festhält, lässt uns Wiggershaus wissen. Doch ist auch ihre Faszination spürbar angesichts der uns unbekannten Welt hinter den Mauern und ihrer laut Claudel aufs Vegetative reduzierten Insassen. Angesichts der vom Autor vermittelten Hoffnung auch, nicht jede menschliche Regung sei hier erstorben.

© Perlentaucher Medien GmbH