Raoul Schrotts Angelographie ist eine Sammlung verschmitzter Briefe über die Liebe, die himmlische und die irdische, Erotikon eines Flaneurs und dichterisches Bekenntnis zugleich. Über poetische Etymologien abgeleitet, erzählt sich so eine Geschichte jenes ewigen Begehrens, das die Engel von jeher verkörperten. Die Fragen nach ihrer Natur und ihrem Geschlecht, nach ihren Namen oder der Herkunft ihrer Flügel, alle finden in diesen Episteln eine Antwort - als augenzwinkernder Vorwand für eine Liebesgeschichte. Entstanden ist ein einzigartiger Dialog zwischen Literatur und Kunst: ein außergewöhnliches und selten schönes Buch über die Liebe.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.08.2001Dreieck mit Himmelsboten
Licht und Lametta: Raoul Schrott läßt Engel vom Himmel fallen
Engel durchwirken jedes Liebesgeflüster, gewinnen Gestalt in zahlreichen Bildbänden und Sachbüchern, und engelhafte Wesen mit roten Haaren und Sommersprossen strahlen von den Prospekten des Irish Tourist Board. Der nach Irland ausgewanderte Dichter Raoul Schrott weiß also, gegen welche Klischees er seine Briefe an einen rothaarigen, sommersprossigen und sehr weiblichen Engel verfaßt. In zwanzig Kapiteln, die von dreiunddreißig ironisch-blasphemischen Bildern illuminiert werden, bietet Schrott denn auch seinen polyglott-gelehrten Witz auf, um uns an den Engel glauben zu lassen - und den Engel an seinen Dichter.
Denn, um es vorwegzunehmen, die Beziehung zu dem Engel ist nicht einfach. Begonnen hat sie, wie solcherlei stets beginnt. Es war an einem Augusttag in Irland, da erblickte der Erzähler den einzigen Engel auf Erden, erkannte ihn "unbefleckt (er weiß nichts davon)" und spürt ihn seither unter dem linken Rippenbogen. Der Engel trug dabei "eine weiße Bluse und knöchelweite schwarze Hosen", und seine "dunkelroten Haare" können als "Inkarnation des Sankt-Elms-Feuers" gelten. Erführen wir noch ein wenig mehr, könnten wir gewiß sein, daß Raoul Schrott Dantes "Vita nova" zum Modell seiner "Geschichte der menschlichen Liebe" gemacht hat. Dante umschreibt ja gleichfalls den Tag der ersten Begegnung, erwähnt Beatrices blutrotes Kleid, nennt sie "angiola giovanissima" und läßt sie später den Chor holder Frauen weit überragen.
Dante schreibt freilich Gedichte auf Beatrice, die er dann in der "Vita nova" auslegt, während der Verfasser von Schrotts Brevier unverblümt in die Prosa ausweicht: "Da ich kein halbwegs gelungenes Gedicht über dich vorzulegen habe", beginnt er, in seinen Briefen "Geschichten über Engel aufzutischen". Das "Babel des Himmels" bietet dafür einen reichen Vorrat, der von der mesopotamisch-jüdischen Herkunft der Engel bis zur "Himmlischen Hierarchie" des Dionysius Areopagita und dessen Übersetzer Scotus Eriugena reicht, nebst Exkursen über Nordlichter und Sonnenfinsternisse. Ganz wohl in seiner Haut ist dem Schreiber der Briefe dabei nicht, denn die Huldigungen an den Engel werden kontrastiert durch eine Kette von Selbstbezichtigungen: "Stümper . . ., aus dem Volkstheater engagierter Apollo, . . . Operettenmärtyrer, . . . Westentaschenamor". Irgend etwas klappt nicht: Der Engel schreibt keine Antwortbriefe, ein Wangenküßchen ist das höchste der Gefühle, und am Tag der das Buch beschließenden Sonnenfinsternis von 1999 sieht der Dichter nur diffuse Lichtspiele in grauen Wolken. Trotzdem endet das Buch mit einem triumphalen Lächeln. Nach der Sonnenfinsternis wird der Verfasser in einer Bar nach seiner Religiosität befragt, schützt dabei "das Licht und den Blick vor: und habe damit weder etwas gesagt noch dich verraten".
Spätestens hier dämmert dem Leser, daß er es mit einem veritablen "Trickster" zu tun hat. Dieser dem Repertoire des Schreibers entnommene Terminus bezeichnet normalerweise Helden vom Schlage eines Odysseus, Eulenspiegel oder Felix Krull, das heißt Helden, die ihr Tun durch Charme und Tricks ergänzen, bisweilen ersetzen. Raoul Schrott hat diesen Typus auf den Autor als Helden übertragen: Statt der einem Engel zustehenden Canzonen und Sonette gibt er Schnurren aus der Engelliteratur zum besten. Natürlich um abzulenken, aber wovon? Liest man den Text genauer, so entdeckt man in den kleingedruckten Bildlegenden etwa folgenden Hinweis: "Konrad der Einsiedler: . . . Von seiner Gattin Euphrosina trennte er sich, als das Schicksal in der Gestalt eines rotschöpfigen Engels vor ihm stand."
Liest man daraufhin noch genauer, so entdeckt man, daß das angesprochene Du und der Engel nicht immer identisch sind und daß somit die Beziehung zu dem Himmelsboten ein latentes Dreieck enthält, dessen Positionen variabel besetzt sind. Das Fluktuieren zwischen keuscher Fernliebe und ausgemalter Sinnlichkeit findet so seine Erklärung. Denn auch der Erzähler muß überlegen, "was es ist in mir, und warum und ob ich ihm ausgewichen, indem ich zu einem Engel über Engel gesprochen habe: vom Himmel auf die Erde fallen sich die Engel tot. Es scheint, als hätte ich von ihnen meine ganze private Erlösung erhofft, Erlösung aber wovon? Und nun kommen sie zurück, alle haben sie dein Gesicht, mit jedem weiteren Gesicht, mit jedem weiteren Satz kommen sie näher und stehen schließlich an der Kante meines Bettes und wissen auch keine Antwort. Und ich bitte sie um Verzeihung, Vergebung, Vergessen, Gott weiß was, er hat diese Dinge ja erfunden: zur Hölle mit ihm." Das Gesicht des aktuellen Engels steht nach dieser Leseart - Beatrice nicht unähnlich - für jene einzige Liebe, in der die irdischen Verstrickungen sich lösen. Und deshalb sei auch vom Zur-Hölle-Schicken Gottes abgeraten: Wer sonst sendet Engel? Wer sonst sieht einem Trickster nach, daß er den "Heiligen zum Schein" gibt?
Die irdische Gerechtigkeit müssen indes die Leser selbst erwägen. Einerseits ist Hermes nicht, wie das Buch behauptet, der Bruder von Hades; Cupidi ist nicht der Plural von Cupido/Amor, Brombeerblätter sind nicht schmal, und was der Ungereimtheiten mehr sind. Andererseits aber durchzieht die Fähre den Hafen von Schull mit einem "Kielwasser, als würde man einen Brief am Falz aufschneiden"; und wenn der Engel über die Schulter blickt, "als würdest du sie gerade vermissen, die Schwingen, die den Engeln sonst aus den Schulterblättern wachsen", so leuchten diese Bilder eine Weile nach wie das Licht in einem irischen Hinterhof, in dem eine japanische Firma ihre Kartons stapelt: Das Licht gibt uns den "Nachgeschmack der Dinge, die da sind". Für Leser, die am Kaleidoskop der Prosa Genügen finden, werden diese erfreulichen Wirklichkeitspartikeln des Textes überwiegen. Um jedoch tatsächlich an Engel glauben zu lassen, haben - wie Schrott am besten weiß - die Dichter von Dante bis Rilke ein ganz anderes Kriterium gefunden: die Perfektion des Gedichts. Denn gestützt auf Johannes von Damaskus und Thomas von Aquin, läßt sich auch poetologisch folgern: "Wo der Engel ist, da wirkt er."
THOMAS POISS
Raoul Schrott/Arnold Mario Dall'O: "Das Geschlecht der Engel, der Himmel der Heiligen". Carl Hanser Verlag, München 2001. 152 S., geb., 46,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Licht und Lametta: Raoul Schrott läßt Engel vom Himmel fallen
Engel durchwirken jedes Liebesgeflüster, gewinnen Gestalt in zahlreichen Bildbänden und Sachbüchern, und engelhafte Wesen mit roten Haaren und Sommersprossen strahlen von den Prospekten des Irish Tourist Board. Der nach Irland ausgewanderte Dichter Raoul Schrott weiß also, gegen welche Klischees er seine Briefe an einen rothaarigen, sommersprossigen und sehr weiblichen Engel verfaßt. In zwanzig Kapiteln, die von dreiunddreißig ironisch-blasphemischen Bildern illuminiert werden, bietet Schrott denn auch seinen polyglott-gelehrten Witz auf, um uns an den Engel glauben zu lassen - und den Engel an seinen Dichter.
Denn, um es vorwegzunehmen, die Beziehung zu dem Engel ist nicht einfach. Begonnen hat sie, wie solcherlei stets beginnt. Es war an einem Augusttag in Irland, da erblickte der Erzähler den einzigen Engel auf Erden, erkannte ihn "unbefleckt (er weiß nichts davon)" und spürt ihn seither unter dem linken Rippenbogen. Der Engel trug dabei "eine weiße Bluse und knöchelweite schwarze Hosen", und seine "dunkelroten Haare" können als "Inkarnation des Sankt-Elms-Feuers" gelten. Erführen wir noch ein wenig mehr, könnten wir gewiß sein, daß Raoul Schrott Dantes "Vita nova" zum Modell seiner "Geschichte der menschlichen Liebe" gemacht hat. Dante umschreibt ja gleichfalls den Tag der ersten Begegnung, erwähnt Beatrices blutrotes Kleid, nennt sie "angiola giovanissima" und läßt sie später den Chor holder Frauen weit überragen.
Dante schreibt freilich Gedichte auf Beatrice, die er dann in der "Vita nova" auslegt, während der Verfasser von Schrotts Brevier unverblümt in die Prosa ausweicht: "Da ich kein halbwegs gelungenes Gedicht über dich vorzulegen habe", beginnt er, in seinen Briefen "Geschichten über Engel aufzutischen". Das "Babel des Himmels" bietet dafür einen reichen Vorrat, der von der mesopotamisch-jüdischen Herkunft der Engel bis zur "Himmlischen Hierarchie" des Dionysius Areopagita und dessen Übersetzer Scotus Eriugena reicht, nebst Exkursen über Nordlichter und Sonnenfinsternisse. Ganz wohl in seiner Haut ist dem Schreiber der Briefe dabei nicht, denn die Huldigungen an den Engel werden kontrastiert durch eine Kette von Selbstbezichtigungen: "Stümper . . ., aus dem Volkstheater engagierter Apollo, . . . Operettenmärtyrer, . . . Westentaschenamor". Irgend etwas klappt nicht: Der Engel schreibt keine Antwortbriefe, ein Wangenküßchen ist das höchste der Gefühle, und am Tag der das Buch beschließenden Sonnenfinsternis von 1999 sieht der Dichter nur diffuse Lichtspiele in grauen Wolken. Trotzdem endet das Buch mit einem triumphalen Lächeln. Nach der Sonnenfinsternis wird der Verfasser in einer Bar nach seiner Religiosität befragt, schützt dabei "das Licht und den Blick vor: und habe damit weder etwas gesagt noch dich verraten".
Spätestens hier dämmert dem Leser, daß er es mit einem veritablen "Trickster" zu tun hat. Dieser dem Repertoire des Schreibers entnommene Terminus bezeichnet normalerweise Helden vom Schlage eines Odysseus, Eulenspiegel oder Felix Krull, das heißt Helden, die ihr Tun durch Charme und Tricks ergänzen, bisweilen ersetzen. Raoul Schrott hat diesen Typus auf den Autor als Helden übertragen: Statt der einem Engel zustehenden Canzonen und Sonette gibt er Schnurren aus der Engelliteratur zum besten. Natürlich um abzulenken, aber wovon? Liest man den Text genauer, so entdeckt man in den kleingedruckten Bildlegenden etwa folgenden Hinweis: "Konrad der Einsiedler: . . . Von seiner Gattin Euphrosina trennte er sich, als das Schicksal in der Gestalt eines rotschöpfigen Engels vor ihm stand."
Liest man daraufhin noch genauer, so entdeckt man, daß das angesprochene Du und der Engel nicht immer identisch sind und daß somit die Beziehung zu dem Himmelsboten ein latentes Dreieck enthält, dessen Positionen variabel besetzt sind. Das Fluktuieren zwischen keuscher Fernliebe und ausgemalter Sinnlichkeit findet so seine Erklärung. Denn auch der Erzähler muß überlegen, "was es ist in mir, und warum und ob ich ihm ausgewichen, indem ich zu einem Engel über Engel gesprochen habe: vom Himmel auf die Erde fallen sich die Engel tot. Es scheint, als hätte ich von ihnen meine ganze private Erlösung erhofft, Erlösung aber wovon? Und nun kommen sie zurück, alle haben sie dein Gesicht, mit jedem weiteren Gesicht, mit jedem weiteren Satz kommen sie näher und stehen schließlich an der Kante meines Bettes und wissen auch keine Antwort. Und ich bitte sie um Verzeihung, Vergebung, Vergessen, Gott weiß was, er hat diese Dinge ja erfunden: zur Hölle mit ihm." Das Gesicht des aktuellen Engels steht nach dieser Leseart - Beatrice nicht unähnlich - für jene einzige Liebe, in der die irdischen Verstrickungen sich lösen. Und deshalb sei auch vom Zur-Hölle-Schicken Gottes abgeraten: Wer sonst sendet Engel? Wer sonst sieht einem Trickster nach, daß er den "Heiligen zum Schein" gibt?
Die irdische Gerechtigkeit müssen indes die Leser selbst erwägen. Einerseits ist Hermes nicht, wie das Buch behauptet, der Bruder von Hades; Cupidi ist nicht der Plural von Cupido/Amor, Brombeerblätter sind nicht schmal, und was der Ungereimtheiten mehr sind. Andererseits aber durchzieht die Fähre den Hafen von Schull mit einem "Kielwasser, als würde man einen Brief am Falz aufschneiden"; und wenn der Engel über die Schulter blickt, "als würdest du sie gerade vermissen, die Schwingen, die den Engeln sonst aus den Schulterblättern wachsen", so leuchten diese Bilder eine Weile nach wie das Licht in einem irischen Hinterhof, in dem eine japanische Firma ihre Kartons stapelt: Das Licht gibt uns den "Nachgeschmack der Dinge, die da sind". Für Leser, die am Kaleidoskop der Prosa Genügen finden, werden diese erfreulichen Wirklichkeitspartikeln des Textes überwiegen. Um jedoch tatsächlich an Engel glauben zu lassen, haben - wie Schrott am besten weiß - die Dichter von Dante bis Rilke ein ganz anderes Kriterium gefunden: die Perfektion des Gedichts. Denn gestützt auf Johannes von Damaskus und Thomas von Aquin, läßt sich auch poetologisch folgern: "Wo der Engel ist, da wirkt er."
THOMAS POISS
Raoul Schrott/Arnold Mario Dall'O: "Das Geschlecht der Engel, der Himmel der Heiligen". Carl Hanser Verlag, München 2001. 152 S., geb., 46,- DM.
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension
Günther Stocker scheint etwas ratlos angesichts dieses Buches, in dem ein Ich-Erzähler in Briefen an die ferne Geliebte über Engel und Heilige räsoniert. Eigentlich findet Stocker das poetische Verfahren des österreichischen Autors, der "mühelos" zwischen mythologischen Exkursen und naturwissenschaftlichen Überlegungen, zwischen "Liebesbrief und Sprachwissenschaft" wechselt, ganz reizvoll. Doch mitunter gerate der Sprachfluss an die "Grenze zur Sophisterei", kritisiert der Rezensent. Was ihm aber bis zum Schluss nicht recht einleuchten will ist, dass sich Schrott ausgerechnet diesem Thema widmet, wo er doch nach eigenen Angaben mit Metaphysik noch nie etwas anfangen konnte. Und so bleibt für den Rezensenten das ganze Buch, trotz überraschender Einfälle und attraktiver Illustrationen von Dall'O, insgesamt "vage und spekulativ" und vermag ihn nicht recht zu überzeugen.
© Perlentaucher Medien GmbH
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