Im Theater hatte die moderne Frau ihren ersten Auftritt. Hier wurde das Verhältnis der Geschlechter neu bestimmt. Wenn Gertrud Eysoldt, gebückt und mit offenen Haaren, die Szene betrat, verkörperte sie das ganze Elend der Elektra. Hugo von Hofmannsthal hatte ihr die Rolle auf den Leib geschrieben. Er nennt Schauspielerinnen die "Interpreten des neuen seelischen Verhaltens". 20 Jahre später ist Bert Brecht Stückeschreiber und Regisseur. Mit Helene Weigel und Carola Neher zeigt er die kalte Frau, die auch in der Liebe an die Nützlichkeit denkt. Neher und Weigel sind Brechts Instrumente einer Kunst, die im 20. Jahrhundert auch Politik ist: Von diesem Bündnis handelt Karin Wielands neues Buch.
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buecher-magazin.deWo sonst wäre das Experimentierfeld für neue gesellschaftliche Entwicklungen, wenn nicht in der Kunst? So ist es nur folgerichtig, wenn Karin Wieland in diesem Buch den Blick auf die Weiblichkeit und ihre Repräsentationsformen anhand zweier Beispiele aus der deutschsprachigen Literaturgeschichte wirft. Sowohl Hofmannsthal als auch Brecht hätten künstlerisch ohne die im Buch betrachteten Frauen wie Gertrud Eysoldt oder Helene Weigel nicht die Schaffenshöhe erreicht, mit der sie uns bis heute im Gedächtnis geblieben sind. Wieland arbeitet die komplizierten Beziehungen zwischen den Dichtern und den weiblichen Protagonistinnen minutiös heraus. Das liest sich stellenweise etwas langatmig, besticht jedoch durch die Genauigkeit in der Darstellung. Dabei wird der riesige Schritt, den die "Erscheinung der modernen Frau" bereits in den wenigen Jahren zwischen Hofmannsthals Wiener Moderne und Brechts politischem Theater gemacht hat, sehr deutlich. Eysoldt, auch Eleonora Duse, bereiten den Weg, den Frauen wie Weigel oder Carola Neher später weiter beschreiten. Auf diesem Weg wird auch deutlich, wie viel politischer Kunst im 20. Jahrhundert wird, nicht zuletzt auch dadurch, dass sie die soziale Rolle der Frau wesentlich stärker durchdringt als in vorhergehenden Epochen.
© BÜCHERmagazin, Carsten Tergast (ct)
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.12.2017Der Weg führt über die Frauen
Karin Wieland deutet die Verbindung zweier Dichter
Wer Hugo von Hofmannsthal und Bertolt Brecht im Titel seines Buches nebeneinander nennt, braucht ein tertium comparationis, um das Staunen des Lesers, seinen Zweifel, ob denn da überhaupt eine Nähe auszumachen sei, zu beheben. Karin Wieland findet dies Argument für einen Vergleich der Unvergleichlichen in der "Erscheinung der modernen Frau", an deren Bild beide Dichter gearbeitet hätten. Die Zentren ihres Buches also sind nicht die beiden Dichter, sondern zwei Frauen, die Schauspielerinnen Gertrud Eysoldt und Carola Neher. Für die eine schrieb Hofmannsthal sein erstes Drama "Elektra"; Carola Neher hatte sich Brecht in der Rolle der Polly für die Uraufführung der "Dreigroschenoper" gedacht; der Auftritt der Schauspielerin aber, die mit dem "vagabundierenden Poeten" Klabund verheiratet war, kam wegen dessen Tod nicht zustande. Erst in späteren Aufführungen übernahm Neher diese Rolle und wurde damit berühmt.
Hofmannsthal hatte eine Aufführung von Brechts "Baal" gefördert; daraus zieht Karin Wieland den Schluss, dass beide Autoren vergleichbar sein müssten, denn beide hätten das Theater als "zentrale Instanz" der modernen Welt anerkannt: "Hofmannsthal und Brecht versuchen", so das Fazit Karin Wielands, "das Theater zu retten." Die Schauspieler - oder mehr noch und der These des Buches entsprechend: die Schauspielerinnen - seien für beide Autoren "beispielhaft moderne Menschen". Die Künstlerinnen Eysoldt und Neher, die gegen Widerstände - zu denen lange Zeit auch der allgemeine Zweifel an ihrem Talent gehörte - ihren Weg zur Bühne gegangen waren und schließlich Erfolge feiern konnten, seien Hofmannsthal und Brecht zu Allegorien der künstlerischen Existenz geworden.
Außer dieser Verbindung der beiden Schriftsteller, die Karin Wieland nur flüchtig andeutet, erzählt sie so manches aus deren Leben, sehr episodisch immer, so als traue sie der Konzentrationsfähigkeit des Lesers wenig zu. Zwei Lebensstile werden als zwei Blöcke unverbunden hintereinandergereiht. Aus Hofmannsthals Leben berichtet Wieland lediglich die skandalöse Begegnung mit George, der dem jungen Dichter nachstellte, so dass sich sogar Hofmannsthals Vater einschalten musste. Die Energie, mit der Brecht zum Theater drängt, ist das Thema des zweiten biographischen Teils. In beiden Abschnitten geht es um die Bewusstseins- und Stilbildung der jungen Autoren, die aber ganz unvergleichliche Wege gehen.
Lediglich zwei rätselhafte Sätze setzen die beiden Protagonisten miteinander in eine entfernte Beziehung, jene Sätze, mit denen die biographischen Abrisse beendet werden. Hofmannsthal entkommt Georges Werbung, indem er für eine Frau, Gertrud Eysoldt eben, die passende Rolle der Elektra schafft, was Karin Wieland mit der Formel kommentiert: "Er macht sich selbst zur Frau." So sei auch Brecht am Ende des Lebens ins Weibliche mutiert: Als 1971, sehr lange nach Brechts Tod, die nun selbst todkranke Helene Weigel zum letzten Mal "Die Mutter" spielt, interpretiert Wieland diese Konstellation so: "Er spricht aus ihr" - auch Brecht also überlebt als weibliche Stimme.
Man muss Wielands These vom "Geschlecht der Seele", von der Verwandlung der männlichen in eine weibliche, nicht allzu ernst nehmen, auch wenn der Auftritt der "modernen Frau", dieses historische Großereignis, Politik, Ökonomie und Kultur von Grund auf veränderte und das männliche Gemüt gewandelt haben mag. Gerade im Drama aber, und Wieland beschäftigt sich nur mit den dramatischen Werken der Autoren, sind Frauen von Sophokles und Euripides über Schiller, Goethe, Grillparzer bis zu Gerhart Hauptmann Stimmführerinnen der poetischen Aussage und Allegorien der Idee. Für Hofmannsthal mag Wielands These einer Art poetischer Geschlechtsumwandlung gerade noch gelten. Für Brecht ist sie falsch. Die dramatische Figur des starken Mannes, der nichts weiter ist als eben dies, könnte man geradezu als eine Erfindung dieses Autors verstehen.
Mit Karin Wieland lässt sich ohnehin so leicht nicht streiten, denn die gewichtige These im Titel ihres Buches verfolgt sie nur andeutungsweise. Besser als der theoretisch und psychologisch orientierte Leser passt zu diesem Buch der biographisch interessierte, der einiges über die Leben der beiden Schriftsteller erfahren möchte. Erzählungen, unterhaltende und schon viele Male erzählte, findet er genug. Sie vermischt Wieland, vor allem bei den biographischen Teilen über Brecht, mit kurzen Berichten über die Zeitläufte und politischen Zustände, und so entsteht ein Allerlei aus Anekdoten, zwischen denen sich manch gute Beobachtungen verstecken. Die modische Theorie, die der Titel behauptet, jene von der wesentlichen Weiblichkeit des Autors am Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts aber können diese fragmentarischen Lebensbilder nicht stützen.
HANNELORE SCHLAFFER
Karin Wieland: "Das Geschlecht der Seele". Hugo von Hofmannsthal, Bert Brecht und die Erscheinung der modernen Frau.
Carl Hanser Verlag, München 2017.
303 S., geb., 25,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Karin Wieland deutet die Verbindung zweier Dichter
Wer Hugo von Hofmannsthal und Bertolt Brecht im Titel seines Buches nebeneinander nennt, braucht ein tertium comparationis, um das Staunen des Lesers, seinen Zweifel, ob denn da überhaupt eine Nähe auszumachen sei, zu beheben. Karin Wieland findet dies Argument für einen Vergleich der Unvergleichlichen in der "Erscheinung der modernen Frau", an deren Bild beide Dichter gearbeitet hätten. Die Zentren ihres Buches also sind nicht die beiden Dichter, sondern zwei Frauen, die Schauspielerinnen Gertrud Eysoldt und Carola Neher. Für die eine schrieb Hofmannsthal sein erstes Drama "Elektra"; Carola Neher hatte sich Brecht in der Rolle der Polly für die Uraufführung der "Dreigroschenoper" gedacht; der Auftritt der Schauspielerin aber, die mit dem "vagabundierenden Poeten" Klabund verheiratet war, kam wegen dessen Tod nicht zustande. Erst in späteren Aufführungen übernahm Neher diese Rolle und wurde damit berühmt.
Hofmannsthal hatte eine Aufführung von Brechts "Baal" gefördert; daraus zieht Karin Wieland den Schluss, dass beide Autoren vergleichbar sein müssten, denn beide hätten das Theater als "zentrale Instanz" der modernen Welt anerkannt: "Hofmannsthal und Brecht versuchen", so das Fazit Karin Wielands, "das Theater zu retten." Die Schauspieler - oder mehr noch und der These des Buches entsprechend: die Schauspielerinnen - seien für beide Autoren "beispielhaft moderne Menschen". Die Künstlerinnen Eysoldt und Neher, die gegen Widerstände - zu denen lange Zeit auch der allgemeine Zweifel an ihrem Talent gehörte - ihren Weg zur Bühne gegangen waren und schließlich Erfolge feiern konnten, seien Hofmannsthal und Brecht zu Allegorien der künstlerischen Existenz geworden.
Außer dieser Verbindung der beiden Schriftsteller, die Karin Wieland nur flüchtig andeutet, erzählt sie so manches aus deren Leben, sehr episodisch immer, so als traue sie der Konzentrationsfähigkeit des Lesers wenig zu. Zwei Lebensstile werden als zwei Blöcke unverbunden hintereinandergereiht. Aus Hofmannsthals Leben berichtet Wieland lediglich die skandalöse Begegnung mit George, der dem jungen Dichter nachstellte, so dass sich sogar Hofmannsthals Vater einschalten musste. Die Energie, mit der Brecht zum Theater drängt, ist das Thema des zweiten biographischen Teils. In beiden Abschnitten geht es um die Bewusstseins- und Stilbildung der jungen Autoren, die aber ganz unvergleichliche Wege gehen.
Lediglich zwei rätselhafte Sätze setzen die beiden Protagonisten miteinander in eine entfernte Beziehung, jene Sätze, mit denen die biographischen Abrisse beendet werden. Hofmannsthal entkommt Georges Werbung, indem er für eine Frau, Gertrud Eysoldt eben, die passende Rolle der Elektra schafft, was Karin Wieland mit der Formel kommentiert: "Er macht sich selbst zur Frau." So sei auch Brecht am Ende des Lebens ins Weibliche mutiert: Als 1971, sehr lange nach Brechts Tod, die nun selbst todkranke Helene Weigel zum letzten Mal "Die Mutter" spielt, interpretiert Wieland diese Konstellation so: "Er spricht aus ihr" - auch Brecht also überlebt als weibliche Stimme.
Man muss Wielands These vom "Geschlecht der Seele", von der Verwandlung der männlichen in eine weibliche, nicht allzu ernst nehmen, auch wenn der Auftritt der "modernen Frau", dieses historische Großereignis, Politik, Ökonomie und Kultur von Grund auf veränderte und das männliche Gemüt gewandelt haben mag. Gerade im Drama aber, und Wieland beschäftigt sich nur mit den dramatischen Werken der Autoren, sind Frauen von Sophokles und Euripides über Schiller, Goethe, Grillparzer bis zu Gerhart Hauptmann Stimmführerinnen der poetischen Aussage und Allegorien der Idee. Für Hofmannsthal mag Wielands These einer Art poetischer Geschlechtsumwandlung gerade noch gelten. Für Brecht ist sie falsch. Die dramatische Figur des starken Mannes, der nichts weiter ist als eben dies, könnte man geradezu als eine Erfindung dieses Autors verstehen.
Mit Karin Wieland lässt sich ohnehin so leicht nicht streiten, denn die gewichtige These im Titel ihres Buches verfolgt sie nur andeutungsweise. Besser als der theoretisch und psychologisch orientierte Leser passt zu diesem Buch der biographisch interessierte, der einiges über die Leben der beiden Schriftsteller erfahren möchte. Erzählungen, unterhaltende und schon viele Male erzählte, findet er genug. Sie vermischt Wieland, vor allem bei den biographischen Teilen über Brecht, mit kurzen Berichten über die Zeitläufte und politischen Zustände, und so entsteht ein Allerlei aus Anekdoten, zwischen denen sich manch gute Beobachtungen verstecken. Die modische Theorie, die der Titel behauptet, jene von der wesentlichen Weiblichkeit des Autors am Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts aber können diese fragmentarischen Lebensbilder nicht stützen.
HANNELORE SCHLAFFER
Karin Wieland: "Das Geschlecht der Seele". Hugo von Hofmannsthal, Bert Brecht und die Erscheinung der modernen Frau.
Carl Hanser Verlag, München 2017.
303 S., geb., 25,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
"Wer glaubt, dass es im Verhältnis der Geschlechter meist mehrere Möglichkeiten gibt und dass davon besser mit Sinn für Nuancen geredet werden sollte, statt linearen Fortschritt zu konstruieren, der findet in diesem glänzend erzählten Buch eine Fülle aufschlussreicher Beobachtungen. (...) Überzeugend ist dieses Buch auch, weil es das Unvereinbare nebeneinander stehen lässt, unversöhnlich." Jens Bisky, Süddeutsche Zeitung, 28.11.17
"Ein elegant-essayistischer Stil und eine originelle Themenstellung." Hermann Schlösser, Wiener Zeiung, 03.02.18
"Dieses stilistisch brillante Buch erinnert daran, dass Theater ein Ort sein kann, der Fraunen stark macht." Wolfgang Kralicek, Falter, 14.03.18
"Ein elegant-essayistischer Stil und eine originelle Themenstellung." Hermann Schlösser, Wiener Zeiung, 03.02.18
"Dieses stilistisch brillante Buch erinnert daran, dass Theater ein Ort sein kann, der Fraunen stark macht." Wolfgang Kralicek, Falter, 14.03.18