Beatrice und Henry - eine Liebesgeschichte die Fragen stellt: Was wird aus der Liebe im Alltag und im Alter? Wie nahe können sich Menschen wirklich kommen? Warum produziert lebenslange Nähe oft Haß? Die Antwort ist eine virtuos erzählte, keinen Abgrund, keine Grausamkeit, keine Aggression auslassende Geschichte einer Ehe. Ein frappierend ehrliches Buch, das dennoch das Hohelied der Liebe singt.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 30.11.1996Backfisch mit Goldrand
Die Liebe in ganz Amerika: Dale Peck kennt das Gesetz der Nähe
Es gibt hier kaum eine Schmuddeligkeit, kaum eine Trivialität, die dem Leser erspart würde. Doch jenseits aller Hingabe an die Langeweile des alltäglichen Elends, über die Fernsehen und Biertrinken nicht hinweghilft, schließt dieser artistisch durchkomponierte Roman an die bedeutendsten Exempel des erzählerischen Gelingens an. Je genauer sich Dale Peck auf die Biographien kleiner Leute zwischen Long Island und Ithaca im Staat New York einläßt, um so eindeutiger konzentriert er sich auf ein Thema. Denn was hier an subtilster Schilderung aller denkbaren Szenarien des Lebens aufgeboten wird, sammelt sich eigentlich nur im Kampf gegen einen altbösen Feind, den Tod.
In einem Erzählvorgang, der das Siechtum der Körper und der Seelen vor Augen führt, der dem Leser Haß, Brutalität und die Insignien der Trostlosigkeit in manchmal peinlicher Dichte zumutet, schafft dieser Autor Unglaubliches. Sein Werk huldigt dennoch dem Glanz der Liebe, die sich - auf Zeit zumindest - gegen alle Verzweiflung durchsetzt. Nicht daß dabei Sentimentalität bemüht oder die Banalität des Bösen mit Goldrändern ummalt würde. Dale Peck schreibt schonungslos, und er kennt das weite Spektrum menschlicher Zweisamkeit. Der blitzartig einsetzenden Liebesromanze steht das backfischhafte Partyerlebnis gegenüber, und die flüchtige Sexaffäre durchzieht alle Varianten des Ehekriegs und der ehelichen Trotteleien.
Schon die Figurenkonstellation des Beginns wirkt überraschend, und dies um so mehr, als das, was hier im kleinsten Kreis anhebt, bis zum Schluß des Romans durchgehalten, ja unerbittlich auf seine Konsequenzen hin überprüft wird. Die junge Frau Beatrice verliebt sich in Henry, der mit ihr das College besucht. Schon in dieser Liebe wirkt sich das Faszinosum des Todes aus, dem Beatrice einst bei der Pflege ihres schließlich in monströser Lieblosigkeit hinsterbenden Vaters begegnete. Henry ist kahlköpfig. Eine Geschwulst am Hinterhaupt zeichnet ihn als Todgeweihten, dem die Fama sogar andichtet, er sei an Aids erkrankt. Nicht daß Henry schließlich doch durch eine Operation geheilt wird, ist von Belang. Vielmehr zeigt Peck in der überraschenden Bindung zweier junger Menschen das Weiterwirken der Vergangenheit in einer Frau, die in ihrer Liebe nachholt, was sie wie auch ihr Freund bisher niemals empfinden durfte.
Daß die Romanze in eine Ehe mündet, wäre kaum erwähnenswert, würde es Peck nicht gerade darauf anlegen, die Geschichte dieser Ehe im Verlauf von vierzig Jahren zu gestalten. Bereits im zweiten Kapitel wird der Leser weitab in das waldige Hügelland und zu einem schäbigen "Trailer" geführt, den Bea und Hank, alias Beatrice und Henry, als mittlerweile gealterte Hauptfiguren aufsuchen. Hier leben Stan und Myra, alte Freunde. Stan stirbt an der Krankheit, der Henry einst entging, und später entschließen sich Bea und Hank, neben Myras Wohnwagen ihren Alterssitz zu errichten. Die Geschichte dieses Alterssitzes wird zum Gleichnis ehelicher Zwistigkeiten und grotesker Folgen verschiedener Lebensstile. Denn nicht einmal über die elementare Angleichung der Raummaße können sich die halbkranken Ruheständler einigen.
Auch was sonst geschieht, hält sich vom Spektakulären fern. Denn Peck hangelt sich in Verschränkung der Zeitperspektiven eigentlich nur an der Geschichte beider Paare entlang. Zu studieren ist dabei die Feinnervigkeit, mit der die Phasen und Konflikte des Alterns wahrgenommen werden. Vor einer grandiosen Landschaft vollzieht sich schließlich das kleine Drama einer Dreierbeziehung. Die einsame Myra, die aus Verzweiflung manchmal mit dem Schrotgewehr in die Luft schießt, gehört zum Haushalt jenes melancholischen Paares, das in der Erinnerung des Lesers mit den Bildfolgen jugendlicher Hingabe verschmilzt. In erzählerischer Filigranarbeit besteht Peck darauf, diese altgewordene Liebe in den hilflosen Gesten der Zärtlichkeit aufzuspüren.
Dieser vielgliedrigen Liebesgeschichte ist als Mittelteil eine Icherzählung eingelagert, in der Peck von den verworrenen Vergangenheiten der eigenen Familie erzählt. Hier besonders kommt das Nebenthema zur Geltung, das komplexe Verhältnis der Jungen zu den Alten, und hier erlaubt sich der Erzähler die Reflexion, die sonst in der Gesinnungslosigkeit allseitiger Bedrängnisse fast an den Rand gerückt erscheint, das Bedenken des Sterbens als entscheidender Daseinsperspektive. Der Erzählton oszilliert zwischen dem Rückblick auf verjährte Sünden und jener Freiheit, die sich, selten genug, zum Einverständnis auch mit den schmerzlichen Widersprüchen der Elterngeneration bereitfindet.
Die Sprache dieses Romans paßt sich virtuos jener Mischung von Bildererinnerungen und Gefühlswellen an, in der sich die kategoriale Ungreifbarkeit des Lebens zwischen Trauer, Verzweiflung, Glücksempfinden und Resignation versinnlicht: "Mein Vater war ein schnarchendes Wrack zu meiner Linken, und die Archäologie seines Lebens lag in Trümmern zu meinen Füßen. Vermutlich habe ich ihn in jenen Augenblicken nach dem Reden am meisten geliebt, und ich zitterte neben ihm, beschützte ihn irgendwie, und ich blieb wach, bis er erwachte und uns den Rest des Weges nach Hause fuhr."
Dale Peck, der in New York lebt, ist erst neunundzwanzig Jahre alt. Daß er die Vielfalt einer zwischen Liebe und Tod gespannten Erfahrungswirklichkeit in fesselnden Szenen verdichtet und zugleich über alle Scheinprobleme hin zum eigentlichen Thema erhebt, ist bewundernswert. Nur gelegentlich kommt ihm seine Neigung in die Quere, Figuren an der Marionettenschnur des Erzählers tanzen zu lassen, statt sie in ihrer Eigentlichkeit vorzustellen. Wenn etwa eine bissige Bemerkung Stans gegen die Schwarzen vom Erzähler ausdrücklich als "rassistisch" charakterisiert wird, hört man im Kopf eines großen Romanciers die Zensurscheren der political correctness klappern. Doch das sind Marginalien.
Romane, die Seelenprobleme des amerikanischen Kleinbürgertums inszenieren, gibt es genug. Peck bleibt bei solchen Breitwandgemälden nicht stehen. Sein Roman lebt nicht nur von den satten Farben des Milieus, sondern zugleich von den Rätseln, den traurigen Gewißheiten und den doch zäh verteidigten Hoffnungen inmitten fragloser Erbärmlichkeit. WILHELM KÜHLMANN
Dale Peck: "Das Gesetz der Nähe". Roman. Aus dem Amerikanischen übersetzt von Hans J. Becker. Luchterhand Literaturverlag, München 1996. 428 S., geb., 39,80 DM.
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Die Liebe in ganz Amerika: Dale Peck kennt das Gesetz der Nähe
Es gibt hier kaum eine Schmuddeligkeit, kaum eine Trivialität, die dem Leser erspart würde. Doch jenseits aller Hingabe an die Langeweile des alltäglichen Elends, über die Fernsehen und Biertrinken nicht hinweghilft, schließt dieser artistisch durchkomponierte Roman an die bedeutendsten Exempel des erzählerischen Gelingens an. Je genauer sich Dale Peck auf die Biographien kleiner Leute zwischen Long Island und Ithaca im Staat New York einläßt, um so eindeutiger konzentriert er sich auf ein Thema. Denn was hier an subtilster Schilderung aller denkbaren Szenarien des Lebens aufgeboten wird, sammelt sich eigentlich nur im Kampf gegen einen altbösen Feind, den Tod.
In einem Erzählvorgang, der das Siechtum der Körper und der Seelen vor Augen führt, der dem Leser Haß, Brutalität und die Insignien der Trostlosigkeit in manchmal peinlicher Dichte zumutet, schafft dieser Autor Unglaubliches. Sein Werk huldigt dennoch dem Glanz der Liebe, die sich - auf Zeit zumindest - gegen alle Verzweiflung durchsetzt. Nicht daß dabei Sentimentalität bemüht oder die Banalität des Bösen mit Goldrändern ummalt würde. Dale Peck schreibt schonungslos, und er kennt das weite Spektrum menschlicher Zweisamkeit. Der blitzartig einsetzenden Liebesromanze steht das backfischhafte Partyerlebnis gegenüber, und die flüchtige Sexaffäre durchzieht alle Varianten des Ehekriegs und der ehelichen Trotteleien.
Schon die Figurenkonstellation des Beginns wirkt überraschend, und dies um so mehr, als das, was hier im kleinsten Kreis anhebt, bis zum Schluß des Romans durchgehalten, ja unerbittlich auf seine Konsequenzen hin überprüft wird. Die junge Frau Beatrice verliebt sich in Henry, der mit ihr das College besucht. Schon in dieser Liebe wirkt sich das Faszinosum des Todes aus, dem Beatrice einst bei der Pflege ihres schließlich in monströser Lieblosigkeit hinsterbenden Vaters begegnete. Henry ist kahlköpfig. Eine Geschwulst am Hinterhaupt zeichnet ihn als Todgeweihten, dem die Fama sogar andichtet, er sei an Aids erkrankt. Nicht daß Henry schließlich doch durch eine Operation geheilt wird, ist von Belang. Vielmehr zeigt Peck in der überraschenden Bindung zweier junger Menschen das Weiterwirken der Vergangenheit in einer Frau, die in ihrer Liebe nachholt, was sie wie auch ihr Freund bisher niemals empfinden durfte.
Daß die Romanze in eine Ehe mündet, wäre kaum erwähnenswert, würde es Peck nicht gerade darauf anlegen, die Geschichte dieser Ehe im Verlauf von vierzig Jahren zu gestalten. Bereits im zweiten Kapitel wird der Leser weitab in das waldige Hügelland und zu einem schäbigen "Trailer" geführt, den Bea und Hank, alias Beatrice und Henry, als mittlerweile gealterte Hauptfiguren aufsuchen. Hier leben Stan und Myra, alte Freunde. Stan stirbt an der Krankheit, der Henry einst entging, und später entschließen sich Bea und Hank, neben Myras Wohnwagen ihren Alterssitz zu errichten. Die Geschichte dieses Alterssitzes wird zum Gleichnis ehelicher Zwistigkeiten und grotesker Folgen verschiedener Lebensstile. Denn nicht einmal über die elementare Angleichung der Raummaße können sich die halbkranken Ruheständler einigen.
Auch was sonst geschieht, hält sich vom Spektakulären fern. Denn Peck hangelt sich in Verschränkung der Zeitperspektiven eigentlich nur an der Geschichte beider Paare entlang. Zu studieren ist dabei die Feinnervigkeit, mit der die Phasen und Konflikte des Alterns wahrgenommen werden. Vor einer grandiosen Landschaft vollzieht sich schließlich das kleine Drama einer Dreierbeziehung. Die einsame Myra, die aus Verzweiflung manchmal mit dem Schrotgewehr in die Luft schießt, gehört zum Haushalt jenes melancholischen Paares, das in der Erinnerung des Lesers mit den Bildfolgen jugendlicher Hingabe verschmilzt. In erzählerischer Filigranarbeit besteht Peck darauf, diese altgewordene Liebe in den hilflosen Gesten der Zärtlichkeit aufzuspüren.
Dieser vielgliedrigen Liebesgeschichte ist als Mittelteil eine Icherzählung eingelagert, in der Peck von den verworrenen Vergangenheiten der eigenen Familie erzählt. Hier besonders kommt das Nebenthema zur Geltung, das komplexe Verhältnis der Jungen zu den Alten, und hier erlaubt sich der Erzähler die Reflexion, die sonst in der Gesinnungslosigkeit allseitiger Bedrängnisse fast an den Rand gerückt erscheint, das Bedenken des Sterbens als entscheidender Daseinsperspektive. Der Erzählton oszilliert zwischen dem Rückblick auf verjährte Sünden und jener Freiheit, die sich, selten genug, zum Einverständnis auch mit den schmerzlichen Widersprüchen der Elterngeneration bereitfindet.
Die Sprache dieses Romans paßt sich virtuos jener Mischung von Bildererinnerungen und Gefühlswellen an, in der sich die kategoriale Ungreifbarkeit des Lebens zwischen Trauer, Verzweiflung, Glücksempfinden und Resignation versinnlicht: "Mein Vater war ein schnarchendes Wrack zu meiner Linken, und die Archäologie seines Lebens lag in Trümmern zu meinen Füßen. Vermutlich habe ich ihn in jenen Augenblicken nach dem Reden am meisten geliebt, und ich zitterte neben ihm, beschützte ihn irgendwie, und ich blieb wach, bis er erwachte und uns den Rest des Weges nach Hause fuhr."
Dale Peck, der in New York lebt, ist erst neunundzwanzig Jahre alt. Daß er die Vielfalt einer zwischen Liebe und Tod gespannten Erfahrungswirklichkeit in fesselnden Szenen verdichtet und zugleich über alle Scheinprobleme hin zum eigentlichen Thema erhebt, ist bewundernswert. Nur gelegentlich kommt ihm seine Neigung in die Quere, Figuren an der Marionettenschnur des Erzählers tanzen zu lassen, statt sie in ihrer Eigentlichkeit vorzustellen. Wenn etwa eine bissige Bemerkung Stans gegen die Schwarzen vom Erzähler ausdrücklich als "rassistisch" charakterisiert wird, hört man im Kopf eines großen Romanciers die Zensurscheren der political correctness klappern. Doch das sind Marginalien.
Romane, die Seelenprobleme des amerikanischen Kleinbürgertums inszenieren, gibt es genug. Peck bleibt bei solchen Breitwandgemälden nicht stehen. Sein Roman lebt nicht nur von den satten Farben des Milieus, sondern zugleich von den Rätseln, den traurigen Gewißheiten und den doch zäh verteidigten Hoffnungen inmitten fragloser Erbärmlichkeit. WILHELM KÜHLMANN
Dale Peck: "Das Gesetz der Nähe". Roman. Aus dem Amerikanischen übersetzt von Hans J. Becker. Luchterhand Literaturverlag, München 1996. 428 S., geb., 39,80 DM.
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