Irland 1846: Für den fünfzehnjährigen Fergus ist Flucht keine Wahl, sondern eine Notwendigkeit. Er wird aus seinem Zuhause vertrieben und verliert nicht nur seine Familie, sondern alles, was er jemals liebte. Damit beginnt eine abenteuerliche Reise, die ihn von der Westküste Irlands zu den Docks und Bordellen Liverpools und schließlich sogar auf die andere Seite der Welt führt.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 28.01.2008Fergus, der Simplizissimus
Peter Behrens besingt das hungernde, alte Irland
Mi an ocrais ist gälisch; es bedeutet "der hungrige Monat", die Wochen vor der Kartoffelernte, die Zeit, als irische Landpächter sich von Suppen aus Nesseln und Wiesenkräutern ernährten. Doch im Herbst 1848 gibt es nichts zu ernten, die Kartoffeln verfaulen in der Erde. Und die bitterarmen Pächter werden mitsamt ihren vielen Kindern aus ihren Hütten vertrieben, weil sie die Pacht nicht zahlen können und der Bauer auf ihren steinigen Feldern Schafe weiden lassen will. Mehr als zwei Millionen Iren verließen Mitte des neunzehnten Jahrhunderts die von Missernten und der Kartoffelkrankheit heimgesuchte Insel, Hunderttausende verhungerten.
Peter Behrens, väterlicherseits deutscher Herkunft, aber in Montreal geboren, schrieb bisher Drehbücher und Kurzgeschichten. "Das Gesetz der Träume" ist sein erster Roman. Er erhielt dafür gleich den höchsten kanadischen Literaturpreis und einen guten Platz auf angelsächsischen Bestsellerlisten. Sein Urgroßvater O'Brian gehörte zu den Iren, die während der Hungerzeit nach Kanada auswanderten und ewig an Heimweh litten.
Die dramatische Geschichte des fünfzehnjährigen Fergus hat für Peter Behrens also auch einen familiären Hintergrund. Er erzählt sie atemlos mit kurzen Sätzen. Oft überbieten sich die dramatischen Episoden geradezu an Brutalität und Horror. Das Abfackeln der Hütte, in der Fergus' halbverhungerte Eltern und Schwestern verbrennen, weil sie zu schwach sind, um sich retten zu können, ist keineswegs die schrecklichste Szene. Doch es gibt dann auch wieder stille Passagen von idyllischer Schönheit und poetischer Sprachkraft, Landschaftsbilder etwa oder die Gefühle des verwaisten Jungen, der sich in seine eigene Phantasiewelt zurückzieht und sich nach Liebe und Geborgenheit sehnt.
Wer wie Fergus alles verloren hat, landet im Armenhaus, wo niemand satt wird und das Schwarze Fieber ausgebrochen ist. Fergus gelingt es zu fliehen, ehe auch er, mit Kalk bestreut, zu den Toten ins Massengrab gekippt wird. Er schließt sich einer Bande von zerlumpten Kindern an, die auf ihren Raubzügen nach Essbarem auch vor Mord nicht zurückschrecken. Fergus verliebt sich in das Mädchen, das sie anführt. Sexualität bedeutet für die beiden Jugendlichen das Gefühl, lebendig zu sein, und zugleich Erlösung von der Einsamkeit. Doch der Tod ist allgegenwärtig. Der Überfall auf den Hof des Bauern, der die Hütte von Fergus' Eltern abfackeln und die Wände mit Balken rammen ließ, ist nicht nur ein Racheakt; er steigert sich zu einer Orgie von Gewalt, Blut, Mordlust und Verzweiflung. Fergus entkommt dem Massaker als Einziger. Wie Grimmelshausens Simplizissimus übersteht er nicht nur diese, sondern auch alle weiteren Katastrophen. Für kurze Zeit findet er immer wieder erfahrene und hilfsbereite Gefährten, meistens sind es Landsleute. Da er mit Tieren umgehen kann, gelangt er als Viehtreiber bis nach Dublin. Dort werden Rinder und Schafe nach England verfrachtet. Iren haben schon monatelang kein Fleisch mehr zu essen gehabt. Fergus drängt sich zwischen die fetten Hammel an Bord mit dem Ziel Liverpool. Ein Bordell, in das er durch Zufall gerät, ist die nächste Station. Doch als "Puppenjunge" will er nicht enden. Sobald er kräftig genug ist, verdingt er sich für einen Hungerlohn beim Tunnelbau für die Eisenbahn.
Ähnlich, wie sein Landsmann Michael Ondaatje in seinem Roman "In der Haut des Löwen" die erste Einwanderergeneration in Kanada beschreibt, zeichnet auch Peter Behrens in grellen Farben die menschenunwürdigen Lebensbedingungen der Tunnelarbeiter. Sie unterscheiden sich kaum von denen der klapperdürren Pferde, die die Loren mit Gestein und Erde ziehen müssen. Geschunden, bis sie zusammenbrechen, werden sie schließlich vom Vorarbeiter erschossen. Fergus muss ein Inferno von Brutalität und Betrug ertragen, ehe er endlich das Geld für die Passage im Zwischendeck eines Auswandererschiffs nach Kanada zusammengespart hat. Härter, aber auch skrupellos geworden, beginnt er seinen Weg in die Neue Welt.
"Das Gesetz der Träume" ist eine weitere irische Ballade vom Tod und Überleben in dunkelster Zeit und vom Exodus nach Übersee, ein Trauma, das auch spätere Generationen noch verfolgt. Peter Behrens hält die Spannung seines dickleibigen Romans, der manchmal auch zu einem Schmöker ausufert, bis zuletzt durch. In Brigitte Walitzek hat er eine Übersetzerin gefunden, die sich seinem epischen Tonfall anpassen kann.
MARIA FRISÉ
Peter Behrens: "Das Gesetz der Träume".
Roman. Aus dem Englischen übersetzt von
Brigitte Walitzek. Verlag Schöffling & Co.,
Frankfurt am Main 2008. 556 S., geb., 24,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Peter Behrens besingt das hungernde, alte Irland
Mi an ocrais ist gälisch; es bedeutet "der hungrige Monat", die Wochen vor der Kartoffelernte, die Zeit, als irische Landpächter sich von Suppen aus Nesseln und Wiesenkräutern ernährten. Doch im Herbst 1848 gibt es nichts zu ernten, die Kartoffeln verfaulen in der Erde. Und die bitterarmen Pächter werden mitsamt ihren vielen Kindern aus ihren Hütten vertrieben, weil sie die Pacht nicht zahlen können und der Bauer auf ihren steinigen Feldern Schafe weiden lassen will. Mehr als zwei Millionen Iren verließen Mitte des neunzehnten Jahrhunderts die von Missernten und der Kartoffelkrankheit heimgesuchte Insel, Hunderttausende verhungerten.
Peter Behrens, väterlicherseits deutscher Herkunft, aber in Montreal geboren, schrieb bisher Drehbücher und Kurzgeschichten. "Das Gesetz der Träume" ist sein erster Roman. Er erhielt dafür gleich den höchsten kanadischen Literaturpreis und einen guten Platz auf angelsächsischen Bestsellerlisten. Sein Urgroßvater O'Brian gehörte zu den Iren, die während der Hungerzeit nach Kanada auswanderten und ewig an Heimweh litten.
Die dramatische Geschichte des fünfzehnjährigen Fergus hat für Peter Behrens also auch einen familiären Hintergrund. Er erzählt sie atemlos mit kurzen Sätzen. Oft überbieten sich die dramatischen Episoden geradezu an Brutalität und Horror. Das Abfackeln der Hütte, in der Fergus' halbverhungerte Eltern und Schwestern verbrennen, weil sie zu schwach sind, um sich retten zu können, ist keineswegs die schrecklichste Szene. Doch es gibt dann auch wieder stille Passagen von idyllischer Schönheit und poetischer Sprachkraft, Landschaftsbilder etwa oder die Gefühle des verwaisten Jungen, der sich in seine eigene Phantasiewelt zurückzieht und sich nach Liebe und Geborgenheit sehnt.
Wer wie Fergus alles verloren hat, landet im Armenhaus, wo niemand satt wird und das Schwarze Fieber ausgebrochen ist. Fergus gelingt es zu fliehen, ehe auch er, mit Kalk bestreut, zu den Toten ins Massengrab gekippt wird. Er schließt sich einer Bande von zerlumpten Kindern an, die auf ihren Raubzügen nach Essbarem auch vor Mord nicht zurückschrecken. Fergus verliebt sich in das Mädchen, das sie anführt. Sexualität bedeutet für die beiden Jugendlichen das Gefühl, lebendig zu sein, und zugleich Erlösung von der Einsamkeit. Doch der Tod ist allgegenwärtig. Der Überfall auf den Hof des Bauern, der die Hütte von Fergus' Eltern abfackeln und die Wände mit Balken rammen ließ, ist nicht nur ein Racheakt; er steigert sich zu einer Orgie von Gewalt, Blut, Mordlust und Verzweiflung. Fergus entkommt dem Massaker als Einziger. Wie Grimmelshausens Simplizissimus übersteht er nicht nur diese, sondern auch alle weiteren Katastrophen. Für kurze Zeit findet er immer wieder erfahrene und hilfsbereite Gefährten, meistens sind es Landsleute. Da er mit Tieren umgehen kann, gelangt er als Viehtreiber bis nach Dublin. Dort werden Rinder und Schafe nach England verfrachtet. Iren haben schon monatelang kein Fleisch mehr zu essen gehabt. Fergus drängt sich zwischen die fetten Hammel an Bord mit dem Ziel Liverpool. Ein Bordell, in das er durch Zufall gerät, ist die nächste Station. Doch als "Puppenjunge" will er nicht enden. Sobald er kräftig genug ist, verdingt er sich für einen Hungerlohn beim Tunnelbau für die Eisenbahn.
Ähnlich, wie sein Landsmann Michael Ondaatje in seinem Roman "In der Haut des Löwen" die erste Einwanderergeneration in Kanada beschreibt, zeichnet auch Peter Behrens in grellen Farben die menschenunwürdigen Lebensbedingungen der Tunnelarbeiter. Sie unterscheiden sich kaum von denen der klapperdürren Pferde, die die Loren mit Gestein und Erde ziehen müssen. Geschunden, bis sie zusammenbrechen, werden sie schließlich vom Vorarbeiter erschossen. Fergus muss ein Inferno von Brutalität und Betrug ertragen, ehe er endlich das Geld für die Passage im Zwischendeck eines Auswandererschiffs nach Kanada zusammengespart hat. Härter, aber auch skrupellos geworden, beginnt er seinen Weg in die Neue Welt.
"Das Gesetz der Träume" ist eine weitere irische Ballade vom Tod und Überleben in dunkelster Zeit und vom Exodus nach Übersee, ein Trauma, das auch spätere Generationen noch verfolgt. Peter Behrens hält die Spannung seines dickleibigen Romans, der manchmal auch zu einem Schmöker ausufert, bis zuletzt durch. In Brigitte Walitzek hat er eine Übersetzerin gefunden, die sich seinem epischen Tonfall anpassen kann.
MARIA FRISÉ
Peter Behrens: "Das Gesetz der Träume".
Roman. Aus dem Englischen übersetzt von
Brigitte Walitzek. Verlag Schöffling & Co.,
Frankfurt am Main 2008. 556 S., geb., 24,90 [Euro].
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 17.04.2008Der Kartoffelpesthauch
Ein Debüt aus Kanada: Peter Behrens’ „Das Gesetz der Träume”
Der Debütroman des Kanadiers Peter Behrens hat alles, was eine Filmvorlage braucht: den jugendlichen Helden Fergus, der einer armen irischen Pächterfamilie entstammt, einen hartherzigen Pachtherren, eine Hungerkatastrophe, Seuchen und eine Odyssee, die den verwaisten Protagonisten in ein Armenhaus, in eine Bande jugendlicher Landstreicher, in ein Liverpooler Bordell und schließlich in die Reihen jener Arbeiter führt, die England Mitte des 19. Jahrhunderts mit Eisenbahnlinien durchziehen. Dann wandert Fergus nach Kanada aus, aber Hunger und Seuchen folgen den Söhnen und Töchtern Irlands bis ins Zwischendeck. Fergus hat Glück und findet einen Mentor, der die neue Welt kennt, und den er am Ende ganz unbürokratisch beerbt, um ein Glück zu suchen, das jenseits des hinteren Buchdeckels liegt.
Weil das Herz immer mitliest, gibt es zudem gleich drei Liebesgeschichten: Eine naiv-unschuldige mit der Pächtertochter Phoebe, eine wild-verzweifelte mit der knabenhaften Luke, die ihre Jugendbande in ein aussichtsloses Gefecht führen wird, das gleich zwei dieser Geschichten beendet. Und eine höchst wechselvolle mit der Eisenbahnerbraut Molly, die Fergus aufs Schiff, aber nicht an Land begleitet. Peter Behrens arbeitet als Drehbuchautor in Hollywood. Jede Station seiner Geschichte hat eine neue, eindrucksvolle Kulisse: Die Hütte der Eltern, die über den Sterbenden angezündet wird. Das Armenhaus, und den Sumpf, in dem sich die „Bog Boys” verstecken. Den Hof des Pachtherren, den die Bande überfällt. Das Bordell, in dem Fergus für männliche Gäste mit speziellen Neigungen hergerichtet wird. Das Camp der Eisenbahnarbeiter. Das Auswandererschiff. Was geschieht, läuft jeweils auf einen Cliffhanger hinaus, nach dessen Meisterung Fergus weiterzieht.
Eine sehr schnelle Kugelbüchse
Wer spannende Unterhaltung sucht oder immer schon wissen wollte, warum es in Nordamerika so viele irische Namen gibt, wird dieses Buch gerne und mit Gewinn lesen. Wer es lieber etwas subtiler hätte, sieht sich jedoch mit einem Problem konfrontiert, das in vielen Debüts auftritt: Mit einem allmächtigen Erzähler, der allzu leicht über seine Gestalten und Geschichten verfügen zu können glaubt. Kaum ist die drohende Kartoffelpest erwähnt, weht auch schon Verwesungsgestank zu den Hütten herüber: „An seinem Acker angekommen, sah Fergus, dass seine Pflanzen, am Morgen noch gesund und grün, jetzt völlig schlaff und schwarz waren.” Und ein wenig Fleisch kommt so in den Topf der Bog Boys: „Als Johnny Grace, einer der Jungen, einen Hasen aufscheuchte, erlegte Shamie das davonflitzende Tier mit einem einzigen Schuss”. Jeder Jäger, der mit seiner Schrotflinte gefehlt hat, kann da nur neidisch werden, denn der Meisterschuss kam aus einer Kugelbüchse, bei der es sich zudem um einen militärischen Vorderlader handelte.
Erstaunlich ist auch, wie schnell der fast verhungerte Fergus wieder problemlos ein Schinkensandwich verzehren kann. Kurzum: Peter Behrens erzählt mehr, als er wirklich zu zeigen, zu entwickeln vermag. Hungern, Kranksein, Schießen, Sterben und Genesen – alles geht bei ihm zu schnell und zu leicht, und die Behändigkeit, mit der sich Fergus auf Pferde und Schiffsmasten schwingt, erinnert sehr an den vielseitig talentierten Mr. Shatterhand. Und was an impliziter Darstellung fehlt, sollen explizite Sentenzen ersetzen: „Deine Toten wollen eine Antwort, aber alles, was du hast, ist die Erinnerung – und die Straße.” Das liefert nicht die ersehnte Vertiefung. Es klingt eher nach deutschsprachiger Rockpoesie. ULRICH BARON
PETER BEHRENS: Das Gesetz der Träume. Aus dem Englischen von Brigitte Walitzek. Verlag Schöffling & Co, Frankfurt am Main. 2008. 556 Seiten, 24,90 Euro.
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Ein Debüt aus Kanada: Peter Behrens’ „Das Gesetz der Träume”
Der Debütroman des Kanadiers Peter Behrens hat alles, was eine Filmvorlage braucht: den jugendlichen Helden Fergus, der einer armen irischen Pächterfamilie entstammt, einen hartherzigen Pachtherren, eine Hungerkatastrophe, Seuchen und eine Odyssee, die den verwaisten Protagonisten in ein Armenhaus, in eine Bande jugendlicher Landstreicher, in ein Liverpooler Bordell und schließlich in die Reihen jener Arbeiter führt, die England Mitte des 19. Jahrhunderts mit Eisenbahnlinien durchziehen. Dann wandert Fergus nach Kanada aus, aber Hunger und Seuchen folgen den Söhnen und Töchtern Irlands bis ins Zwischendeck. Fergus hat Glück und findet einen Mentor, der die neue Welt kennt, und den er am Ende ganz unbürokratisch beerbt, um ein Glück zu suchen, das jenseits des hinteren Buchdeckels liegt.
Weil das Herz immer mitliest, gibt es zudem gleich drei Liebesgeschichten: Eine naiv-unschuldige mit der Pächtertochter Phoebe, eine wild-verzweifelte mit der knabenhaften Luke, die ihre Jugendbande in ein aussichtsloses Gefecht führen wird, das gleich zwei dieser Geschichten beendet. Und eine höchst wechselvolle mit der Eisenbahnerbraut Molly, die Fergus aufs Schiff, aber nicht an Land begleitet. Peter Behrens arbeitet als Drehbuchautor in Hollywood. Jede Station seiner Geschichte hat eine neue, eindrucksvolle Kulisse: Die Hütte der Eltern, die über den Sterbenden angezündet wird. Das Armenhaus, und den Sumpf, in dem sich die „Bog Boys” verstecken. Den Hof des Pachtherren, den die Bande überfällt. Das Bordell, in dem Fergus für männliche Gäste mit speziellen Neigungen hergerichtet wird. Das Camp der Eisenbahnarbeiter. Das Auswandererschiff. Was geschieht, läuft jeweils auf einen Cliffhanger hinaus, nach dessen Meisterung Fergus weiterzieht.
Eine sehr schnelle Kugelbüchse
Wer spannende Unterhaltung sucht oder immer schon wissen wollte, warum es in Nordamerika so viele irische Namen gibt, wird dieses Buch gerne und mit Gewinn lesen. Wer es lieber etwas subtiler hätte, sieht sich jedoch mit einem Problem konfrontiert, das in vielen Debüts auftritt: Mit einem allmächtigen Erzähler, der allzu leicht über seine Gestalten und Geschichten verfügen zu können glaubt. Kaum ist die drohende Kartoffelpest erwähnt, weht auch schon Verwesungsgestank zu den Hütten herüber: „An seinem Acker angekommen, sah Fergus, dass seine Pflanzen, am Morgen noch gesund und grün, jetzt völlig schlaff und schwarz waren.” Und ein wenig Fleisch kommt so in den Topf der Bog Boys: „Als Johnny Grace, einer der Jungen, einen Hasen aufscheuchte, erlegte Shamie das davonflitzende Tier mit einem einzigen Schuss”. Jeder Jäger, der mit seiner Schrotflinte gefehlt hat, kann da nur neidisch werden, denn der Meisterschuss kam aus einer Kugelbüchse, bei der es sich zudem um einen militärischen Vorderlader handelte.
Erstaunlich ist auch, wie schnell der fast verhungerte Fergus wieder problemlos ein Schinkensandwich verzehren kann. Kurzum: Peter Behrens erzählt mehr, als er wirklich zu zeigen, zu entwickeln vermag. Hungern, Kranksein, Schießen, Sterben und Genesen – alles geht bei ihm zu schnell und zu leicht, und die Behändigkeit, mit der sich Fergus auf Pferde und Schiffsmasten schwingt, erinnert sehr an den vielseitig talentierten Mr. Shatterhand. Und was an impliziter Darstellung fehlt, sollen explizite Sentenzen ersetzen: „Deine Toten wollen eine Antwort, aber alles, was du hast, ist die Erinnerung – und die Straße.” Das liefert nicht die ersehnte Vertiefung. Es klingt eher nach deutschsprachiger Rockpoesie. ULRICH BARON
PETER BEHRENS: Das Gesetz der Träume. Aus dem Englischen von Brigitte Walitzek. Verlag Schöffling & Co, Frankfurt am Main. 2008. 556 Seiten, 24,90 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Peter Behrens "Gesetz der Träume" ist mit allem ausgestattet, was einen Hollywoodfilm ausmacht und so überrascht die Nachricht nicht, dass der kanadische Autor davon lebt, Drehbücher für die Traumfabrik zu verfassen, wie Ulrich Baron mitteilt. Es gibt in diesem Auswandererdrama um den armen Pächtersohn Fergus, der nach Kanada auswandert, um den elenden Bedingungen in Irland zu entfliehen, großartige Kulissen, leidenschaftliche Liebesgeschichten und wirkungsvolle "Cliffhanger" und so entsteht alles in allem ein fesselnder Unterhaltungsroman, in dem man einiges über die Auswanderungswelle armer Iren im 19. Jahrhundert erfährt, räumt der Rezensent ein. "Subtil" allerdings geht Behrens dabei nicht zu Werke und für Baron ergibt sich das Problem, dass der Autor mehr "erzählt", als er tatsächlich glaubwürdig aus der Geschichte "entwickelt". Und wenn Behrens dann mal auf Tiefsinn zielt, kommt doch nur so etwas wie "Rockpoesie" dabei heraus, so der Rezensent unbeeindruckt.
© Perlentaucher Medien GmbH
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