Ein Zeitalter wird besichtigt
Herausragende Persönlichkeiten prägten das 20. Jahrhundert im Guten wie im Schlechten, sie zerschlugen die gewohnte Ordnung und gaben der Weltgeschichte eine neue Richtung: "Monster" wie Hitler und Stalin, "Retter" wie Roosevelt und de Gaulle, Freiheitskämpfer wie Gandhi und Mandela. Eine faszinierende Porträtgalerie und das schillernde Gesamtbild einer bewegten Epoche.
Herausragende Persönlichkeiten prägten das 20. Jahrhundert im Guten wie im Schlechten, sie zerschlugen die gewohnte Ordnung und gaben der Weltgeschichte eine neue Richtung: "Monster" wie Hitler und Stalin, "Retter" wie Roosevelt und de Gaulle, Freiheitskämpfer wie Gandhi und Mandela. Eine faszinierende Porträtgalerie und das schillernde Gesamtbild einer bewegten Epoche.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 13.12.2010Minister verpasst Fußnote . . .
Meisterhafte Politikerporträts von Hans-Peter Schwarz
Das "Gesicht des Jahrhunderts als Abfolge von Gesichtern" porträtiert: so lautet der bestechend einfache Grundgedanke von Hans-Peter Schwarz. Als der emeritierte Politikwissenschaftler vor zwölf Jahren seinen Rundgang durch das politische Wachsfigurenkabinett des 20. Jahrhunderts erstmals veröffentlichte, sah die Welt anders aus. Im Weißen Haus regierte Bill Clinton, im Kreml Boris Jelzin. Helmut Kohl trat gerade von der Bonner (noch nicht der Berliner) Bühne ab. In London inszenierte Tony Blair ein neues Stück mit dem Titel "Cool Britannia". Chinas Aufstieg schien eine Sache ferner Zukunft. Die Vereinigten Staaten galten als unangefochtene Supermacht in einer unipolaren Weltordnung. In Manhattan ragten noch die Doppeltürme des World Trade Center in den Himmel. George W. Bush war der außerhalb Amerikas wenig bekannte Sohn eines Ex-Präsidenten, und Usama bin Ladin betätigte sich als Financier islamistischer Terrorakte, ohne dass die Weltöffentlichkeit Notiz von ihm nahm.
Die Verschiebungen, die sich seither ergeben haben, findet Schwarz marginal. Strukturen und Mentalitäten, wie er sie am Ende des 20. Jahrhunderts diagnostizierte, seien im Kern unverändert geblieben. Den entscheidenden Einschnitt datiert er auf die Jahre 1989 bis 1991 mit dem Zusammenbruch der kommunistischen Regime in Europa und der forcierten Einbeziehung Chinas in den globalen Kapitalismus, gefolgt von einer "spürbaren Erschlaffung" in den Ländern des Westens. Was danach kam, verdient in seinen Augen kein eigenes Kapitel mehr, sondern allenfalls einen lakonischen Abgesang. Auf Nachbesserungen und Aktualisierungen der aus seinen Bonner Vorlesungen hervorgegangenen biographischen Studien hat Schwarz mit dem Argument verzichtet, wenn Porträts einmal Eingang in eine Galerie gefunden hätten, verbiete sich jede Nachpinselei.
Dem Neues suchenden Leser bleiben nur 37 Seiten: "Skizzen zu einer kleinen Gruppe interessanter Persönlichkeiten", die nach 1998 die Weltbühne betraten. "Aprèslude" nennt der Autor diese unaufgeregte, aber nicht sorgenfreie Nachbetrachtung, wohl in Anspielung auf den letzten Gedichtband Gottfried Benns. Weltgeschichtliche Größe konstatiert Schwarz in diesen Passagen nirgendwo, weder im Guten noch im Bösen. Bin Ladins fundamentalistischen Terrorismus hält er für weitgehend entzaubert. Neuartig sei er ohnehin kaum gewesen, nur eine Spielart jenes ideologisch verblendeten Fanatismus, der in Europa schon früher revolutionäre Wirrköpfe marxistischer oder nationalistischer Couleur hervorgebracht habe. George W. Bush hat aus Schwarz' Sicht weder das Zeug zum Helden noch zum Bösewicht. Er verkörpere in seiner überforderten Mittelmäßigkeit die Aporien einer amerikanischen Sicherheitspolitik, "die den utopischen Idealismus nach Art Woodrow Wilsons mit dem machtpolitischen Realismus nach dem Vorbild Theodore Roosevelts zu verbinden suchte".
Schwarz ist ein Meister des biographischen Kurzessays. Stupende Belesenheit und die Fähigkeit zum weit gespannten Vergleich zeichnen ihn ebenso aus wie die Gabe bissiger Charakterisierung, ein Talent zur Reduktion auf das Wesentliche und die Kunst des anspielungsreichen Weglassens. Joschka Fischer taucht nicht einmal als Fußnote auf. Man braucht Schwarz nicht in allen Urteilen zu folgen, um zu bedauern, dass es Wissenschaftler seines Schlages kaum noch gibt. Die meisten Politologen arbeiten nicht mehr historisch-hermeneutisch, sondern empirisch-quantifizierend, während vielen Zeitgeschichtlern die Neigung zum politischen Urteil und zur typisierenden Zuspitzung fehlt. Dass der Autor seinen Vorlieben und Antipathien freien Lauf lässt, gehört zum Genre und steigert das Leser-Vergnügen. Gerhard Schröder handelt er als "Wetterfahne", grandiosen Wahlkämpfer und zum Schluss couragierten sozialpolitischen Neuerer auf knapp zwei Seiten ab. Angela Merkel erhält fast sechs Seiten, obwohl sie ebenfalls dem Typus des opportunistischen Reformers zugerechnet wird, "der so kann, aber auch anders". Christdemokraten kommen bei Schwarz in aller Regel selbst dann besser weg, wenn sie wie Tony Blair der falschen Partei angehören. Für prinzipienlose Wendehälse hat er aber auch rechts der Mitte nichts übrig. Nikolas Sarkozy zählt er wie Jacques Chirac zur Kategorie der "politischen Blender", die mit der Flugbereitschaft jede Woche zu einem anderen Krisengipfel hetzten und leer laufende Betriebsamkeit für große Politik hielten.
Die europäischen Politikerporträts durchzieht ein Dreiklang schwindsüchtiger Parteien, wachsender Medienmacht und mehr oder weniger deutlich ausgeprägter Reformverweigerung. Als Zukunftsperspektive des Kontinents dräuen Gestalten wie Silvio Berlusconi, die mit populistischen Parolen an lethargische, nach Amüsement gierende Wähler die entkräfteten Volksparteien verdrängen, ohne zentrale Probleme anzupacken. Da Schwarz auch die Vereinigten Staaten am Anfang eines schwer umkehrbaren Abstiegs wähnt und weder Indien noch Brasilien in seiner Schlussbilanz auftauchen, spricht für ihn viel dafür, dass die Welt in ein chinesisches Jahrhundert eintritt.
DOMINIK GEPPERT
Hans-Peter Schwarz: Das Gesicht des 20. Jahrhunderts. Monster, Retter, Mediokritäten. Pantheon Verlag, München 2010. 889 S., 19,99 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Meisterhafte Politikerporträts von Hans-Peter Schwarz
Das "Gesicht des Jahrhunderts als Abfolge von Gesichtern" porträtiert: so lautet der bestechend einfache Grundgedanke von Hans-Peter Schwarz. Als der emeritierte Politikwissenschaftler vor zwölf Jahren seinen Rundgang durch das politische Wachsfigurenkabinett des 20. Jahrhunderts erstmals veröffentlichte, sah die Welt anders aus. Im Weißen Haus regierte Bill Clinton, im Kreml Boris Jelzin. Helmut Kohl trat gerade von der Bonner (noch nicht der Berliner) Bühne ab. In London inszenierte Tony Blair ein neues Stück mit dem Titel "Cool Britannia". Chinas Aufstieg schien eine Sache ferner Zukunft. Die Vereinigten Staaten galten als unangefochtene Supermacht in einer unipolaren Weltordnung. In Manhattan ragten noch die Doppeltürme des World Trade Center in den Himmel. George W. Bush war der außerhalb Amerikas wenig bekannte Sohn eines Ex-Präsidenten, und Usama bin Ladin betätigte sich als Financier islamistischer Terrorakte, ohne dass die Weltöffentlichkeit Notiz von ihm nahm.
Die Verschiebungen, die sich seither ergeben haben, findet Schwarz marginal. Strukturen und Mentalitäten, wie er sie am Ende des 20. Jahrhunderts diagnostizierte, seien im Kern unverändert geblieben. Den entscheidenden Einschnitt datiert er auf die Jahre 1989 bis 1991 mit dem Zusammenbruch der kommunistischen Regime in Europa und der forcierten Einbeziehung Chinas in den globalen Kapitalismus, gefolgt von einer "spürbaren Erschlaffung" in den Ländern des Westens. Was danach kam, verdient in seinen Augen kein eigenes Kapitel mehr, sondern allenfalls einen lakonischen Abgesang. Auf Nachbesserungen und Aktualisierungen der aus seinen Bonner Vorlesungen hervorgegangenen biographischen Studien hat Schwarz mit dem Argument verzichtet, wenn Porträts einmal Eingang in eine Galerie gefunden hätten, verbiete sich jede Nachpinselei.
Dem Neues suchenden Leser bleiben nur 37 Seiten: "Skizzen zu einer kleinen Gruppe interessanter Persönlichkeiten", die nach 1998 die Weltbühne betraten. "Aprèslude" nennt der Autor diese unaufgeregte, aber nicht sorgenfreie Nachbetrachtung, wohl in Anspielung auf den letzten Gedichtband Gottfried Benns. Weltgeschichtliche Größe konstatiert Schwarz in diesen Passagen nirgendwo, weder im Guten noch im Bösen. Bin Ladins fundamentalistischen Terrorismus hält er für weitgehend entzaubert. Neuartig sei er ohnehin kaum gewesen, nur eine Spielart jenes ideologisch verblendeten Fanatismus, der in Europa schon früher revolutionäre Wirrköpfe marxistischer oder nationalistischer Couleur hervorgebracht habe. George W. Bush hat aus Schwarz' Sicht weder das Zeug zum Helden noch zum Bösewicht. Er verkörpere in seiner überforderten Mittelmäßigkeit die Aporien einer amerikanischen Sicherheitspolitik, "die den utopischen Idealismus nach Art Woodrow Wilsons mit dem machtpolitischen Realismus nach dem Vorbild Theodore Roosevelts zu verbinden suchte".
Schwarz ist ein Meister des biographischen Kurzessays. Stupende Belesenheit und die Fähigkeit zum weit gespannten Vergleich zeichnen ihn ebenso aus wie die Gabe bissiger Charakterisierung, ein Talent zur Reduktion auf das Wesentliche und die Kunst des anspielungsreichen Weglassens. Joschka Fischer taucht nicht einmal als Fußnote auf. Man braucht Schwarz nicht in allen Urteilen zu folgen, um zu bedauern, dass es Wissenschaftler seines Schlages kaum noch gibt. Die meisten Politologen arbeiten nicht mehr historisch-hermeneutisch, sondern empirisch-quantifizierend, während vielen Zeitgeschichtlern die Neigung zum politischen Urteil und zur typisierenden Zuspitzung fehlt. Dass der Autor seinen Vorlieben und Antipathien freien Lauf lässt, gehört zum Genre und steigert das Leser-Vergnügen. Gerhard Schröder handelt er als "Wetterfahne", grandiosen Wahlkämpfer und zum Schluss couragierten sozialpolitischen Neuerer auf knapp zwei Seiten ab. Angela Merkel erhält fast sechs Seiten, obwohl sie ebenfalls dem Typus des opportunistischen Reformers zugerechnet wird, "der so kann, aber auch anders". Christdemokraten kommen bei Schwarz in aller Regel selbst dann besser weg, wenn sie wie Tony Blair der falschen Partei angehören. Für prinzipienlose Wendehälse hat er aber auch rechts der Mitte nichts übrig. Nikolas Sarkozy zählt er wie Jacques Chirac zur Kategorie der "politischen Blender", die mit der Flugbereitschaft jede Woche zu einem anderen Krisengipfel hetzten und leer laufende Betriebsamkeit für große Politik hielten.
Die europäischen Politikerporträts durchzieht ein Dreiklang schwindsüchtiger Parteien, wachsender Medienmacht und mehr oder weniger deutlich ausgeprägter Reformverweigerung. Als Zukunftsperspektive des Kontinents dräuen Gestalten wie Silvio Berlusconi, die mit populistischen Parolen an lethargische, nach Amüsement gierende Wähler die entkräfteten Volksparteien verdrängen, ohne zentrale Probleme anzupacken. Da Schwarz auch die Vereinigten Staaten am Anfang eines schwer umkehrbaren Abstiegs wähnt und weder Indien noch Brasilien in seiner Schlussbilanz auftauchen, spricht für ihn viel dafür, dass die Welt in ein chinesisches Jahrhundert eintritt.
DOMINIK GEPPERT
Hans-Peter Schwarz: Das Gesicht des 20. Jahrhunderts. Monster, Retter, Mediokritäten. Pantheon Verlag, München 2010. 889 S., 19,99 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Schwer angetan ist Dominik Geppert von Hans-Peter Schwarz' Band "Das Gesicht des 20. Jahrhunderts". Dass das vor zwölf Jahren erstmals veröffentlichte Werk in der Neuauflage kaum Neues bietet - nur ein Kapitel von 37 Seiten mit dem Titel "Skizzen zu einer kleinen Gruppe interessanter Persönlichkeiten" -, stört den Rezensenten nicht. Den Grundgedanken, das "Gesicht des Jahrhunderts als Abfolge von Gesichtern" zu porträtieren (Schwarz), findet er "bestechend" einfach. Auch wenn er vielleicht nicht alle Urteile des Autors teilt, hat er das Buch mit größten Vergnügen gelesen. Er würdigt den emeritierten Politikwissenschaftler als Vertreter einer aussterbenden Spezies von Wissenschaftlern. Schwarz zeichnet sich für ihn aus durch enorme Belesenheit und seine Fähigkeit, zuzuspitzen, bissig zu charakterisieren und sich auf das Wesentlich zu beschränken. Auch dass der Autor seine Vorlieben und Antipathien keineswegs verschweigt, hat Geppert gefallen.
© Perlentaucher Medien GmbH
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