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Hat der Staat noch einen Sinn? Was wird die Globalisierung anrichten? Wird es weiter Kriege geben? Ist die Überbevölkerung eine Gefahr? Weltkultur - was könnte das sein? Einer der bedeutendsten Historiker der Gegenwart erklärt die aktuelle Geschichte: kurz und engagiert.
Kann aus der Vergangenheit gelernt werden? Wird es im 21. Jahrhundert weiterhin Kriege geben? Hat angesichts der globalen Entwicklungen der autonome Nationalstaat noch eine Zukunft? Welche Wirkung hat der globale Markt auf die Weltkultur? Wie können Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit weiterentwickelt…mehr

Produktbeschreibung
Hat der Staat noch einen Sinn? Was wird die Globalisierung anrichten? Wird es weiter Kriege geben? Ist die Überbevölkerung eine Gefahr? Weltkultur - was könnte das sein? Einer der bedeutendsten Historiker der Gegenwart erklärt die aktuelle Geschichte: kurz und engagiert.
Kann aus der Vergangenheit gelernt werden? Wird es im 21. Jahrhundert weiterhin Kriege geben? Hat angesichts der globalen Entwicklungen der autonome Nationalstaat noch eine Zukunft? Welche Wirkung hat der globale Markt auf die Weltkultur? Wie können Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit weiterentwickelt werden?

Konzentriert, anschaulich und engagiert gibt einer der bedeutendsten Historiker der Gegenwart Antworten auf diese und weitere Kernfragen des 21. Jahrhunderts. Aus seiner profunden historischen Kenntnis skizziert er die Risiken und Chancen der Weltpolitik und der Gesellschaft und nennt Prinzipien, die die Grundlage zukünftigen politischen Handelns sein könnten. Ein nachdenklicher, weit gespannter Kommentar zur Gegenwart und Zukunft, der trotz aller Skepsis zu Hoffnung und Initiative ermuntert.

Autorenporträt
Hobsbawm, Eric
Eric J. Hobsbawm, (1917-2012), begann 1947 seine Lehrtätigkeit an der Universität London; zugleich übernahm er Professuren für Geschichte an der Stanford University, dem Massachusetts Institute of Technologoy, der Cornell University, der Ecole des Hautes Etudes en Sciences Sociales und am Collège de France. Ab 1984 lehrte er an der New School for Social Research in New York.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 09.06.2000

Es war einmal der Nationalstaat
Aus Erfahrung gegen Tradition: Eric Hobsbawms historische Bilanz

Eric Hobsbawms Lebenslauf war nicht danach, ihm den festen Glauben an Traditionen zu geben. Die Mutter war Österreicherin, der Vater Engländer. Hobsbawm verlebte Kindheit und Jugend in Alexandria, Wien und Berlin, bevor er nach England gelangte. Bei so viel Bewegung kommen Traditionen nicht frei Haus. Hätte Hobsbawm Wert darauf gelegt, er hätte seine Vorstellung vom Überkommenen mit Leben füllen, er hätte sie erfinden müssen.

Stattdessen zeigt er, wo andere sich Identität verschafften, indem sie sich ihre Traditionen schufen. Sei es das englische Weihnachtsfest mit Tannenbaum, der schottische Kilt oder die Wahl Athens zur griechischen Hauptstadt: Rückwirkend wurde zu Sitte und Brauch aus unvordenklichen Zeiten gemacht, was in Wahrheit eine Neuerung war. Die Engländer des neunzehnten Jahrhunderts wünschten sich germanische Wurzeln, die Schotten eine eigene Nationalkultur mit Patina, und in Griechenland wollten die Europäer die klassische Antike wieder aufleben lassen - Tradition ist, was man gern wäre oder hätte.

Da Hobsbawm den Traditionen ihre Traditionslosigkeit nachweist, hält er natürlich auch viele historische Totalerklärungen für grünes Holz: "Wo wir eine historische Weltsicht vorfinden", sagt er seinem Gesprächspartner Antonio Polito, sei sie meist "eine politisch nützliche Verallgemeinerung" unmittelbarer Interessen. So gerät manches scheinbar außergewöhnliche Phänomen wieder ins herkömmliche Lot, das sich nach der Schwerkraft des Eigennutzes ausrichtet.

Eric Hobsbawm wundert sich nicht darüber, dass ausgerechnet im England-müden Schottland die moderne Geschichte "als Marsch von Imperien zu Nationalstaaten" gesehen wird. Für ihn liegt es auf der Hand, dass die Nato unter Vorsitz der Vereinigten Staaten den Krieg im Kosovo nicht vor allem aus "moralischen Motiven" geführt hat. Und das verbreitete Entzücken über dezentralisierte Heimarbeit am Computer begreift er als Ausrede dafür, "Entlassungen zu rechtfertigen".

Der historische Materialismus hat die Zukunft längst verloren. Dafür hat Hobsbawm die Vergangenheit für ihn gewonnen. Dabei könnte man seine historische Methode auch auf die nüchterne, von der schottischen und englischen Aufklärungsära geprägte Weltsicht zurückführen, die an den britischen Universitäten üblich ist.

Der heute vergessene schottische Aufklärungsphilosoph James Dunbar hat 1780 erklärt, warum die Aristokraten tapferer seien als die Angehörigen anderer Stände: "Sie empfinden nicht, was sie sind, sondern was sie sein sollten; bis sie schließlich - indem sie empfinden, was sie sein sollten - werden, was sie zuvor nicht waren: und so, durch die Ehrfurcht vor den Vorfahren, lernen sie, es ihnen gleichzutun." Diese Erklärung, die nicht darauf angewiesen ist, dass es einen ersten ursprünglich tapferen Aristokraten wirklich gegeben hat, liegt Hobsbawms Verständnis von Tradition gar nicht so fern.

Hobsbawm hat, was in der Aufklärungsära weise Einfalt genannt wurde: Er nimmt die Bedeutsamkeiten der Welt nicht zu ihrem oft großspurigen Nennwert. Abstrakte Erklärungen braucht er nicht, wenn er auch konkrete findet. Überhöhungen sind ihm suspekt. So hält er etwa das "kollektive Gedächtnis" moderner Nationen für eine Fiktion: Erinnerung, sagt er, beziehe sich auf das eigene Leben, aus Familienanekdoten und Dokumenten werde sie rekonstruiert. Aber an einem kollektiven Gedächtnis hätten die Menschen keinen Anteil. Das werde vielmehr von Schullehrern, den Medien sowie dem einen oder anderen Politiker kolportiert. Wenn es nach Hobsbawm geht, wird das kollektive Gedächtnis also fabriziert - nicht anders als viele Traditionen.

Wäre Hobsbawm lediglich Kritiker, Reduktionist und Materialist, der sein Publikum überrascht, indem er Unübliches denkt, wäre sein Gespräch mit Antonio Polito schon eindrucksvoll genug. Das ist aber nicht alles. Unter historischen Absichten und Abläufen der verschiedensten Epochen findet er erstaunliche Parallelen und das Material, das seinem Bild von der Geschichte und ihren langfristigen Zyklen zugrunde liegt.

Elitäre Sowjetunion Das buchlange Gespräch, das der italienische Journalist Antonio Polito mit Hobsbwam geführt hat, der heute seinen dreiundachtzigsten Geburtstag feiert, kreist um die großen Fragen der modernen Geschichte - um Krieg und Frieden, um den Wandel der staatlichen Autorität, um die Idee des Nationalstaats, um die Globalisierung und den Fundamentalismus, um Vergangenheit und Zukunft der politischen Linken. Udo Rennerts Übersetzung ist so natürlich, dass es fast wirkt, als sei das Gespräch auf Deutsch geführt worden. Umso überflüssiger ist es, dass "Albanians" zu "Albaniern" werden, und Gordon Brown, Chancellor of the Exchequer, ist nicht "Lordkanzler" (dann wäre er Justizminister), sondern Schatzkanzler: Finanzminister.

Hobsbawm gibt der Geschichte Gestalt, indem er sie nach eigenen Kriterien periodisiert. So hat er Anfang und Ende von Jahrhunderten neu bestimmt, wobei das "lange" achtzehnte und das "kurze" zwanzigste entstanden, das er mit dem Ersten Weltkrieg beginnen und mit dem Zusammenbruch des Sowjetimperiums enden lässt. Außerdem hat er sich bewahrt, was man seinen Glauben an die Existenz ausgedehnter Konjunkturwellen in der Wirtschaft nennen könnte. Er hält große Stücke auf den Wirtschaftswissenschaftler Nikolaj Kondratjew, den Urheber dieser ökonomischen Wellentheorie, tut sich jedoch nach wie vor schwer damit, die Regelmäßigkeit darzustellen, die diesen Konjunkturzyklen eigen sein müsste, wenn Kondratjew Recht gehabt hätte.

In Wahrheit hat Hobsbawm es nicht nötig, die Geschichte auf der Grundlage vorgeformter Theorien zu untersuchen. Die Entwicklungen, die er selbst darin wahrnimmt, sind einleuchtender und vielsagender. Ein Beispiel ist die zunehmend in Bedrängnis geratende Institution der Nationalstaaten: Ihre Konsolidierung, sagt Hobsbawm, habe im sechzehnten Jahrhundert begonnen und bis etwa 1965 angehalten, und zwar "ohne jeden Bezug" zur jeweils herrschenden Ideologie. Im neunzehnten Jahrhundert sei es "den führenden Staaten der Welt" gelungen, die eigene Bevölkerung zu entwaffnen. Mittlerweile aber seien die Bürger nicht mehr bereit, sich den Gesetzen des Staates so brav zu unterwerfen wie einst - die Bewegung der Achtundsechziger sei im Westen nur der Anfang gewesen.

Das ist eine feine These. Pikant wird sie durch das Beispiel, mit dem Hobsbawm sie illustriert: In Bosnien waren zu Beginn der neunziger Jahre 64 000 ausländische Soldaten stationiert, was ungefähr der Truppenstärke entsprochen habe, die von den Briten benötigt wurde, "um den gesamten indischen Subkontinent zu regieren".

Revolutionäres Amerika Unlängst machte ein Kolumnist im Londoner "Guardian" den Vorschlag, die Soldaten einer kommerziellen Privatarmee nach Sierra Leone zu entsenden: Es müsse dort Ordnung geschaffen werden, argumentierte er, aber staatlichen Armeen sei diese Aufgabe nicht zuzumuten, daher gelte es, "das Undenkbare zu denken". Hobsbawm zählt zu denen, die das auch schon tun. Von Sierra Leone konnte er noch nichts wissen, als er Polito erzählte, dass die Historiker bald die Rolle untersuchen müssten, die Privatarmeen in internationalen Konflikten spielen würden.

Die Kehrseite dieser Entwicklung ist der auf der ganzen Welt bemerkbare Verfall des staatlichen Gewaltmonopols, den Hobsbawm mit dem Untergang des weströmischen Reiches vergleicht: In Afghanistan gebe es "überhaupt keinen Staat mehr", ähnlich sei es in weiten Teilen Afrikas oder auch in Westund Zentralasien. Tatsächlich führt die Landflucht in den östlichen Regionen Russlands dazu, dass der Staat dort kaum mehr existiert: Die Menschen sind nicht mehr da, die, indem sie regiert werden, dem Staat seine Autorität bestätigen. Auch auf dem Balkan, sagt Hobsbawm, habe man es wohl nicht mehr mit funktionierenden Staatswesen zu tun. Wenn das stimmt, dann müssten etwaige Bemühungen, die betreffenden Länder in internationale Bündnisse einzubinden, zunächst dazu dienen, ihnen überhaupt erst wieder zur Staatlichkeit zu verhelfen.

Der Verfall staatlicher Autorität als globaler Prozess: Das ist die Perspektive, aus der Hobsbawm den Zerfall der Sowjetunion betrachtet. Sie war in seinen Augen schon vor 1989 morsch: "die einzige Organisation, die noch bestand und funktionierte", sei die Kommunistische Partei gewesen, "das größte Hindernis auf dem Wege zur Reform". Indem Gorbatschow die Partei zerstörte, habe er "praktisch die Sowjetunion insgesamt zerstört". George Soros ist der Ansicht, dass der Westen gewissermaßen wegen unterlassener Hilfeleistung für den gegenwärtigen Zustand im ehemaligen Russland verantwortlich sei. Hobsbawm hingegen meint, dass schon Gorbatschows Reformen die Katastrophe programmierten. Aber während Soros auf Philanthropie setzt, wie er selbst sie praktiziert, betrachtet Hobsbawm die Belastbarkeit von Strukturen und Institutionen.

Mit seiner Mitgliedschaft in der britischen KP hat das nichts zu tun. Hobsbawm hat in den vergangenen Jahren immer wieder erklären müssen, warum er nicht schon vor Jahren aus der Partei ausgetreten sei. Mittlerweile ist ihm die Frage so oft gestellt worden, dass die Antwort stets dieselbe ist: "Ich wollte aus der KP damals nicht austreten, weil ich mich nicht in der Gesellschaft all der Exkommunisten wiederfinden wollte, die Antikommunisten geworden waren."

Viel interessanter als Hobsbawms Verhältnis zum Kommunismus ist seine Haltung vis-à-vis den Vereinigten Staaten. Dem Land hat er stets mehr als Misstrauen entgegengebracht. Es ist ihm - in einem Wort - zu revolutionär. Im "Zeitalter der Extreme" zeiht er Amerika der atomaren Kriegstreiberei. Und in seinem Gespräch mit Polito spricht er von dem "Größenwahn", der das Land beseele, weil es nicht bloß reich und stark, sondern dazu auch auf eine "revolutionäre Ideologie" gegründet sei: "Es ist auch ein Staat, der sich auf eine gewisse Weise der Veränderung der Welt verschrieben hat." Die kommunistischen Regimes hingegen seien "bewusst elitär" gewesen: Die Partei machte die Politik und habe wenig Wert darauf gelegt, "das Volk zu bekehren".

Das selbstgewisse amerikanische Sendungsbewusstsein ist Hobsbawm nicht geheuer: Er spricht sogar von der "Gefahr", die von Amerika ausgehe. Umso erstaunlicher ist es, dass er viele Jahre lang und gern eine Professur in New York innegehabt hat. Das mag sich zum Teil mit den Privilegien erklären, die das amerikanische Universitätswesen seinen Professoren vorbehält. Zum Teil scheint Hobsbawm das Land trotz allem zu bewundern: Das Gespräch klingt aus mit dem Lobpreis der Vereinigten Staaten, denen Hobsbawm zugute hält, "in vieler Hinsicht das Beste des zwanzigsten Jahrhunderts" darzustellen, "den größten Erfolg des Jahrhunderts und den Teil, der nach seinem Ende bleiben wird". So deutlich hat Hobsbawm sich früher nicht zu den Werken dieser "revolutionären Ideologie" bekannt. Man darf annehmen, dass er mit der Enttäuschung über die verlorene Illusion des Marxismus seinen Frieden gemacht hat.

FRANZISKA AUGSTEIN.

Eric Hobsbawm: "Das Gesicht des 21. Jahrhunderts". Ein Gespräch mit Antonio Polito. Aus dem Englischen von Udo Rennert. Carl Hanser Verlag, München 2000. 220 S., geb., 34,- DM.

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"Wäre Hobsbawm lediglich Kritiker, Reduktionist und Materialist, der sein Publikum überrascht, indem er Unübliches denkt, wäre sein Gespräch mit Antonio Polito schon eindrucksvoll genug. Das ist aber längst nicht alles." Frankfurter Allgemeine Zeitung

"Hobsbawm gehört zweifellos zu den scharfsinnigsten Beobachtern unserer Zeit, und er liebt entschiedene Aussagen. Das macht sein Buch zu einer spannenden, herausfordernden Lektüre."Hannoversche Allgemeine Zeitung