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Seit der #MeToo-Bewegung steht die Frage der sexuellen Gewalt im Zentrum der Debatten über Geschlechtergerechtigkeit. Sexuelle Zustimmung gilt vielen als Zauberformel für die Gleichberechtigung von Frauen und Männern. Zugleich ist sie notorisch schwer zu definieren und wirft zahlreiche Probleme auf, wie die Philosophin Manon Garcia in ihrer meisterhaften Analyse zeigt. Sie taucht tief ein in unser philosophisches Erbe sowie die liberale Tradition und legt deren Grenzen offen.
Drei Probleme der Philosophie der Zustimmung macht Garcia aus: ein rechtliches, ein moralisches und ein politisches.
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Produktbeschreibung
Seit der #MeToo-Bewegung steht die Frage der sexuellen Gewalt im Zentrum der Debatten über Geschlechtergerechtigkeit. Sexuelle Zustimmung gilt vielen als Zauberformel für die Gleichberechtigung von Frauen und Männern. Zugleich ist sie notorisch schwer zu definieren und wirft zahlreiche Probleme auf, wie die Philosophin Manon Garcia in ihrer meisterhaften Analyse zeigt. Sie taucht tief ein in unser philosophisches Erbe sowie die liberale Tradition und legt deren Grenzen offen.

Drei Probleme der Philosophie der Zustimmung macht Garcia aus: ein rechtliches, ein moralisches und ein politisches. Was muss getan werden, damit sexuelle Übergriffe und sexuelle Belästigung wirksam bestraft werden? Wie kann man sich Liebes- und Sexualbeziehungen vorstellen, die nicht auf sexistischen sozialen Normen beruhen? Und wie können wir verhindern, dass die geschlechtsspezifischen Ungerechtigkeiten, die sich in Liebes- und Sexualbeziehungen manifestieren, fortgeschrieben werden? Von John Locke und John Stuart Mill über feministische Theoretikerinnen bis hin zu Michel Foucault und den Praktiken des BDSM zeichnet dieses Buch eine neue politische Kartografie unserer privaten Leben. Fazit für das zukünftige Gespräch der Geschlechter: Wir müssen lernen, die »Gleichheit zu erotisieren«, nicht die Herrschaft.
Autorenporträt
Manon Garcia, geboren 1985, ist nach Stationen in Harvard und Yale Professorin für Praktische Philosophie an der Freien Universität Berlin. In Frankreich zählt sie zu den einflussreichsten und meistgelesenen Philosophinnen ihrer Generation. Ihre Bücher sind in zahlreiche Sprachen übersetzt. Für Das Gespräch der Geschlechter. Eine Philosophie der Zustimmung erhielt sie 2022 den Prix des Rencontres philosophiques de Monaco.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension

Spätestens seit MeToo ist der Begriff des "sexual consent", des einvernehmlichen Sex, in aller Munde, weiß Anna-Lisa Dieter, viele feministische Philosophinnen beschäftigen sich damit, am ertragreichsten wohl Manon Garcia, Professorin an der Freien Universität Berlin. Garcia fragt nach den Bedingungen, unter denen Zustimmung erfolgt, so Dieter, und stellt heraus, wie mehrdeutig der (französische) Begriff des consentement ist, was leider in der Übersetzung nicht so ganz zum Tragen kommt, wie sie bemängelt. Die Kritikerin lernt, wie heikel und uneindeutig die Angelegenheit sein kann, und dass Zustimmung eigentlich ein passiv-patriarchaler Akt ist. Der Idee Garcias von "Sex als Gespräch", das immer wieder neu initiiert wird, möchte sich die Rezensentin gerne anschließen und freut sich über dieses kluge Buch, das viele Anregungen zu gleichberechtigtem Sex gibt.

© Perlentaucher Medien GmbH

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 07.10.2023

Ach, komm
Wie funktioniert guter Sex, und was heißt Einvernehmlichkeit
eigentlich genau? Zwei Philosophiebücher klären auf
Wenn Stars und Idolen sexuelle Übergriffe vorgeworfen werden, gibt es in der öffentlichen Diskussion dazu inzwischen stehende Routinen. Sechs Jahre nach Beginn der „Me Too“-Bewegung erkennt man sie schnell wieder. Eine besonders merkwürdige ist die von Fans und Rechthabern auf sozialen Plattformen erhobene Forderung, über eine Angelegenheit zu schweigen, bis juristisch entschieden sei, ob überhaupt „ein Fall“ vorliege.
Abgesehen von den inneren Widersprüchen einer Wortmeldung, die sagen will, dass es nichts zu melden gebe, zeigt sich darin das Bedürfnis, zu vereinfachen, immer verständlich, immer vergeblich. Man wünscht sich, die mühevolle Beschäftigung mit Zweifeln, Beweislagen, Motiven, Karriereschäden für mutmaßliche Täter aber eben auch Opfer überspringen und direkt zum gerichtsfesten Urteil übergehen zu können. Und offenbar wäre man bereit, dafür richtig viel aufzugeben. Denn dieses Argument bedeutet, wie zwei neue Philosophiebücher zeigen, einen beherzten Rückschritt hinter eine zentrale Errungenschaft der bürgerlichen Aufklärung: private, intime Beziehungen möglichst unabhängig von den Regelungen des Gesetzes führen zu können, die zuvor zum Beispiel „eheliche Pflichten“ einklagbar machten.
Wo es eine klare Unterscheidung gab – Sex in der Ehe ist immer richtig, außerhalb der Ehe reden wir nicht drüber – ist nicht erst neulich, sondern im 18. Jahrhundert ein Freiraum geschaffen worden, in dem sich seitdem das Gewirr aus Gefühlserwartungen, Umgangsformen, moralischen Vorstellungen und Begehren befindet, von dem wir reden, wenn wir von Sex reden. Manchmal auch von Liebe. Dass es schwierig sein kann, sich in dem Durcheinander zurechtzufinden, ist Alltagserfahrung, Thema herzzerreißender Geschichten und kritischer Literatur. In den letzten Jahren etwa der Bücher der israelischen Soziologin Eva Illouz.
Die „Me Too“-Bewegung hat gezeigt, dass es in Liebe und Sex zu allem Überfluss nicht nur um persönliche Dramen und Konflikte der Selbstverwirklichung geht, sondern um ernste soziale Kämpfe, um Macht. Deren Vorgeschichte und Erkenntnisse zu sortieren helfen in erstrebenswerter akademischer Ausgeruhtheit die neuen Bücher des Literaturwissenschaftlers Johannes Kleinbeck und der französischen Philosophin Manon Garcia. Wobei Letztere ein klares Ziel ihrer Untersuchung formuliert: Sex soll für alle besser werden.
Die zentrale Frage auch hinter „Me Too“ ist eben nicht nur, was legitimen Sex ausmacht. Sie ist grundsätzlicher und komplizierter. Das erschreckt die Vereinfacher. Zumal Garcia darauf hinweist, dass es zwischen gutem und schlechtem oder gutem und falschem Sex keine Hop-oder-Top-Entscheidung gibt. Dazwischen liegt das ganze Spektrum der sexuellen Begegnungen, in denen zum Beispiel eines von zwei Subjekten mittendrin die Lust verliert, aber sich nicht mehr traut, es zu sagen. Oder in denen man dem Sex zustimmt, weil sonst endlose Diskussionen bevorstehen, man aber saumüde ist und schlafen will. Oder glaubt, das Gegenüber irgendwie trösten zu müssen. Oder eine oder beide Seiten sind so betrunken, dass nicht mehr richtig zu entscheiden ist, wer was will. Oder jemand tauscht den Zugang zu Arbeit, Ruhm,Geld gegen Sex. Oder Gewalt wird nur angedeutet, und gegen die Angst vor einer Vergewaltigung scheint Zustimmung die bessere Option zu sein. In diesen Fällen hätte sich niemand strafbar gemacht, aber als völlig freiwilligen oder gar lustvollen Sex würde man sie nicht werten.
„Die moralische Frage, was guter Sex sei“, schreibt Garcia, „ist keine Frage von geringerer Bedeutung, als die Frage, was schlechter Sex ist, der verboten werden sollte.“ Dass manchem das Reden über „guten“ Sex bedrohlicher erscheinen mag als das über „strafbaren“ Sex, hat mit Leistungsgedanken zu tun. Die prägen im „sexuellen Skript“ unserer immer noch patriarchal geprägten Kultur vor allem maskuline Rollen: einen gewissen Performancedruck. Für die meisten Männer ist das nicht schön. Und Frauen kennen das daraus erwachsende latente Gewaltrisiko. Dagegen müssen wir Liebeshungrigen, weiblich, männlich, dritte, Manon Garcia zufolge zusammen überlegen: „Wie kann man harmonische und möglichst entpolitisierte intime Beziehungen konzipieren, die von den Mechanismen der sozialen Herrschaft, die sie durchziehen, befreit sind – insbesondere in der Heterosexualität?“
Wie die subtilen Codes von Geschlechterunterschieden und Machtgefällen sofort in die Sprache der Liebe eingeflossen sind, als intime Beziehungen aus dem Bereich des Rechts ins bürgerliche Privatleben übergingen, zeigt Johannes Kleinbeck in seiner „Geschichte der Zärtlichkeit“. Er liest dazu die Aufklärer und Diskursbegründer Jean-Jacques Rousseau, Immanuel Kant, Georg Friedrich Wilhelm Hegel und Sigmund Freud. Eine männliche Reihe, Kleinbeck entschuldigt sich zu Beginn dafür. Wobei er daran eben auch sichtbar macht, was Manon Garcia mit der Philosophin Miranda Fricker „epistemische Ungerechtigkeit“ nennt. Dass nämlich der historisch ungleiche Zugang zu Bildung, Ausdrucksmöglichkeiten und Zeit, sich Gedanken zu machen, dazu führte, dass erst mal Männer festlegten, was in den neuen Freiräumen passieren sollte.
Charmante Seitenblicke auf die Lebenssituation, in der die großen Denker Einschlägiges schrieben, zeigen sie dabei als verunsicherte Männer: Kant, der „beschließt, Junggeselle zu bleiben“, Hegel, der nach Linderung seines Hangs zur „hypochondrischen Pedanterie“ sucht und seiner Verlobten Marie von Tucher zuerkennt, sie sei „die Versöhnerin meines wahren Innern mit der Art und Weise, wie ich gegen das Wirkliche und für das Wirkliche – zu häufig – bin“. Heute würde er sagen: „Du tust mir so gut“. Da kann sich die Erwählte schön bedanken, aber auf dem Heiratsmarkt ihrer Zeit wird sie kaum Möglichkeiten gehabt haben, sich gegen den Job zu entscheiden. Was sie an Vorstellungen äußert, schreibt Hegel ihrem „weiblichen Wesen“ zu und „zementiert“ damit die Differenz der Geschlechterrollen, wie Kleinbeck schreibt. Ähnlich geht Sigmund Freud in den Brautbriefen an Martha Bernays vor.
Das Wort „Zärtlichkeit“ steht in dieser Geistesgeschichte des Privaten nach Kleinbecks Beobachtung für „das Ensemble all jener Umgangsformen der ‚Beredtheit in Sprache und Mienen‘, mit denen der Beischlaf von jetzt an ausgehandelt, das heißt angebahnt, aufgeschoben und abgelehnt werden soll“. Der Begriff scheint aber, in semantischem Zusammenspiel mit der „Zartheit“, auch einen Modus zu bezeichnen, in dem Frauen das Begehren ihrer Männer in Beziehungen kanalisieren und durch Entzug und Gewähren stabilisieren sollen.
Die Rollenverteilung zwischen dem wirr begehrenden Mann und der sich rar und interessant machenden Frau ist heute zum Geschlechterbild hartnäckig populärer Beziehungsratgeber und Frauenzeitschriften abgesunken. Sie führte jahrhundertelang dazu, dass das „Nein“ in der Liebe irgendwie zum Vorspiel zu gehören schien. Dagegen sanktioniert tatsächlich die unter der Parole „Nein heißt Nein“ bekannt gewordene Änderung des deutschen Sexualstrafrechts seit 2016 Handlungen „gegen den erkennbaren Willen“ einer Person. Dass die alte Rollenvorstellung in unserem Denken, die CSU würde sagen in unserer „Leitkultur“, grundsätzlicher verankert bleibt, als uns bewusst sein mag, macht Kleinbecks Lektüre großer Aufklärer deutlich.
Im Moment wird ja viel darüber diskutiert, dass die Aufklärung historisch gesehen dazu neigte, alte Unfreiheiten in neuen Ungerechtigkeiten aufzulösen. Eine wichtige Spannung entsteht nun zwischen Kleinbecks historischer und Manon Garcias systematischer Darstellung. Denn ihrem emphatischen Begriff von gutem, einvernehmlichem Sex liegt als moralisches Prinzip doch wieder der Leitstern der Aufklärung zugrunde: Kants kategorischer Imperativ. Der ist viel anspruchsvoller als etwa eine liberale Ethik, der es einfach darum geht, das Begehren eines Subjekts so um die Bedürfnisse der Anderen herum zu organisieren, dass man sich nicht stört. Garcia analysiert Möglichkeiten und Grenzen solcher liberaler Konzepte am Beispiel der Vertragslogik der BDSM-Bewegung, nebst der popularisierten, genderkonformen Schrumpfversion davon, den „Fifty Shades of Grey“-Romanen.
Der Anspruch einer kantianisch substanziellen Moral wäre dagegen: Mit dem Anderen (und sich selbst) in jedem Augenblick so umzugehen, dass sein Wille, seine Würde als Mensch, ja die Integrität der Menschheit gewahrt ist. Das mag sich wie eine überwältigende Aufgabe anhören – zumal in einer Welt, in der nicht mal gewöhnliche Arbeitsverträge solchen Standards genügen. Aber irgendwo müssen wir anfangen, und das ernsthaft zu wollen war der revolutionäre Impuls von Emanzipationsbewegungen wie „Me Too“ und dem sexpositiven Feminismus der letzten Jahre. Manon Garcia stellt die geistesgeschichtlich fundierte Theorie zur Verfügung. Und legt uns ein Begehren nahe, das sich vom gegenderten Skript „starker Mann, nachgebende Frau“ losmacht und sich in dem ausdrückt, womöglich sogar erst entsteht, was auf Englisch „consent“, auf Französisch „consentement“ heißt. Im Deutschen gibt es bezeichnenderweise kein vergleichbar geläufiges Schlagwort.
Manon Garcias Buch heißt im Original „La conversation des sexes. Philosophie du consentement“, die Übersetzung: „Das Gespräch der Geschlechter. Eine Philosophie der Zustimmung“. Das ist nicht die ideale Wortwahl, weil die entscheidende Bedeutungsdimension verloren geht: die Idee der Reziprozität, des gegenseitigen Einverstandenseins. Wobei ja das aus dem juristischen Kontext bekannte Wort „Einvernehmlichkeit“ schön genug wäre, weil darin mitklingt, dass man einander „vernehmen“ also hören, wahrnehmen kann und daraus eine Einigkeit herstellen darüber, was „im Bett“ passieren soll.
Dabei, das wird bei Kleinbeck so klar wie bei Garcia, kann es keine Vereinfachung geben durch ein für allemal getroffene Entscheidungen, Verträge oder sozialen Druck à la „Sie hätte ja wissen müssen, was passiert, wenn sie mit ihm ins Hinterzimmer geht“. Sex, erinnert Manon Garcia, ist ein sozialer Vorgang, es entsteht dabei immer eine Beziehung, selbst wenn sie nur Minuten hält. Wir sollen ihn uns als Gespräch vorstellen, das schon auch non-verbal und vor allem in Körpersprache geführt wird. Es kommt darauf an, dass man dabei bleibt, sendet und empfängt, so etwa zu gleichen Teilen und damit nicht aufhört. Dann, sagt die Philosophie, ist Sex richtig und gut.
MARIE SCHMIDT
Das „Nein“ in der
Liebe gehörte zu lange
zum Vorspiel
Einvernehmlichkeit vertraglich geregelt: Szene aus „Fifty Shades of Grey“.
Foto: imago images/ZUMA Wire
Manon Garcia:
Das Gespräch der
Geschlechter.
Eine Philosophie der Zustimmung.
Aus dem Französischen von Andrea Hemminger. Suhrkamp, Berlin 2023. 332 Seiten, 30 Euro.
Johannes Kleinbeck: Geschichte der
Zärtlichkeit. Die
Erfindung des
einvernehmlichen Sex und ihr zwiespältiges Erbe bei Rousseau, Kant, Hegel und Freud.
Matthes & Seitz, Berlin 2023. 334 S., 28 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 25.10.2023

Zu oft zählt nicht, was man will, sondern was erwartet wird
In der Falle der Intimität: Manon Garcia denkt über das Problem der sexuellen Zustimmung nach

Das Grundproblem hat sich herumgesprochen: Weder ist Sex erst dann eine Vergewaltigung, wenn das Opfer durch physische Verletzungen nachweisen kann, dass es sich gewehrt hat, noch ist jeder Sex gut, vor welchem eine Frau nicht rechtzeitig unmissverständlich (und nachweisbar) Nein gesagt hat. Nicht einvernehmlicher Sex hat viele Gesichter - und auch die Grenze zur Vergewaltigung ist praktisch schwer zu ziehen. Das Recht hat begonnen, hier mit Kriterien zu arbeiten wie dem Ausdruck fehlender Zustimmung (der beachtet werden muss) oder auch der Forderung nach expliziter Zustimmung (ohne die Sex als Vergewaltigung zu werten ist). Letzteres ist das viel beachtete schwedische Modell.

Freilich bleibt es auch mit dem Zustimmen so eine Sache: In der gelebten Realität ist es oft nur ein Dulden, ein Nachgeben oder die Entscheidung für das kleinere Übel, weil anderes in der Situation "nicht geht", nicht zuletzt aus Angst. Die Grauzone ist empirisch belegt. Geschlechtsverkehr ist von Frauen nicht immer gewollt, findet aber statt, weil die Gesellschaft zu vieles als vermeintlich einvernehmlich akzeptiert.

Dass Vergewaltigungen überdies nicht primär durch Fremde, sondern oft im privaten Umfeld und in Beziehungen stattfinden, macht die Sache nicht einfacher. Zu Vorurteilen, denen zufolge Frauen durch Schweigen zustimmen oder sogar "wollen", wenn sie sich sträuben, kommt die Falle der Intimität hinzu: Es ist schwierig, jemanden, den man kennt und dessen Wünsche einem nicht egal sind, in guter Form zurückzuweisen. Im Zweifel zählt, was erwartet wird, und weniger, was man will.

Mit ihrem Buch über "Das Gespräch der Geschlechter" stellt die Philosophin Manon Garcia die Doppelfrage nach der rechtlichen und der moralischen Wertung von nicht einvernehmlichem Sex. Politische Grundbedingungen inklusive: Heterosexueller Sex aktiviert asymmetrische Rollenbilder, denn nicht nur hinsichtlich der initialen Rolle beim Sex, sondern auch hinsichtlich des Anspruchs auf Lustgewinn, hinsichtlich des Wertes der Penetration und vieler weiterer Facetten erotischer Möglichkeiten (oder des Erotik-Verzichts) sind Frauen und Männer unterschiedlich sozialisiert.

Garcia schreibt also als Feministin. Und sie gibt dem Problem der sexuellen Zustimmung seine volle Wucht zurück. Dies gelingt ihr, eben weil sie die Vergewaltigung von einem bloßen "schlechten" Sex unterscheidet, wobei letzterer nicht strafbar ist und auch nicht sein sollte, jedoch problematisch ist und sogar viel über das Zustimmen lehrt - weshalb die Untersuchung ihn ähnlich ernst nimmt wie die Vergewaltigung selbst.

In sieben Kapiteln entfaltet Garcia, wie das "aus dem Bereich des Rechts geerbte Vokabular der Zustimmung" eine liberale Errungenschaft darstellt, schon im Recht aber fundamental mehrdeutig bleibt: bloße Annahme eines Angebotes oder authentischer Willensakt, stillschweigend zu unterstellen oder eigens zu artikulieren, einmaliges Formerfordernis oder handelnd zu bekräftigendes Mittun? Fatal ist, dass speziell im Feld der Sexualität sich an ein juridisch-formales Verständnis der Zustimmung oft nicht nur die Deutung der Legalität, sondern auch der Legitimität dessen, was man tut, anschließt. "Erlaubt" (mein Gegenüber hat sich verpflichtet, etwas zu akzeptieren) und "gut" (mein Gegenüber "will" und ich bin also auch moralisch berechtigt dies zu tun) wird also verwechselt.

Garcia zeigt ausführlich, wie hier unsere Rechtstradition inzwischen zwar den Sex als eine Art Vertragsangelegenheit in die Hände beider Seiten legt, das Kriterium der Zustimmung jedoch formalistisch verkürzt, sodass es in der schon angesprochenen Grauzone umso sicherer versagt. Ein Beispiel hierfür sind die Rückgriffe auf das Schema des Vertrags im BDSM, also in als einvernehmlich vereinbarten sadomasochistischen Praktiken. Garcia nimmt die Kritik hieran zum Anlass einer lesenswerten Rekonstruktion der Dilemmata der Frauenbewegung, die sich genau an dieser Frage, ob BDSM-Verträge Gewalt in "befreiten" Sex ummünzen können, spaltet - in eine vermeintlich antisexuelle Fraktion (die diese Frage verneint) und eine "queere", die dem liberalen Vertragsmodell anhängt.

Noch komplexere Überlegungen werden an dem Punkt fällig, der den Feminismus wirklich fordert: Wie kritisiert man den Sachverhalt, dass Frauen gegen ihren eigenen Willen Sex akzeptieren, ohne den Wert der Zustimmung zu schmälern, ohne diesen Frauen also als bloße Opfer der Verhältnisse Mündigkeit und Selbstverantwortung abzusprechen? Garcia holt hier etwa mit Foucault, Beauvoir und anderen weit aus und hebt hervor, es gebe eine "Kontextabhängigkeit" und Relativität des Zustimmens von Frauen. "Strukturelle Gewalt" hätte man früher womöglich gesagt.

Der letzte Teil des Buches skizziert sexuelles Einvernehmen als egalitäre Option: Die Metapher hierfür ist diejenige des Gesprächs. Sex ist vielleicht nicht Verhandeln, aber doch immer wieder Explikation. Auch hierbei soll das Zustimmen - allem voran das Sprechen darüber - nicht etwa überwunden werden, sondern sich gleichsam anreichern, sodass es seinen juridischen Beigeschmack verliert. Letztlich zählt insbesondere eine über Aufklärung hinausgehende, offene Erziehung, die den Sex aus unguter, wortloser Intimität befreit.

Ausgerechnet die Bioethik wird als Feld genannt, in welchem man gute Erfahrungen mit Skripten für schwierige Gespräche gemacht habe (gemeint sind etwa Patientenverfügungen). Nüchtern sieht Garcia die Chancen für Recht, Strafjustiz oder überhaupt schnelle Lösungen: "Zum einen können die Ungerechtigkeiten der Grauzone niemals durch das Strafsystem aufgelöst werden, und zum anderen wird uns das Recht nicht die Art von sexuellem Gespräch erlauben, die für ein nicht nur moralisches, sondern auch freudvolles und erfülltes Sexualleben notwendig ist."

In seinen Erwägungen ist das Buch zuweilen ein wenig umständlich. Der Mut zum großen Bogen macht das aber wieder wett. Worüber man allerdings immer neu stolpert ist die Übersetzung von "consentement" als "Zustimmung". Die Übersetzerin hat sich in ihrer Übertragung ins Deutsche gegen das rechtsbegrifflich (wie auch in der Bioethik) viel näherliegende "Einwilligung" entschieden. Warum sie das tut, warum damit sogar der Code civil angeblich von "Zustimmung" spricht, wäre mindestens eine erläuternde Fußnote wert gewesen. PETRA GEHRING

Manon Garcia: "Das Gespräch der Geschlechter". Eine Philosophie der Zustimmung.

Aus dem Französischen von Andrea Hemminger. Suhrkamp Verlag, Berlin 2023. 332 S., geb., 30,- Euro.

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»Das Buch ... zeigt, wie wir besseren Sex haben können. Und fordert nebenher zum Nachdenken über (weibliche) Autonomie auf.« Livia Lergenmüller neues deutschland 20240426