Die Technik ist die Gestalt unserer Frage nach dem Wesen des Menschen. Wenn es auf diese Frage keine Antwort gibt, dann behält Karl Jaspers mit seiner Befürchtung recht, dass die Freiheit nur der scheiternde Augenblick der Geschichte zwischen natürlichem und technischem Sein war. Wir wären dann alle die Angestellten des Gestells. Ist das das letzte Wort des letzten Menschen? Oder gibt es doch ein befreiendes Denken des Gestells? Wie könnte aussehen, was Ernst Jünger den Neuen Bund mit der Technik genannt hat?Was die Wissenschaft mit der Philosophie entzweit hat, kann man als Prozess der Technisierung beschreiben: die große Erfolgsgeschichte des Verstandes ohne Vernunft. Technologie besagt, dass Logik Technik ist. Zwar geht es in technischen Fragen immer auch um die rationalsten Mittel für vorgegebene Zwecke. Aber wir haben doch bemerkt, dass die instrumentale Bestimmung der Technik nicht ihr Wesen trifft; sie bleibt im Willen zur Beherrschung hängen.
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Norbert Bolz' Essay 'Das Gestell" ist die Kritik eines Technik-Befürworters an der aktuellen Art der Fürsprache für die Technik, berichtet Michael Stallknecht. Die Hauptargumente, die Bolz liefere, seien keineswegs neu: Technik entzieht sich Begründungen und ist frei von Reflexion; sie fragt jeweils nur: was funktioniert? Der Autor werfe den Kritikern vor, dass sie es bei diesen Gründen belassen. Was Bolz fehle, sei ein Selbst- und Neudenken der Technik, erklärt der Rezensent. Mit dem Ergebnis von Bolz' Überlegungen ist er allerdings unzufrieden. Es entstehe kein konkret neues Bild von Technik, der Autor denke eher gegen andere als für sich. In den späteren Passagen werde der Stil außerdem zunehmend aphoristisch, was Bolz' Aussagen nur durch Unklarheit den Anschein von Schlüssigkeit gebe, findet Stallknecht.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 18.10.2012Man probiert,
was geht
Norbert Bolz will die Technik
selbst denken – und scheitert
Empörung schlug kürzlich dem Psychiater Manfred Spitzer entgegen, als er in seinem Buch „Digitale Demenz“ vor der Verkürzung menschlicher Fähigkeiten durch Technisierung warnte. In besser gebildeten Kreisen gilt Technikkritik derzeit pauschal als verschmockt, ja als reaktionär. Vielleicht deshalb, weil Technik, wie Norbert Bolz in seinem soeben erschienenen Langessay „Das Gestell“ schreibt, „Systemvertrauen“ voraussetzt. Obwohl oder gerade weil wir zunehmend weniger wüssten, wie sie funktioniere, so der Medienwissenschaftler, ersetze Einverständnis Verständnis. „Technik ist begründungsunbedürftig. Sie herrscht, weil sie funktioniert.“ Die – ein Wort von Max Weber – „Einverständnisgemeinschaft“ bildet sich durch reflexionsfreien Vollzug.
Dabei ist Bolz, der Verstöße gegen Empörungsgemeinschaften liebt, selbst durchaus kein Technikkritiker. Die deutsche Angstkultur in Sachen Technik hält er für suspekt, und Forschungsethik könne sowieso nur noch Placeboeffekte haben. Doch im „latenten Bürgerkrieg zwischen Machern und Mahnern“ sieht er ein beiden gemeinsames Defizit: Pragmatismus wie Sorge verzichteten gleichermaßen darauf, „die Technik selbst zu denken“. Deshalb stellt Bolz klar, dass sie so einiges nicht ist, was wir zur Selbstberuhigung gerne annehmen. Zum Beispiel angewendete Naturwissenschaft: Eher, so Bolz, gebe inzwischen Technik die Forschungsprobleme vor. „Man probiert, was geht.“ Der Techniker erscheint damit als Nachfahre des Künstlers. Es gehe nicht mehr um Kompensation, sondern um den Luxus des Erfindens. Neuere Kunststoffe etwa ahmten nicht Natur nach, sondern machten ihr etwas vor.
Technik ist also kein verlängerter Arm des Menschen. Eher schalte sie den Körper aus. Als „Anti-Darwin-Welt“ (Hans Blumenberg) befreie sie den Menschen vom Selektionsdruck, der dafür auf die evolutionär sich entwickelnde Technik übergehe. Dieser Prozess freilich wirkt für Bolz auf den Menschen selbst zurück, der sich zunehmend selbst maschinenanalog deute, etwa seine Gene als „Programm“. Technik sei deshalb immer auch Social Engineering, zum Beispiel in Gestalt sozialer Netzwerke oder indem Roboter als sozial Handelnde aufträten. Was die Apologeten unterschätzen, ist im Prinzip also, dass Techniken benutzt werden, „nicht weil man sie braucht, sondern weil es sie gibt“. Sie sind nämlich vor allem eines nie: neutral.
Doch was sie denn nun sei, die Technik, das zu denken gelingt auch Bolz hier nicht so recht, auch wenn er ausgiebig mit denen rechtet, die es bereits versuchten, mit Husserl, Blumenberg oder Luhmann. Letztlich stellt Heidegger dafür ebenso die Begründung wie mit seiner Wortschöpfung für „Technik“ schon den Buchtitel: Das „Gestell“ denke nicht. Es löse, so Bolzens Übersetzung, Erkenntnis durch Know-how ab, Wahrheit durch Arbeitshypothesen. Aber muss deshalb auch dieser Essay zunehmend unklar werden? Allzu häufig ersetzt Bolz Argumentation durch zitierfähige Aphorismen und Geistesblitze. Das kommt apodiktisch daher, ist es dann aber eigentlich nicht.
MICHAEL STALLKNECHT
Norbert Bolz: Das Gestell. Wilhelm Fink Verlag, München 2012. 137 Seiten, 16,90 Euro.
Der Techniker erscheint als
Nachfahre des Künstlers
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was geht
Norbert Bolz will die Technik
selbst denken – und scheitert
Empörung schlug kürzlich dem Psychiater Manfred Spitzer entgegen, als er in seinem Buch „Digitale Demenz“ vor der Verkürzung menschlicher Fähigkeiten durch Technisierung warnte. In besser gebildeten Kreisen gilt Technikkritik derzeit pauschal als verschmockt, ja als reaktionär. Vielleicht deshalb, weil Technik, wie Norbert Bolz in seinem soeben erschienenen Langessay „Das Gestell“ schreibt, „Systemvertrauen“ voraussetzt. Obwohl oder gerade weil wir zunehmend weniger wüssten, wie sie funktioniere, so der Medienwissenschaftler, ersetze Einverständnis Verständnis. „Technik ist begründungsunbedürftig. Sie herrscht, weil sie funktioniert.“ Die – ein Wort von Max Weber – „Einverständnisgemeinschaft“ bildet sich durch reflexionsfreien Vollzug.
Dabei ist Bolz, der Verstöße gegen Empörungsgemeinschaften liebt, selbst durchaus kein Technikkritiker. Die deutsche Angstkultur in Sachen Technik hält er für suspekt, und Forschungsethik könne sowieso nur noch Placeboeffekte haben. Doch im „latenten Bürgerkrieg zwischen Machern und Mahnern“ sieht er ein beiden gemeinsames Defizit: Pragmatismus wie Sorge verzichteten gleichermaßen darauf, „die Technik selbst zu denken“. Deshalb stellt Bolz klar, dass sie so einiges nicht ist, was wir zur Selbstberuhigung gerne annehmen. Zum Beispiel angewendete Naturwissenschaft: Eher, so Bolz, gebe inzwischen Technik die Forschungsprobleme vor. „Man probiert, was geht.“ Der Techniker erscheint damit als Nachfahre des Künstlers. Es gehe nicht mehr um Kompensation, sondern um den Luxus des Erfindens. Neuere Kunststoffe etwa ahmten nicht Natur nach, sondern machten ihr etwas vor.
Technik ist also kein verlängerter Arm des Menschen. Eher schalte sie den Körper aus. Als „Anti-Darwin-Welt“ (Hans Blumenberg) befreie sie den Menschen vom Selektionsdruck, der dafür auf die evolutionär sich entwickelnde Technik übergehe. Dieser Prozess freilich wirkt für Bolz auf den Menschen selbst zurück, der sich zunehmend selbst maschinenanalog deute, etwa seine Gene als „Programm“. Technik sei deshalb immer auch Social Engineering, zum Beispiel in Gestalt sozialer Netzwerke oder indem Roboter als sozial Handelnde aufträten. Was die Apologeten unterschätzen, ist im Prinzip also, dass Techniken benutzt werden, „nicht weil man sie braucht, sondern weil es sie gibt“. Sie sind nämlich vor allem eines nie: neutral.
Doch was sie denn nun sei, die Technik, das zu denken gelingt auch Bolz hier nicht so recht, auch wenn er ausgiebig mit denen rechtet, die es bereits versuchten, mit Husserl, Blumenberg oder Luhmann. Letztlich stellt Heidegger dafür ebenso die Begründung wie mit seiner Wortschöpfung für „Technik“ schon den Buchtitel: Das „Gestell“ denke nicht. Es löse, so Bolzens Übersetzung, Erkenntnis durch Know-how ab, Wahrheit durch Arbeitshypothesen. Aber muss deshalb auch dieser Essay zunehmend unklar werden? Allzu häufig ersetzt Bolz Argumentation durch zitierfähige Aphorismen und Geistesblitze. Das kommt apodiktisch daher, ist es dann aber eigentlich nicht.
MICHAEL STALLKNECHT
Norbert Bolz: Das Gestell. Wilhelm Fink Verlag, München 2012. 137 Seiten, 16,90 Euro.
Der Techniker erscheint als
Nachfahre des Künstlers
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