So rasch wie möglich will der Ich-Erzähler, ehemaliger Reiseleiter und begnadeter Fabulierer, wieder aus Zürich weg. Doch die Folgen eines Unfalls halten diesen Wanderer zwischen Welten, Städten und Frauenherzen in seiner Heimatstadt fest. Von einer Bekannten läßt er sich überreden, Touristen durch die Stadt zu führen. Listig und hinterhältig beginnt er vor seinem Publikum Dichtung und Wahrheit zu vermischen, der Leser erfährt Unerhörtes über durchtriebene Äbtissinnen, eine folgenreiche Wappenfälschung, über Zwinglis Visionen oder die Gefährlichkeit von Kopfsteinen.
Während einer seiner Führungen glaubt er seine ehemalige Freundin Mira zu sehen, die zehn Jahre zuvor aus seinem Leben verschwunden ist. Was er vergessen wollte, bricht wieder auf, die Erinnerungen an die gemeinsamen Jahre in Amsterdam verfolgen ihn. War es wirklich Mira, oder doch nicht? Die Suche nach ihr wird zur Auseinandersetzung mit seinem vergangenen und gegenwärtigen Leben. Und wie die Sehnsucht nach Mira wächst auch die Angst, ihr wieder zu begegnen.
Jürg Beeler erzählt in eindringlichen und poetischen Bildern von leidenschaftlicher Liebe und verspieltem Glück - und von der Unzuverlässigkeit historischer Überlieferung sowie des eigenen Erinnerns. Mit Ironie und Witz beleuchtet er nicht nur die spannungsgeladene Beziehung der Geschlechter zueinander, sondern auch das ambivalente Verhältnis von Dichtung und Wahrheit.
Während einer seiner Führungen glaubt er seine ehemalige Freundin Mira zu sehen, die zehn Jahre zuvor aus seinem Leben verschwunden ist. Was er vergessen wollte, bricht wieder auf, die Erinnerungen an die gemeinsamen Jahre in Amsterdam verfolgen ihn. War es wirklich Mira, oder doch nicht? Die Suche nach ihr wird zur Auseinandersetzung mit seinem vergangenen und gegenwärtigen Leben. Und wie die Sehnsucht nach Mira wächst auch die Angst, ihr wieder zu begegnen.
Jürg Beeler erzählt in eindringlichen und poetischen Bildern von leidenschaftlicher Liebe und verspieltem Glück - und von der Unzuverlässigkeit historischer Überlieferung sowie des eigenen Erinnerns. Mit Ironie und Witz beleuchtet er nicht nur die spannungsgeladene Beziehung der Geschlechter zueinander, sondern auch das ambivalente Verhältnis von Dichtung und Wahrheit.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 29.12.2004Ertrinken in Zürich
Fremdenführung durch das eigene Ich: Jürg Beelers Kurzroman
Ein Mann, der den Fremden dasjenige zeigt, was die Stadt ihnen verschweigt: ein interessanter Beruf. Vor Italienern entdeckt er sein dramatisches Talent, den schwäbischen Nonnen bringt er lieber jene drei Äbtissinnen nahe, die ganz und gar unkeusch, dafür aber mit erheblichem politischen und ökonomischen Verstand das Wohl der Stadt zu mehren wußten. Der Ich-Erzähler aus Jürg Beelers schmalem neuen Roman blickt tief in die Schichten seiner Heimatstadt, die er nach einer plötzlichen Schicksalswendung als Fremdenführer durchquert. In Zürich sitzt er, weil er zu krank ist, um wieder flüchten zu können, als Reiseleiter nach Kairo, Indien oder Paris.
In seinen Stadtführungen, aus denen der Leser eine Menge Material für künftige Zürich-Besuche gewinnen kann, schwingt eine beißende Kritik mit, gespeist aus der Kenntnis der schweizerischen Befindlichkeit in einer der kleinsten Metropolen der Welt. Doch schon zu Beginn schlägt sich Beelers ausgeprägte Beobachtungsgabe in mitunter recht belanglosen Episoden nieder. So lamentiert das Fremdenführer-Ich über den Zürcher Paradeplatz: "Wer Steine im Kopf wälzt, stolpert leicht über Kopfsteine, Kopfsteine sind Stolpersteine und somit hinterhältig." Fazit: Weil die Schweizer Regierung "die Bürger vor gefährlicher Kopfarbeit" schützen will, wurde der Platz asphaltiert.
Immer wieder tut sich in solchen Exkursen das Dilemma auf, in dem Beeler steckt: Ihm, der mit einem Lyrikband debütierte, liegen die Metaphern, die Wortkaskaden, die lyrische Prosa. Zugleich entgleitet seine Geschichte immer wieder, geopfert für einen etwas manierierten Gedanken hier, eine aufgesetzte Milieustudie dort.
"Das Gewicht einer Nacht" - der Titel bleibt unerklärt - birgt die Erinnerungen eines noch nicht alten und nicht mehr jungen Mannes. An die Kindheit zwischen dem alkoholabhängigen Vater und der enttäuschten Mutter. An die erste Liebe, die ihn verriet, und die weite Welt, die er als Entdecker für andere bereiste - bis er in Holland der deutlich jüngeren Mira begegnete und von Seßhaftigkeit und Familie träumte. Ausgelöst werden die Erinnerungen durch den zufälligen Blick auf eine Passantin: Es ist Mira, die er, nachdem sie ihn zehn Jahre zuvor verließ, aus der Ferne wiedersieht. Beelers Ich-Erzähler muß sich vergegenwärtigen, daß er vielleicht damals sein Lebensglück verloren hat. Eine traurige Geschichte, wie jede große Liebe, die unglücklich endet.
Mira jedoch ist sein Konstrukt, eine Frau, die sich ihm und auch dem Leser nur aus seinen eigenen Interpretationen erschließt. Der Erzähler erkennt das: "Die Erinnerung schreibt ihre eigene Geschichte. Sie ist der Autor, nicht ich", so heißt es an einer Stelle. Doch Beeler, dem das Betrachten so gut gelingt, läßt seinen armen Erzähler genau wie Mira, der er schließlich in einem Restaurant samt Gatten gegenübersteht, ertrinken: in Metaphern und disparaten Szenen, die nur selten auf den Grund der Melancholie reichen. Das erinnernde Ich ist zu Recht gefangen in seiner Geschichte. Leider kann sich der Autor nicht entscheiden, was davon er eigentlich erzählen will.
EVA-MARIA MAGEL
Jürg Beeler: "Das Gewicht einer Nacht". Haymon Verlag, Zürich 2004. 144 S., geb., 15,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Fremdenführung durch das eigene Ich: Jürg Beelers Kurzroman
Ein Mann, der den Fremden dasjenige zeigt, was die Stadt ihnen verschweigt: ein interessanter Beruf. Vor Italienern entdeckt er sein dramatisches Talent, den schwäbischen Nonnen bringt er lieber jene drei Äbtissinnen nahe, die ganz und gar unkeusch, dafür aber mit erheblichem politischen und ökonomischen Verstand das Wohl der Stadt zu mehren wußten. Der Ich-Erzähler aus Jürg Beelers schmalem neuen Roman blickt tief in die Schichten seiner Heimatstadt, die er nach einer plötzlichen Schicksalswendung als Fremdenführer durchquert. In Zürich sitzt er, weil er zu krank ist, um wieder flüchten zu können, als Reiseleiter nach Kairo, Indien oder Paris.
In seinen Stadtführungen, aus denen der Leser eine Menge Material für künftige Zürich-Besuche gewinnen kann, schwingt eine beißende Kritik mit, gespeist aus der Kenntnis der schweizerischen Befindlichkeit in einer der kleinsten Metropolen der Welt. Doch schon zu Beginn schlägt sich Beelers ausgeprägte Beobachtungsgabe in mitunter recht belanglosen Episoden nieder. So lamentiert das Fremdenführer-Ich über den Zürcher Paradeplatz: "Wer Steine im Kopf wälzt, stolpert leicht über Kopfsteine, Kopfsteine sind Stolpersteine und somit hinterhältig." Fazit: Weil die Schweizer Regierung "die Bürger vor gefährlicher Kopfarbeit" schützen will, wurde der Platz asphaltiert.
Immer wieder tut sich in solchen Exkursen das Dilemma auf, in dem Beeler steckt: Ihm, der mit einem Lyrikband debütierte, liegen die Metaphern, die Wortkaskaden, die lyrische Prosa. Zugleich entgleitet seine Geschichte immer wieder, geopfert für einen etwas manierierten Gedanken hier, eine aufgesetzte Milieustudie dort.
"Das Gewicht einer Nacht" - der Titel bleibt unerklärt - birgt die Erinnerungen eines noch nicht alten und nicht mehr jungen Mannes. An die Kindheit zwischen dem alkoholabhängigen Vater und der enttäuschten Mutter. An die erste Liebe, die ihn verriet, und die weite Welt, die er als Entdecker für andere bereiste - bis er in Holland der deutlich jüngeren Mira begegnete und von Seßhaftigkeit und Familie träumte. Ausgelöst werden die Erinnerungen durch den zufälligen Blick auf eine Passantin: Es ist Mira, die er, nachdem sie ihn zehn Jahre zuvor verließ, aus der Ferne wiedersieht. Beelers Ich-Erzähler muß sich vergegenwärtigen, daß er vielleicht damals sein Lebensglück verloren hat. Eine traurige Geschichte, wie jede große Liebe, die unglücklich endet.
Mira jedoch ist sein Konstrukt, eine Frau, die sich ihm und auch dem Leser nur aus seinen eigenen Interpretationen erschließt. Der Erzähler erkennt das: "Die Erinnerung schreibt ihre eigene Geschichte. Sie ist der Autor, nicht ich", so heißt es an einer Stelle. Doch Beeler, dem das Betrachten so gut gelingt, läßt seinen armen Erzähler genau wie Mira, der er schließlich in einem Restaurant samt Gatten gegenübersteht, ertrinken: in Metaphern und disparaten Szenen, die nur selten auf den Grund der Melancholie reichen. Das erinnernde Ich ist zu Recht gefangen in seiner Geschichte. Leider kann sich der Autor nicht entscheiden, was davon er eigentlich erzählen will.
EVA-MARIA MAGEL
Jürg Beeler: "Das Gewicht einer Nacht". Haymon Verlag, Zürich 2004. 144 S., geb., 15,90 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Schöne Sprache, beachtliches poetisches Talent, doch kein guter Roman - so lautet das Fazit der Rezensentin Eva-Maria Magel. Beeler lässt seinen Erzähler als Fremdenführer die Stadt Zürich durchqueren und dabei in seine Erinnerungen an die Kindheit und an die große und verlorene Liebe abtauchen. Oder nein: Eher überschwemmen sie ihn, mit "Metaphern und disparaten Szenen, die nur selten auf den Grund der Melancholie reichen". Beelers Dilemma: "Ihm, der mit einem Lyrikband debütierte, liegen die Metaphern, die Wortkaskaden, die lyrische Prosa. Zugleich entgleitet seine Geschichte immer wieder, geopfert für einen etwas manierierten Gedanken hier, eine aufgesetzte Milieustudie dort." Doch was will er eigentlich erzählen?
© Perlentaucher Medien GmbH
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