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Ostberlin, Mitte der 1990er: Endlich ist Christina angekommen in der Stadt ihrer Träume. Berlin nach dem Mauerfall, das ist für die junge Amerikanerin die Verheißung, der Ort der unbegrenzten Möglichkeiten. Sie kann es kaum erwarten, die Geheimnisse dieser so lange verborgenen Stadt und ihrer Bewohner zu ergründen, und sie will dabei die abgelegenen Pfade betreten. Sie zieht in eine Hausgemeinschaft in einem ehemals besetzten Haus, wo die Lebenskünstlerin Meta einen Salon betreibt. Abend für Abend sitzen dort die früheren Hausbesetzer zusammen und diskutieren über die neugewonnene Freiheit,…mehr

Produktbeschreibung
Ostberlin, Mitte der 1990er: Endlich ist Christina angekommen in der Stadt ihrer Träume. Berlin nach dem Mauerfall, das ist für die junge Amerikanerin die Verheißung, der Ort der unbegrenzten Möglichkeiten. Sie kann es kaum erwarten, die Geheimnisse dieser so lange verborgenen Stadt und ihrer Bewohner zu ergründen, und sie will dabei die abgelegenen Pfade betreten. Sie zieht in eine Hausgemeinschaft in einem ehemals besetzten Haus, wo die Lebenskünstlerin Meta einen Salon betreibt. Abend für Abend sitzen dort die früheren Hausbesetzer zusammen und diskutieren über die neugewonnene Freiheit, über die Abgründe des Kapitalismus und den untergehenden Sozialismus: die ehemalige Schauspielerin und Kadersozialistin Karla etwa, oder Wolfgang, der ehemalige Grenzsoldat, in den sich Christina verliebt. Für sie ist die junge Hausgemeinschaft die Verwirklichung einer sozialistischen Utopie, und sie saugt die Gespräche begierig auf.Doch als die rätselhafte, unnahbare Malerin Vera Grünberg in den obersten Stock einzieht, gerät die Utopie ins Wanken. Denn in Vera vermuten die anderen die mögliche Besitzerin des Hauses, geradezu obsessiv spürt Meta dem Gerücht nach, vor dem Krieg habe im Gartenhaus ein Wunderrabbi namens Grynberg gelebt. Und dann kommt es tatsächlich zu einem Wunder...»Isabel Fargo Cole pflegt einen elegischen, versonnenen Stil, der Seltenheitswert hat.« Katrin Hillgruber, Deutschlandfunk Büchermarkt
Autorenporträt
Isabel Fargo Cole, geboren 1973 in Galena, Illinois, USA, wuchs in New York City auf. Sie studierte Literatur, Geschichte und Philosophie in Chicago sowie Russisch und Neuere Deutsche Literatur an der Humboldt-Universität Berlin. Seit 1995 lebt sie als freie Schriftstellerin und Übersetzerin in Berlin; sie hat u. a. Wolfgang Hilbig und Franz Fühmann ins Englische übersetzt und wurde 2018 mit dem Helen und Kurt Wol Übersetzerpreis ausgezeichnet. Ihr Debütroman »Die grüne Grenze« war für den Klaus-Michael Kühne-Preis 2017 und für den Preis der Leipziger Buchmesse 2018 nominiert.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.10.2019

Grenzopfer zweiten Grades

Im Wunderwasserglas: Isabel Fargo Cole lässt eine Amerikanerin in Berlin die Zeit nach der Wende erkunden und ein System finden, das noch längst nicht tot ist.

Von Fridtjof Küchemann

Hätten sie nicht einfach sitzen bleiben können, wie in dieser Sommernacht irgendwann Mitte der Neunziger in diesem heruntergekommenen Gartenhaus irgendwo im Berliner Scheunenviertel? Hätten sie nicht einfach immer weiterreden können, wie Christina sie ein paar Tage zuvor ein erstes Mal hatte reden hören am Lagerfeuer in Polen - Meta über das Leben als Punkerin in der DDR, Thorsten vom Schwarzhandel mit Westplatten, Eva und Bruno übers Trampen durch Sibirien zu Sowjetzeiten? Die Gruppe, die Isabel Fargo Cole in ihrem zweiten Roman, "Das Gift der Biene", im Ost-Berlin der Nachwendejahre versammelt hat, bringt genug Spannung mit und genug Entspanntheit, genug Überzeugungen und ausreichend Unentschlossenheit, um sich aufs Schönste die Köpfe heiß zu reden: Wolfgang, der Bibliothekar, der es in Ostzeiten auf Westbücher und nun, in Westzeiten, auf Ostbücher abgesehen hat, Dora mit dem kleinen Modeladen, die arbeitslosen Russischlehrer und all die anderen.

Es hätte genügen können, was an jenem Abend schließlich auch genügt hatte, als Wolfgang Christina all den anderen vorgestellt hatte: zu sagen, woher seine neue Freundin kommt - "aus Amiland". "Elend" hatten sie bereits genannt, was Christina stets für Freiheit gehalten hatte, oder kühler "das System". Mit ihrer Erzählerin hat Isabel Fargo Cole, selbst in Illinois geboren und in den Neunzigern zum Studieren nach Berlin gekommen, einer pittoresken Schar eher orientierungsarmer Idealisten eine Verkörperung des Kapitalismus wider Willen ausgesetzt, diskussionswütigen Leuten, die zwar "damals" allesamt den Sozialismus abgelehnt hatten, inzwischen aber annahmen, er sei, weil zu gut für diese Welt, nur schlicht gescheitert.

Der Ansatz der Autorin passt in unsere Zeit: Dreißig Jahre nach dem Fall der Mauer scheinen wir in unseren Erinnerungen und Bestandsaufnahmen so mit uns selbst beschäftigt, als wären wir damals allein gewesen. Als wäre, was damals wieder ineinander zu wachsen begann, nicht unter den Augen der Welt ineinandergewachsen oder aus der Nähe begleitet worden von teilnehmenden Beobachterinnen wie der amerikanischen Erzählerin in "Das Gift der Biene".

Doch die Autorin belässt es nicht dabei, ihre Figuren einander "ans Messer zu liefern", wie Christina selbst es nennt. Sie lässt ihre Leute reisen, einen malerischen Neuzugang das immer noch verfallene Gartenhaus unter den Blicken der Leute, die bis auf Meta in leidlichen Zuständen im renovierten Vorder- und Seitenhaus wohnen, auf den Kopf stellen. Isabel Fargo Cole kommt mit ausgeklügelten Leidensgeschichten und lässt ihre Leute gar in einem esoterischen Exkurs annehmen, ein Wunderrabbi habe einst in jenem Gartenhaus gelebt, und sein Wirken wirke nach. Kein Wunder, dass hier Gesichte sieht, wer nur tief genug ins Glas schaut. Freilich in ein Glas des leicht modrig riechenden Wassers, das nach Umbauarbeiten auf einmal aus der Außenwand zu tropfen beginnt.

Meta war in der DDR in die Geschlossene gekommen, in der schon die eigene Mutter Jahrzehnte zuvor ebenfalls als "asoziales Element" gesessen hatte. Die Mutter der neu zugezogenen Vera, in der Christina folgerichtig ein "Grenzopfer zweiten Grades" sieht, ist ein Republikflüchtling. Wolfgang hatte damals im Harz, an der grünen Grenze, den Befehl, auf Volksverräter wie sie zu schießen. Im Schlaf spricht er darüber bruchstückhaft, träumt davon, alle Tiere, die über die Grenze wechseln, abschießen zu müssen, "wenn ein dummes Reh es hinüberschafft, dann schafft es jeder, wo kämen wir da hin?" Wach dagegen geht er lieber, wenn es an ihm wäre zu erzählen, und bleibt jede Antwort schuldig. Einmal, im Winter, wandert er mit Christina am alten Grenzfluss, der Warmen Bode, entlang. Später ist sie es, die sich an nichts erinnern kann.

Immer wieder fallen Fargo Coles Schlaglichter auf das Thema Flucht, beharrlich stellt die Autorin heraus, auf welche Weise Flucht Teil der deutschen Geschichte und Teil so vieler deutscher Geschichten ist, lange vor der Flüchtlingskrise der vergangenen fünf Jahre. Ihre Kommilitonin Meta hat Christina in einem Seminar zur jüdischen Geistesgeschichte Berlins kennengelernt, später fährt die Freundin nach Israel, um Gespräche mit Holocaust-Überlebenden zu filmen, und kommt mit der Erkenntnis zurück, die Leute, die sie dort getroffen hat, sollten eigentlich ihre Nachbarn sein, alte Leutchen, wie man sie eher beim Bäcker und auf den Straßen Berlins trifft statt in Tel Aviv. Und noch etwas bringt Meta von ihrer Reise mit, während derer die Malerin Vera, Leipziger Schule, bei ihr unters Dach gezogen ist: den Entschluss, Kunst zu machen.

Das Bienengift aus dem Buchtitel bezieht sich nicht nur auf einen Notfall am Ende des Romans, der einen Todesfall überlagert, sondern auch auf mehr als zweihundert Jahre alte Zeilen des englischen Dichters und Malers William Blake: "The Poison of the Honey Bee / Is the Artist's Jealousy." Ein Künstlerroman also? Tatsächlich lässt Fargo Cole mit den ungleichen Künstlerinnen, der strengen, empfindlichen, zurückgezogenen Malerin Vera und der robusten Meta, die mit Hilfe des ganzen Hauses als erstes Werk eine sargähnliche Installation aus Bienenwachs schafft, auch noch zwei künstlerische Konzepte aufeinanderprallen, die sich in den sprechenden Namen ihrer Protagonistinnen spiegeln. Ausgetragen wird dieser Gegensatz freilich nicht.

"Damals bei uns machte das Suchenwollen wahnsinnig, weil es nur nach innen gehen konnte", sagt Meta einmal. In "Das Gift der Biene" suchen sie eher außen, in den anderen, im Wunderwasserglas. Isabel Fargo Coles Erzählerin bleibt auf Distanz, sie stellt sich nur einmal, weil sie sich stellen muss, bei ihrer Initiation, als Verkörperung des "Systems". Ihr spezieller Gegensatz, ihre Suche nach innen in diesem Außen, bleibt blass. Wie überhaupt einige Gegensätze in diesem Roman, darunter ein paar Prachtexemplare, eher gegeneinander gelehnt werden statt aneinander gerieben. So funkeln sie, doch sie schlagen keine Funken.

Isabel Fargo Cole: "Das Gift der Biene". Roman.

Edition Nautilus, Hamburg 2019. 224 S., geb., 20,- [Euro].

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