Es war die Zeit, in der Edison mit seiner elektrischen Glühbirne für Aufsehen sorgte, als Frauen an der amerikanischen Ostküste erstmals die Gestirne erkundeten. Ein Professor der Harvard University engagierte sie Anfang der 1880er-Jahre zunächst als "Computer" - als Rechnerinnen - am Observatorium. Darunter nicht nur Familienmitglieder von Astronomen, sondern auch Absolventinnen der neuen Frauen-Colleges und begeisterte Sternbeobachterinnen. Und sie leisteten wahrlich Erstaunliches: Die ledige Mutter und ehemalige Haushälterin Williamina Fleming etwa machte durch ihre Berechnungen allein schon an die 300 Sterne ausfindig. Die Pfarrerstochter Antonia Maury entwickelte eine eigene Klassifikation der Planeten, die heute als Grundstein der modernen Astrophysik gelten kann. Doch wenige der Harvard-Frauen fanden später die verdiente Anerkennung auf einer eigenen Forschungsstelle. Dem Wirken der ambitionierten Wissenschaftlerinnen ein Denkmal zu setzen ist daher Dava Sobels Anliegen mit ihrem neuen, spannend erzählten Buch.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 20.12.2017Für einen Sternenkatalog braucht man ein gutes Auge
Als Computer noch Rechnerinnen waren: Dava Sobel erzählt von den Frauen, die zum ersten Mal den Himmel inventarisierten
Als Henry Draper im Alter von zwanzig Jahren durch England reiste, stattete er dem Earl of Rosse einen Besuch ab, dem ehemaligen Präsidenten der Royal Society, der das weltweit größte Teleskop besaß: der Spiegel 1,83 Meter im Durchmesser und fast vier Tonnen schwer, das Rohr sechzehn Meter lang. Lord Rosse konnte damit die Spiralstruktur ferner Nebel erkennen. Für Fotografien jedoch war das Teleskop ungeeignet. Der unbewegliche Koloss konnte nicht nachgeführt werden.
Henry Draper war mit der Fotografie groß geworden. Sein Vater hatte bereits 1839 die ersten Bilder vom Mond gemacht und später das Lichtspektrum der Sonne aufgenommen. Zurück in Amerika baute Draper ein eigenes Spiegelteleskop für die Himmelsfotografie. Er wollte die Arbeit des Vaters auf die Sternenwelt ausweiten, um Aufschluss über die chemische Zusammensetzung der Himmelskörper zu erlangen. Mit Hilfe eines Prismas im Innern des Teleskops, welches das ankommende Sternenlicht in seine Farbkomponenten und charakteristischen Linien zerlegte, gelang es ihm 1872 erstmals, das Lichtspektrum eines Sterns, der Wega, zu fotografieren und so "den Arm der Chemiker um Millionen Meilen zu verlängern".
Die amerikanische Autorin Dava Sobel hat der ersten Sterninventur mit fotografischen Mitteln ein faszinierendes Buch gewidmet: Es erzählt die Geschichte des "Henry-Draper-Sternenkatalogs". Protagonist ist nicht der Namenspatron, der die Himmelsdurchmusterung in Angriff nehmen wollte. Draper starb bereits im Alter von fünfundvierzig Jahren. Der besondere Reiz des Buches liegt im Auftritt all jener Frauen, die das Archiv über Jahrzehnte hinweg aufbauten, die Positionen von mehreren hunderttausend Sternen bestimmten und auflisteten, die Sterne nach Art ihres Lichtspektrums klassifizierten und Entdeckungen machten.
Dava Sobel, durch erfolgreiche populärwissenschaftliche Bücher wie "Längengrad" oder "Galileos Tochter" bekannt geworden, beginnt ihr aufwendig recherchiertes Buch mit Henry Drapers Tod im November 1882. Kurz nach dem Begräbnis wendet sich Anna Palmer Draper an den Direktor des Harvard-College-Observatoriums, Edward Charles Pickering. Sie möchte ihr Erbe dafür einsetzen, dass die Forschungen ihres verstorbenen Gatten fortgeführt werden können.
Pickering ergreift die Gunst der Stunde. Ihn interessiert nicht nur die bereits vorliegende Sammlung fotografischer Platten. Nachdem er sich der Vorzüge der neuen Aufnahmetechnik versichert hat, ist er dazu bereit, den Großteil der Forschung am Observatorium auf Fotografie umzustellen. Angesichts der Fülle des zu erwartenden Datenmaterials braucht er jedoch Personal, appelliert an Hobby-Astronomen, bei der Sache mitzuwirken, und ruft in Zeitungsartikeln insbesondere Frauen dazu auf, ihn zu unterstützen.
In chronologisch geordneten Kapiteln beschreibt Dava Sobel, wer sich von 1882 an als "Computer", als "Rechnerin", am Observatorium einfindet. Absolventinnen von Frauen-Colleges, Gattinnen von Astronomen und ehemalige Hausangestellte beteiligen sich an der Erschaffung eines Sternenkatalogs, der den gesamten Nord- und Südhimmel abdecken soll. Sobel steigt in ihre Biographien ein, vermittelt Einblicke in gesellschaftliche wie kosmische Zusammenhänge. Über weite Strecken des Buches erlebt man die Frauen jedoch bei der Routinearbeit: der Auswertung der Aufnahmen, die ein gutes Auge, Präzision und vor allem Ausdauer verlangen.
Es ist eine Stärke dieses wunderbaren Buches, dass es diese ermüdende buchhalterische Tätigkeit immer im Auge behält. Der inhaltliche Fokus liegt nicht auf windigen Theorien über Riesensterne oder die Größe der Milchstraße, sondern auf dem Himmelskatalog, einer Faktensammlung als Garant für dauerhafte Erkenntnis. Sobel zitiert aus spröden Institutsnachrichten und Bulletins, Veröffentlichungen und Briefen, ohne an Anschaulichkeit einzubüßen. Die Darstellung gibt einen exzellenten Eindruck davon, was solche Forschung an der Schwelle zum zwanzigsten Jahrhundert bedeutete und dass jene Momente ausgesprochen rar waren, in denen aus dem Licht einer Handvoll Sterne plötzlich ein wissenschaftshistorisches Ereignis wurde.
Die Frauen, die sich über Glasplatten beugen, bleiben zunächst anonym. Während ihre Zahl wächst und das Observatorium neue Teleskope und eine Außenstelle bei Arequipa in Peru hinzugewinnt, beginnen einige von ihnen mit eigenen Forschungsarbeiten. Irgendwann werden die Namen von Antonia Maury, Annie Jump Cannon, Henrietta Swan Leavitt oder Cecilia Helena Payne in Publikationen genannt. Sie fahren zu Tagungen, gewinnen Stipendien und Preise, werden Mitglieder astronomischer Gesellschaften und reisen zu Kongressen nach Europa, wo sie sich daran gewöhnen müssen, allein unter neunzig Männern zu sein. In Deutschland etwa nehme keine einzige Frau an der Tagung der Astronomischen Gesellschaft teil, berichtet Annie Jump Cannon 1913 aus Hamburg.
In diesem Zusammenhang mag eine Umfrage unter deutschen Forschern und Gelehrten in den Jahren 1895/96 von Interesse sein. Sie brachte ans Licht, dass die überwältigende Mehrheit dem Frauenstudium ablehnend gegenüberstand, auch in der Astronomie. Als Begründung hieß es, studierte Frauen würden "ihrem natürlichen Berufe als Hausfrau und Mutter entfremdet". Einige Wissenschaftler gestanden ein, dass sie die Konkurrenz fürchteten, weil "die Frauen, indem sie hinsichtlich des Berufes mit den Männern in Wettbewerb treten, dadurch den Letzteren das Fortkommen erschweren". Lediglich der Berliner Astronom Wilhelm Foerster stimmte einem Frauenstudium vorbehaltlos zu, da ihm "überhaupt nicht der leiseste Zweifel an der vollen Ebenbürtigkeit des weiblichen Intellekts gegenüber dem männlichen gerechtfertigt" zu sein schien.
Foerster durfte sich durch die Arbeiten der Frauen am Harvard-Observatorium vollauf bestätigt sehen. Henrietta Swan Leavitt zum Beispiel richtet ihr Hauptaugenmerk auf Sterne, deren Leuchtkraft sich periodisch verändert. Eine Aufnahme der Kleinen Magellanschen Wolke, die am 28. Oktober 1897 mit einem Teleskop in Arequipa gemacht wurde, illustriert ihre Arbeit. Die fotografische Platte mit der Bezeichnung B20678 enthält etwa 100 000 Sterne. Einige davon sind beschriftet. Leavitt hat diese veränderlichen Sterne markiert, um sie auf anderen Platten wiederzufinden und Helligkeitsschwankungen zu bestimmen.
Auf diese Weise kann sie bis zum Jahr 1912 einen erstaunlichen Zusammenhang zwischen der Leuchtkraft der veränderlicher Sterne und ihrer Periode feststellen. Diese Perioden-Leuchtkraft-Beziehung ermöglicht es bis heute, riesige kosmische Entfernungen zu bestimmen. So konnte geklärt werden, dass die beiden Magellanschen Wolken oder der Andromedanebel nicht zur Milchstraße gehören, sondern ferne Galaxien sind, eigene Welteninseln. Im Jahr 1926 sollt Henrietta Swan Leavitt dafür für den Nobelpreis nominiert werden. Dann erfährt die Königlich Schwedische Akademie der Wissenschaften, dass Leavitt inzwischen gestorben ist.
Mit Ende des Zweiten Weltkriegs nimmt die Geschichte des "Henry-Draper-Katalogs" eine Wendung. Viele ehemalige Mitarbeiter kehren ans Observatorium zurück, unter ihnen auch Ellen Dorrit Hoffleit, die zuvor für die amerikanische Armee die Flugbahnen von Schiffsgeschützen und von erbeuteten V-2-Raketen berechnet hatte. Jetzt, da sie sich wieder den Sternen zuwendet, wertet sie die Daten mit Hilfe von IBM-Computern aus. "Die Tage der menschlichen ,Computer' waren gezählt - sie wurden abgelöst von Maschinen, die mit Nullen und Einsen arbeiteten."
Zwei Jahrzehnte später jedoch sind die guten Augen, Ausdauer und Präzision plötzlich auf einem anderen wissenschaftlichen Gebiet gefragt: in der Elementarteilchenphysik. In den sechziger Jahren entstehen in den Laboratorien am Cern bei Genf und am Desy in Hamburg Blasenkammern zum Nachweis von Partikeln. In den mit einer Flüssigkeit gefüllten Kammern hinterlassen einlaufende Teilchen Spuren aus winzigen Bläschen, ähnlich einem Kondensstreifen am Himmel. Wiederum sind es vorwiegend Frauen, die, als "Scannerinnen" angeworben, aus dem Gewimmel der Partikelkollisionen die interessanten Ereignisse herauszufiltern verstehen und den fast ausnahmslos männlichen Theoretikern auf die Sprünge helfen. Sie werden namenlos bleiben, es sei denn, jemand mit den beeindruckenden Fähigkeiten einer Dava Sobel setzt ihnen ein Denkmal.
THOMAS DE PADOVA
Dava Sobel: "Das Glas-Universum". Wie Frauen die Sterne entdeckten.
Aus dem Englischen von Thorsten Schmidt und Christiane Wagler. Berlin Verlag, Berlin 2017. 464 S., geb., 26,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Als Computer noch Rechnerinnen waren: Dava Sobel erzählt von den Frauen, die zum ersten Mal den Himmel inventarisierten
Als Henry Draper im Alter von zwanzig Jahren durch England reiste, stattete er dem Earl of Rosse einen Besuch ab, dem ehemaligen Präsidenten der Royal Society, der das weltweit größte Teleskop besaß: der Spiegel 1,83 Meter im Durchmesser und fast vier Tonnen schwer, das Rohr sechzehn Meter lang. Lord Rosse konnte damit die Spiralstruktur ferner Nebel erkennen. Für Fotografien jedoch war das Teleskop ungeeignet. Der unbewegliche Koloss konnte nicht nachgeführt werden.
Henry Draper war mit der Fotografie groß geworden. Sein Vater hatte bereits 1839 die ersten Bilder vom Mond gemacht und später das Lichtspektrum der Sonne aufgenommen. Zurück in Amerika baute Draper ein eigenes Spiegelteleskop für die Himmelsfotografie. Er wollte die Arbeit des Vaters auf die Sternenwelt ausweiten, um Aufschluss über die chemische Zusammensetzung der Himmelskörper zu erlangen. Mit Hilfe eines Prismas im Innern des Teleskops, welches das ankommende Sternenlicht in seine Farbkomponenten und charakteristischen Linien zerlegte, gelang es ihm 1872 erstmals, das Lichtspektrum eines Sterns, der Wega, zu fotografieren und so "den Arm der Chemiker um Millionen Meilen zu verlängern".
Die amerikanische Autorin Dava Sobel hat der ersten Sterninventur mit fotografischen Mitteln ein faszinierendes Buch gewidmet: Es erzählt die Geschichte des "Henry-Draper-Sternenkatalogs". Protagonist ist nicht der Namenspatron, der die Himmelsdurchmusterung in Angriff nehmen wollte. Draper starb bereits im Alter von fünfundvierzig Jahren. Der besondere Reiz des Buches liegt im Auftritt all jener Frauen, die das Archiv über Jahrzehnte hinweg aufbauten, die Positionen von mehreren hunderttausend Sternen bestimmten und auflisteten, die Sterne nach Art ihres Lichtspektrums klassifizierten und Entdeckungen machten.
Dava Sobel, durch erfolgreiche populärwissenschaftliche Bücher wie "Längengrad" oder "Galileos Tochter" bekannt geworden, beginnt ihr aufwendig recherchiertes Buch mit Henry Drapers Tod im November 1882. Kurz nach dem Begräbnis wendet sich Anna Palmer Draper an den Direktor des Harvard-College-Observatoriums, Edward Charles Pickering. Sie möchte ihr Erbe dafür einsetzen, dass die Forschungen ihres verstorbenen Gatten fortgeführt werden können.
Pickering ergreift die Gunst der Stunde. Ihn interessiert nicht nur die bereits vorliegende Sammlung fotografischer Platten. Nachdem er sich der Vorzüge der neuen Aufnahmetechnik versichert hat, ist er dazu bereit, den Großteil der Forschung am Observatorium auf Fotografie umzustellen. Angesichts der Fülle des zu erwartenden Datenmaterials braucht er jedoch Personal, appelliert an Hobby-Astronomen, bei der Sache mitzuwirken, und ruft in Zeitungsartikeln insbesondere Frauen dazu auf, ihn zu unterstützen.
In chronologisch geordneten Kapiteln beschreibt Dava Sobel, wer sich von 1882 an als "Computer", als "Rechnerin", am Observatorium einfindet. Absolventinnen von Frauen-Colleges, Gattinnen von Astronomen und ehemalige Hausangestellte beteiligen sich an der Erschaffung eines Sternenkatalogs, der den gesamten Nord- und Südhimmel abdecken soll. Sobel steigt in ihre Biographien ein, vermittelt Einblicke in gesellschaftliche wie kosmische Zusammenhänge. Über weite Strecken des Buches erlebt man die Frauen jedoch bei der Routinearbeit: der Auswertung der Aufnahmen, die ein gutes Auge, Präzision und vor allem Ausdauer verlangen.
Es ist eine Stärke dieses wunderbaren Buches, dass es diese ermüdende buchhalterische Tätigkeit immer im Auge behält. Der inhaltliche Fokus liegt nicht auf windigen Theorien über Riesensterne oder die Größe der Milchstraße, sondern auf dem Himmelskatalog, einer Faktensammlung als Garant für dauerhafte Erkenntnis. Sobel zitiert aus spröden Institutsnachrichten und Bulletins, Veröffentlichungen und Briefen, ohne an Anschaulichkeit einzubüßen. Die Darstellung gibt einen exzellenten Eindruck davon, was solche Forschung an der Schwelle zum zwanzigsten Jahrhundert bedeutete und dass jene Momente ausgesprochen rar waren, in denen aus dem Licht einer Handvoll Sterne plötzlich ein wissenschaftshistorisches Ereignis wurde.
Die Frauen, die sich über Glasplatten beugen, bleiben zunächst anonym. Während ihre Zahl wächst und das Observatorium neue Teleskope und eine Außenstelle bei Arequipa in Peru hinzugewinnt, beginnen einige von ihnen mit eigenen Forschungsarbeiten. Irgendwann werden die Namen von Antonia Maury, Annie Jump Cannon, Henrietta Swan Leavitt oder Cecilia Helena Payne in Publikationen genannt. Sie fahren zu Tagungen, gewinnen Stipendien und Preise, werden Mitglieder astronomischer Gesellschaften und reisen zu Kongressen nach Europa, wo sie sich daran gewöhnen müssen, allein unter neunzig Männern zu sein. In Deutschland etwa nehme keine einzige Frau an der Tagung der Astronomischen Gesellschaft teil, berichtet Annie Jump Cannon 1913 aus Hamburg.
In diesem Zusammenhang mag eine Umfrage unter deutschen Forschern und Gelehrten in den Jahren 1895/96 von Interesse sein. Sie brachte ans Licht, dass die überwältigende Mehrheit dem Frauenstudium ablehnend gegenüberstand, auch in der Astronomie. Als Begründung hieß es, studierte Frauen würden "ihrem natürlichen Berufe als Hausfrau und Mutter entfremdet". Einige Wissenschaftler gestanden ein, dass sie die Konkurrenz fürchteten, weil "die Frauen, indem sie hinsichtlich des Berufes mit den Männern in Wettbewerb treten, dadurch den Letzteren das Fortkommen erschweren". Lediglich der Berliner Astronom Wilhelm Foerster stimmte einem Frauenstudium vorbehaltlos zu, da ihm "überhaupt nicht der leiseste Zweifel an der vollen Ebenbürtigkeit des weiblichen Intellekts gegenüber dem männlichen gerechtfertigt" zu sein schien.
Foerster durfte sich durch die Arbeiten der Frauen am Harvard-Observatorium vollauf bestätigt sehen. Henrietta Swan Leavitt zum Beispiel richtet ihr Hauptaugenmerk auf Sterne, deren Leuchtkraft sich periodisch verändert. Eine Aufnahme der Kleinen Magellanschen Wolke, die am 28. Oktober 1897 mit einem Teleskop in Arequipa gemacht wurde, illustriert ihre Arbeit. Die fotografische Platte mit der Bezeichnung B20678 enthält etwa 100 000 Sterne. Einige davon sind beschriftet. Leavitt hat diese veränderlichen Sterne markiert, um sie auf anderen Platten wiederzufinden und Helligkeitsschwankungen zu bestimmen.
Auf diese Weise kann sie bis zum Jahr 1912 einen erstaunlichen Zusammenhang zwischen der Leuchtkraft der veränderlicher Sterne und ihrer Periode feststellen. Diese Perioden-Leuchtkraft-Beziehung ermöglicht es bis heute, riesige kosmische Entfernungen zu bestimmen. So konnte geklärt werden, dass die beiden Magellanschen Wolken oder der Andromedanebel nicht zur Milchstraße gehören, sondern ferne Galaxien sind, eigene Welteninseln. Im Jahr 1926 sollt Henrietta Swan Leavitt dafür für den Nobelpreis nominiert werden. Dann erfährt die Königlich Schwedische Akademie der Wissenschaften, dass Leavitt inzwischen gestorben ist.
Mit Ende des Zweiten Weltkriegs nimmt die Geschichte des "Henry-Draper-Katalogs" eine Wendung. Viele ehemalige Mitarbeiter kehren ans Observatorium zurück, unter ihnen auch Ellen Dorrit Hoffleit, die zuvor für die amerikanische Armee die Flugbahnen von Schiffsgeschützen und von erbeuteten V-2-Raketen berechnet hatte. Jetzt, da sie sich wieder den Sternen zuwendet, wertet sie die Daten mit Hilfe von IBM-Computern aus. "Die Tage der menschlichen ,Computer' waren gezählt - sie wurden abgelöst von Maschinen, die mit Nullen und Einsen arbeiteten."
Zwei Jahrzehnte später jedoch sind die guten Augen, Ausdauer und Präzision plötzlich auf einem anderen wissenschaftlichen Gebiet gefragt: in der Elementarteilchenphysik. In den sechziger Jahren entstehen in den Laboratorien am Cern bei Genf und am Desy in Hamburg Blasenkammern zum Nachweis von Partikeln. In den mit einer Flüssigkeit gefüllten Kammern hinterlassen einlaufende Teilchen Spuren aus winzigen Bläschen, ähnlich einem Kondensstreifen am Himmel. Wiederum sind es vorwiegend Frauen, die, als "Scannerinnen" angeworben, aus dem Gewimmel der Partikelkollisionen die interessanten Ereignisse herauszufiltern verstehen und den fast ausnahmslos männlichen Theoretikern auf die Sprünge helfen. Sie werden namenlos bleiben, es sei denn, jemand mit den beeindruckenden Fähigkeiten einer Dava Sobel setzt ihnen ein Denkmal.
THOMAS DE PADOVA
Dava Sobel: "Das Glas-Universum". Wie Frauen die Sterne entdeckten.
Aus dem Englischen von Thorsten Schmidt und Christiane Wagler. Berlin Verlag, Berlin 2017. 464 S., geb., 26,- [Euro].
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"Sobel hat eine exzellent recherchierte Wissenschaftsgeschichte verfasst (...).", Deutschlandfunk Kultur "Lesart", 03.02.2018