Die Eltern des Autors lernen sich in Palästina kennen: Sarah, seine Mutter, ist mit ihrer Familie aus Odessa eingewandert, der Vater Mosche ist in Tarnopol geboren und hat sich vor der Auswanderung ins 'Gelobte Land' in Berlin als Kaffeehausgeiger durchgeschlagen. Weder Sarah noch Mosche können im späteren Staat Israel heimisch werden, doch während das Gefühl der Unbehaustheit, des Emigrantentums bei Sarah emotionale Kälte bewirkt, entwickelt Mosche eine geradezu schwärmerische Nostalgie für die deutsche Sprache und Kultur.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.01.1997Das wird dir noch leid tun
Yoram Kaniuk rührt ungerührt im Beziehungstopf
Sarah Kaniuk hatte es nicht nur kommen sehen, sie hatte es ihrem Sohn Yoram auch oft gesagt: Zu ihrem Begräbnis werde er ja sowieso nicht kommen. Und hinterher werde ihm das leid tun. Das sagte sie zum ersten Mal neunundvierzig Jahre vor ihrem Tod. Als sie mit sechsundachtzig Jahren in Israel stirbt, ist Yoram in einem vornehmen Hotel in Stockholm und kommt tatsächlich nicht zu ihrem Begräbnis. Seiner Schwester, die ihn telefonisch von Sarahs Tod benachrichtigt, erzählt er etwas von einem Ohrenleiden, das einen schnellen Rückflug unmöglich mache. Statt dessen notiert er seine Gedanken in ein schwarzes Heft, das er schon im Gepäck hat, um nach Sarahs absehbarem Tod darüber zu schreiben. Er bringt zu Papier, was ihm in der Trauerwoche, die er weiter in Skandinavien verbringt, in den Kopf kommt - zu dieser Mutter, zu deren verstorbenem Gatten, seinem Vater Mosche, und zu den anderen Menschen, die nach Pälastina kamen, um schließlich im Staat Israel zu leben. Und was er selbst eigentlich damit zu tun hat, besonders mit Sarah und Mosche.
Daß ihm ihr Tod leid tun werde, mit dieser Prognose lag die Mutter offenbar falsch: "Sarah hatte die seltene Gabe zu existieren, ohne zu leben, und da sie nie gelebt hatte, was sollte der Tod da beenden?" Nichts ist es also mit postumen Freundlichkeiten, Yoram Kaniuk rechnet mit ihr und seinem Vater in einer Art ab, wie man sie von Reflexionen über Nazi-Eltern kennt: direkt und kategorisch. Dabei handelte es sich um geachtete Leute, Sarah als Pädagogin aus Leidenschaft und ebenso leidenschaftliche Anhängerin des Aufbaus des jüdischen Staates und erfüllt von beträchtlichem Stolz, daß ihre Mülltonnen neben denen von Golda Meir standen, ihr Mann Mosche als ehemaliger Generaldirektor des Museums von Tel Aviv, Organisator großer Ausstellungen und befreundet mit den kulturellen Größen seiner Zeit.
Zu Hause allerdings hatten es Yoram und seine Schwester Miranda mit Eltern zu tun, die zwar ihre Qualitäten hatten, Mosche etwa als "größter Soda-Experte der Welt" und Sarah als Inhaberin der "ans Genialische grenzenden Fähigkeit, das Essen zu verderben", die aber sonst in ihrem Eigensinn verkümmerten: "Sie war allein, er war allein, die Kinder saßen dazwischen und waren auch allein." Wobei Yoram dieses jung als leidvoll erfahrene Alleinsein als Erwachsener sogar suchte, um Sarahs besitzergreifender Mütterlichkeit zu entkommen. Er ging ins Ausland und schlug sich mit diversen Jobs durch; er nennt das sein "Dauerexil von siebzehn Jahren".
So liefert "Das Glück im Exil" - wie das Buch im ausgesprochen willkürlich gewählten deutschen Titel heißt statt des treffenden "Post mortem" der Originalausgabe - Bilder und durch die Bilder schließlich die Geschichte einer fast exemplarisch mißlungenen Ehe, die gleichwohl weiterbestand und deren Mechanik an die Kinder außergewöhnliche Anforderungen stellte, wollten sie diesem Mahlwerk entkommen. Wie weit Yoram das gelungen ist, wird übrigens wenig deutlich, weil Kaniuk sich durchaus nicht in der Opferrolle sonnt, sondern eher die Eltern als Opfer sieht, Opfer ihrer selbst, denen es nicht gelang, ihre lebensfeindlichen Strukturen zu sprengen. Daß ihnen diese Strukturen nicht unbekannt waren, daß sie sie zumindest ahnten, dafür nimmt Kaniuk einzelne Episoden aus dem Leben der Eltern als Indiz. Er schränkt aber auch ein: "Vielleicht wissen wir nur sehr wenig über die entscheidenden Momente im Leben unserer Eltern."
"Glück im Exil" ist die Chronik glückloser privater Beziehungen, anrührend im mehrfachen Sinne, prall voll Leben und Tod. Yoram Kaniuk hat kürzlich geäußert, dieses Buch, in dem er über Yoram Kaniuk schreibt, sei nicht strikt als Autobiographie zu verstehen. Hier nun das Faktische vom Fiktionalen zu sondern erscheint so unmöglich wie überflüssig. Um so mehr, als Kaniuks Buch auch ein Lesebuch zu dem ist, was politisch gern "die besonderen deutsch-israelischen Beziehungen" genannt wird. Das fängt hier damit an, daß Mosche Kaniuk, Bäckerssohn aus Tarnopol in der Ukraine, 1918 bis 1925 in Berlin und Heidelberg studierte, in letzterer Stadt buchstäblich sein Herz an eine von Yoram nicht zu identifizierende Frau verlor und in Deutschland eine kulturelle und sprachliche Heimat fand, die er 1926 nach Palästina mitnahm. Wenn er nach dem Schlaganfall, der ihn zum Krüppel machte, noch sprach, dann in Zitaten deutscher Klassiker.
Der Sohn wurde 1929 bei einer Deutschlandreise des jungen Ehepaares Kaniuk in Weimar gezeugt und später vom Vater ganz selbstverständlich zum Gebrauch des Deutschen angehalten, was nicht ohne weiteres gelang: "Die deutsche Sprache erweckte in mir den Wunsch, in die Hose zu pinkeln", schreibt Kaniuk über eine Zeit, zu der er ebenfalls bemerkt, daß die Kinder der Emigranten aus Deutschland lärmende Paraden abhielten, bei denen sie Nazifahnen schwenkten und dafür den Beifall der Araber erhielten.
Und als er später mit seinem Vater Arnold Zweig besuchte, der ihm als "nörgelnder, vorwurfsvoller Gefangener, der nach Hause wollte" in Erinnerung ist, da hörten Mosche Kaniuk und Arnold Zweig auf Kurzwelle die Stimme des Dritten Reiches und kommentierten und kritisierten die Wortneuschöpfungen der Nazis: "Da saßen sie nun im Haifa der vierziger Jahre, ein hebräischer Museumsdirektor aus Galizien und ein verfolgter deutsch-jüdischer Schriftsteller, und retteten die deutsche Sprache, wachten über sie, lechzten nach ihr." BURKHARD SCHERER
Yoram Kaniuk: "Das Glück im Exil". Roman. Aus dem Hebräischen übersetzt von Beate Esther von Schwarze. List Verlag, München 1996. 352 Seiten, geb., 39,80 DM.
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Yoram Kaniuk rührt ungerührt im Beziehungstopf
Sarah Kaniuk hatte es nicht nur kommen sehen, sie hatte es ihrem Sohn Yoram auch oft gesagt: Zu ihrem Begräbnis werde er ja sowieso nicht kommen. Und hinterher werde ihm das leid tun. Das sagte sie zum ersten Mal neunundvierzig Jahre vor ihrem Tod. Als sie mit sechsundachtzig Jahren in Israel stirbt, ist Yoram in einem vornehmen Hotel in Stockholm und kommt tatsächlich nicht zu ihrem Begräbnis. Seiner Schwester, die ihn telefonisch von Sarahs Tod benachrichtigt, erzählt er etwas von einem Ohrenleiden, das einen schnellen Rückflug unmöglich mache. Statt dessen notiert er seine Gedanken in ein schwarzes Heft, das er schon im Gepäck hat, um nach Sarahs absehbarem Tod darüber zu schreiben. Er bringt zu Papier, was ihm in der Trauerwoche, die er weiter in Skandinavien verbringt, in den Kopf kommt - zu dieser Mutter, zu deren verstorbenem Gatten, seinem Vater Mosche, und zu den anderen Menschen, die nach Pälastina kamen, um schließlich im Staat Israel zu leben. Und was er selbst eigentlich damit zu tun hat, besonders mit Sarah und Mosche.
Daß ihm ihr Tod leid tun werde, mit dieser Prognose lag die Mutter offenbar falsch: "Sarah hatte die seltene Gabe zu existieren, ohne zu leben, und da sie nie gelebt hatte, was sollte der Tod da beenden?" Nichts ist es also mit postumen Freundlichkeiten, Yoram Kaniuk rechnet mit ihr und seinem Vater in einer Art ab, wie man sie von Reflexionen über Nazi-Eltern kennt: direkt und kategorisch. Dabei handelte es sich um geachtete Leute, Sarah als Pädagogin aus Leidenschaft und ebenso leidenschaftliche Anhängerin des Aufbaus des jüdischen Staates und erfüllt von beträchtlichem Stolz, daß ihre Mülltonnen neben denen von Golda Meir standen, ihr Mann Mosche als ehemaliger Generaldirektor des Museums von Tel Aviv, Organisator großer Ausstellungen und befreundet mit den kulturellen Größen seiner Zeit.
Zu Hause allerdings hatten es Yoram und seine Schwester Miranda mit Eltern zu tun, die zwar ihre Qualitäten hatten, Mosche etwa als "größter Soda-Experte der Welt" und Sarah als Inhaberin der "ans Genialische grenzenden Fähigkeit, das Essen zu verderben", die aber sonst in ihrem Eigensinn verkümmerten: "Sie war allein, er war allein, die Kinder saßen dazwischen und waren auch allein." Wobei Yoram dieses jung als leidvoll erfahrene Alleinsein als Erwachsener sogar suchte, um Sarahs besitzergreifender Mütterlichkeit zu entkommen. Er ging ins Ausland und schlug sich mit diversen Jobs durch; er nennt das sein "Dauerexil von siebzehn Jahren".
So liefert "Das Glück im Exil" - wie das Buch im ausgesprochen willkürlich gewählten deutschen Titel heißt statt des treffenden "Post mortem" der Originalausgabe - Bilder und durch die Bilder schließlich die Geschichte einer fast exemplarisch mißlungenen Ehe, die gleichwohl weiterbestand und deren Mechanik an die Kinder außergewöhnliche Anforderungen stellte, wollten sie diesem Mahlwerk entkommen. Wie weit Yoram das gelungen ist, wird übrigens wenig deutlich, weil Kaniuk sich durchaus nicht in der Opferrolle sonnt, sondern eher die Eltern als Opfer sieht, Opfer ihrer selbst, denen es nicht gelang, ihre lebensfeindlichen Strukturen zu sprengen. Daß ihnen diese Strukturen nicht unbekannt waren, daß sie sie zumindest ahnten, dafür nimmt Kaniuk einzelne Episoden aus dem Leben der Eltern als Indiz. Er schränkt aber auch ein: "Vielleicht wissen wir nur sehr wenig über die entscheidenden Momente im Leben unserer Eltern."
"Glück im Exil" ist die Chronik glückloser privater Beziehungen, anrührend im mehrfachen Sinne, prall voll Leben und Tod. Yoram Kaniuk hat kürzlich geäußert, dieses Buch, in dem er über Yoram Kaniuk schreibt, sei nicht strikt als Autobiographie zu verstehen. Hier nun das Faktische vom Fiktionalen zu sondern erscheint so unmöglich wie überflüssig. Um so mehr, als Kaniuks Buch auch ein Lesebuch zu dem ist, was politisch gern "die besonderen deutsch-israelischen Beziehungen" genannt wird. Das fängt hier damit an, daß Mosche Kaniuk, Bäckerssohn aus Tarnopol in der Ukraine, 1918 bis 1925 in Berlin und Heidelberg studierte, in letzterer Stadt buchstäblich sein Herz an eine von Yoram nicht zu identifizierende Frau verlor und in Deutschland eine kulturelle und sprachliche Heimat fand, die er 1926 nach Palästina mitnahm. Wenn er nach dem Schlaganfall, der ihn zum Krüppel machte, noch sprach, dann in Zitaten deutscher Klassiker.
Der Sohn wurde 1929 bei einer Deutschlandreise des jungen Ehepaares Kaniuk in Weimar gezeugt und später vom Vater ganz selbstverständlich zum Gebrauch des Deutschen angehalten, was nicht ohne weiteres gelang: "Die deutsche Sprache erweckte in mir den Wunsch, in die Hose zu pinkeln", schreibt Kaniuk über eine Zeit, zu der er ebenfalls bemerkt, daß die Kinder der Emigranten aus Deutschland lärmende Paraden abhielten, bei denen sie Nazifahnen schwenkten und dafür den Beifall der Araber erhielten.
Und als er später mit seinem Vater Arnold Zweig besuchte, der ihm als "nörgelnder, vorwurfsvoller Gefangener, der nach Hause wollte" in Erinnerung ist, da hörten Mosche Kaniuk und Arnold Zweig auf Kurzwelle die Stimme des Dritten Reiches und kommentierten und kritisierten die Wortneuschöpfungen der Nazis: "Da saßen sie nun im Haifa der vierziger Jahre, ein hebräischer Museumsdirektor aus Galizien und ein verfolgter deutsch-jüdischer Schriftsteller, und retteten die deutsche Sprache, wachten über sie, lechzten nach ihr." BURKHARD SCHERER
Yoram Kaniuk: "Das Glück im Exil". Roman. Aus dem Hebräischen übersetzt von Beate Esther von Schwarze. List Verlag, München 1996. 352 Seiten, geb., 39,80 DM.
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