Von Anläufen und Enttäuschungen, vom Finden und Wegwerfen. Und vom Glück des Gelingens. Das neue Buch von Arno Geiger
Frühmorgens bricht ein junger Mann mit dem Fahrrad in die Straßen der Stadt auf. Was er dort tut, bleibt sein Geheimnis. Zerschunden und müde kehrt er zurück. Und oft ist er glücklich. Jahrzehntelang hat Arno Geiger ein Doppelleben geführt. Jetzt erzählt er davon, pointiert, auch voller Witz und mit großer Offenheit. Wie er Dinge tat, die andere unterlassen. Wie gewunden, schmerzhaft und überraschend Lebenswege sein können, auch der Weg zur großen Liebe. Wie er als Schriftsteller gegen eine Mauer rannte, bevor der Erfolg kam. Und von der wachsenden Sorge um die Eltern. Ein Buch voller Lebens- und Straßenerfahrung, voller Menschenkenntnis, Liebe und Trauer.
Frühmorgens bricht ein junger Mann mit dem Fahrrad in die Straßen der Stadt auf. Was er dort tut, bleibt sein Geheimnis. Zerschunden und müde kehrt er zurück. Und oft ist er glücklich. Jahrzehntelang hat Arno Geiger ein Doppelleben geführt. Jetzt erzählt er davon, pointiert, auch voller Witz und mit großer Offenheit. Wie er Dinge tat, die andere unterlassen. Wie gewunden, schmerzhaft und überraschend Lebenswege sein können, auch der Weg zur großen Liebe. Wie er als Schriftsteller gegen eine Mauer rannte, bevor der Erfolg kam. Und von der wachsenden Sorge um die Eltern. Ein Buch voller Lebens- und Straßenerfahrung, voller Menschenkenntnis, Liebe und Trauer.
Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension
Rezensent Paul Jandl staunt über die Fundstücke, die Arno Geiger in fünfundzwanzig Jahren aus Wiener Altpapier-Containern holte: Eine "Gründliche Violinschule" von Leopold Mozart aus dem Jahr 1770 etwa, aber auch eine Taschenbuch-Ausgabe seines eigenen Romans "Es geht uns gut". Auch ansonsten ist das Buch eine wahre Fundgrube, denn Oberflächlichkeit ist Geigers Sache nicht, fährt der Kritiker fort. Von Geigers Familiengeschichte liest Jandl ebenso wie von schwierigen literarischen Anläufen, auch Beziehungsgeschichten werden detailreich ausgebreitet. Darüber hinaus aber ist das Buch Poetologie und Werkstattbericht, erläutert der Rezensent. Zwar hält er nicht jeden Aphorismus im Text für ein intellektuelles Bonmot, dennoch denkt er nach der Lektüre ein wenig wehmütig an Zeiten zurück, als Briefe und Tagebücher noch im Müll und nicht in den Untiefen von Festplatten endeten.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 10.01.2023Aus der
Tonne
Arno Geiger erzählt in einem
autobiografischen Essay, wie Schätze des Wiener
Altpapiers sein Leben verändert haben
VON MARIE SCHMIDT
Verboten sei ja nicht, was er getan habe, schreibt Arno Geiger. Eher tabuisiert, also etwas, für das man sich schämen, vor dem man sich ekeln soll. Selbst wenn es sich um etwas Alltägliches handelt, wie das „Rotzfressen in der Öffentlichkeit“. Im Müll zu wühlen, ist auch kein sozial anerkanntes Verhalten. Die Gesellschaft wendet sich ab, „jemand, der im Abfall nach Verwertbarem sucht, bewegt sich in einer anderen Sphäre. So jemandem schaut man nicht ins Gesicht mit der Frage: Kommt mir dieses Gesicht bekannt vor?“ Deswegen konnte er es jahrelang regelmäßig tun, noch als er schon ein bekannter Schriftsteller war, gesteht Geiger in seinem autobiografischen Essay „Das glückliche Geheimnis“. So sei er überhaupt erst zu dem geworden, der er heute ist.
Das Merkwürdige an diesem Buch ist nun nicht das Geständnis dieser eher lässlichen Übertretung. Zumal man gehässigerweise sagen könnte, dass sich in letzter Zeit die Konventionen des autobiografischen Schreibens derart gelockert haben, dass noch die Langweiligsten unter uns obskure Geheimnisse als Vorwand finden, ihre Privatsachen zu Literatur zu machen. Irritierend ist vielmehr, wie rasant das harmlose Bekenntnis hier die Rechtfertigung eines ganzen Lebenswandels nach sich zieht: des Schreibens von Arno Geiger und seines Handelns als Mann, Sohn, Liebhaber, Lebensgefährte.
So ungeschützten Bekenntnissen kann man sich schwer entziehen, besonders wenn sie im jovialen, sinnlich sinnreichen Ton von Geiger gegeben werden. „Diese Offenheit passiert mir nicht einfach“, schreibt er, „ich entscheide mich bewusst für sie, weil ich glaube, dass sie das Leben sichtbar macht.“ Und das hat mit einer Erfahrung zu tun, die Geiger im Müll gefunden haben will.
Er erzählt, wie es angefangen hat. Mit fünf Bananenkartons voller Bücher neben einem Container an der Kettenbrückengasse in Wien. Ein Zufallsfund als Student, der die riskante Idee hatte, vom Schreiben leben zu wollen. Von da an sind für ihn die Papiertonnen der Stadt eine Quelle für literarische Entdeckungen, manchmal Druckerpapier, auch Geld, wenn er Fundstücke in Auktionshäuser und auf Flohmärkte trägt. Es sind die späten Achtziger- und Neunzigerjahre, vor der Digitalisierung. Es lohnt sich.
Er geht auf Touren durch die Bezirke, zuerst zu Fuß, später mit dem Fahrrad, um den Zufall systematisch herauszufordern. Je nach Stimmung einer Lebensphase spürt er die körperliche Erfrischung dieser Ausflüge, kultiviert sie als Tüchtigkeit oder empfindet etwas Trostloses, eine zwanghafte Beliebigkeit.
Damit ist das manchmal peinliche, manchmal erfolgreiche Durchkämmen des Altpapiers auch ein guter Rahmen, um vom Künstler als jungem Mann zu erzählen, vom Schwanken zwischen Selbstzweifeln und notwendigem Größenwahn. Wie anspruchsvoll es ist, an sich selbst glauben zu müssen, während es der Welt bestenfalls egal ist, ob Arno aus dem Vorarlberg Schriftsteller wird oder halt nicht, spürt man genau. Gerade weil Geiger mit einer retrospektiven Belustigung davon spricht.
Nach ein paar eher schwergängigen Romanen hat er 2005 für den Familienroman „Es geht uns gut“ den Deutschen Buchpreis bekommen, sein autobiografisches Buch „Der alte König in seinem Exil“ über die Demenz des Vaters war ein Bestseller und etablierte ihn endgültig als gefragten Autor der deutschsprachigen Kulturszene. Wenn man sich für deren Betrieb interessiert, gibt es in Geigers neuem Buch ein paar feine Anekdoten. Zum Beispiel darüber, wie der Hanser-Verlag, bei dem auch „Ein glückliches Geheimnis“ wieder erscheint, die Geduld mit dem zwischendurch glücklosen Autor zu verlieren drohte. In der Rolle des solidarischen Förderers kommt der Lektor Wolfgang Matz vor. Kurz vor der Buchpreisverleihung taucht dann „der Verleger“, Michael Krügers Name wird nicht genannt, im Frankfurter Römer auf und raunt dem ungläubigen Geiger durch halboffenen Mund zu, was er von Kontakten vorab herausbekommen hat: „Es hat geklappt mit dem Preis.“ Erfolge sind Chefsache.
Immerhin: „Als Schriftsteller ist man bei den wenigsten Frauen von vornherein chancenlos, das ist einer der Vorteile des Berufs.“ Geiger findet Gefährtinnen, die weder sein Schreiben noch das Suchen im Abfall beargwöhnen, sondern es sogar aufregend finden. Wie er überhaupt, so kritisch er mit dem eigenen Beziehungsverhalten umgeht, ein eher glücklicher Liebender zu sein scheint. Die zweite feste Freundin der Geschichte ist bereits jene „K.“, die er später heiratet und der das Buch gewidmet ist.
Dazwischen liegen ein paar aufwühlende Jahre, in denen das Paar sich die Zerwürfnisse und Freiheiten liberaler, finanziell unabhängiger Leute gönnt, die sich immer doch nicht trennen, bis sie Lebensgefährten in einem guten, großen Sinn sind. Die Liebesgeschichten dieses Buches brauchen den Leidensmut der älteren Bohème nicht, den man durch den vor Kurzem veröffentlichten Briefwechsel zwischen Ingeborg Bachmann und Max Frisch wieder im Ohr hat. Oder zumindest nicht mehr davon, als das Bildungsbürgertum zu Selbsterfahrungszwecken in sein Verhaltensrepertoire aufgenommen hat. Am Ende wird immer sehr aufgeräumt miteinander geschlafen, das ist schön, höchstens mag man sich fragen, warum man immerzu davon erfährt.
Es hat mit dem literarischen Programm zu tun, das sich Arno Geiger mit den Jahren aneignet. Noch als der Erfolg da ist, radelt er weiter durch Wien und taucht in die Altpapiercontainer hinab. Bücher zum Verkaufen nimmt er jetzt keine mehr mit, sondern sucht gezielt nach Tagebüchern und Briefen, Notizen aus dem gewöhnlichen Leben, die offenbar in größter Vertrauensseligkeit weggeworfen werden. Die studiert er, liest sich Menschenkenntnis an und geht in ihre Stilschule, „denn die Sprache erzähle von ihrem alltäglichen Gebrauch, im Guten wie im Schlechten. Und handwerklich: Die Selbstverständlichkeit, mit der Dinge vorausgesetzt würden“.
Den Schriftsteller frappiert die „unverkrampfte Direktheit“, mit der Menschen nur für sich schreiben. Viel inkonsequenter seien sie, als es Romanfiguren glauben machen wollen. Arno Geiger nimmt sich ein Vorbild und beschließt, „ein Künstler des Ungekünstelten zu werden“. Daher kommt nach eigenen Angaben seine leicht lesbare Schreibweise. Und er besiegelt seinen Entschluss in diesem Buch noch einmal, indem er so umstandslos, wie sich ihm die anonymen Großstadtbewohner preisgegeben haben, das eigene Leben zum Gegenstand macht. Unter der einen künstlerischen Maßgabe allerdings, „dem Persönlichen grundsätzliche Bedeutung zu geben“.
Nun ist absichtlich unverkrampft und ungekünstelt zu sein, ein widersprüchliches Verfahren – zumal wenn dabei auch noch Grundsätze abgesteckt werden sollen. Dass man mit einem peinlichen Geständnis am besten von sich und unangenehmeren Schmerzen ablenken kann, weiß jeder, der die Dynamik von Privatheit heute erlebt. Und dass Echtheit oft Theater ist, das man vor sich selbst aufführt, um es als authentische Rolle einzuüben, muss man zwei Jahrzehnte nach der Erfindung der Social Media niemandem mehr erklären. Arno Geiger leugnet all das nicht. Womöglich sind seine Bekenntnisse eines „Künstlers des Ungekünstelten“ ein Loblied auf diese Dialektik. Nur schleift ihr die treuherzige Aufrichtigkeit, mit der er seinen Lebenslauf durchgeht, ganz schön die Kanten ab.
Kalt kann seine humorvolle Beichte aber niemanden lassen. Der Anschein echten Lebens in der Kunst übt diesen Zwang aus: Man kann nicht wegsehen. Schon in der Woche, bevor das Buch erschien, wurde es in vielen Medien besprochen. Es hat Kritiker gegeben, die wollten deswegen mit Geiger befreundet sein, und solche, die verärgert bei der Wiener Polizei nachfragten, ob man das darf, private Briefe aus dem Müll lesen. Antwort: Wo kein Kläger, da kein Richter.
„Na wennschon“, schreibt Arno Geiger: „Ich mag meine Bücher, ganz bestimmt, sie sind aus nichts anderem hervorgegangen als meinem Leben. Aber sie sind nicht das Wesentliche. Ich lebe, um zu leben. Und neben diesem Leben, das zu leben ist, ist das Werk ein Nichts.“ Vielleicht ist es in der Literatur wie im Leben: Das Glück, wenn es sich so einfach gibt, zu ertragen, verlangt der Ausgeglichenheit des Zuhörers und der Leserin einiges ab.
„Als Schriftsteller ist man
bei den wenigsten Frauen von
vornherein chancenlos“
Arno Geiger:
Das glückliche
Geheimnis. Hanser,
München 2023.
240 Seiten, 25 Euro.
Altpapier ist
eine Ressource. Bevor
es zermahlen und
recycelt wird, rettet der
österreichische
Schriftsteller Arno
Geiger (unten) daraus
Zeugnisse des Alltags.
Foto: P. Pleul/dpa/G.Leber/imago
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Tonne
Arno Geiger erzählt in einem
autobiografischen Essay, wie Schätze des Wiener
Altpapiers sein Leben verändert haben
VON MARIE SCHMIDT
Verboten sei ja nicht, was er getan habe, schreibt Arno Geiger. Eher tabuisiert, also etwas, für das man sich schämen, vor dem man sich ekeln soll. Selbst wenn es sich um etwas Alltägliches handelt, wie das „Rotzfressen in der Öffentlichkeit“. Im Müll zu wühlen, ist auch kein sozial anerkanntes Verhalten. Die Gesellschaft wendet sich ab, „jemand, der im Abfall nach Verwertbarem sucht, bewegt sich in einer anderen Sphäre. So jemandem schaut man nicht ins Gesicht mit der Frage: Kommt mir dieses Gesicht bekannt vor?“ Deswegen konnte er es jahrelang regelmäßig tun, noch als er schon ein bekannter Schriftsteller war, gesteht Geiger in seinem autobiografischen Essay „Das glückliche Geheimnis“. So sei er überhaupt erst zu dem geworden, der er heute ist.
Das Merkwürdige an diesem Buch ist nun nicht das Geständnis dieser eher lässlichen Übertretung. Zumal man gehässigerweise sagen könnte, dass sich in letzter Zeit die Konventionen des autobiografischen Schreibens derart gelockert haben, dass noch die Langweiligsten unter uns obskure Geheimnisse als Vorwand finden, ihre Privatsachen zu Literatur zu machen. Irritierend ist vielmehr, wie rasant das harmlose Bekenntnis hier die Rechtfertigung eines ganzen Lebenswandels nach sich zieht: des Schreibens von Arno Geiger und seines Handelns als Mann, Sohn, Liebhaber, Lebensgefährte.
So ungeschützten Bekenntnissen kann man sich schwer entziehen, besonders wenn sie im jovialen, sinnlich sinnreichen Ton von Geiger gegeben werden. „Diese Offenheit passiert mir nicht einfach“, schreibt er, „ich entscheide mich bewusst für sie, weil ich glaube, dass sie das Leben sichtbar macht.“ Und das hat mit einer Erfahrung zu tun, die Geiger im Müll gefunden haben will.
Er erzählt, wie es angefangen hat. Mit fünf Bananenkartons voller Bücher neben einem Container an der Kettenbrückengasse in Wien. Ein Zufallsfund als Student, der die riskante Idee hatte, vom Schreiben leben zu wollen. Von da an sind für ihn die Papiertonnen der Stadt eine Quelle für literarische Entdeckungen, manchmal Druckerpapier, auch Geld, wenn er Fundstücke in Auktionshäuser und auf Flohmärkte trägt. Es sind die späten Achtziger- und Neunzigerjahre, vor der Digitalisierung. Es lohnt sich.
Er geht auf Touren durch die Bezirke, zuerst zu Fuß, später mit dem Fahrrad, um den Zufall systematisch herauszufordern. Je nach Stimmung einer Lebensphase spürt er die körperliche Erfrischung dieser Ausflüge, kultiviert sie als Tüchtigkeit oder empfindet etwas Trostloses, eine zwanghafte Beliebigkeit.
Damit ist das manchmal peinliche, manchmal erfolgreiche Durchkämmen des Altpapiers auch ein guter Rahmen, um vom Künstler als jungem Mann zu erzählen, vom Schwanken zwischen Selbstzweifeln und notwendigem Größenwahn. Wie anspruchsvoll es ist, an sich selbst glauben zu müssen, während es der Welt bestenfalls egal ist, ob Arno aus dem Vorarlberg Schriftsteller wird oder halt nicht, spürt man genau. Gerade weil Geiger mit einer retrospektiven Belustigung davon spricht.
Nach ein paar eher schwergängigen Romanen hat er 2005 für den Familienroman „Es geht uns gut“ den Deutschen Buchpreis bekommen, sein autobiografisches Buch „Der alte König in seinem Exil“ über die Demenz des Vaters war ein Bestseller und etablierte ihn endgültig als gefragten Autor der deutschsprachigen Kulturszene. Wenn man sich für deren Betrieb interessiert, gibt es in Geigers neuem Buch ein paar feine Anekdoten. Zum Beispiel darüber, wie der Hanser-Verlag, bei dem auch „Ein glückliches Geheimnis“ wieder erscheint, die Geduld mit dem zwischendurch glücklosen Autor zu verlieren drohte. In der Rolle des solidarischen Förderers kommt der Lektor Wolfgang Matz vor. Kurz vor der Buchpreisverleihung taucht dann „der Verleger“, Michael Krügers Name wird nicht genannt, im Frankfurter Römer auf und raunt dem ungläubigen Geiger durch halboffenen Mund zu, was er von Kontakten vorab herausbekommen hat: „Es hat geklappt mit dem Preis.“ Erfolge sind Chefsache.
Immerhin: „Als Schriftsteller ist man bei den wenigsten Frauen von vornherein chancenlos, das ist einer der Vorteile des Berufs.“ Geiger findet Gefährtinnen, die weder sein Schreiben noch das Suchen im Abfall beargwöhnen, sondern es sogar aufregend finden. Wie er überhaupt, so kritisch er mit dem eigenen Beziehungsverhalten umgeht, ein eher glücklicher Liebender zu sein scheint. Die zweite feste Freundin der Geschichte ist bereits jene „K.“, die er später heiratet und der das Buch gewidmet ist.
Dazwischen liegen ein paar aufwühlende Jahre, in denen das Paar sich die Zerwürfnisse und Freiheiten liberaler, finanziell unabhängiger Leute gönnt, die sich immer doch nicht trennen, bis sie Lebensgefährten in einem guten, großen Sinn sind. Die Liebesgeschichten dieses Buches brauchen den Leidensmut der älteren Bohème nicht, den man durch den vor Kurzem veröffentlichten Briefwechsel zwischen Ingeborg Bachmann und Max Frisch wieder im Ohr hat. Oder zumindest nicht mehr davon, als das Bildungsbürgertum zu Selbsterfahrungszwecken in sein Verhaltensrepertoire aufgenommen hat. Am Ende wird immer sehr aufgeräumt miteinander geschlafen, das ist schön, höchstens mag man sich fragen, warum man immerzu davon erfährt.
Es hat mit dem literarischen Programm zu tun, das sich Arno Geiger mit den Jahren aneignet. Noch als der Erfolg da ist, radelt er weiter durch Wien und taucht in die Altpapiercontainer hinab. Bücher zum Verkaufen nimmt er jetzt keine mehr mit, sondern sucht gezielt nach Tagebüchern und Briefen, Notizen aus dem gewöhnlichen Leben, die offenbar in größter Vertrauensseligkeit weggeworfen werden. Die studiert er, liest sich Menschenkenntnis an und geht in ihre Stilschule, „denn die Sprache erzähle von ihrem alltäglichen Gebrauch, im Guten wie im Schlechten. Und handwerklich: Die Selbstverständlichkeit, mit der Dinge vorausgesetzt würden“.
Den Schriftsteller frappiert die „unverkrampfte Direktheit“, mit der Menschen nur für sich schreiben. Viel inkonsequenter seien sie, als es Romanfiguren glauben machen wollen. Arno Geiger nimmt sich ein Vorbild und beschließt, „ein Künstler des Ungekünstelten zu werden“. Daher kommt nach eigenen Angaben seine leicht lesbare Schreibweise. Und er besiegelt seinen Entschluss in diesem Buch noch einmal, indem er so umstandslos, wie sich ihm die anonymen Großstadtbewohner preisgegeben haben, das eigene Leben zum Gegenstand macht. Unter der einen künstlerischen Maßgabe allerdings, „dem Persönlichen grundsätzliche Bedeutung zu geben“.
Nun ist absichtlich unverkrampft und ungekünstelt zu sein, ein widersprüchliches Verfahren – zumal wenn dabei auch noch Grundsätze abgesteckt werden sollen. Dass man mit einem peinlichen Geständnis am besten von sich und unangenehmeren Schmerzen ablenken kann, weiß jeder, der die Dynamik von Privatheit heute erlebt. Und dass Echtheit oft Theater ist, das man vor sich selbst aufführt, um es als authentische Rolle einzuüben, muss man zwei Jahrzehnte nach der Erfindung der Social Media niemandem mehr erklären. Arno Geiger leugnet all das nicht. Womöglich sind seine Bekenntnisse eines „Künstlers des Ungekünstelten“ ein Loblied auf diese Dialektik. Nur schleift ihr die treuherzige Aufrichtigkeit, mit der er seinen Lebenslauf durchgeht, ganz schön die Kanten ab.
Kalt kann seine humorvolle Beichte aber niemanden lassen. Der Anschein echten Lebens in der Kunst übt diesen Zwang aus: Man kann nicht wegsehen. Schon in der Woche, bevor das Buch erschien, wurde es in vielen Medien besprochen. Es hat Kritiker gegeben, die wollten deswegen mit Geiger befreundet sein, und solche, die verärgert bei der Wiener Polizei nachfragten, ob man das darf, private Briefe aus dem Müll lesen. Antwort: Wo kein Kläger, da kein Richter.
„Na wennschon“, schreibt Arno Geiger: „Ich mag meine Bücher, ganz bestimmt, sie sind aus nichts anderem hervorgegangen als meinem Leben. Aber sie sind nicht das Wesentliche. Ich lebe, um zu leben. Und neben diesem Leben, das zu leben ist, ist das Werk ein Nichts.“ Vielleicht ist es in der Literatur wie im Leben: Das Glück, wenn es sich so einfach gibt, zu ertragen, verlangt der Ausgeglichenheit des Zuhörers und der Leserin einiges ab.
„Als Schriftsteller ist man
bei den wenigsten Frauen von
vornherein chancenlos“
Arno Geiger:
Das glückliche
Geheimnis. Hanser,
München 2023.
240 Seiten, 25 Euro.
Altpapier ist
eine Ressource. Bevor
es zermahlen und
recycelt wird, rettet der
österreichische
Schriftsteller Arno
Geiger (unten) daraus
Zeugnisse des Alltags.
Foto: P. Pleul/dpa/G.Leber/imago
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"Geiger lüftet sein Betriebsgeheimnis: Altpapier, das von verblichenen Zeitungen bis alten Briefkonvoluten das Leben in seiner Fülle enthält. Entstanden ist ein Buch, dessen Lektüre richtig glücklich macht." Die Zeit, 16.03.23
"Ein literarisches Ereignis!" Denis Scheck, WDR2, 05.02.23
"Eine beglückende Leseerfahrung." Samira El Ouassil, SWR lesenswert Quartett, 22.02.23
"Spannend und berührend erzählt Arno Geiger in diesem ungewöhnlichen und ungewöhnlich intimen Roman von seinem jahrzehntelangen Doppeleben als Autor und Altpapiersammler... Ein Erkenntnisblitz von einem Buch!" Denis Scheck, ARD druckfrisch, 29.01.23
"Arno Geiger erzählt so bestrickend wie kaum jemand sonst vom gelingenden Leben." Sebastian Fasthuber, Falter, 11.01.23
"Ein Buch, ohne das man künftig nicht mehr über das Romanschreiben (und Lesen und Reden über Literatur) nachdenken sollte." Judith von Sternburg, Frankfurter Rundschau, 10.01.23
"Ein fesselnd autobiografischesBuch." Wolfgang Paterno, Profil, 08.01.23
"Das alles macht er so großartig beiläufig, warmherzig und klug, so entschlossen, gekonnt und frei, dass die Lektüre ein echter menschlicher Gewinn ist. Es gibt nur wenige Bücher, an deren Ende man denkt, es wäre schön, mit dem Autor befreundet zu sein. Dies ist so eins." Eberhard Rathgeb, Die Zeit, 05.01.23
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"Ein Buch, ohne das man künftig nicht mehr über das Romanschreiben (und Lesen und Reden über Literatur) nachdenken sollte." Judith von Sternburg, Frankfurter Rundschau, 10.01.23
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"Das alles macht er so großartig beiläufig, warmherzig und klug, so entschlossen, gekonnt und frei, dass die Lektüre ein echter menschlicher Gewinn ist. Es gibt nur wenige Bücher, an deren Ende man denkt, es wäre schön, mit dem Autor befreundet zu sein. Dies ist so eins." Eberhard Rathgeb, Die Zeit, 05.01.23