Elegie der Einsamkeit und der Freiheit
Annemarie Schwarzenbach war eine rastlos Reisende. Immer umarmt von der Sehnsucht nach Freiheit. Sie stammte aus einer reichen Zürcher Familie, ihr Vater war einer der größten Seidenfabrikanten der Welt, die Mutter und andere Familienmitglieder
liebäugelten mit dem Nationalsozialismus.
Schwarzenbach war morphiumsüchtig und mehrfach in Behandlung, auch…mehrElegie der Einsamkeit und der Freiheit
Annemarie Schwarzenbach war eine rastlos Reisende. Immer umarmt von der Sehnsucht nach Freiheit. Sie stammte aus einer reichen Zürcher Familie, ihr Vater war einer der größten Seidenfabrikanten der Welt, die Mutter und andere Familienmitglieder liebäugelten mit dem Nationalsozialismus.
Schwarzenbach war morphiumsüchtig und mehrfach in Behandlung, auch wegen suizidaler Tendenzen. Sie ist ein Beispiel jener merkwürdigen Zeit, zwischen den Kriegen, in der Schweiz selbst verschont, geschliffen von den Codes einer „abgehobenen“ Gesellschaft, mit internalisierten, lieblosen Gesetzen. Sie selbst beschreibt es so: „Das Leben in der zivilisierten Welt braucht Hilfsmittel, um die unbequemen Träume zu vernichten.“ Ein durchstrukturiertes Leben der Pflichten.
In diesem kleinen Büchlein, das tragisch durchzogen ist von wechselnden Stimmungen und Euphorien der gesuchten und zugleich gefürchteten Einsamkeit, vom Hohen Lied der Freiheit, schält sich schon sehr viel „J’accuse“ der westlichen heuchlerischen Zivilisation heraus und sie war damit ihrer Zeit voraus: „Ich habe den Sitten des Abendlandes den Rücken gekehrt. Und ich frage mich, um welchen Preis erkaufen sie dort den Frieden ihrer Seele? Angst hat Euch gepackt, wenn der Wall Eurer Sitten und Gewohnheiten nicht mehr standhält, Eure Maße und Ziele nichts mehr gelten“ .
Das Tragische an ihrem Leben ist, dass sie weder dort noch hier ihren Seelenfrieden gefunden hat. Vielleicht für Momente in den Umarmungen von Jalé, einer großen fraulichen Liebe, vielleicht in den Begegnungen mit Gauklern, Magiern, Schlangenbeschwörern, Feueranbetern, Haschisch-essern und Opiumrauchern. Vielleicht im „glücklichen Tal“ mit dem Blick auf den sich im Spiel des Lichts immer anders präsentierenden Demawend,
Immer wieder ertönen Heimwehklänge und Angst, den Heimweg als Verlorene Tochter nicht mehr zu finden. Aber auch fast trotzige Passagen: „Man hat nur ein einziges Leben und es will nicht verschwendet und vergeudet sein.“
Annemarie Schwarzenbach hat ihr kurzes Leben trotz aller Zerrissenheit nicht verschwendet und vergeudet. Denn sie war nicht zur Reisende, sie arbeitete an archäologischen Ausgrabungen mit, sie schrieb, sie fotografierte und ihr Nachlass ist ein Bild jener Zeit aus der Feder und mit dem Blick eines ganz besonderen Wesens.
Immer wieder elegische wehmutsvolle Gedanken an die vergehende Zeit: „Man müsste sich erinnern, zurückgehen, Schritt für Schritt, dann würde man sich vielleicht am Anfang wiederfinden. Alles noch einmal sehen, noch einmal zurückkehren.“ Da taucht viel Schmerz auf über das Wechselvolle des Lebens:„mein Gepäck sollte immer leichter werden, keine Gegenstände, keine Namen, keine Bilder, keine Bücher und kein Dach über dem Kopf.“
Aber können solche Wünsche nicht nur entstehen, wenn man eigentlich alles hat? Wenn da als Grundstock der Maslow’schen Pyramide die ökonomische Absicherung vorhanden ist?
Ganz wunderbar in dieser Prosa der Ich-Findung und zugleich der Ich-Entfremdung ist ihre poetische Sprache, ihre übersetzte Sprache der Natur mit wunderbaren Schilderungen des Tals, der Einöde, des Brausens des unsichtbaren Windes, des monotonen Rieselns des Gerölls.
Und die Farbigkeit der nomadischen Nachbarn, der ziegenfilzigen Zelte, der leuchtenden Röcke der Frauen und talabwärts eine andere Natur: Dschungel, Urwald, Reisfelder, Wasserbüffel.
Es ist nicht einfach, sich dem Rhythmus der Sprache und den hin und her springenden Gedanken und Gefühlswelten anzupassen, aber es ist eine Mühe, die sich lohnt.
Ein wichtiges kleines Buch aus einer Zeit, die uns heutigen Lesern so weit entfernt scheint.
Es ist elegisch wie die Duineser Elegien von Rilke, hin und her schwankend wie ein Bambusrohr wie das Glück, das sich der Klage über das menschliche Sein beugt.
Und wer möchte nicht gelegentlich ein Bambusrohr sein?