Glück lässt sich lernen. Das will uns die boomende Glücksindustrie weismachen. Und so explodiert seit den neunziger Jahren die Zahl der Glücksseminare, Glücksratgeber und Happiness-Indizes. Heute liegt es an uns selbst, negative Gefühle zu blockieren, uns selbst zu optimieren und Achtsamkeit zu praktizieren. Dann - so das Heilsversprechen - kommt auch das Glück. Doch was bedeutet es für unsere Gesellschaft, wenn der Staat sich zunehmend nicht mehr für soziale Gerechtigkeit oder ein funktionierendes Gesundheitssystem zuständig fühlt und den Bürgerinnen und Bürgern einer ultra-individualistischen Gesellschaft die gesamte Verantwortung für das eigene Schicksal übertragen wird?
Die israelische Soziologin Eva Illouz und der spanische Psychologe Edgar Cabanas beschreiben in ihrem scharfsinnigen Essay erstmals das gefährliche Potential, das sich hinter der millionenschweren Glücksindustrie verbirgt - und zeigen auf, wer die Nutznießer und wer die Verlierer dieses vermeintlich positiven Trends sind.
Die israelische Soziologin Eva Illouz und der spanische Psychologe Edgar Cabanas beschreiben in ihrem scharfsinnigen Essay erstmals das gefährliche Potential, das sich hinter der millionenschweren Glücksindustrie verbirgt - und zeigen auf, wer die Nutznießer und wer die Verlierer dieses vermeintlich positiven Trends sind.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 27.12.2019Arbeit am Glück
Edgar Cabanas und Eva Illouz sezieren die Positive Psychologie
Wie man auf die Welt blickt, ob einem das Glas halbvoll oder halbleer erscheint, ist auch eine Frage der Einstellung. Natürlich kann es hin und wieder hilfreich sein, sich an das Positive zu halten. Die Positive Psychologie allerdings, wie sie der spanische Psychologe Edgar Cabanas und die israelische Soziologin Eva Illouz in ihrem neuen Buch aufs Korn nehmen, verabsolutiert diesen Gedanken. Glücklich zu sein wird bei ihr zu einer Frage der Technik und der Moral: Wer nicht glücklich ist, hat demnach meist nicht hart genug an sich gearbeitet.
Mit dieser Vision von der Machbarkeit des Glücks macht die Positive Psychologie den Autoren zufolge seit etwa zwanzig Jahren Furore. Die Grundlage dieser etwas erstaunlichen Bemühungen: G=V+L+W, die von Martin Seligman, Begründer der Positiven Psychologie, aufgestellte Glücksformel. Demnach setzt sich Glück zusammen aus der vererbten Bandbreite erreichbaren Glücks, den Lebensumständen und den Faktoren, die unter Kontrolle unseres Willens stehen. Wobei die Gene zu fünfzig Prozent am individuellen Glücklichsein beteiligt sein sollen, die Faktoren "unter Kontrolle unseres Willens" zu 40 Prozent, und nur zehn Prozent auf das Konto der Lebensumstände gehen.
Für Cabanas und Illouz ist das zugleich schlechte Wissenschaft und auf die Spitze getriebener Individualismus. Besonders Seligman selbst hat es den beiden angetan: Erst einmal zeichnen sie nach, wie weniger die wissenschaftliche Überzeugungskraft als vielmehr Spenden verschiedener Stiftungen und Firmen, von "anonym" bis Coca-Cola, den rasanten Aufstieg des neuen Fachgebiets beförderten. Vor allem Firmen interessierten sich demnach für die neue Theorie, weil sie sich kostengünstige Möglichkeiten erhofften, die Stimmung der Arbeitskräfte und deren Bindung an das Unternehmen zu fördern. Für die Psychologie, für Coaches und Ratgeberautoren habe sich damit zugleich ein riesiger Markt aufgetan.
Das sei auch deshalb gelungen, meinen die Autoren, weil diese Psychologie hervorragend in die Welt des Wirtschaftsliberalismus passe. Wenn die Umstände nur zehn Prozent zum Glücklichsein beitragen, kognitive Dinge wie Stimmungen oder Einschätzungen, auf die man durchaus Einfluss nehmen kann, aber vierzig Prozent, spricht das für die Arbeit an den eigenen Einstellungen. Warum sich also etwa über Arbeitsbedingungen beklagen, statt an ihnen zu wachsen? Schritt für Schritt zeichnen die Autoren nach, wie die Positive Psychologie die "Bedürfnispyramide" umkehrt: Am Ende ist das Glück die Bedingung für Erfolg, statt seine Folge, etwa wenn Firmen gezielt nach "glücklichen" Mitarbeitern suchen, weil die kreativer, flexibler und verantwortungsbereiter seien.
Es sei einzusehen, dass Firmen von ihren Mitarbeitern Leistung fordern, schreiben die Autoren, aber es sei verwerflich, dies sprachlich so zu verdrehen, als seien deren Interessen identisch mit denen der Firma. Schlechte Wissenschaft sei die Positive Psychologie ohnehin, ihre Thesen eine Mischung aus Küchenpsychologie und Rosinenpickerei, ihre Formeln haltlos, ihre Trainingsprogramme von erstaunlicher Schlichtheit.
Glück, so halten die Autoren fest, lässt sich nicht so einfach messen, es kommt selten in Reinform daher, und Testergebnisse in verschiedenen Ländern seien kaum vergleichbar. Vor allem aber sei glücklich zu sein eben nur ein Zustand unter vielen und diesen einen zu verabsolutieren ein zweifelhaftes Unterfangen. Aber der einsame Kampf um die richtige Einstellung, den die Autoren kritisieren, passt wohl zu Tendenzen, die durch moderne Arbeitsverhältnisse befördert werden.
Auch wenn es etwas ermüdend ist, diese über zweihundert Seiten lange Kritik zu lesen, die auch nicht die erste Kritik an der Positiven Psychologie darstellt und überdies nicht alle Vertreter dieser Schule so eindimensional argumentieren wie ihr Begründer: Die Maxime, nicht auf das vermeintlich individuell zu erreichende Glück zu starren, sondern an die Veränderung der Lebensmöglichkeiten zu gehen, kann man nur gutheißen. Gerechtigkeit und Erkenntnis empfehlen die Autoren im letzten Satz als lohnende Ziele. Das Glück stellt sich dann vielleicht auch ein.
MANUELA LENZEN
Edgar Cabanas und Eva Illouz:
"Das Glücksdiktat". Und wie es unser
Leben beherrscht.
Aus dem Englischen von Michael Adrian. Suhrkamp Verlag, Berlin 2019. 243 S., br., 15,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Edgar Cabanas und Eva Illouz sezieren die Positive Psychologie
Wie man auf die Welt blickt, ob einem das Glas halbvoll oder halbleer erscheint, ist auch eine Frage der Einstellung. Natürlich kann es hin und wieder hilfreich sein, sich an das Positive zu halten. Die Positive Psychologie allerdings, wie sie der spanische Psychologe Edgar Cabanas und die israelische Soziologin Eva Illouz in ihrem neuen Buch aufs Korn nehmen, verabsolutiert diesen Gedanken. Glücklich zu sein wird bei ihr zu einer Frage der Technik und der Moral: Wer nicht glücklich ist, hat demnach meist nicht hart genug an sich gearbeitet.
Mit dieser Vision von der Machbarkeit des Glücks macht die Positive Psychologie den Autoren zufolge seit etwa zwanzig Jahren Furore. Die Grundlage dieser etwas erstaunlichen Bemühungen: G=V+L+W, die von Martin Seligman, Begründer der Positiven Psychologie, aufgestellte Glücksformel. Demnach setzt sich Glück zusammen aus der vererbten Bandbreite erreichbaren Glücks, den Lebensumständen und den Faktoren, die unter Kontrolle unseres Willens stehen. Wobei die Gene zu fünfzig Prozent am individuellen Glücklichsein beteiligt sein sollen, die Faktoren "unter Kontrolle unseres Willens" zu 40 Prozent, und nur zehn Prozent auf das Konto der Lebensumstände gehen.
Für Cabanas und Illouz ist das zugleich schlechte Wissenschaft und auf die Spitze getriebener Individualismus. Besonders Seligman selbst hat es den beiden angetan: Erst einmal zeichnen sie nach, wie weniger die wissenschaftliche Überzeugungskraft als vielmehr Spenden verschiedener Stiftungen und Firmen, von "anonym" bis Coca-Cola, den rasanten Aufstieg des neuen Fachgebiets beförderten. Vor allem Firmen interessierten sich demnach für die neue Theorie, weil sie sich kostengünstige Möglichkeiten erhofften, die Stimmung der Arbeitskräfte und deren Bindung an das Unternehmen zu fördern. Für die Psychologie, für Coaches und Ratgeberautoren habe sich damit zugleich ein riesiger Markt aufgetan.
Das sei auch deshalb gelungen, meinen die Autoren, weil diese Psychologie hervorragend in die Welt des Wirtschaftsliberalismus passe. Wenn die Umstände nur zehn Prozent zum Glücklichsein beitragen, kognitive Dinge wie Stimmungen oder Einschätzungen, auf die man durchaus Einfluss nehmen kann, aber vierzig Prozent, spricht das für die Arbeit an den eigenen Einstellungen. Warum sich also etwa über Arbeitsbedingungen beklagen, statt an ihnen zu wachsen? Schritt für Schritt zeichnen die Autoren nach, wie die Positive Psychologie die "Bedürfnispyramide" umkehrt: Am Ende ist das Glück die Bedingung für Erfolg, statt seine Folge, etwa wenn Firmen gezielt nach "glücklichen" Mitarbeitern suchen, weil die kreativer, flexibler und verantwortungsbereiter seien.
Es sei einzusehen, dass Firmen von ihren Mitarbeitern Leistung fordern, schreiben die Autoren, aber es sei verwerflich, dies sprachlich so zu verdrehen, als seien deren Interessen identisch mit denen der Firma. Schlechte Wissenschaft sei die Positive Psychologie ohnehin, ihre Thesen eine Mischung aus Küchenpsychologie und Rosinenpickerei, ihre Formeln haltlos, ihre Trainingsprogramme von erstaunlicher Schlichtheit.
Glück, so halten die Autoren fest, lässt sich nicht so einfach messen, es kommt selten in Reinform daher, und Testergebnisse in verschiedenen Ländern seien kaum vergleichbar. Vor allem aber sei glücklich zu sein eben nur ein Zustand unter vielen und diesen einen zu verabsolutieren ein zweifelhaftes Unterfangen. Aber der einsame Kampf um die richtige Einstellung, den die Autoren kritisieren, passt wohl zu Tendenzen, die durch moderne Arbeitsverhältnisse befördert werden.
Auch wenn es etwas ermüdend ist, diese über zweihundert Seiten lange Kritik zu lesen, die auch nicht die erste Kritik an der Positiven Psychologie darstellt und überdies nicht alle Vertreter dieser Schule so eindimensional argumentieren wie ihr Begründer: Die Maxime, nicht auf das vermeintlich individuell zu erreichende Glück zu starren, sondern an die Veränderung der Lebensmöglichkeiten zu gehen, kann man nur gutheißen. Gerechtigkeit und Erkenntnis empfehlen die Autoren im letzten Satz als lohnende Ziele. Das Glück stellt sich dann vielleicht auch ein.
MANUELA LENZEN
Edgar Cabanas und Eva Illouz:
"Das Glücksdiktat". Und wie es unser
Leben beherrscht.
Aus dem Englischen von Michael Adrian. Suhrkamp Verlag, Berlin 2019. 243 S., br., 15,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
»Die Maxime, nicht auf das vermeintlich individuell zu erreichende Glück zu starren, sondern an die Veränderung der Lebensmöglichkeiten zu gehen, kann man nur gutheißen.« Manuela Lenzen Frankfurter Allgemeine Zeitung 20191227