Glück lässt sich lernen. Das will uns die boomende Glücksindustrie weismachen. Und so explodiert seit den neunziger Jahren die Zahl der Glücksseminare, Glücksratgeber und Happiness-Indizes. Heute liegt es an uns selbst, negative Gefühle zu blockieren, uns selbst zu optimieren und Achtsamkeit zu praktizieren. Dann - so das Heilsversprechen - kommt auch das Glück. Doch was bedeutet es für unsere Gesellschaft, wenn der Staat sich zunehmend nicht mehr für soziale Gerechtigkeit oder ein funktionierendes Gesundheitssystem zuständig fühlt und den Bürgerinnen und Bürgern einer ultra-individualistischen Gesellschaft die gesamte Verantwortung für das eigene Schicksal übertragen wird?
Die israelische Soziologin Eva Illouz und der spanische Psychologe Edgar Cabanas beschreiben in ihrem scharfsinnigen Essay erstmals das gefährliche Potential, das sich hinter der millionenschweren Glücksindustrie verbirgt - und zeigen auf, wer die Nutznießer und wer die Verlierer dieses vermeintlich positiven Trends sind.
Die israelische Soziologin Eva Illouz und der spanische Psychologe Edgar Cabanas beschreiben in ihrem scharfsinnigen Essay erstmals das gefährliche Potential, das sich hinter der millionenschweren Glücksindustrie verbirgt - und zeigen auf, wer die Nutznießer und wer die Verlierer dieses vermeintlich positiven Trends sind.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 27.12.2019Arbeit am Glück
Edgar Cabanas und Eva Illouz sezieren die Positive Psychologie
Wie man auf die Welt blickt, ob einem das Glas halbvoll oder halbleer erscheint, ist auch eine Frage der Einstellung. Natürlich kann es hin und wieder hilfreich sein, sich an das Positive zu halten. Die Positive Psychologie allerdings, wie sie der spanische Psychologe Edgar Cabanas und die israelische Soziologin Eva Illouz in ihrem neuen Buch aufs Korn nehmen, verabsolutiert diesen Gedanken. Glücklich zu sein wird bei ihr zu einer Frage der Technik und der Moral: Wer nicht glücklich ist, hat demnach meist nicht hart genug an sich gearbeitet.
Mit dieser Vision von der Machbarkeit des Glücks macht die Positive Psychologie den Autoren zufolge seit etwa zwanzig Jahren Furore. Die Grundlage dieser etwas erstaunlichen Bemühungen: G=V+L+W, die von Martin Seligman, Begründer der Positiven Psychologie, aufgestellte Glücksformel. Demnach setzt sich Glück zusammen aus der vererbten Bandbreite erreichbaren Glücks, den Lebensumständen und den Faktoren, die unter Kontrolle unseres Willens stehen. Wobei die Gene zu fünfzig Prozent am individuellen Glücklichsein beteiligt sein sollen, die Faktoren "unter Kontrolle unseres Willens" zu 40 Prozent, und nur zehn Prozent auf das Konto der Lebensumstände gehen.
Für Cabanas und Illouz ist das zugleich schlechte Wissenschaft und auf die Spitze getriebener Individualismus. Besonders Seligman selbst hat es den beiden angetan: Erst einmal zeichnen sie nach, wie weniger die wissenschaftliche Überzeugungskraft als vielmehr Spenden verschiedener Stiftungen und Firmen, von "anonym" bis Coca-Cola, den rasanten Aufstieg des neuen Fachgebiets beförderten. Vor allem Firmen interessierten sich demnach für die neue Theorie, weil sie sich kostengünstige Möglichkeiten erhofften, die Stimmung der Arbeitskräfte und deren Bindung an das Unternehmen zu fördern. Für die Psychologie, für Coaches und Ratgeberautoren habe sich damit zugleich ein riesiger Markt aufgetan.
Das sei auch deshalb gelungen, meinen die Autoren, weil diese Psychologie hervorragend in die Welt des Wirtschaftsliberalismus passe. Wenn die Umstände nur zehn Prozent zum Glücklichsein beitragen, kognitive Dinge wie Stimmungen oder Einschätzungen, auf die man durchaus Einfluss nehmen kann, aber vierzig Prozent, spricht das für die Arbeit an den eigenen Einstellungen. Warum sich also etwa über Arbeitsbedingungen beklagen, statt an ihnen zu wachsen? Schritt für Schritt zeichnen die Autoren nach, wie die Positive Psychologie die "Bedürfnispyramide" umkehrt: Am Ende ist das Glück die Bedingung für Erfolg, statt seine Folge, etwa wenn Firmen gezielt nach "glücklichen" Mitarbeitern suchen, weil die kreativer, flexibler und verantwortungsbereiter seien.
Es sei einzusehen, dass Firmen von ihren Mitarbeitern Leistung fordern, schreiben die Autoren, aber es sei verwerflich, dies sprachlich so zu verdrehen, als seien deren Interessen identisch mit denen der Firma. Schlechte Wissenschaft sei die Positive Psychologie ohnehin, ihre Thesen eine Mischung aus Küchenpsychologie und Rosinenpickerei, ihre Formeln haltlos, ihre Trainingsprogramme von erstaunlicher Schlichtheit.
Glück, so halten die Autoren fest, lässt sich nicht so einfach messen, es kommt selten in Reinform daher, und Testergebnisse in verschiedenen Ländern seien kaum vergleichbar. Vor allem aber sei glücklich zu sein eben nur ein Zustand unter vielen und diesen einen zu verabsolutieren ein zweifelhaftes Unterfangen. Aber der einsame Kampf um die richtige Einstellung, den die Autoren kritisieren, passt wohl zu Tendenzen, die durch moderne Arbeitsverhältnisse befördert werden.
Auch wenn es etwas ermüdend ist, diese über zweihundert Seiten lange Kritik zu lesen, die auch nicht die erste Kritik an der Positiven Psychologie darstellt und überdies nicht alle Vertreter dieser Schule so eindimensional argumentieren wie ihr Begründer: Die Maxime, nicht auf das vermeintlich individuell zu erreichende Glück zu starren, sondern an die Veränderung der Lebensmöglichkeiten zu gehen, kann man nur gutheißen. Gerechtigkeit und Erkenntnis empfehlen die Autoren im letzten Satz als lohnende Ziele. Das Glück stellt sich dann vielleicht auch ein.
MANUELA LENZEN
Edgar Cabanas und Eva Illouz:
"Das Glücksdiktat". Und wie es unser
Leben beherrscht.
Aus dem Englischen von Michael Adrian. Suhrkamp Verlag, Berlin 2019. 243 S., br., 15,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Edgar Cabanas und Eva Illouz sezieren die Positive Psychologie
Wie man auf die Welt blickt, ob einem das Glas halbvoll oder halbleer erscheint, ist auch eine Frage der Einstellung. Natürlich kann es hin und wieder hilfreich sein, sich an das Positive zu halten. Die Positive Psychologie allerdings, wie sie der spanische Psychologe Edgar Cabanas und die israelische Soziologin Eva Illouz in ihrem neuen Buch aufs Korn nehmen, verabsolutiert diesen Gedanken. Glücklich zu sein wird bei ihr zu einer Frage der Technik und der Moral: Wer nicht glücklich ist, hat demnach meist nicht hart genug an sich gearbeitet.
Mit dieser Vision von der Machbarkeit des Glücks macht die Positive Psychologie den Autoren zufolge seit etwa zwanzig Jahren Furore. Die Grundlage dieser etwas erstaunlichen Bemühungen: G=V+L+W, die von Martin Seligman, Begründer der Positiven Psychologie, aufgestellte Glücksformel. Demnach setzt sich Glück zusammen aus der vererbten Bandbreite erreichbaren Glücks, den Lebensumständen und den Faktoren, die unter Kontrolle unseres Willens stehen. Wobei die Gene zu fünfzig Prozent am individuellen Glücklichsein beteiligt sein sollen, die Faktoren "unter Kontrolle unseres Willens" zu 40 Prozent, und nur zehn Prozent auf das Konto der Lebensumstände gehen.
Für Cabanas und Illouz ist das zugleich schlechte Wissenschaft und auf die Spitze getriebener Individualismus. Besonders Seligman selbst hat es den beiden angetan: Erst einmal zeichnen sie nach, wie weniger die wissenschaftliche Überzeugungskraft als vielmehr Spenden verschiedener Stiftungen und Firmen, von "anonym" bis Coca-Cola, den rasanten Aufstieg des neuen Fachgebiets beförderten. Vor allem Firmen interessierten sich demnach für die neue Theorie, weil sie sich kostengünstige Möglichkeiten erhofften, die Stimmung der Arbeitskräfte und deren Bindung an das Unternehmen zu fördern. Für die Psychologie, für Coaches und Ratgeberautoren habe sich damit zugleich ein riesiger Markt aufgetan.
Das sei auch deshalb gelungen, meinen die Autoren, weil diese Psychologie hervorragend in die Welt des Wirtschaftsliberalismus passe. Wenn die Umstände nur zehn Prozent zum Glücklichsein beitragen, kognitive Dinge wie Stimmungen oder Einschätzungen, auf die man durchaus Einfluss nehmen kann, aber vierzig Prozent, spricht das für die Arbeit an den eigenen Einstellungen. Warum sich also etwa über Arbeitsbedingungen beklagen, statt an ihnen zu wachsen? Schritt für Schritt zeichnen die Autoren nach, wie die Positive Psychologie die "Bedürfnispyramide" umkehrt: Am Ende ist das Glück die Bedingung für Erfolg, statt seine Folge, etwa wenn Firmen gezielt nach "glücklichen" Mitarbeitern suchen, weil die kreativer, flexibler und verantwortungsbereiter seien.
Es sei einzusehen, dass Firmen von ihren Mitarbeitern Leistung fordern, schreiben die Autoren, aber es sei verwerflich, dies sprachlich so zu verdrehen, als seien deren Interessen identisch mit denen der Firma. Schlechte Wissenschaft sei die Positive Psychologie ohnehin, ihre Thesen eine Mischung aus Küchenpsychologie und Rosinenpickerei, ihre Formeln haltlos, ihre Trainingsprogramme von erstaunlicher Schlichtheit.
Glück, so halten die Autoren fest, lässt sich nicht so einfach messen, es kommt selten in Reinform daher, und Testergebnisse in verschiedenen Ländern seien kaum vergleichbar. Vor allem aber sei glücklich zu sein eben nur ein Zustand unter vielen und diesen einen zu verabsolutieren ein zweifelhaftes Unterfangen. Aber der einsame Kampf um die richtige Einstellung, den die Autoren kritisieren, passt wohl zu Tendenzen, die durch moderne Arbeitsverhältnisse befördert werden.
Auch wenn es etwas ermüdend ist, diese über zweihundert Seiten lange Kritik zu lesen, die auch nicht die erste Kritik an der Positiven Psychologie darstellt und überdies nicht alle Vertreter dieser Schule so eindimensional argumentieren wie ihr Begründer: Die Maxime, nicht auf das vermeintlich individuell zu erreichende Glück zu starren, sondern an die Veränderung der Lebensmöglichkeiten zu gehen, kann man nur gutheißen. Gerechtigkeit und Erkenntnis empfehlen die Autoren im letzten Satz als lohnende Ziele. Das Glück stellt sich dann vielleicht auch ein.
MANUELA LENZEN
Edgar Cabanas und Eva Illouz:
"Das Glücksdiktat". Und wie es unser
Leben beherrscht.
Aus dem Englischen von Michael Adrian. Suhrkamp Verlag, Berlin 2019. 243 S., br., 15,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 26.11.2019In den Zitadellen des Ich
Warum das Glücksdiktat hemmt und schadet
Die großen Erzählungen vom politischen Fortschritt wurden in den liberalen Demokratien der Gegenwart, so nicht zuletzt der Soziologe Andreas Reckwitz in seinem vielgelobten Buch „Die Gesellschaft der Singularitäten“, längst von den kleinen Erzählungen von privatem Erfolg und gutem Leben abgelöst. Der Aufstieg der Glücksforschung und der sogenannten „positiven Psychologie“ ist deshalb kein Zufall. Die wie Reckwitz zu den tonangebenden Zeitdiagnostikern des SuhrkampVerlags gehörende 58-jährige Sozialwissenschaftlerin Eva Illouz spricht in ihrem neuen, gemeinsam mit dem spanischen Psychologieprofessor Edgar Cabanas verfassten Buch „Das Glücksdiktat – und wie es unser Leben beherrscht“ voller Abscheu sogar von der „Glücksindustrie“.
Seit dem Ende der Neunzigerjahre sei die nicht nur unverdient zu Prominenz und Milliardenumsätzen gelangt, sondern habe es mit ihren opportunistischen Glücksrezepten fatalerweise auch noch geschafft, die Definition dessen an sich zu reißen, was es heiße, ein „normales Individuum“ im Neoliberalismus zu sein. Nämlich, dass man brav individualistisch das private Glück bei sich selbst sucht und bloß nicht auf die Idee kommt, das (neoliberale) System infrage zu stellen, das in seinem ideologischen Kern eben individualistisch ist.
Unabhängig davon, ob einem der Individualismus als Chefschurke einleuchtet, ist das Buch dort am eindrücklichsten und unterhaltsamsten, wo Illouz und Cabanas süffisant die Pseudowissenschaftlichkeit und die Bibeln der Branche unter die Lupe nehmen. Von Martin E. P. Seligmans „Der Glücksformel“ („G (Glück) = V (Vererbte Bandbreite erreichbaren Glücks) + L (Lebensumstände) + W (Faktoren, die unter der Kontrolle unseres Willens stehen)“) über den Coaching-Boom, die Ratgeberlawine und Achtsamkeits-Apps bis zu Bestsellern wie Sonja Lyubomirskys „The How of Happiness“ und deren sinistre Sinnsprüche: „Wenn wir einsehen, dass die äußeren Umstände nicht der Schlüssel zu unserem Glück sind, versetzen wir uns in die Lage, unser Glück selbst in die Hand zu nehmen.“
Ernster wird es da, wo – wie seit 2008 in Großbritannien den USA und Kanada – die Ideen der positiven Psychologie schon ihren Weg in die offizielle Bildungspolitik gefunden haben und mit viel Geld unterstützt werden, obwohl ihre Wirksamkeit wissenschaftlich alles andere als gesichert gilt. Illouz und Cabanas führen hier Studien zur sogenannten „therapeutischen Wende“ in der Bildung an, deren Ergebnisse zeigten, dass die neuen Programme mitunter sogar das Gegenteil dessen erreichten, was sie anstrebten, indem sie durch ihre Rhetorik Ängste schürten und so nicht stärkere, sondern verletzlichere Ichs hervorbrächten und die Autonomie der Schüler schwächten.
Ganz schlecht kommen die populären „Glücks-Indizes“ davon, die vorgeben, das Glücksempfinden des einzelnen Menschen messen und das Glücksempfinden ganzer Nationen miteinander vergleichen zu können. Und auch die Resultate der experimentellen Prüfung der Effekte von populären Übungen der positiven Psychologie, wie sie etwa Myriam Mongrain und Tracy Anselmo-Matthews vorgelegt haben, sind ernüchternd: „Die Autorinnen kommen zu dem Schluss, dass diese Übungen im Wesentlichen für jene Glückssucherinnen funktionieren, die bereits fest an diese Art von Aktivitäten glauben.“ Letztlich ist die positive Psychologie und Glücksforschung für Illouz und Cabanas nichts anderes als eine Art höhere Hochstapelei. Die Individuen würden systematisch zu dem Glauben verführt, sie seien nicht so weit entwickelt, wie sie sein könnten, und „schon der bloße Akt, sich bessere Versionen ihrer selbst vorzustellen oder über sie zu schreiben, erbringe einen deutlichen Nutzen“.
Umgekehrt blieben in dieser Logik alle zurück, die mit Schuldgefühlen kämpften, weil sie mit ihren Lebensumständen nicht glücklich oder nicht glücklich genug sind: „Was ist mit jenen, die darunter leiden, dass sie es nicht schaffen (…), Widrigkeiten mit einer positiven Einstellung zu begegnen?“ Führe der Optimismus nicht geradewegs vor allem zu Konformismus? Würden so nicht unausgesprochen Hierarchien und Ideologien gerechtfertigt? Mache die positive Psychologie nicht aus Leid etwas „Nutzloses, ja Verachtenswertes?“
Der zentrale und über die fünf Kapitel und rund 200 Seiten des Essays immer wieder vorgebrachte Einwand gegen das „Glücksdiktat“ ist in diesem Sinn, dass es letztlich gesellschaftliche Missstände so erbarmungslos individualisiert wie der „amerikanische Traum“ die Gerechtigkeit. Wenn man seines eigenen Glückes Schmied ist, dann können Politik und System schon mal nichts dafür, wenn es sich nicht einstellen mag. Dann hat er oder sie eben einfach nicht genug dafür getan. Try harder, fail better. Und komm bloß nicht auf die Idee, jemand anderem als dir selbst die Schuld zu geben!
Worauf Illouz und Cabanas schließlich hinauswollen, ist natürlich die Macht der Negativität: „Wir müssen hier ein letztes Mal den zentralen Charakter der negativen Gefühle betonen. Öffentliche Proteste und sozialen Wandel gäbe es nicht ohne die geballten Gefühle vieler wütender oder verärgerter Bürger.“ So herum gesehen desavouiert das positive Denken alle Miseren und Konflikte und damit die wahren Motoren der Geschichte: „Die innere Zitadelle“, heißt es am Ende in der für den Stil des Buches nicht untypischen Mischung aus Pathos und Betreffzeile, „ist nicht der Ort, an dem wir uns ein Leben aufbauen wollen. Sie ist auch nicht der Ort, an dem wir nennenswerten sozialen Wandel erreichen werden.“ Nicht das Glück, sondern „Erkenntnis und Gerechtigkeit“ seien „unverändert der revolutionäre moralische Sinn unseres Lebens“.
Am Ende ist alles dann vorbildlich streng und orthodox kulturkritisch gedacht, aber in der Vehemenz nicht nur etwas undialektisch, sondern auch ziemlich ideologisch – und für Sozialwissenschaftler dieses Rangs erstaunlich unphilosophisch. Insbesondere da, wo der Eindruck entsteht, dass doch nicht bloß die „Pseudowissenschaft vom Glück“ das Problem ist, sondern – trotz einiger expliziter gegenteiliger Beteuerungen – irgendwie schon auch das Glück selbst, das die „positive Psychologie“ aber ja nicht erfunden hat. Über Wesen und Bedeutung des Glücks für den Menschen wird nicht erst seit zwanzig, sondern eher seit weit mehr als 2000 Jahren nachgedacht. Mindestens.
Von Aristoteles’ Überlegungen etwa zur Bedeutung der Mitte und des richtigen Maßes als Bedingungen der Möglichkeit von Glückseligkeit ist vieles aus Glücksforschung und positiver Psychologie – so sinister die Motive einiger ihrer Herolde auch sein mögen – nicht so weit entfernt, wie es Illouz und Cabanas gerne hätten. Und etwas Besseres als den zwanghaften Optimismus der „Happycratie“, so der sehr gute Originaltitel des Buchs, findet man, wenn man sich die wackelnde Welt im Moment so ansieht, doch leider nicht gerade überall.
Ganz abgesehen davon, dass jeder sozialen Evolution zwar heftiger Unmut zugrunde liegen muss, sie aber ohne eine beinahe absurde Portion guten Glaubens an die prinzipielle Möglichkeit gesellschaftlicher Veränderungen, der nicht selten ja eine Art Kollateralschaden des individuellen Glücksstrebens ist, völlig undenkbar bleibt. Es kommt nicht darauf an, wie zwanghaft man positiv denkt, sondern wie reflektiert. Dazu wiederum eignet sich „Das Glücksdiktat“ allerdings ganz hervorragend.
JENS-CHRISTIAN RABE
Der moralische Sinn des Lebens
seien „Erkenntnis und
Gerechtigkeit“, was sonst?
Edgar Cabanas, Eva Illouz:
Das Glücksdiktat und wie es
unser Leben beherrscht.
Aus dem Französischen von
Michael Adrian. Suhrkamp Verlag,
Berlin 2019. 242 Seiten, 15 Euro
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Warum das Glücksdiktat hemmt und schadet
Die großen Erzählungen vom politischen Fortschritt wurden in den liberalen Demokratien der Gegenwart, so nicht zuletzt der Soziologe Andreas Reckwitz in seinem vielgelobten Buch „Die Gesellschaft der Singularitäten“, längst von den kleinen Erzählungen von privatem Erfolg und gutem Leben abgelöst. Der Aufstieg der Glücksforschung und der sogenannten „positiven Psychologie“ ist deshalb kein Zufall. Die wie Reckwitz zu den tonangebenden Zeitdiagnostikern des SuhrkampVerlags gehörende 58-jährige Sozialwissenschaftlerin Eva Illouz spricht in ihrem neuen, gemeinsam mit dem spanischen Psychologieprofessor Edgar Cabanas verfassten Buch „Das Glücksdiktat – und wie es unser Leben beherrscht“ voller Abscheu sogar von der „Glücksindustrie“.
Seit dem Ende der Neunzigerjahre sei die nicht nur unverdient zu Prominenz und Milliardenumsätzen gelangt, sondern habe es mit ihren opportunistischen Glücksrezepten fatalerweise auch noch geschafft, die Definition dessen an sich zu reißen, was es heiße, ein „normales Individuum“ im Neoliberalismus zu sein. Nämlich, dass man brav individualistisch das private Glück bei sich selbst sucht und bloß nicht auf die Idee kommt, das (neoliberale) System infrage zu stellen, das in seinem ideologischen Kern eben individualistisch ist.
Unabhängig davon, ob einem der Individualismus als Chefschurke einleuchtet, ist das Buch dort am eindrücklichsten und unterhaltsamsten, wo Illouz und Cabanas süffisant die Pseudowissenschaftlichkeit und die Bibeln der Branche unter die Lupe nehmen. Von Martin E. P. Seligmans „Der Glücksformel“ („G (Glück) = V (Vererbte Bandbreite erreichbaren Glücks) + L (Lebensumstände) + W (Faktoren, die unter der Kontrolle unseres Willens stehen)“) über den Coaching-Boom, die Ratgeberlawine und Achtsamkeits-Apps bis zu Bestsellern wie Sonja Lyubomirskys „The How of Happiness“ und deren sinistre Sinnsprüche: „Wenn wir einsehen, dass die äußeren Umstände nicht der Schlüssel zu unserem Glück sind, versetzen wir uns in die Lage, unser Glück selbst in die Hand zu nehmen.“
Ernster wird es da, wo – wie seit 2008 in Großbritannien den USA und Kanada – die Ideen der positiven Psychologie schon ihren Weg in die offizielle Bildungspolitik gefunden haben und mit viel Geld unterstützt werden, obwohl ihre Wirksamkeit wissenschaftlich alles andere als gesichert gilt. Illouz und Cabanas führen hier Studien zur sogenannten „therapeutischen Wende“ in der Bildung an, deren Ergebnisse zeigten, dass die neuen Programme mitunter sogar das Gegenteil dessen erreichten, was sie anstrebten, indem sie durch ihre Rhetorik Ängste schürten und so nicht stärkere, sondern verletzlichere Ichs hervorbrächten und die Autonomie der Schüler schwächten.
Ganz schlecht kommen die populären „Glücks-Indizes“ davon, die vorgeben, das Glücksempfinden des einzelnen Menschen messen und das Glücksempfinden ganzer Nationen miteinander vergleichen zu können. Und auch die Resultate der experimentellen Prüfung der Effekte von populären Übungen der positiven Psychologie, wie sie etwa Myriam Mongrain und Tracy Anselmo-Matthews vorgelegt haben, sind ernüchternd: „Die Autorinnen kommen zu dem Schluss, dass diese Übungen im Wesentlichen für jene Glückssucherinnen funktionieren, die bereits fest an diese Art von Aktivitäten glauben.“ Letztlich ist die positive Psychologie und Glücksforschung für Illouz und Cabanas nichts anderes als eine Art höhere Hochstapelei. Die Individuen würden systematisch zu dem Glauben verführt, sie seien nicht so weit entwickelt, wie sie sein könnten, und „schon der bloße Akt, sich bessere Versionen ihrer selbst vorzustellen oder über sie zu schreiben, erbringe einen deutlichen Nutzen“.
Umgekehrt blieben in dieser Logik alle zurück, die mit Schuldgefühlen kämpften, weil sie mit ihren Lebensumständen nicht glücklich oder nicht glücklich genug sind: „Was ist mit jenen, die darunter leiden, dass sie es nicht schaffen (…), Widrigkeiten mit einer positiven Einstellung zu begegnen?“ Führe der Optimismus nicht geradewegs vor allem zu Konformismus? Würden so nicht unausgesprochen Hierarchien und Ideologien gerechtfertigt? Mache die positive Psychologie nicht aus Leid etwas „Nutzloses, ja Verachtenswertes?“
Der zentrale und über die fünf Kapitel und rund 200 Seiten des Essays immer wieder vorgebrachte Einwand gegen das „Glücksdiktat“ ist in diesem Sinn, dass es letztlich gesellschaftliche Missstände so erbarmungslos individualisiert wie der „amerikanische Traum“ die Gerechtigkeit. Wenn man seines eigenen Glückes Schmied ist, dann können Politik und System schon mal nichts dafür, wenn es sich nicht einstellen mag. Dann hat er oder sie eben einfach nicht genug dafür getan. Try harder, fail better. Und komm bloß nicht auf die Idee, jemand anderem als dir selbst die Schuld zu geben!
Worauf Illouz und Cabanas schließlich hinauswollen, ist natürlich die Macht der Negativität: „Wir müssen hier ein letztes Mal den zentralen Charakter der negativen Gefühle betonen. Öffentliche Proteste und sozialen Wandel gäbe es nicht ohne die geballten Gefühle vieler wütender oder verärgerter Bürger.“ So herum gesehen desavouiert das positive Denken alle Miseren und Konflikte und damit die wahren Motoren der Geschichte: „Die innere Zitadelle“, heißt es am Ende in der für den Stil des Buches nicht untypischen Mischung aus Pathos und Betreffzeile, „ist nicht der Ort, an dem wir uns ein Leben aufbauen wollen. Sie ist auch nicht der Ort, an dem wir nennenswerten sozialen Wandel erreichen werden.“ Nicht das Glück, sondern „Erkenntnis und Gerechtigkeit“ seien „unverändert der revolutionäre moralische Sinn unseres Lebens“.
Am Ende ist alles dann vorbildlich streng und orthodox kulturkritisch gedacht, aber in der Vehemenz nicht nur etwas undialektisch, sondern auch ziemlich ideologisch – und für Sozialwissenschaftler dieses Rangs erstaunlich unphilosophisch. Insbesondere da, wo der Eindruck entsteht, dass doch nicht bloß die „Pseudowissenschaft vom Glück“ das Problem ist, sondern – trotz einiger expliziter gegenteiliger Beteuerungen – irgendwie schon auch das Glück selbst, das die „positive Psychologie“ aber ja nicht erfunden hat. Über Wesen und Bedeutung des Glücks für den Menschen wird nicht erst seit zwanzig, sondern eher seit weit mehr als 2000 Jahren nachgedacht. Mindestens.
Von Aristoteles’ Überlegungen etwa zur Bedeutung der Mitte und des richtigen Maßes als Bedingungen der Möglichkeit von Glückseligkeit ist vieles aus Glücksforschung und positiver Psychologie – so sinister die Motive einiger ihrer Herolde auch sein mögen – nicht so weit entfernt, wie es Illouz und Cabanas gerne hätten. Und etwas Besseres als den zwanghaften Optimismus der „Happycratie“, so der sehr gute Originaltitel des Buchs, findet man, wenn man sich die wackelnde Welt im Moment so ansieht, doch leider nicht gerade überall.
Ganz abgesehen davon, dass jeder sozialen Evolution zwar heftiger Unmut zugrunde liegen muss, sie aber ohne eine beinahe absurde Portion guten Glaubens an die prinzipielle Möglichkeit gesellschaftlicher Veränderungen, der nicht selten ja eine Art Kollateralschaden des individuellen Glücksstrebens ist, völlig undenkbar bleibt. Es kommt nicht darauf an, wie zwanghaft man positiv denkt, sondern wie reflektiert. Dazu wiederum eignet sich „Das Glücksdiktat“ allerdings ganz hervorragend.
JENS-CHRISTIAN RABE
Der moralische Sinn des Lebens
seien „Erkenntnis und
Gerechtigkeit“, was sonst?
Edgar Cabanas, Eva Illouz:
Das Glücksdiktat und wie es
unser Leben beherrscht.
Aus dem Französischen von
Michael Adrian. Suhrkamp Verlag,
Berlin 2019. 242 Seiten, 15 Euro
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
»Die Maxime, nicht auf das vermeintlich individuell zu erreichende Glück zu starren, sondern an die Veränderung der Lebensmöglichkeiten zu gehen, kann man nur gutheißen.« Manuela Lenzen Frankfurter Allgemeine Zeitung 20191227