Seit rund 2000 Jahren gibt es Gerüchte, dass die Menschheit ein wahres Bild, fast eine Fotografie Jesu, besitze. Dieses Bild, heißt es, sei nicht von Menschenhand gemalt; es sei das Schweißtuch der Veronika. Millionen von Pilgern haben dieses Bild verehrt und daran geglaubt. 1506 wurde in Rom damit begonnen, eine Säule des neuen Petersdomes als Tresor für dieses Kronjuwel der Christenheit zu errichten. Doch plötzlich ereignet sich eine Katastrophe, deren kriminelle Dimension Paul Badde minutiös rekonstruiert: Das Bild verschwindet, seine Existenz verliert sich im Nebel der Legenden. Paul Badde geht dem historischen Rätsel mit detektivischer Akribie nach. Der Zufall kommt ihm zu Hilfe. Wie bei einer Rasterfahndung greifen hunderte von Puzzleteilen nahtlos ineinander. Und plötzlich steht er in einem verlorenen Abruzzenstädtchen vor einem aus Muschelseide, dem teuersten Gewebe der Antike, gearbeiteten Tuch - und muss sich sagen: Dies ist das Bild Jesu. Wir wissen jetzt, wie er aussah. Die Indizienkette ist geschlossen. In diesem Buch legt Paul Badde die abenteuerlichste und folgenreichste Recherche seines Lebens vor. Die Welt ist eingeladen, seine Ergebnisse kritisch zu prüfen.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 19.01.2007Sah er wirklich so aus?
Paul Badde über das Antlitz Jesu auf dem Manoppello-Tuch
"Im Anfang war das Wort." Oder war nicht das Bild im Anfang aller Religion? Das Bild als fester Repräsentant der Gottheit gegenüber dem nur flüchtigen Wort. Doch der israelitische Jahwe lehnte ab: "Du sollst dir kein Gottesbildnis machen" (Ex 20,4). Ein Gebot übrigens, das auch im Neuen Testament stillschweigend vorausgesetzt ist. Gleichwohl wurde das Christentum eine Bild-Religion, zwar nicht sofort und auch mit zeitweise heftigem Bilderstreit. Die Begründung dafür musste einleuchten: Der Mensch gewordene Gottessohn habe doch ein Angesicht getragen, sei darum anschaubar und abbildbar. Für dieses Angesicht Jesu glaubte man sogar ein Authentikum zu haben: Jesu eigenes, in das Schweißtuch der Veronika eingedrücktes und darin abgebildetes Antlitz. Dieses Veronika-Tuch wurde seit 700 in der römischen Peterskirche vorgezeigt, sogar für fast ein Jahrtausend, bis es bei Abbruch der alten Petersbasilika im Jahre 1608 abhanden gekommen und in das Bergdörfchen Manoppello gelangt sein soll.
Die Wiederauffindung des vatikanischen Veronika-Bildes in Manoppello schildert Badde als seine "abenteuerliche Suche". Doch will er weit mehr. Er behauptet die historische Identität, dass nämlich das Manoppello-Tuch wirklich das wahre Antlitz Jesu zeige. Denn es sei jenes Tuch, mit dem nach jüdischem Brauch das Gesicht Jesu bei der Grablegung zugedeckt worden sei, ein überaus kostbares Tuch übrigens, das nach Lage der Dinge nur von der früheren Lebedame Maria Magdalena herrühren könne. Das wäre in der Tat ein mehr als sensationeller Fund, schon historisch und mehr noch theologisch. Denn für Badde ist das Bild sogar "die erste und älteste Seite der vier Evangelien"; im Unterschied zum Turiner Grabtuch ist es dazu noch "das geheilte Gesicht". Diese Entdeckung könne heute angesichts des auch im Katholizismus längst dominierenden sola-scriptura-Prinzips zur Befreiung für den Christenglauben werden: "Menschlicher, Bildhafter, Einfacher".
Wer sich in alten Religionstexten auskennt, ob nun antiker oder christlicher Provenienz, begegnet allzu Bekanntem: die glücklichen Fügungen, welche die verwirrten Teilchen zusammenfinden lassen, welche die längst schon für hoffnungslos erklärte Situation plötzlich zum Guten wenden, dass zum Beispiel unser Autor das heute nur verstohlen gezeigte (Ersatz-)Veronika-Bild in Sankt Peter doch noch zu sehen bekommt. Es ist die Logik der alten Religionsgeschichten, durchaus eine perfekte Logik, deren Wachstumsgesetz uns die Religionsgeschichte gelehrt hat und die schon im Neuen Testament sichtbar wird, erst recht in den vielen späteren, aus den Evangelien herausgesponnenen Geschichten. Demzufolge war es selbstverständlich, dass von Jesus ein Bild hinterblieben sein musste, und so wurde es eines Tages gefunden. Dass aber dies alles nicht eine ersponnene, sondern erweisliche Historie ist, das möchte das Buch aufzeigen, präzise mit Zentimetermaß, Digitalkamera und Stoffanalyse. Insofern zeigt sich hier die "beschleunigte Geschichte" der Moderne: mit Google, SMS und Laptop.
Es wäre wahrhaft die große Revolution: das Antlitz Jesu anschauen zu können, jenes Antlitz, das man während des Mittelalters schon zu kennen glaubte und das man nun mit modernster Kriminaltechnik als sogar historisches verifiziert bekommt. Aber was muss der Jesuiten-Professor Pfeiffer von der päpstlichen Gregoriana-Universität, der selbst dieser Verifizierbarkeit das Wort redet, eingestehen? Eindeutige Quellen, die von einem überkommenen Grabtuch reden, reichen nicht weiter zurück als bis ins fünfte Jahrhundert. Bis zum Grab Jesu bleibt ein "garstiger Graben" von fast einem halben Jahrtausend. Die religionsgeschichtlichen Wachstumsschübe vermögen ihn leicht zu überspringen; aber die kritische Historie kann das nicht. Sie fragt nach dem historischen Beweisgang bis zu dem wirklichen Gesichtstuch, wenn es denn im Jerusalemer Grab auf Jesu Gesicht gelegen hat.
Angesichts der stolzen Behauptung, mit dem Manoppello-Bild habe uns ein "Brief aus der leeren Grabkammer in Jerusalem erreicht", sei eine "Reliquie der Auferstehung" aufgefunden, hält es der Rezensent mit den skeptischen Theologen, die beim Autor nicht allzu gut wegkommen, weil sie vorerst mit den Achseln zucken. Wenn Papst Benedikt nach Manoppello geflogen ist, so hat er doch nicht verlauten lassen, das Gesicht des Auferstandenen gesehen zu haben. Wie schrieb der junge Joseph Ratzinger 1957 im damaligen "Lexikon für Theologie und Kirche" über den Auferstehungsleib: "Nähere Untersuchungen über seine Existenzform müssen jedoch als nutzlos abgelehnt werden." Oder sollten sie jetzt doch möglich sein?
ARNOLD ANGENENDT
Paul Badde: "Das Göttliche Gesicht". Die abenteuerliche Suche nach dem wahren Antlitz Jesu. Pattloch Verlag, München 2006. 319 S., geb., 19,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Paul Badde über das Antlitz Jesu auf dem Manoppello-Tuch
"Im Anfang war das Wort." Oder war nicht das Bild im Anfang aller Religion? Das Bild als fester Repräsentant der Gottheit gegenüber dem nur flüchtigen Wort. Doch der israelitische Jahwe lehnte ab: "Du sollst dir kein Gottesbildnis machen" (Ex 20,4). Ein Gebot übrigens, das auch im Neuen Testament stillschweigend vorausgesetzt ist. Gleichwohl wurde das Christentum eine Bild-Religion, zwar nicht sofort und auch mit zeitweise heftigem Bilderstreit. Die Begründung dafür musste einleuchten: Der Mensch gewordene Gottessohn habe doch ein Angesicht getragen, sei darum anschaubar und abbildbar. Für dieses Angesicht Jesu glaubte man sogar ein Authentikum zu haben: Jesu eigenes, in das Schweißtuch der Veronika eingedrücktes und darin abgebildetes Antlitz. Dieses Veronika-Tuch wurde seit 700 in der römischen Peterskirche vorgezeigt, sogar für fast ein Jahrtausend, bis es bei Abbruch der alten Petersbasilika im Jahre 1608 abhanden gekommen und in das Bergdörfchen Manoppello gelangt sein soll.
Die Wiederauffindung des vatikanischen Veronika-Bildes in Manoppello schildert Badde als seine "abenteuerliche Suche". Doch will er weit mehr. Er behauptet die historische Identität, dass nämlich das Manoppello-Tuch wirklich das wahre Antlitz Jesu zeige. Denn es sei jenes Tuch, mit dem nach jüdischem Brauch das Gesicht Jesu bei der Grablegung zugedeckt worden sei, ein überaus kostbares Tuch übrigens, das nach Lage der Dinge nur von der früheren Lebedame Maria Magdalena herrühren könne. Das wäre in der Tat ein mehr als sensationeller Fund, schon historisch und mehr noch theologisch. Denn für Badde ist das Bild sogar "die erste und älteste Seite der vier Evangelien"; im Unterschied zum Turiner Grabtuch ist es dazu noch "das geheilte Gesicht". Diese Entdeckung könne heute angesichts des auch im Katholizismus längst dominierenden sola-scriptura-Prinzips zur Befreiung für den Christenglauben werden: "Menschlicher, Bildhafter, Einfacher".
Wer sich in alten Religionstexten auskennt, ob nun antiker oder christlicher Provenienz, begegnet allzu Bekanntem: die glücklichen Fügungen, welche die verwirrten Teilchen zusammenfinden lassen, welche die längst schon für hoffnungslos erklärte Situation plötzlich zum Guten wenden, dass zum Beispiel unser Autor das heute nur verstohlen gezeigte (Ersatz-)Veronika-Bild in Sankt Peter doch noch zu sehen bekommt. Es ist die Logik der alten Religionsgeschichten, durchaus eine perfekte Logik, deren Wachstumsgesetz uns die Religionsgeschichte gelehrt hat und die schon im Neuen Testament sichtbar wird, erst recht in den vielen späteren, aus den Evangelien herausgesponnenen Geschichten. Demzufolge war es selbstverständlich, dass von Jesus ein Bild hinterblieben sein musste, und so wurde es eines Tages gefunden. Dass aber dies alles nicht eine ersponnene, sondern erweisliche Historie ist, das möchte das Buch aufzeigen, präzise mit Zentimetermaß, Digitalkamera und Stoffanalyse. Insofern zeigt sich hier die "beschleunigte Geschichte" der Moderne: mit Google, SMS und Laptop.
Es wäre wahrhaft die große Revolution: das Antlitz Jesu anschauen zu können, jenes Antlitz, das man während des Mittelalters schon zu kennen glaubte und das man nun mit modernster Kriminaltechnik als sogar historisches verifiziert bekommt. Aber was muss der Jesuiten-Professor Pfeiffer von der päpstlichen Gregoriana-Universität, der selbst dieser Verifizierbarkeit das Wort redet, eingestehen? Eindeutige Quellen, die von einem überkommenen Grabtuch reden, reichen nicht weiter zurück als bis ins fünfte Jahrhundert. Bis zum Grab Jesu bleibt ein "garstiger Graben" von fast einem halben Jahrtausend. Die religionsgeschichtlichen Wachstumsschübe vermögen ihn leicht zu überspringen; aber die kritische Historie kann das nicht. Sie fragt nach dem historischen Beweisgang bis zu dem wirklichen Gesichtstuch, wenn es denn im Jerusalemer Grab auf Jesu Gesicht gelegen hat.
Angesichts der stolzen Behauptung, mit dem Manoppello-Bild habe uns ein "Brief aus der leeren Grabkammer in Jerusalem erreicht", sei eine "Reliquie der Auferstehung" aufgefunden, hält es der Rezensent mit den skeptischen Theologen, die beim Autor nicht allzu gut wegkommen, weil sie vorerst mit den Achseln zucken. Wenn Papst Benedikt nach Manoppello geflogen ist, so hat er doch nicht verlauten lassen, das Gesicht des Auferstandenen gesehen zu haben. Wie schrieb der junge Joseph Ratzinger 1957 im damaligen "Lexikon für Theologie und Kirche" über den Auferstehungsleib: "Nähere Untersuchungen über seine Existenzform müssen jedoch als nutzlos abgelehnt werden." Oder sollten sie jetzt doch möglich sein?
ARNOLD ANGENENDT
Paul Badde: "Das Göttliche Gesicht". Die abenteuerliche Suche nach dem wahren Antlitz Jesu. Pattloch Verlag, München 2006. 319 S., geb., 19,90 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Der Legende nach ist das so genannte Schweißtuch der Veronika, das Tuch, mit dem Maria Magdalena das (bereits geheilte) Gesicht Jesu nach der Grablegung bedeckte. Von 700 bis zum Abbruch der alten Petersbasilika 1608 wurde es in Rom ausgestellt, dann verschwand es und wurde in Manoppello wiederentdeckt. So unterrichtet uns der Rezensent Arnold Angenendt, und er kann dem Buch viel abgewinnen, solange es bei der Darstellung der Suche nach dem Schweißtuch bleibt. Doch über die "stolze Behauptung" des Autors Paul Badde, mit dem Bild habe uns tatsächlich ein "Brief aus der leeren Grabkammer in Jerusalem erreicht", kann er nur den Kopf schütteln. Zu schütter scheinen ihm doch die Belege für die historische Authentizität des Tuchs.
© Perlentaucher Medien GmbH
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