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Konventionen zertrümmern, Wahrnehmung revolutionieren, Neues imaginieren - das war der Geist der radikalen Moderne. Bert Brecht sprach vom großen Beginnergefühl. Heute scheint jeder utopische Optimismus verflogen - ist es damit ein für alle Mal vorbei?
»Keineswegs!«, hält Robert Misik solchen Abgesängen entgegen. Er unternimmt einen Parforceritt durch 200 Jahre linke Kunst: von Heinrich Heine bis Elfriede Jelinek, von Patti Smith bis Soap & Skin, vom Bauhaus bis zum Gemeindebau. Das Aufbegehren gegen das Überholte und die Revolutionierung der Stile sind auch heute die große Aufgabe der…mehr

Produktbeschreibung
Konventionen zertrümmern, Wahrnehmung revolutionieren, Neues imaginieren - das war der Geist der radikalen Moderne. Bert Brecht sprach vom großen Beginnergefühl. Heute scheint jeder utopische Optimismus verflogen - ist es damit ein für alle Mal vorbei?

»Keineswegs!«, hält Robert Misik solchen Abgesängen entgegen. Er unternimmt einen Parforceritt durch 200 Jahre linke Kunst: von Heinrich Heine bis Elfriede Jelinek, von Patti Smith bis Soap & Skin, vom Bauhaus bis zum Gemeindebau. Das Aufbegehren gegen das Überholte und die Revolutionierung der Stile sind auch heute die große Aufgabe der Kunst, genauso wie Exzess und Intensität. »Ändere die Welt, sie braucht es«, sagt Misik mit dem alten BB. Er skizziert ein ästhetisches Programm jenseits von Kommerz, Entertainment und dem ewig schon Dagewesenen.
Autorenporträt
Robert Misik, geboren 1966 in Wien, ist Journalist und politischer Schriftsteller. In der edition suhrkamp erschien zuletzt sein Essay Die falschen Freunde der einfachen Leute (es 2741), der mit dem Bruno- Kreisky-Preis für das Politische Buch 2019 ausgezeichnet wurde.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur Dlf-Rezension

Wer an die Zukunft glaubt, dem empfiehlt Rezensent Arno Orzessek Robert Misiks Ritt durch die Kunstgeschichte und ihre Resonanzen. Dass die künstlerische Avantgarde außerhalb der Kunst etwas bewegt hätte, möchte der Rezensent zwar bezweifeln, und Misik bringt dafür auch keine systematischen Belege. Doch wie Misik für die Kunst und die Künstler brennt, das erscheint Orzessek schön überschwänglich und mitreißend. Misiks Porträts, Analysen und Begriffserkundungen in Sachen revolutionäre Kunst sind laut Rezensent so divers wie emphatisch, so dicht wie radikal.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 30.07.2022

Wie links die Moderne im Innersten doch ist
Robert Misik versichert zukünftigen Revolutionären, dass Künstler von Bedeutung immer auf ihrer Seite waren

"Die Moderne war immer noch eine lebensprühende Idee. Wie sehr man sich wünschte, dass ein wenig von der Kühnheit, dem Optimismus, der Verachtung für den Kommerz überlebt hätte." Mit anderen Worten: Früher war alles besser. Doch Susan Sontag, die Robert Misik zum Auftakt als Respektsperson zitiert, schrieb das in einem Alter, in dem man die eigene Melancholie leicht verwechselt mit dem Untergang des Abendlands. Misik dagegen ist eigentlich noch ein wenig zu jung und viel zu flott, zu hip für spätherbstliche Nostalgie. Natürlich, vielleicht war früher wirklich alles besser, kann durchaus sein. Dennoch ist es verblüffend, wie angenehm ein Gutteil linksdekorativer Zeitgeister sich eingestimmt hat auf den Kammerton der guten alten Kulturkritik: Ja, hätten wir wenigstens noch die braven Altachtundsechziger, dann . . .!

In der Einleitung seines Buchs resümiert Misik seine These mit wünschenswerter Knappheit: In der Moderne geht die politische Revolution einher mit den revolutionären Künsten. Vielleicht auch umgekehrt. "Fortschritt im Wissen macht uns klüger. Der technische und ökonomische Fortschritt macht uns reicher. Der gesellschaftliche und soziale Fortschritt wird die Welt gerechter machen (oder hat zumindest das Potenzial dazu)." Das ist entschieden hingesetzt, doch wer von den folgenden Kapiteln genauere Aufklärung erwartet, liegt falsch. Und so erreicht man nach zweihundertvierzig langen Seiten das längst nicht mehr überraschende Fazit: "Bei weitem nicht alle prägenden Künstler und Künstlerinnen der Moderne waren 'links', aber die Moderne ist eine in ihrem Inneren 'linke' Angelegenheit, ihre Geschichte eine 'linke Geschichte', mag sie heute auch nicht selten als eher weichgespülte liberale Modernisierungsgeschichte erzählt werden." Dazwischen entgeht keiner dem immer gleichen Tremolo dieser Bewegtheit: Balzac, Heine, Flaubert, Baudelaire, Verlaine, Rimbaud, Picasso, Duchamp, Brecht, Giacometti, Breton und so weiter, und irgendwann landet man zur Erholung bei Jelinek, naturgemäß.

Der Leser merkt rasch, ernsthaftes Nachfragen auf diese Sündflut apodiktischer Behauptungen hat wenig Sinn. Das beginnt mit Politik: Was sich der Autor in entwickelten Industriegesellschaften, also im heutigen Wien, Berlin, Paris, ernstlich unter einer wünschenswerten "Revolution" vorstellt, lässt er im rhetorisch erregten Dunkel. Sturm auf die Hofburg? Oder doch eher eine Sonntagsrede im Kulturamt? Dass diese Gesellschaften als konservative, veränderungsresistente Fossilien an die Wand gemalt werden, ist eher komisch in einer Zeit, wo sogar Minister abends schlafen gehen und morgens in einer anderen Welt erwachen. Und so verpufft letztlich auch der Einwand, dass die ganze These des Buches schlechterdings nicht stimmt. Nein, in der Moderne gehen ökonomischer, politischer, kultureller Schub ganz und gar nicht im gemeinsamen Geschwindmarsch. Nein, die modernen Galionsfiguren in Kunst, Literatur, Philosophie waren ganz und gar nicht begeisterte Propagandisten der Moderne. Die Einwände bleiben sinnlos, weil Misik das im Grunde ahnt, dann aber mit flottem Griff das rot gefärbte Kaninchen hervorholt aus dem Zylinderhut: Hast du nicht gesehen, und schon ist auch, was nicht "links" ist, eine "linke Geschichte"!

Die Sache klänge womöglich amüsant als geistreiche Sottise im Café, die man hört und vergisst, doch als gedrucktes Buch? Natürlich weiß jeder Abiturient, "die frühen Arbeiterbewegungen" waren keineswegs Freunde "der künstlerischen Boheme und Avantgarde ihrer Zeit"; natürlich war Flaubert alles andere als ein Anhänger des technischen Fortschritts ("Ein Gedichtband ist mehr wert als eine Eisenbahn"), natürlich war der Katholik Baudelaire kein ordentlicher Demokrat, hielt vielmehr die Erbsünde für den "tiefsten Gedanken" der Menschheit. Vor der Dichtung selbst versagt das verbalradikale Plauderstündchen, und bei einem zutiefst bürgerlichen Ästheten wie Stéphane Mallarmé hilft nicht einmal der sonst so gern (bei "Rimbaud und so") bevorzugte Ausweg, über biographischen Klatsch das revolutionäre "Innere" im elitären Künstler nachzuweisen.

Seite um Seite kämpft bei der Lektüre Langeweile mit Ärger. In dubio pro reo, doch wenn der Autor tatsächlich all die aufgereihten Bücher gelesen haben sollte, hat ihn dann nie die Ahnung angeweht, dass es im "Buch der Lieder", in den "Fleurs du Mal", sogar in der "Hauspostille" des armen B. B. um mehr gehen könnte als um die ewige "Befreiung aus Konventionen", "neue Wahrnehmungsformen" und die ultimative Beschleunigung des ohnehin rasanten Fortschritts? Dass Literatur, Kunst noch anderes sind als dieser dünne Aufguss aus Psycho-, Sozio-, Politologieresten?

Irgendwann macht der Ärger schlapp; beim Klang der unendlichen Melodie der Plattitüden siegt die Langeweile: "Nicht nur der Zeitgeist wirkt auf die Künste ein, auch die Künste wirken auf den Zeitgeist ein." Wie man weiß, schläft in jedem Kaffeehausliteraten ein verhinderter Universitätsprofessor, und darum muss auch das Einfache, das schwer zu machen ist, noch einmal schwerer werden: "Der Zeitgeist ist schwer zu definieren, aber was uns die hier dargestellte Geschichte deutlich macht, ist, dass er in einem Art Kraft- oder Magnetfeld (sic!) entsteht, dass er so etwas wie das Produkt von Vektoren in einem Kräfteparallelogramm ist, genauso wie das Ergebnis von Bemühungen im ideologischen Kampf, die lange Zeit in Anspruch nehmen." Bei so viel Ambition seufzen wir entnervt, ein einziges Mal gemeinsam mit dem Autor: "Die Künste haben es gewiss schwer. Rannten sie sich früher den Kopf blutig, so stürmen sie heute oft offene Türen ein oder sie laufen gegen die Wände von Gummizellen." Der unvergessene Reinhard Jirgl taufte unser zeitgeistiges Zeitalter einst auf den Namen Quatschocento, dann zog er sich zurück ins strafende Schweigen. Zum Glück nicht geschwiegen hat Karl Kraus, dessen Programm Robert Misik in seinem Glashaus sogar noch zitiert, nämlich die "Trockenlegung des Phrasensumpfes". Ja, früher war wohl wirklich manches besser. WOLFGANG MATZ

Robert Misik: "Das große Beginnergefühl". Moderne, Zeitgeist, Revolution.

Suhrkamp Verlag, Berlin 2022. 284 S., br., 18,- Euro.

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»... das Schöne an Das große Beginnergefühl, dem neuen Buch des Wiener Autors Robert Misik, ist, dass es so begeistert wie nicht nostalgisch eine Kulturgeschichte der Moderne als Geschichte des Neuanfangs erzählt.« DER SPIEGEL 20220604