Der neue Roman der Autorin von " Die Geschichte der Liebe& ": 25 Jahre lang arbeitet eine Schriftstellerin aus New York an einem Schreibtisch, den sie von einem in den Folterkellern Pinochets gestorbenen Chilenen geschenkt bekam. Eines Tages kommt ein junges Mädchen, das behauptet, die Tochter des Chilenen zu sein, und holt ihn ab. Von da an klappt nichts mehr im Leben der Schriftstellerin. Sie macht sich auf, das Möbel zu suchen, und trifft im fernen Israel auf einen Mann, der das Arbeitszimmer seines von den Nazis umgebrachten Onkels rekonstruiert ...
"Das große Haus" ist ein Epos über Geheimnisse, Lügen, Leiden und Verlust, poetisch, sprachgewaltig und zu Herzen gehend.
"Untröstlich sieht man sich irgendwann gezwungen, die letzten Seiten umzublättern. Und während sich, eines nach dem anderen, die zahlreichen Rätsel dieses Romans enthüllen, staunt man darüber, wie ein stummes, hölz ernes Möbel zur Metapher des Lebens werden kann." Elle
"Dieses Buch ist ein Hochseilakt. Nur wurde der Draht durch einen blanken Nerv ersetzt, und man hält den Atem an und stellt staunend fest, dass Krauss nicht abstürzt." The New York Times
"Das große Haus" ist ein Epos über Geheimnisse, Lügen, Leiden und Verlust, poetisch, sprachgewaltig und zu Herzen gehend.
"Untröstlich sieht man sich irgendwann gezwungen, die letzten Seiten umzublättern. Und während sich, eines nach dem anderen, die zahlreichen Rätsel dieses Romans enthüllen, staunt man darüber, wie ein stummes, hölz ernes Möbel zur Metapher des Lebens werden kann." Elle
"Dieses Buch ist ein Hochseilakt. Nur wurde der Draht durch einen blanken Nerv ersetzt, und man hält den Atem an und stellt staunend fest, dass Krauss nicht abstürzt." The New York Times
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 15.01.2011Ihr fliegender Teppich ist ein Schreibtisch
Nicole Krauss hat sich für ihren neuen Roman "Das große Haus" viel vorgenommen. Die amerikanische Schriftstellerin verbindet Schicksale, Zeiten und Orte mit Hilfe eines magischen Möbels.
Von Felicitas von Lovenberg
Die ehrlichste literarische Bewährungsprobe ist das Langzeitgedächtnis. Jeder Leser kennt den peinigenden Moment, da man von einem Roman schwärmt, den man vor längerer Zeit gelesen hat, und merkt, dass einem die Figuren abhandengekommen sind und man auch die Handlung nur noch ansatzweise zusammenbekommt. Von manchem Buch bleibt nicht mehr als die Erinnerung an ein gutes Gefühl beim Lesen - und die ernüchternde Erkenntnis, dass die Freundschaft, die man mit seinen Charakteren geschlossen zu haben meinte, offenbar doch keine fürs Leben war.
Nicole Krauss ist schön, begabt und berühmt (F.A.Z. vom 8. Januar). Nach einem glänzenden und eigenwilligen Debüt veröffentlichte die Amerikanerin 2005 ihren zweiten Roman, "Die Geschichte der Liebe", in dem sich der formale Ehrgeiz der Autorin mit der Wahrhaftigkeit dessen, was sie zu erzählen hatte, erfreulich die Waage hielt. Damals war es ein Romanmanuskript, das über Ländergrenzen und Zeiten hinweg verschiedene Leben berührte und so ein unsichtbares Netz von Beziehungen knüpfte.
Jetzt, in ihrem neuen Roman "Das große Haus", ist es ein sehr viel schwereres und unhandlicheres Objekt, das Schicksale zusammenführt: ein Schreibtisch, ein ebenholzdunkles Trum von einem Möbel, mehr Tanker als Tisch, eine Art Hauffsches Geisterschiff, wie es "auf stockfinsterem Meer in der Tiefe einer mondlosen Nacht, ohne Hoffnung, irgendwo Land zu sichten" herumirrt. "Über der Schreibfläche erhob sich ein Aufbau von Schubladen, Schubladen in absolut unpraktischen Größen, wie am Tisch eines mittelalterlichen Zauberers." Diesen Sekretär, an dem womöglich García Lorca einmal geschrieben hat, lässt Nicole Krauss als Frachter der Erinnerung durch Leben, Kontinente und das zwanzigste Jahrhundert segeln. Dabei wird er nie ge- oder verkauft, sondern wechselt den Besitzer als Leihgabe, Geschenk, Pfand oder Vermächtnis.
Zwei Schriftstellerinnen, der einen in London und Oxford, der anderen in New York, leistet das Möbel in der Einsamkeit des Schreibens stumme inspiratorische Gesellschaft, ebenso einem jungen Dichter, der in den Folterkammern des Generals Pinochet verschwindet. Für einen ungarischen Juden birgt er die kostbare Erinnerung an seine Budapester Kindheit. All seine Hüter sind Emigranten, Flüchtlinge - sei es die in Nürnberg geborene Schriftstellerin Lotte Berg, die 1939 mit einem Kindertransport nach England kam und so als Einzige ihrer Familie den Nationalsozialisten entkommen konnte, oder George Weisz, Sohn eines jüdischen Gelehrten, in dessen Budapester Arbeitszimmer der Schreibtisch einst stand und der es sich als Antiquitätenhändler zur Aufgabe gemacht hat, Juden auf der ganzen Welt Teile ihres früheren Eigentums und damit ein Stück Heimat wiederzubeschaffen, oder der chilenische Poet Daniel Varsky, der nach Wanderjahren 1973 nach Hause zurückzukehren beschließt und sein Mobiliar, darunter auch den Schreibtisch, der angehenden Schriftstellerin Nadia in New York überlässt. Nadia wiederum erhält nach mehr als einem Vierteljahrhundert überraschend Besuch von Leah Weisz, die sagt, sie sei die Tochter Daniel Varskys und wolle seinen Schreibtisch abholen. Als Nadia dem Möbel nach Israel nachreist, kommt es zu einem Zusammenstoß mit Dov, dem als Autor gescheiterten israelischen Richter, der wiederum von seinem verwitweten Vater verzweifelt gesucht wird. Und dann ist da noch die amerikanische Literaturstudentin Isabel, die sich als Studentin in Oxford in Joav, Sohn von George Weisz und Bruder Leahs, verliebt und so über Umwege fast mit dem Schreibtisch in Berührung kommt - aber eben nur fast.
Der Schreibtisch mit seinen unzähligen Fächern und Laden, von denen eine stets verschlossen bleibt, ist das offensichtliche Sinnbild einer Romankonstruktion, in der die einzelnen Geschichten und Erinnerungen wie Schubladen herausgezogen werden, ohne dass am Ende das letzte Geheimnis, wie alle miteinander oder wenigstens mit dem Möbel zusammenhängen, detektivisch befriedigend gelöst würde. Nicole Krauss geht es erkennbar nicht um Handlung und nicht um die Lösung eines Rätsels, sondern um die Verwandlung der Seelen ihrer Figuren in eine Idee, in ein Objekt, das sie spiegelt und bewahrt. In diesem Motiv folgt sie einer Schule des Talmud, auf die auch der Romantitel "Das große Haus", das metaphorische Haus des Geistes, zurückgeht.
Der Leser verliert in diesem gehobenen Verwirrspiel schnell die Orientierung, zumal aus jeder Lade ein neuer Monolog anhebt und es lauter Ich-Erzähler sind, die sich rechtfertigen, etwas beichten oder verlorene Lieben noch einmal heraufbeschwören wollen - und dabei manche Sprünge vollführen. Die meisten wenden sich noch dazu an unsichtbar und stumm bleibende Gegenüber ("Euer Ehren").
Symmetrien, die wir im Leben finden, hätten etwas Tröstliches, bemerkt einer der Erzähler, "weil sie einen Plan suggerieren, wo keiner ist". In der Kunst hingegen darf man hinter Mustern einen Plan vermuten und anders als im Leben sogar erwarten, dass dieser aufgeht. Brüche dienen dann dazu, die unerwartete Anordnung sinnfällig zu machen. Nicole Krauss erhebt den Bruch zum Prinzip, indem sie die Geschichten ihres Romans nur selten auf der Handlungsebene miteinander verschränkt. Stattdessen suggeriert sie mit Hilfe von Motiven, Metaphern und Erfahrungen innere Zusammenhänge. Doch während Zeiten, Orte, Personen wechseln, ohne dass sich die Sprache diesen Veränderungen anpasst, scheinen auch die inneren Verschränkungen nurmehr behauptet, eben konstruiert. Zwar muss eine Geschichte, um glaubwürdig zu sein, nicht unbedingt plausibel erscheinen, aber bloß, weil ein Roman nicht konventionell linear, sondern in endlosen Verschachtelungen erzählt wird, handelt es sich dabei noch nicht um Avantgarde, geschweige denn um eine überzeugende Kampfansage an die plotfixierte Literatur der Kollegen.
Der Schreibtisch, der eigentliche Protagonist dieses elegischen Buchs, sei ein trojanisches Pferd, heißt es an einer Stelle. In der Tat, seine Schubladen bergen große Themen: Exil und Einsamkeit; die Bedingungen der Schriftstellerei; Distanz und Nähe zwischen Paaren; Mutterschaft, Vaterschaft und Kinderlosigkeit; die bange, entsetzliche Frage, wie es sein mag, "weiterzuleben, wenn das eigene Kind tot ist".
All das beschwört Nicole Krauss durchaus eindringlich. Doch während sie vieles anreißt und dabei klug offenlässt, entpuppt sich ihr Schiffs-Schreibtisch leider auch als Mottenkiste an Metaphern. Im Wunsch, die Zimmer ihres Romanhauses einzurichten, scheint der sprachliche Dekorationsdrang bisweilen mit der Autorin durchzugehen: "Wir tauschten einen Blick aus, wie man ihn in seltenen Situationen mit Fremden austauscht, wenn beide wortlos darin übereinstimmen, dass die Wirklichkeit kratergroße Löcher enthält, deren Tiefe unergründlich scheint." Es gibt (und keineswegs nur in der deutschen Übersetzung) eine Fülle solcher verunglückter, pathetisch und hohl dröhnender Formulierungen, ebenso wie zahlreiche Löcher, Lücken, Flecken und Punkte, die alles zu verschlingen scheinen. Dazwischen leuchten zum Glück aber auch immer wieder unprätentiöse, stimmige Bilder: "Wenn ich mit Joav zusammen war, stand alles auf, was sich in mir gesetzt hatte."
Zusätzlich irritiert, dass einem vieles bekannt vorkommt - nicht nur, weil die Grundidee, Menschen und Schicksale anhand eines Gegenstands zu verknüpfen, keine neue ist. So erinnert das Zusammenleben von Lotte Berg und ihrem Mann, einem Oxforder Don, spätestens als bei ihr die Alzheimer-Krankheit ausbricht, sehr an John Bayleys Schilderung von Iris Murdochs letzten Jahren; und bei der Litanei eines israelischen Vaters, der seinen Sohn Uri in den Krieg ziehen sieht und ständig fürchtet, dass ihm etwas zugestoßen sein könnte, wird vielen Lesern unwillkürlich David Grossmans "Eine Frau flieht vor einer Nachricht" vor Augen stehen.
Am besten ist "Das große Haus" da, wo man vergessen kann, dass es einen Roman, also ein Werk mit Plan, vorstellt, und sich den einzelnen Stimmen und ihren Erzählungen einfach überlässt. Über die Macht der Erinnerung, den Trost der Gewohnheit, die weibliche Überlebensstrategie des Alleinseins und nicht zuletzt über die Rätsel, die Frauen Männern und Männer Frauen auch nach langem Zusammenleben noch aufzugeben imstande sind, hat Nicole Krauss uns noch viel zu erzählen - auch wenn man sich an diesen Roman, kaum dass er ausgelesen ist, nicht mehr im Einzelnen erinnern kann.
Nicole Krauss: "Das große Haus". Roman.
Aus dem Amerikanischen von Grete Osterwald. Rowohlt Verlag, Reinbek 2011. 375 S., geb., 19,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Nicole Krauss hat sich für ihren neuen Roman "Das große Haus" viel vorgenommen. Die amerikanische Schriftstellerin verbindet Schicksale, Zeiten und Orte mit Hilfe eines magischen Möbels.
Von Felicitas von Lovenberg
Die ehrlichste literarische Bewährungsprobe ist das Langzeitgedächtnis. Jeder Leser kennt den peinigenden Moment, da man von einem Roman schwärmt, den man vor längerer Zeit gelesen hat, und merkt, dass einem die Figuren abhandengekommen sind und man auch die Handlung nur noch ansatzweise zusammenbekommt. Von manchem Buch bleibt nicht mehr als die Erinnerung an ein gutes Gefühl beim Lesen - und die ernüchternde Erkenntnis, dass die Freundschaft, die man mit seinen Charakteren geschlossen zu haben meinte, offenbar doch keine fürs Leben war.
Nicole Krauss ist schön, begabt und berühmt (F.A.Z. vom 8. Januar). Nach einem glänzenden und eigenwilligen Debüt veröffentlichte die Amerikanerin 2005 ihren zweiten Roman, "Die Geschichte der Liebe", in dem sich der formale Ehrgeiz der Autorin mit der Wahrhaftigkeit dessen, was sie zu erzählen hatte, erfreulich die Waage hielt. Damals war es ein Romanmanuskript, das über Ländergrenzen und Zeiten hinweg verschiedene Leben berührte und so ein unsichtbares Netz von Beziehungen knüpfte.
Jetzt, in ihrem neuen Roman "Das große Haus", ist es ein sehr viel schwereres und unhandlicheres Objekt, das Schicksale zusammenführt: ein Schreibtisch, ein ebenholzdunkles Trum von einem Möbel, mehr Tanker als Tisch, eine Art Hauffsches Geisterschiff, wie es "auf stockfinsterem Meer in der Tiefe einer mondlosen Nacht, ohne Hoffnung, irgendwo Land zu sichten" herumirrt. "Über der Schreibfläche erhob sich ein Aufbau von Schubladen, Schubladen in absolut unpraktischen Größen, wie am Tisch eines mittelalterlichen Zauberers." Diesen Sekretär, an dem womöglich García Lorca einmal geschrieben hat, lässt Nicole Krauss als Frachter der Erinnerung durch Leben, Kontinente und das zwanzigste Jahrhundert segeln. Dabei wird er nie ge- oder verkauft, sondern wechselt den Besitzer als Leihgabe, Geschenk, Pfand oder Vermächtnis.
Zwei Schriftstellerinnen, der einen in London und Oxford, der anderen in New York, leistet das Möbel in der Einsamkeit des Schreibens stumme inspiratorische Gesellschaft, ebenso einem jungen Dichter, der in den Folterkammern des Generals Pinochet verschwindet. Für einen ungarischen Juden birgt er die kostbare Erinnerung an seine Budapester Kindheit. All seine Hüter sind Emigranten, Flüchtlinge - sei es die in Nürnberg geborene Schriftstellerin Lotte Berg, die 1939 mit einem Kindertransport nach England kam und so als Einzige ihrer Familie den Nationalsozialisten entkommen konnte, oder George Weisz, Sohn eines jüdischen Gelehrten, in dessen Budapester Arbeitszimmer der Schreibtisch einst stand und der es sich als Antiquitätenhändler zur Aufgabe gemacht hat, Juden auf der ganzen Welt Teile ihres früheren Eigentums und damit ein Stück Heimat wiederzubeschaffen, oder der chilenische Poet Daniel Varsky, der nach Wanderjahren 1973 nach Hause zurückzukehren beschließt und sein Mobiliar, darunter auch den Schreibtisch, der angehenden Schriftstellerin Nadia in New York überlässt. Nadia wiederum erhält nach mehr als einem Vierteljahrhundert überraschend Besuch von Leah Weisz, die sagt, sie sei die Tochter Daniel Varskys und wolle seinen Schreibtisch abholen. Als Nadia dem Möbel nach Israel nachreist, kommt es zu einem Zusammenstoß mit Dov, dem als Autor gescheiterten israelischen Richter, der wiederum von seinem verwitweten Vater verzweifelt gesucht wird. Und dann ist da noch die amerikanische Literaturstudentin Isabel, die sich als Studentin in Oxford in Joav, Sohn von George Weisz und Bruder Leahs, verliebt und so über Umwege fast mit dem Schreibtisch in Berührung kommt - aber eben nur fast.
Der Schreibtisch mit seinen unzähligen Fächern und Laden, von denen eine stets verschlossen bleibt, ist das offensichtliche Sinnbild einer Romankonstruktion, in der die einzelnen Geschichten und Erinnerungen wie Schubladen herausgezogen werden, ohne dass am Ende das letzte Geheimnis, wie alle miteinander oder wenigstens mit dem Möbel zusammenhängen, detektivisch befriedigend gelöst würde. Nicole Krauss geht es erkennbar nicht um Handlung und nicht um die Lösung eines Rätsels, sondern um die Verwandlung der Seelen ihrer Figuren in eine Idee, in ein Objekt, das sie spiegelt und bewahrt. In diesem Motiv folgt sie einer Schule des Talmud, auf die auch der Romantitel "Das große Haus", das metaphorische Haus des Geistes, zurückgeht.
Der Leser verliert in diesem gehobenen Verwirrspiel schnell die Orientierung, zumal aus jeder Lade ein neuer Monolog anhebt und es lauter Ich-Erzähler sind, die sich rechtfertigen, etwas beichten oder verlorene Lieben noch einmal heraufbeschwören wollen - und dabei manche Sprünge vollführen. Die meisten wenden sich noch dazu an unsichtbar und stumm bleibende Gegenüber ("Euer Ehren").
Symmetrien, die wir im Leben finden, hätten etwas Tröstliches, bemerkt einer der Erzähler, "weil sie einen Plan suggerieren, wo keiner ist". In der Kunst hingegen darf man hinter Mustern einen Plan vermuten und anders als im Leben sogar erwarten, dass dieser aufgeht. Brüche dienen dann dazu, die unerwartete Anordnung sinnfällig zu machen. Nicole Krauss erhebt den Bruch zum Prinzip, indem sie die Geschichten ihres Romans nur selten auf der Handlungsebene miteinander verschränkt. Stattdessen suggeriert sie mit Hilfe von Motiven, Metaphern und Erfahrungen innere Zusammenhänge. Doch während Zeiten, Orte, Personen wechseln, ohne dass sich die Sprache diesen Veränderungen anpasst, scheinen auch die inneren Verschränkungen nurmehr behauptet, eben konstruiert. Zwar muss eine Geschichte, um glaubwürdig zu sein, nicht unbedingt plausibel erscheinen, aber bloß, weil ein Roman nicht konventionell linear, sondern in endlosen Verschachtelungen erzählt wird, handelt es sich dabei noch nicht um Avantgarde, geschweige denn um eine überzeugende Kampfansage an die plotfixierte Literatur der Kollegen.
Der Schreibtisch, der eigentliche Protagonist dieses elegischen Buchs, sei ein trojanisches Pferd, heißt es an einer Stelle. In der Tat, seine Schubladen bergen große Themen: Exil und Einsamkeit; die Bedingungen der Schriftstellerei; Distanz und Nähe zwischen Paaren; Mutterschaft, Vaterschaft und Kinderlosigkeit; die bange, entsetzliche Frage, wie es sein mag, "weiterzuleben, wenn das eigene Kind tot ist".
All das beschwört Nicole Krauss durchaus eindringlich. Doch während sie vieles anreißt und dabei klug offenlässt, entpuppt sich ihr Schiffs-Schreibtisch leider auch als Mottenkiste an Metaphern. Im Wunsch, die Zimmer ihres Romanhauses einzurichten, scheint der sprachliche Dekorationsdrang bisweilen mit der Autorin durchzugehen: "Wir tauschten einen Blick aus, wie man ihn in seltenen Situationen mit Fremden austauscht, wenn beide wortlos darin übereinstimmen, dass die Wirklichkeit kratergroße Löcher enthält, deren Tiefe unergründlich scheint." Es gibt (und keineswegs nur in der deutschen Übersetzung) eine Fülle solcher verunglückter, pathetisch und hohl dröhnender Formulierungen, ebenso wie zahlreiche Löcher, Lücken, Flecken und Punkte, die alles zu verschlingen scheinen. Dazwischen leuchten zum Glück aber auch immer wieder unprätentiöse, stimmige Bilder: "Wenn ich mit Joav zusammen war, stand alles auf, was sich in mir gesetzt hatte."
Zusätzlich irritiert, dass einem vieles bekannt vorkommt - nicht nur, weil die Grundidee, Menschen und Schicksale anhand eines Gegenstands zu verknüpfen, keine neue ist. So erinnert das Zusammenleben von Lotte Berg und ihrem Mann, einem Oxforder Don, spätestens als bei ihr die Alzheimer-Krankheit ausbricht, sehr an John Bayleys Schilderung von Iris Murdochs letzten Jahren; und bei der Litanei eines israelischen Vaters, der seinen Sohn Uri in den Krieg ziehen sieht und ständig fürchtet, dass ihm etwas zugestoßen sein könnte, wird vielen Lesern unwillkürlich David Grossmans "Eine Frau flieht vor einer Nachricht" vor Augen stehen.
Am besten ist "Das große Haus" da, wo man vergessen kann, dass es einen Roman, also ein Werk mit Plan, vorstellt, und sich den einzelnen Stimmen und ihren Erzählungen einfach überlässt. Über die Macht der Erinnerung, den Trost der Gewohnheit, die weibliche Überlebensstrategie des Alleinseins und nicht zuletzt über die Rätsel, die Frauen Männern und Männer Frauen auch nach langem Zusammenleben noch aufzugeben imstande sind, hat Nicole Krauss uns noch viel zu erzählen - auch wenn man sich an diesen Roman, kaum dass er ausgelesen ist, nicht mehr im Einzelnen erinnern kann.
Nicole Krauss: "Das große Haus". Roman.
Aus dem Amerikanischen von Grete Osterwald. Rowohlt Verlag, Reinbek 2011. 375 S., geb., 19,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension
Oh oh. Schwerer Verriss. Marie Schmidt scheint sich schon länger über Nicole Krauss und den Erfolg ihrer Romane geärgert zu haben. Für den neuesten Roman hat sich Schmidt den Aufmacher der Literaturseiten gesichert, um einmal zu dekonstruieren, wie wenig Sinn all die gedanklichen Gebäude ergeben, die Krauss so bedeutungsschwer errichtet. In "Das große Haus" verbindet Krauss verschiedene Geschichten von einem chilenischen Exil-Lyriker, einer New Yorker Schriftstellerin in der Sinnkrise, einem sich vor dem Tod fürchtenden Vater in Israel und einem britischen Literaturprofessor mit dementer Frau. Allerdings nur über ein Möbelstück, einen Schreibtisch, der in den Augen der Rezensentin einen Zusammenhang andeuten soll, den zu formulieren sich die meisten Autoren zurecht im 20. Jahrhundert abgewöhnt hättten, so allumfassend und monströs würde er sein. Nein nein, all diese schweren Sujets und die superereignisreiche Innerlichkeit der Romanfiguren, die sich alle gleichermaßen intensiv reflektieren können, sind die Sache der Rezensentin nicht. Damit geht es ihr wie mit vielen Interviewaussagen der Autorin, die den gleichen Effekt wie Horoskope oder Weisheiten in Poesiealben haben: Man glaubt, sie betreffen einen, aber dann verpuffen sie recht schnell ob ihrer Unverbindlichkeit.
© Perlentaucher Medien GmbH
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