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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 04.09.2002

Murx sie, murx sie, murx sie ab!
Eigenartig persönlich: Norbert Borrmann versucht sich an einem Verbrechenslexikon
Dicke Lexika kann man über jedes beliebige Thema anlegen. Diese Erkenntnis macht sich seit einigen Jahren der Lexikon Imprint Verlag bei Schwarzkopf & Schwarzkopf zu Nutze. Er hat ein „Tattoo- und Piercing-Lexikon” ebenso im Programm wie „Das große Lexikon über Stephen King”, es gibt ein „Lexikon der deutschen Soaps” und ein „Helmut Kohl Lexikon” („Abmagerungskur” bis „Zwei-plus-vier-Vertrag”).
Die potenzielle Zielgruppe des „Großen Lexikons des Verbrechens” ist nicht klein, denn bekannter Maßen hat die Darstellung von Gewalt und Perfidie stets Konjunktur. Das Verbrechen ist eines Nachschlagewerkes mindestens so würdig wie die anderen Nischen, die der Verlag bereits besetzt hat. Interessiert greift der Amateur-Kriminalist also zum broschierten Band, dessen Cover ein Polizeifoto Al Capones ziert.
Viele der Eintragungen kommen eher narrativ daher. Dass beispielsweise der rechts abgebildete Laborant Robert Huber die gesamte Familie der Dame neben ihm mittels Gift in die ewigen Jagdgründe beförderte, wird erst nach Lektüre der ersten zwei Absätze des dazugehörigen Artikels klar. Autor Robert Borrmann setzt aufs Schmökern, was bei den biografischen Artikeln oft zu Lasten der Hauptqualität geht, die man von einem Lexikon erwarten darf: schneller Zugriff auf konzis formulierte Informationen.
Begriffe leitet Borrmann zwar ethymologisch her und ordnet sie juristisch ein. Doch statt es dabei zu belassen, ergänzt er sie durch Kommentare wie den, der Mensch sei „schlecht und oft nichts weiter als ein egoistisches Ungeheuer”. Schwerer als diese ganz unlexikalische, eigenartig persönliche Färbung der Einträge wiegt, dass offenbar nicht in jedem Fall die Quellen genau geprüft wurden. So stellt Borrmann die schottische „Beane Family” als historisch verbürgte Sippe inzestuöser mittelalterlicher Kannibalen vor. Wer ein wenig forscht, wird feststellen,dass die Beanes eine Propaganda-Erfindung der englischen Kolonialherren waren.
„Das große Lexikon des Verbrechens” wird sicher nicht das Standard- Kompendium zum Thema. Hier hat sich ein einzelner Autor (unter Mitarbeit seiner Ehefrau) an einem Sachkomplex verhoben, der wesentlich mehr Sorgfalt verdient.
ALEXANDER MENDEN
NORBERT BORRMANN: Das große Lexikon des Verbrechens. Schwarzkopf & Schwarzkopf, Berlin 2002. 525 Seiten, 22,90 Euro.
„Giftlustmörder” Robert Huber nebst Ehefrau Walburga Reindl
Foto: Verlag
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Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Warum nicht auch ein Verbrechenslexikon, fragt sich Kritiker Alexander Menden angesichts der Neuerscheinung eines solchen beim Verlag Schwarzkopf und Schwarzkopf, der mittlerweile bekannt ist für Nachschlagewerke zu praktisch jedem Thema. Präzise auf den Punkt gebrachte Informationsartikel, so der Rezensent, dürfen von Autor Norbert Borrmann jedoch nicht erwartet werden. Er setze wohl eher aufs "Schmökern" durch das über 500 Seiten starke Lexikon. Unter der erzählenden Art der Eintragungen leidet wohl auch die Qualität der genauen Recherchen, wie Menden sogar an einem Beispiel vorführt. Seiner Ansicht nach hätte ein solches Thema "wesentlich mehr Sorgfalt" verdient. Der Kritiker ist sich ziemlich sicher, dass "Das Lexikon der Verbrechen" kein kriminalistisches Standardwerk wird. Den Leser, der nicht an genauen Fakten interessiert ist, sondern der einfach nur dem Reiz der "Darstellung von Gewalt und Perfidie" erliegen will, könnte es aber durchaus unterhalten.

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