Traumatisiert kehrt der Vater aus dem Zweiten Weltkrieg zurück. Und er schweigt. Wenige Jahre vor seinem Tod überreicht ihm Tochter Selma ein Tonbandgerät mit der Bitte, seine Lebensgeschichte festzuhalten: "Für deine Kinder und Enkel, wir wollen wissen, was du im Krieg erlebt hast, um dich besser zu verstehen." Auf der Grundlage dieser Tonband- und weiterer Tagebuchaufzeichnungen ist ein Roman entstanden, der aus verschiedenen Perspektiven die bewegende Geschichte einer Familie im 20. Jahrhundert erzählt. Man begegnet Freuds Psychoanalyse, C.G. Jung, Martin Buber und dem Heiligen Gral, erlebt Krieg, Flucht und Gefangenschaft und die Nachkriegsjahre im zerstörten München anhand eines ehrlich und authentisch geschriebenen Buches.
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 02.06.2015Erzählen vom Ende
Zwei Romane über die letzten Kriegstage
München – Eigentlich sind genügend Bücher über die letzten Tage des Zweiten Weltkriegs geschrieben. Ebenso darüber, dass die Soldaten fürs restliche Leben geschädigt daraus heimkehrten. Trotzdem haben sich zwei Münchner Autoren unabhängig voneinander der Themen angenommen. Gemeinsam ist ihnen, dass sie bislang keine Romane geschrieben haben. Josef Ebner, Jahrgang 1937, hat zwar Sach- und Drehbücher verfasst, arbeitete auch lange als Redakteur einer Filmpresseagentur. „Martins Frühling“ (Allitera Verlag) ist aber sein erster Roman. Eine ganz unspektakuläre Geschichte, unprätentiös aufgeschrieben und genau deshalb gut zu lesen.
Dass die Handlung in München spielt, merkt man kaum, es gibt – abgesehen von der Isar – keine exakten Ortsbeschreibungen oder Straßennamen. Schließlich sollen die Schicksale der Protagonisten laut Klappentext exemplarisch für die der Menschen in ganz Deutschland sein. Ein hoher literarischer Anspruch, den das Buch nicht immer einlöst, auch wenn es in diesen Tagen überall Bombennächte, Angst und kaum was zu essen gab.
Martin, die Titelfigur, ist ein wenig älter, als es der Autor in den letzten Monaten des Krieges war. Der Zehnjährige lebt allein mit seiner Mutter Christa, der Vater ist in Russland vermisst. Der Hunger allgegenwärtig, die Schulen längst geschlossen, die meisten Kinder aufs Land verschickt. Die Stunden im Luftschutzkeller übersteht er mit Hilfe eines Märchenbuchs. Freund Horsti ist zwei Jahre älter und, wie Martin, nicht bei der Hitlerjugend: Horsti, weil er seinen Vater pflegen muss, Martin, weil die Mutter ihn als Asthma-Kranken ausgibt. Dann gibt es noch Peter, einen älteren Freund, der sich an den Nazis, den Mördern seiner Eltern, rächen will und in Tagebucheinschüben darüber nachdenkt, wie er das anstellen könnte. Martins Mutter beginnt ein Verhältnis mit einem französischen Kriegsgefangenen. Das löst eine Reihe von Verwicklungen aus, die ein wenig konstruiert wirken, mal mehr, mal weniger nur durch Zufall, nicht aber durch innere Notwendigkeit vorangetrieben werden.
Was das Buch aber trotzdem lesenswert macht, ist die exakte Darstellung einer Kindheit in diesen Kriegstagen: das Spielen zwischen Schuttbergen, die Streifzüge an der Isar oder das Frühstück mit „Schiebewurst“: ein Blatt Wurst, das aufs Brot gelegt mit der Oberlippe festgehalten, aber nicht gegessen wird. „Darunter schob man dann das Brot nach und biss es ab. So hatte man immer den Geschmack der Wurst.“
Eine wichtige Rolle spielt der Zweite Weltkrieg auch im Roman „Das große Verschweigen“ (Buch&Media). Sinda Dimroth, geboren 1947 in der Nähe von Traunstein, in München lebend, ist Malerin, Bildhauerin, hat Innenarchitektur studiert. Sie erzählt die Geschichte einer Familie im 20. Jahrhundert. Im Mittelpunkt steht ein Vater, der traumatisiert, streng und schweigend aus dem Zweiten Weltkrieg zurückkehrt. Der nicht chronologisch aufgebaute Roman stützt sich auf drei Quellen: zum einen die Erinnerungen der Tochter Selma, zum anderen 17 Tonbänder, die ihr Vater Heinrich auf ihr Bitten hin besprochen hat, die aber erst nach seinem Tod 1986 abgehört werden durften. Als dritte Quelle dienen die Tagebücher von Heinrichs Mutter, einer bemerkenswerten Frau, die sich mit ihren Söhnen in den Zwanzigerjahren erst der Gralsbewegung Oskar Ernst Bernhardt alias Abd-ru-shin anschließt und mit dieser Vereinigung von Dresden ins Badehaus von Bad Heilbrunn zieht. Später distanziert sie sich davon, arbeitet als Grafologin in München, beschäftigt sich intensiv mit Adler, Freud und Jung, lässt sich zur Psychoanalytikerin ausbilden und heiratet einen reichen Patienten, der nur zehn Jahre älter ist als Heinrich. Letzterer kämpft gerade mit dem Abitur, weil er während der Gralszeit keine öffentliche Schule besuchen durfte, studiert dann Physik und Chemie und wird, weil er nicht der NSDAP beitritt, früh in den Krieg geschickt. Erst ist der Funkspezialist in Polen, dann in Frankreich und schließlich in Russland.
Die Geschichte, sehr einfach und lapidar geschrieben, ist aufgrund mancher Details interessant zu lesen. Allerdings hat man nie das Gefühl, einen komponierten Roman zu lesen. Über weite Strecken wirkt es, als hätte die Autorin Tagebücher und Tonbänder nur ergänzt und Dialoge eingebaut. Seltsam auch, dass sie es für notwendig hält, eigens zu erwähnen, dass sie die im Buch geäußerten politischen Einschätzungen nicht teilt. Schade, das fundierte Material hätte eine stärkere Gestaltung gut vertragen.
SABINE REITHMAIER
Es wirkt eher, als hätte Autorin
Sinda Dimroth Tagebücher
und Tonbänder nur ergänzt
Josef Ebner hat bisher Dreh- und Sachbücher geschrieben. „Martins Frühling“ ist der erste Roman des Münchner Autors.
Foto: Allitera Verlag
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Zwei Romane über die letzten Kriegstage
München – Eigentlich sind genügend Bücher über die letzten Tage des Zweiten Weltkriegs geschrieben. Ebenso darüber, dass die Soldaten fürs restliche Leben geschädigt daraus heimkehrten. Trotzdem haben sich zwei Münchner Autoren unabhängig voneinander der Themen angenommen. Gemeinsam ist ihnen, dass sie bislang keine Romane geschrieben haben. Josef Ebner, Jahrgang 1937, hat zwar Sach- und Drehbücher verfasst, arbeitete auch lange als Redakteur einer Filmpresseagentur. „Martins Frühling“ (Allitera Verlag) ist aber sein erster Roman. Eine ganz unspektakuläre Geschichte, unprätentiös aufgeschrieben und genau deshalb gut zu lesen.
Dass die Handlung in München spielt, merkt man kaum, es gibt – abgesehen von der Isar – keine exakten Ortsbeschreibungen oder Straßennamen. Schließlich sollen die Schicksale der Protagonisten laut Klappentext exemplarisch für die der Menschen in ganz Deutschland sein. Ein hoher literarischer Anspruch, den das Buch nicht immer einlöst, auch wenn es in diesen Tagen überall Bombennächte, Angst und kaum was zu essen gab.
Martin, die Titelfigur, ist ein wenig älter, als es der Autor in den letzten Monaten des Krieges war. Der Zehnjährige lebt allein mit seiner Mutter Christa, der Vater ist in Russland vermisst. Der Hunger allgegenwärtig, die Schulen längst geschlossen, die meisten Kinder aufs Land verschickt. Die Stunden im Luftschutzkeller übersteht er mit Hilfe eines Märchenbuchs. Freund Horsti ist zwei Jahre älter und, wie Martin, nicht bei der Hitlerjugend: Horsti, weil er seinen Vater pflegen muss, Martin, weil die Mutter ihn als Asthma-Kranken ausgibt. Dann gibt es noch Peter, einen älteren Freund, der sich an den Nazis, den Mördern seiner Eltern, rächen will und in Tagebucheinschüben darüber nachdenkt, wie er das anstellen könnte. Martins Mutter beginnt ein Verhältnis mit einem französischen Kriegsgefangenen. Das löst eine Reihe von Verwicklungen aus, die ein wenig konstruiert wirken, mal mehr, mal weniger nur durch Zufall, nicht aber durch innere Notwendigkeit vorangetrieben werden.
Was das Buch aber trotzdem lesenswert macht, ist die exakte Darstellung einer Kindheit in diesen Kriegstagen: das Spielen zwischen Schuttbergen, die Streifzüge an der Isar oder das Frühstück mit „Schiebewurst“: ein Blatt Wurst, das aufs Brot gelegt mit der Oberlippe festgehalten, aber nicht gegessen wird. „Darunter schob man dann das Brot nach und biss es ab. So hatte man immer den Geschmack der Wurst.“
Eine wichtige Rolle spielt der Zweite Weltkrieg auch im Roman „Das große Verschweigen“ (Buch&Media). Sinda Dimroth, geboren 1947 in der Nähe von Traunstein, in München lebend, ist Malerin, Bildhauerin, hat Innenarchitektur studiert. Sie erzählt die Geschichte einer Familie im 20. Jahrhundert. Im Mittelpunkt steht ein Vater, der traumatisiert, streng und schweigend aus dem Zweiten Weltkrieg zurückkehrt. Der nicht chronologisch aufgebaute Roman stützt sich auf drei Quellen: zum einen die Erinnerungen der Tochter Selma, zum anderen 17 Tonbänder, die ihr Vater Heinrich auf ihr Bitten hin besprochen hat, die aber erst nach seinem Tod 1986 abgehört werden durften. Als dritte Quelle dienen die Tagebücher von Heinrichs Mutter, einer bemerkenswerten Frau, die sich mit ihren Söhnen in den Zwanzigerjahren erst der Gralsbewegung Oskar Ernst Bernhardt alias Abd-ru-shin anschließt und mit dieser Vereinigung von Dresden ins Badehaus von Bad Heilbrunn zieht. Später distanziert sie sich davon, arbeitet als Grafologin in München, beschäftigt sich intensiv mit Adler, Freud und Jung, lässt sich zur Psychoanalytikerin ausbilden und heiratet einen reichen Patienten, der nur zehn Jahre älter ist als Heinrich. Letzterer kämpft gerade mit dem Abitur, weil er während der Gralszeit keine öffentliche Schule besuchen durfte, studiert dann Physik und Chemie und wird, weil er nicht der NSDAP beitritt, früh in den Krieg geschickt. Erst ist der Funkspezialist in Polen, dann in Frankreich und schließlich in Russland.
Die Geschichte, sehr einfach und lapidar geschrieben, ist aufgrund mancher Details interessant zu lesen. Allerdings hat man nie das Gefühl, einen komponierten Roman zu lesen. Über weite Strecken wirkt es, als hätte die Autorin Tagebücher und Tonbänder nur ergänzt und Dialoge eingebaut. Seltsam auch, dass sie es für notwendig hält, eigens zu erwähnen, dass sie die im Buch geäußerten politischen Einschätzungen nicht teilt. Schade, das fundierte Material hätte eine stärkere Gestaltung gut vertragen.
SABINE REITHMAIER
Es wirkt eher, als hätte Autorin
Sinda Dimroth Tagebücher
und Tonbänder nur ergänzt
Josef Ebner hat bisher Dreh- und Sachbücher geschrieben. „Martins Frühling“ ist der erste Roman des Münchner Autors.
Foto: Allitera Verlag
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de