Es ist eine unglaubliche Erfolgsgeschichte - so gut wie keine Talkshow, keine Demonstration, kein Leitartikel kommt ohne Verweis auf das Grundgesetz aus, doch als es vor sechzig Jahren in Kraft trat, ahnte niemand, wie sehr dies kleine Buch das Land verändern würde. Christian Bommarius schildert die dramatischen Umstände, unter denen es entstand. Er erzählt von den 73 Männern und vier Frauen, die drei Jahre nach dem Ende der Nazi-Diktatur, mitten im Kalten Krieg, während der Berliner Blockade, zusammenkamen, um über eine demokratische Verfassung zu beraten, wie sie die Deutschen in ihrer Geschichte noch nicht besessen hatten: bedeutende Politiker der Weimarer Republik wie Paul Löbe, solche, die die Geschicke der Bundesrepublik bestimmen sollten wie Konrad Adenauer oder Theodor Heuss, aber auch heute vergessene Opfer des Nationalsozialismus wie der Kommunist Max Reimann, der Jahre im Konzentrationslager war. Doch Bommarius zeigt nicht nur, welche Richtungskämpfe um die Zukunft Deutschlands damals ausgetragen wurden, sondern auch, wie das Grundgesetz über Jahrzehnte die deutsche Lebenswirklichkeit gespiegelt und zugleich geprägt hat - und lässt so, wie nebenbei, sechzig Jahre Bundesrepublik Revue passieren.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 23.04.2009Verfassungen sind cool
Grundgesetz für Laien: Drei Fälle / Von Michael Stolleis
Das Grundgesetz, das am 23. Mai 2009 sechzig Jahre alt wird, ist gealtert, gereift, hat aber auch Speck angesetzt. Ganze Kapitel wurden eingefügt, andere umgearbeitet, die Wiedervereinigung hat ebenso ihre Spuren hinterlassen wie der europäische Einigungsprozess. Will man alles dies samt den Grundzügen der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts in ein für Laien verständliches und preiswertes Buch einbringen, muss man rigoros vereinfachen. Wie das gehen kann, sei an drei Beispielen erläutert.
Günter Frankenberg hat schon 2004 ein schmales und preiswertes Büchlein vorgelegt (Grundgesetz, Fischer Taschenbuch Verlag). Er gliedert und komprimiert den Stoff so gekonnt, dass alle wesentlichen Fragen ihr klares Profil erhalten: Die Entstehung und Veränderung der Verfassung, die politischen Institutionen, der europäische Rahmen sowie die Auslegung und Anwendung des Textes. Neun kleinere Kapitel dienen der Vertiefung. Fachlich macht das Büchlein keine Konzessionen; es hält in jeder Hinsicht stand. Sprachlich ist es ein Genuss.
Peter Zolling dagegen imitiert Jugendjargon: "Verfassungen sind cool", so fängt es an. Zolling redet viel, will farbig erzählen, die Qualitäten des Grundgesetzes betonen und auch noch die aktuelle Wirtschaftskrise kommentieren. Nach einem anschaulichen historischen Teil, in dem das Grundgesetz als "Trümmer- und Traumakind" erscheint, werden im Schwerpunkt die wichtigsten Grundrechte erläutert. Abschließend geht es in Kürze um Demokratie, Sozial- und Rechtsstaat, einschließlich des Konflikts zwischen Freiheit und Sicherheit, um die europäische Dimension, die Turbulenzen der Weltwirtschaft und Obama (Das Grundgesetz. Unsere Verfassung - wie sie entstand und was sie ist, Carl Hanser 2009). Studienanfängern würde ich Frankenberg empfehlen, Oberschülern, denen ein vermeintlich spröder Stoff unterhaltsam nahegebracht werden soll, aber vorweg zu kritischer Lektüre von Zolling raten.
Das historisch solidere dritte Beispiel stammt von dem leitenden Redakteur der "Berliner Zeitung" Christian Bommarius. Es erzählt im Sinne einer "Biographie" vom Erwachsenwerden der Bundesrepublik (Das Grundgesetz. Eine Biographie Rowohlt, 2009). Die Rahmenbedingungen der angeblichen Stunde Null, die Lage der Parteien, die starke Rolle der Ministerpräsidenten der Länder und die Übernahme der Führungsrolle durch den Parlamentarischen Rat - das ist anschaulich und kundig beschrieben, einschließlich einiger wichtiger Fälle vor dem Bundesverfassungsgericht. Dass dabei Günter Dürig zum Berichterstatter des Lüth-Urteils im Ersten Senat avanciert, ist ein amüsanter Lapsus mit tieferer Bedeutung; denn Dürig hat tatsächlich in jenen Jahren wesentliche theoretische Beiträge zur Wertordnungs-Rechtsprechung des Gerichts geliefert.
Professor Dr. Michael Stolleis ist Direktor am Max-Planck-Institut für europäische Rechtsgeschichte in Frankfurt.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Grundgesetz für Laien: Drei Fälle / Von Michael Stolleis
Das Grundgesetz, das am 23. Mai 2009 sechzig Jahre alt wird, ist gealtert, gereift, hat aber auch Speck angesetzt. Ganze Kapitel wurden eingefügt, andere umgearbeitet, die Wiedervereinigung hat ebenso ihre Spuren hinterlassen wie der europäische Einigungsprozess. Will man alles dies samt den Grundzügen der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts in ein für Laien verständliches und preiswertes Buch einbringen, muss man rigoros vereinfachen. Wie das gehen kann, sei an drei Beispielen erläutert.
Günter Frankenberg hat schon 2004 ein schmales und preiswertes Büchlein vorgelegt (Grundgesetz, Fischer Taschenbuch Verlag). Er gliedert und komprimiert den Stoff so gekonnt, dass alle wesentlichen Fragen ihr klares Profil erhalten: Die Entstehung und Veränderung der Verfassung, die politischen Institutionen, der europäische Rahmen sowie die Auslegung und Anwendung des Textes. Neun kleinere Kapitel dienen der Vertiefung. Fachlich macht das Büchlein keine Konzessionen; es hält in jeder Hinsicht stand. Sprachlich ist es ein Genuss.
Peter Zolling dagegen imitiert Jugendjargon: "Verfassungen sind cool", so fängt es an. Zolling redet viel, will farbig erzählen, die Qualitäten des Grundgesetzes betonen und auch noch die aktuelle Wirtschaftskrise kommentieren. Nach einem anschaulichen historischen Teil, in dem das Grundgesetz als "Trümmer- und Traumakind" erscheint, werden im Schwerpunkt die wichtigsten Grundrechte erläutert. Abschließend geht es in Kürze um Demokratie, Sozial- und Rechtsstaat, einschließlich des Konflikts zwischen Freiheit und Sicherheit, um die europäische Dimension, die Turbulenzen der Weltwirtschaft und Obama (Das Grundgesetz. Unsere Verfassung - wie sie entstand und was sie ist, Carl Hanser 2009). Studienanfängern würde ich Frankenberg empfehlen, Oberschülern, denen ein vermeintlich spröder Stoff unterhaltsam nahegebracht werden soll, aber vorweg zu kritischer Lektüre von Zolling raten.
Das historisch solidere dritte Beispiel stammt von dem leitenden Redakteur der "Berliner Zeitung" Christian Bommarius. Es erzählt im Sinne einer "Biographie" vom Erwachsenwerden der Bundesrepublik (Das Grundgesetz. Eine Biographie Rowohlt, 2009). Die Rahmenbedingungen der angeblichen Stunde Null, die Lage der Parteien, die starke Rolle der Ministerpräsidenten der Länder und die Übernahme der Führungsrolle durch den Parlamentarischen Rat - das ist anschaulich und kundig beschrieben, einschließlich einiger wichtiger Fälle vor dem Bundesverfassungsgericht. Dass dabei Günter Dürig zum Berichterstatter des Lüth-Urteils im Ersten Senat avanciert, ist ein amüsanter Lapsus mit tieferer Bedeutung; denn Dürig hat tatsächlich in jenen Jahren wesentliche theoretische Beiträge zur Wertordnungs-Rechtsprechung des Gerichts geliefert.
Professor Dr. Michael Stolleis ist Direktor am Max-Planck-Institut für europäische Rechtsgeschichte in Frankfurt.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension
Sehr detailliert schildert die ehemalige Präsidentin des Bundesverfassungsgerichts, Jutta Limbach, ihre Lektüreeindrücke. Das Buch von Christian Bommarius hält sie weder für eine Lebensbeschreibung des Grundgesetzes noch für eine juristische Studie. Limbach liest es als eine aufrüttelnde wie spannende Darstellung des historischen und politischen Prozesses, in dem das Grundgesetz entstanden und interpretiert worden ist. Über das Zusammenwirken von Gesellschaft, Politik und Recht erfährt sie eine Menge. Ebenso über die Aufnahme der Grundrechte in die Verfassung und über die Probleme bei der Gründung eines Weststaates. Limbach lobt den journalistisch fokussierenden Blick des Autors sowie dessen Kenntnisreichtum und Fähigkeit, dem Leser auch die außerparlamentarischen Kräftespiele (der Alliierten und der Kirche) anschaulich zu machen. Für Limbach spiegeln sich in den im Band dargestellten 60 Jahren Rechtsprechung die Krisen, Konflikte und Wendepunkte der Bundesrepublik, die, wie die Rezensentin anerkennend schreibt, vom Autor durchaus kritikfreudig betrachtet werden. Der Wunsch des Autors, den Leser wachzurütteln und an die Notwendigkeit zu erinnern, dass das Recht erkämpft werden muss, scheint bei Jutta Limbach jedenfalls auf offene Ohren gestoßen zu sein.
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH