Schlafentzug, Dauerlärm, Todesdrohung: Mohamedou Slahis Geständnis wurde unter Folter erpresst: Er ist einer der Hauptverdächtigen des 11. Septembers. Obwohl ein Gericht bereits 2010 seine Freilassung angeordnet hat, bleibt er bis Ende 2016 inhaftiert. Sein ergreifender Bericht ist die bisher einzige bekannte Chronik eines Guantanamo-Gefangenen, die in der Haft verfasst wurde.
Slahis Gefangenschaft dokumentiert fast ein ganzes Jahrzehnt des Kampfes gegen den weltweiten Terrorismus. Donald Rumsfeld - mit der Akte »Slahi« vertraut - autorisierte die Behörden, den mutmaßlichen Al-Qaida-Verschwörer intensiven Verhören zu unterziehen - und nahm dabei auch Folterungen in Kauf. Im Jahr 2005 begann Slahi seine Geschichte zu erzählen. Emotional und zugleich um Fairness bemüht, berichtet er von seinen Entführungen durch die Geheimdienste, den Folterungen und den Begegnungen mit seinen Peinigern, aber auch mit Menschen, die sich ihm zuwandten. Der erste Bericht eines Guantanamo-Gefangenen, dessen offizielle Freigabe durch jahrelange juristische Anstrengungen erzwungen wurde.
Slahis Gefangenschaft dokumentiert fast ein ganzes Jahrzehnt des Kampfes gegen den weltweiten Terrorismus. Donald Rumsfeld - mit der Akte »Slahi« vertraut - autorisierte die Behörden, den mutmaßlichen Al-Qaida-Verschwörer intensiven Verhören zu unterziehen - und nahm dabei auch Folterungen in Kauf. Im Jahr 2005 begann Slahi seine Geschichte zu erzählen. Emotional und zugleich um Fairness bemüht, berichtet er von seinen Entführungen durch die Geheimdienste, den Folterungen und den Begegnungen mit seinen Peinigern, aber auch mit Menschen, die sich ihm zuwandten. Der erste Bericht eines Guantanamo-Gefangenen, dessen offizielle Freigabe durch jahrelange juristische Anstrengungen erzwungen wurde.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 20.01.2015Aufzeichnungen aus einem Totenhaus
Und so lebe ich jetzt: Es ist das erste Zeugnis eines Gefangenen, der noch immer in Guantánamo sitzt. Heute erscheint Mohamedou Ould Slahis Tagebuch - zensiert und mit zehn Jahren Verspätung.
Bücher über Guantánamo sind keine Seltenheit mehr, aber das heute weltweit erscheinende von Mohamedou Ould Slahi ist eine Ausnahme. Denn sein Autor, der am letzten Tag des Jahres 1970 in einer Kleinstadt Mauretaniens geboren wurde, sitzt noch immer in dem Spezialgefängnis der amerikanischen Streitkräfte auf Kuba. In diesem Sommer werden es dreizehn Jahre sein, dass man ihn widerrechtlich dorthin verschleppt hat. Es hat zehn Jahre gedauert, bis seine Aufzeichnungen (Mohamedou Ould Slahi: "Das Guantánamo-Tagebuch". Hrsg. von Larry Siems. Aus dem Englischen von Susanne Held. Tropen Verlag, Stuttgart 2015. 459 S., br., 19,95 [Euro]) für den Druck freigegeben wurden. Slahi schrieb sie innerhalb weniger Monate im Jahre 2005 handschriftlich nieder.
Für Amerika ist Slahi ein Top-Terrorist, ein führendes Mitglied von Al Qaida, der die Piloten der Anschläge vom 11. September 2001 angeworben haben soll; sein Vetter und Schwager war theologischer Berater von Usama Bin Ladin. Slahi selbst sieht sich als Opfer eines hysterischen Rachefeldzugs, der sich gegen den Islam im Allgemeinen und gegen Araber im Besonderen richtet. Slahi spricht Arabisch, Französisch, Deutsch und mittlerweile Englisch. Er ist hochintelligent und gläubig, den Koran kann er auswendig. Zwölf Jahre hat er in Deutschland mit seiner in der Zwischenzeit von ihm geschiedenen Frau gelebt, in Duisburg, wo er mit einem Stipendium der Carl-Duisberg-Gesellschaft Elektrotechnik studiert und dann als Ingenieur in der Telekommunikationsbranche gearbeitet hat. Er mag das Land und seine Regeln. Dass es festgesetzte Preise gibt, die einem dass Handeln ersparen, ein funktionierendes Rechtssystem, dass deutsche Männer toleranter gegenüber Homosexuellen als amerikanische sind. Amerika, das ist für ihn das Land, in dem christliche Terrororganisationen "sämtliche Freiheiten genießen".
Anfang der neunziger Jahre schließt er sich bei zwei Reisen nach Afghanistan Al Qaida an, um wie seine Glaubensbrüder gegen die Kommunisten zu kämpfen - zu einer Zeit, als Al Qaida dort die gleichen Ziele wie die Vereinigten Staaten verfolgt. Nach einem kurzen Aufenthalt in Kanada folgt Slahi dem Wunsch seiner Mutter - er nennt sie durchgehend "Mom" - und kehrt nach Mauretanien zurück. Da ist er neunundzwanzig. Auf der Heimreise im Februar 2000 greift das amerikanische Imperium das erste Mal mit Amtshilfe im Senegal, später in Mauretanien auf ihn zu. Man verdächtigt ihn, am sogenannten Millennium-Plot, der geplanten Bombardierung des Flughafens von Los Angeles, beteiligt gewesen zu sein; FBI-Agenten verhören ihn, lassen ihn aber wieder laufen.
Eineinhalb Jahre später, keine drei Wochen nach den Anschlägen von New York, wiederholt sich die Prozedur. Wieder wird Slahi als unschuldig eingestuft, bis man ihn Ende November 2001 nach Jordanien verschleppt, wo er sieben Monate vom Geheimdienst verhört wird. Dann wird er nackt und in Ketten nach Bagram in Afghanistan geflogen, schließlich weiter nach Guantánamo. Dort sitzt er seit Anfang August 2002, und sämtliche Versuche, ihn wieder in Freiheit zu bringen, sind gescheitert; Anklage gegen ihn wurde nie erhoben. Die Anschuldigungen waren von Anfang an vage. Sie lauten auf Verschwörung gegen die Vereinigten Staaten, Vorbereitung und Beteiligung an Terrorakten, Anwerbung für Al Qaida. Rasch beginnt der Leerlauf in den Verhören. Man kann ihm nichts beweisen, aber sein Profil ist einfach zu verlockend für die Ermittler.
Gegen eine im März 2010 angeordnete Freilassung - Slahi hatte auf Grundlage des Habeas-Corpus-Gesetzes erfolgreich auf Haftprüfung geklagt - legte die Obama-Regierung, die angetreten war mit dem Versprechen, Guantánamo zu schließen, Berufung ein. Der Fall ist anhängig. Der Häftling mit der Nummer 760 ist mittlerweile vierundvierzig Jahre alt. Er soll noch immer in derselben Zelle wie zur Zeit der Niederschrift leben, einem vergitterten Käfig.
Das Manuskript wurde von den Behörden zensiert: Zweitausendfünfhundert Schwärzungen verunstalten den Text, schwarze Balken über Orts- und Datumsangaben, über Namen und Personalpronomina, die das Geschlecht der durchgehend als "Verhörbeamte" vorgestellten Befrager und Folterknechte verraten würden. Die längste durchgehende Schwärzung geht über elf Seiten, Slahi berichtet dort von einem Test mit einem Lügendetektor. Wenn die Zensur dennoch viel stehen ließ, mag man das als Reparaturarbeiten am beschädigten amerikanischen Image verbuchen. Jahrelanges Vegetieren in Einzelzellen, die wahlweise überhitzt oder unterkühlt, verdunkelt oder grell ausgeleuchtet werden, systematischer Schlafentzug über Monate, Bombardement mit überlauter Musik, bevorzugt mit der amerikanischen Nationalhymne, regelmäßige körperliche Gewalt, Zwangsernährung, Verbot der Gebetspflicht, Drohungen, der Familie etwas anzutun, sexuelle Belästigung - auch durch Soldatinnen. Mithin Folter im großen Stil; nur vom Waterboarding scheint er verschont geblieben zu sein.
Aus einem gefährlich niedrigen Blutdruck wird im Lauf der Gefangenschaft ein gefährlich hoher, Slahi leidet unter chronischen Ischias-Schmerzen, Depressionen, Unterernährung. Menschliche Kontakte hat er nur mit den Wachen und den Verhörbeamten, das sind Männer und Frauen von FBI, CIA, dem Militärgeheimdienst DIA; es kommen auch Teams aus Kanada und vom BND.
Slahi widersetzt sich den Demütigungen mit ostentativer Schlauheit. Man weiß als Leser dieses qualvollen und qualvoll langen Berichtes nicht, worüber man sich mehr wundern soll: über seine intellektuelle Überheblichkeit den Amerikanern gegenüber oder über seinen Restbestand an Humor, mit dem er diese schwer vorstellbaren Martern kontert. Aber irgendwann erreichen die Folterer ihr Ziel, Slahi gesteht, was er nicht getan hat, etwa einen Angriff auf den CN-Tower in Toronto geplant zu haben; er denunziert vermeintliche Al-Qaida-Kameraden, die er gar nicht kennt.
Das Verhalten der Wachen richtet sich nach den Vorgaben der Verhörteams, es gibt viehisch brutale und es gibt anständige Kerle; manche freunden sich sogar mit den Gefangenen an, glauben an deren Unschuld. Als Slahi beginnt, sich mit ihnen in ihrer Muttersprache zu verständigen, sagt ihm einer: "Wir wollen nicht, dass ihr Englisch sprecht. Wir wollen, dass ihr langsam sterbt." Das ist das eigentliche Wunder, dass Slahi beschlossen hat, nicht zu sterben, sondern sich vorläufig darauf einstellt, den Rest seines Lebens in Gefangenschaft zu verbringen.
Die Unwissenheit, die Slahi den Amerikanern ein ums andere Mal mit guten Beispielen vorwirft, schützt ihn nicht davor, selbst immer und immer wieder in die Ressentimentfalle zu tappen: "Afrikaner gehören wirklich zu den naivsten Menschen, die ich kennengelernt habe." Obendrein deckt er konsequent den Mantel des Schweigens beziehungsweise der Verschleierung ("Wir hatten lediglich im Februar 1992 eine Reise nach Afghanistan unternommen, um den Leuten dort zu helfen, gegen den Kommunismus zu kämpfen") über seine Verstrickungen und Aktivitäten, obwohl er über ein glänzendes Erinnerungsvermögen verfügt.
Slahi hat kein zurückhaltendes Bekenntnisbuch geschrieben und spricht seinen Leser dabei direkt an ("Ich will Ihnen gegenüber ganz offen sein"): Und der heißt neben dem Rest der Weltöffentlichkeit "Bürger Amerikas". Der müsse erstens ein "echtes Interesse" daran haben, "dass der Gerechtigkeit Genüge" getan und Guantánamo geschlossen wird; und zweitens könne er kein Interesse daran haben, die teure und in den Augen Slahis völlig sinnlose Sicherheitsverwahrung weiter zu bezahlen; Slahi beziffert in diesem Zusammenhang die Kosten für seinen Aufenthalt auf eine Million Dollar.
Sein Herausgeber, der Autor und Menschenrechtsaktivist Larry Siems, stellt Slahi vollmundig in die Reihe der großen Epiker seit Homer. Das ist deutlich überzogen, auch wenn es zutrifft, dass Slahi über das "bemerkenswerte Ohr" eines Schriftstellers verfügt. Und genau darin liegt auch ein Teil der Problematik dieses Berichts. Zum einen ist es die gespielte Naivität: "Ich konnte nicht glauben, dass Amerikaner foltern, obwohl ich es als entfernte Möglichkeit nie ganz ausgeschlossen hatte." Auch würzt er gern seine Erzählung mit Gleichnissen und kleinen Geschichten, durchaus der arabischen Erzähltradition verpflichtet. Zum anderen ist es der Umstand, dass man es recht eigentlich mit vier Autoren zu tun hat. Neben Slahi ist dies zunächst der Zensor, dann der mit 189 Fußnoten eingreifende Herausgeber und schließlich die Übersetzerin.
In einer Nachbemerkung versichert der Autor, keinen Groll gegen irgendeine der von ihm beschriebenen Personen zu hegen. Ganz aufgegeben hat er den Gedanken an Freiheit nicht: Er träume davon, "eines Tages mit allen bei einer Tasse Tee zusammenzusitzen, nachdem man so viel voneinander gelernt hat". So hinterlässt die Lektüre einen zwiespältigen Eindruck, der im Vergleich zu den Untaten, die man Mohamedou Ould Slahi angetan hat, freilich wenig wiegt. Denn dass in Guantánamo "praktisch sämtliche Prinzipien, auf denen die USA basieren", gebrochen wurden und weiter gebrochen werden, steht - nicht nur für den Häftling Nummer 760 - außer Frage.
HANNES HINTERMEIER
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Und so lebe ich jetzt: Es ist das erste Zeugnis eines Gefangenen, der noch immer in Guantánamo sitzt. Heute erscheint Mohamedou Ould Slahis Tagebuch - zensiert und mit zehn Jahren Verspätung.
Bücher über Guantánamo sind keine Seltenheit mehr, aber das heute weltweit erscheinende von Mohamedou Ould Slahi ist eine Ausnahme. Denn sein Autor, der am letzten Tag des Jahres 1970 in einer Kleinstadt Mauretaniens geboren wurde, sitzt noch immer in dem Spezialgefängnis der amerikanischen Streitkräfte auf Kuba. In diesem Sommer werden es dreizehn Jahre sein, dass man ihn widerrechtlich dorthin verschleppt hat. Es hat zehn Jahre gedauert, bis seine Aufzeichnungen (Mohamedou Ould Slahi: "Das Guantánamo-Tagebuch". Hrsg. von Larry Siems. Aus dem Englischen von Susanne Held. Tropen Verlag, Stuttgart 2015. 459 S., br., 19,95 [Euro]) für den Druck freigegeben wurden. Slahi schrieb sie innerhalb weniger Monate im Jahre 2005 handschriftlich nieder.
Für Amerika ist Slahi ein Top-Terrorist, ein führendes Mitglied von Al Qaida, der die Piloten der Anschläge vom 11. September 2001 angeworben haben soll; sein Vetter und Schwager war theologischer Berater von Usama Bin Ladin. Slahi selbst sieht sich als Opfer eines hysterischen Rachefeldzugs, der sich gegen den Islam im Allgemeinen und gegen Araber im Besonderen richtet. Slahi spricht Arabisch, Französisch, Deutsch und mittlerweile Englisch. Er ist hochintelligent und gläubig, den Koran kann er auswendig. Zwölf Jahre hat er in Deutschland mit seiner in der Zwischenzeit von ihm geschiedenen Frau gelebt, in Duisburg, wo er mit einem Stipendium der Carl-Duisberg-Gesellschaft Elektrotechnik studiert und dann als Ingenieur in der Telekommunikationsbranche gearbeitet hat. Er mag das Land und seine Regeln. Dass es festgesetzte Preise gibt, die einem dass Handeln ersparen, ein funktionierendes Rechtssystem, dass deutsche Männer toleranter gegenüber Homosexuellen als amerikanische sind. Amerika, das ist für ihn das Land, in dem christliche Terrororganisationen "sämtliche Freiheiten genießen".
Anfang der neunziger Jahre schließt er sich bei zwei Reisen nach Afghanistan Al Qaida an, um wie seine Glaubensbrüder gegen die Kommunisten zu kämpfen - zu einer Zeit, als Al Qaida dort die gleichen Ziele wie die Vereinigten Staaten verfolgt. Nach einem kurzen Aufenthalt in Kanada folgt Slahi dem Wunsch seiner Mutter - er nennt sie durchgehend "Mom" - und kehrt nach Mauretanien zurück. Da ist er neunundzwanzig. Auf der Heimreise im Februar 2000 greift das amerikanische Imperium das erste Mal mit Amtshilfe im Senegal, später in Mauretanien auf ihn zu. Man verdächtigt ihn, am sogenannten Millennium-Plot, der geplanten Bombardierung des Flughafens von Los Angeles, beteiligt gewesen zu sein; FBI-Agenten verhören ihn, lassen ihn aber wieder laufen.
Eineinhalb Jahre später, keine drei Wochen nach den Anschlägen von New York, wiederholt sich die Prozedur. Wieder wird Slahi als unschuldig eingestuft, bis man ihn Ende November 2001 nach Jordanien verschleppt, wo er sieben Monate vom Geheimdienst verhört wird. Dann wird er nackt und in Ketten nach Bagram in Afghanistan geflogen, schließlich weiter nach Guantánamo. Dort sitzt er seit Anfang August 2002, und sämtliche Versuche, ihn wieder in Freiheit zu bringen, sind gescheitert; Anklage gegen ihn wurde nie erhoben. Die Anschuldigungen waren von Anfang an vage. Sie lauten auf Verschwörung gegen die Vereinigten Staaten, Vorbereitung und Beteiligung an Terrorakten, Anwerbung für Al Qaida. Rasch beginnt der Leerlauf in den Verhören. Man kann ihm nichts beweisen, aber sein Profil ist einfach zu verlockend für die Ermittler.
Gegen eine im März 2010 angeordnete Freilassung - Slahi hatte auf Grundlage des Habeas-Corpus-Gesetzes erfolgreich auf Haftprüfung geklagt - legte die Obama-Regierung, die angetreten war mit dem Versprechen, Guantánamo zu schließen, Berufung ein. Der Fall ist anhängig. Der Häftling mit der Nummer 760 ist mittlerweile vierundvierzig Jahre alt. Er soll noch immer in derselben Zelle wie zur Zeit der Niederschrift leben, einem vergitterten Käfig.
Das Manuskript wurde von den Behörden zensiert: Zweitausendfünfhundert Schwärzungen verunstalten den Text, schwarze Balken über Orts- und Datumsangaben, über Namen und Personalpronomina, die das Geschlecht der durchgehend als "Verhörbeamte" vorgestellten Befrager und Folterknechte verraten würden. Die längste durchgehende Schwärzung geht über elf Seiten, Slahi berichtet dort von einem Test mit einem Lügendetektor. Wenn die Zensur dennoch viel stehen ließ, mag man das als Reparaturarbeiten am beschädigten amerikanischen Image verbuchen. Jahrelanges Vegetieren in Einzelzellen, die wahlweise überhitzt oder unterkühlt, verdunkelt oder grell ausgeleuchtet werden, systematischer Schlafentzug über Monate, Bombardement mit überlauter Musik, bevorzugt mit der amerikanischen Nationalhymne, regelmäßige körperliche Gewalt, Zwangsernährung, Verbot der Gebetspflicht, Drohungen, der Familie etwas anzutun, sexuelle Belästigung - auch durch Soldatinnen. Mithin Folter im großen Stil; nur vom Waterboarding scheint er verschont geblieben zu sein.
Aus einem gefährlich niedrigen Blutdruck wird im Lauf der Gefangenschaft ein gefährlich hoher, Slahi leidet unter chronischen Ischias-Schmerzen, Depressionen, Unterernährung. Menschliche Kontakte hat er nur mit den Wachen und den Verhörbeamten, das sind Männer und Frauen von FBI, CIA, dem Militärgeheimdienst DIA; es kommen auch Teams aus Kanada und vom BND.
Slahi widersetzt sich den Demütigungen mit ostentativer Schlauheit. Man weiß als Leser dieses qualvollen und qualvoll langen Berichtes nicht, worüber man sich mehr wundern soll: über seine intellektuelle Überheblichkeit den Amerikanern gegenüber oder über seinen Restbestand an Humor, mit dem er diese schwer vorstellbaren Martern kontert. Aber irgendwann erreichen die Folterer ihr Ziel, Slahi gesteht, was er nicht getan hat, etwa einen Angriff auf den CN-Tower in Toronto geplant zu haben; er denunziert vermeintliche Al-Qaida-Kameraden, die er gar nicht kennt.
Das Verhalten der Wachen richtet sich nach den Vorgaben der Verhörteams, es gibt viehisch brutale und es gibt anständige Kerle; manche freunden sich sogar mit den Gefangenen an, glauben an deren Unschuld. Als Slahi beginnt, sich mit ihnen in ihrer Muttersprache zu verständigen, sagt ihm einer: "Wir wollen nicht, dass ihr Englisch sprecht. Wir wollen, dass ihr langsam sterbt." Das ist das eigentliche Wunder, dass Slahi beschlossen hat, nicht zu sterben, sondern sich vorläufig darauf einstellt, den Rest seines Lebens in Gefangenschaft zu verbringen.
Die Unwissenheit, die Slahi den Amerikanern ein ums andere Mal mit guten Beispielen vorwirft, schützt ihn nicht davor, selbst immer und immer wieder in die Ressentimentfalle zu tappen: "Afrikaner gehören wirklich zu den naivsten Menschen, die ich kennengelernt habe." Obendrein deckt er konsequent den Mantel des Schweigens beziehungsweise der Verschleierung ("Wir hatten lediglich im Februar 1992 eine Reise nach Afghanistan unternommen, um den Leuten dort zu helfen, gegen den Kommunismus zu kämpfen") über seine Verstrickungen und Aktivitäten, obwohl er über ein glänzendes Erinnerungsvermögen verfügt.
Slahi hat kein zurückhaltendes Bekenntnisbuch geschrieben und spricht seinen Leser dabei direkt an ("Ich will Ihnen gegenüber ganz offen sein"): Und der heißt neben dem Rest der Weltöffentlichkeit "Bürger Amerikas". Der müsse erstens ein "echtes Interesse" daran haben, "dass der Gerechtigkeit Genüge" getan und Guantánamo geschlossen wird; und zweitens könne er kein Interesse daran haben, die teure und in den Augen Slahis völlig sinnlose Sicherheitsverwahrung weiter zu bezahlen; Slahi beziffert in diesem Zusammenhang die Kosten für seinen Aufenthalt auf eine Million Dollar.
Sein Herausgeber, der Autor und Menschenrechtsaktivist Larry Siems, stellt Slahi vollmundig in die Reihe der großen Epiker seit Homer. Das ist deutlich überzogen, auch wenn es zutrifft, dass Slahi über das "bemerkenswerte Ohr" eines Schriftstellers verfügt. Und genau darin liegt auch ein Teil der Problematik dieses Berichts. Zum einen ist es die gespielte Naivität: "Ich konnte nicht glauben, dass Amerikaner foltern, obwohl ich es als entfernte Möglichkeit nie ganz ausgeschlossen hatte." Auch würzt er gern seine Erzählung mit Gleichnissen und kleinen Geschichten, durchaus der arabischen Erzähltradition verpflichtet. Zum anderen ist es der Umstand, dass man es recht eigentlich mit vier Autoren zu tun hat. Neben Slahi ist dies zunächst der Zensor, dann der mit 189 Fußnoten eingreifende Herausgeber und schließlich die Übersetzerin.
In einer Nachbemerkung versichert der Autor, keinen Groll gegen irgendeine der von ihm beschriebenen Personen zu hegen. Ganz aufgegeben hat er den Gedanken an Freiheit nicht: Er träume davon, "eines Tages mit allen bei einer Tasse Tee zusammenzusitzen, nachdem man so viel voneinander gelernt hat". So hinterlässt die Lektüre einen zwiespältigen Eindruck, der im Vergleich zu den Untaten, die man Mohamedou Ould Slahi angetan hat, freilich wenig wiegt. Denn dass in Guantánamo "praktisch sämtliche Prinzipien, auf denen die USA basieren", gebrochen wurden und weiter gebrochen werden, steht - nicht nur für den Häftling Nummer 760 - außer Frage.
HANNES HINTERMEIER
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Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension
Zu einem eindeutigen Urteil mag sich Rezensentin Sonja Vogel nach der Lektüre von Mohamedou Ould Slahis "Guantanamo-Tagebuch" nicht durchringen - und dies aus verschiedenen Gründen: In dem zwischen Sommer und Herbst 2005 entstandenen, erst jetzt zur Veröffentlichung freigegebenen Buch liest die Kritikerin den äußerst erschütternden Bericht des immer noch inhaftierten Slahi, der hier seine Folter-Erlebnisse - sexuelle Belästigung, Dauerbeschallung oder Schlafentzug - sein fiktives Geständnis, seine daraufhin wachsende Nähe zu den Beamten von FBI, CIA und BND und die Grausamkeit der Isolation schildert. Dem Lob als "authentisches Dokument" kann sich die Kritikerin allerdings nicht anschließen, zu viele Stellen - ganze 2500 - seien geschwärzt, zu viele Fußnoten gesetzt worden, die Übersetzung habe ihr Übriges getan, berichtet die Kritikerin, die hier vielmehr ein literarisches Werk gelesen hat. Mit gemischten Gefühlen betrachtet Vogel auch die literarische Qualität des Buches: Starke, an Jean Amery erinnernde Stellen begegnen ihr hier ebenso wie "unangenehm überhebliche" oder kalkuliert naive Passagen. Nicht zuletzt wird der Rezensentin bei aller während der Lektüre aufgebauten Nähe zu Slahi doch etwas mulmig, wenn sie die vielen Ungereimtheiten und Verschleierungen über seine Nähe zu Al-Quaida bemerkt.
© Perlentaucher Medien GmbH
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»Spannend und mit Humor erzählt, ohne Hass gegen die eigenen Peiniger. ... Uns Deutsche erinnert dieser einstige Duisburger Elektrotechniker daran, wie nah Guantánamo ist - auch BND-Agenten haben Mohamedou Ould Slahi dort verhört.« Alexander Camann, Die Zeit, 22.1.2015 »Aus der Hülse des anonymen Folteropfers tritt ein intelligent denkender, jede Nuance von Erniedrigung und Fairness registrierender Beobachter, der in Tagträumen von seiner Familie, in Sarkasmus (f-king hier, f-king da) und beständigen Gebet Trost findet.« Uwe Schmitt, Die Welt, 20.1.2015 »Ein Buch, das man nicht lesen kann. Ein Buch, das man immer wieder zur Seite legen muss, weil man so wütend wird und Zeile für Zeile die eigene Hilflosigkeit wachsen spürt. ... Der Autor schreit keine Zeile hinaus, er nimmt sich Zeit, ist genau. Er macht Witze. Er beobachtet seine Lage und wie er sich darin verhält.« Arno Widmann, Frankfurter Rundschau, 20.1.2015 »"Das Guantanamo-Tagebuch" ist ein subjektiver Bericht, ein historisches Zeugnis, Pflichtlektüre für jeden, der sich mit dem "Krieg gegen den Terror" befasst. Denn es unterstreicht, dass die Verteidigung der Zivilisation sinnlos ist, wenn sie in Brutalität abgleitet.« Sabine Matthay, Deutschlandfunk, 2.2.2015 »Dieses Tagebuch ist wirklich ein einzigartiges Dokument.« Gerrit Bartels, RBB Kulturradio, 3.2.2015 »Sein Text blickt in Abgründe des Menschen - und strahlt zugleich Humanität aus, besonders wenn der Autor seinen Humor aufblitzen lässt.« Andreas Geldner, Stuttgarter Zeitung, 22.1.2015 »Dieser erste authentische Bericht eines Gefangenen aus dem Folterlager der US-Amerikaner auf Kuba, Guantanamo, ist ein Dokument für die Ewigkeit. Wir vernehmen eine Stimme aus dem Verborgenen. Wir begeben uns auf einen Horrortrip in die dunkelsten Regionen menschlicher Niedertracht. Dass dieser Bericht überhaupt veröffentlicht werden durfte, wenn auch mit vielen Schwärzungen, gleicht einer Sensation.« Stefan Berkholz, SWR2, 26.1.2015 »Aus der Hülse desanonymen Folteropfers tritt ein intelligent denkender, jede Nuance von Erniedrigung und Fairness registrierender Beobachter, der in Tagträumen von seiner Familie, in Sarkasmus und beständigem Gebet Trost findet.« Uwe Schmitt, Tagesanzeiger, 26.1.2015