Beim Regierungsantritt Ludwigs XVI. im Jahr 1774 wähnt ganz Frankreich sich an der Schwelle eines neuen Zeitalters. Die Bourgeoisie des Ancien Régime entfaltet eine rege kaufmännische Tätigkeit. Enorme Beträge fließen durch die Hände der Unternehmer und Spekulanten, die Bedürfnisse und Hoffnungen der Menschen wachsen. Ein optimistisches Lebensgefühl bereitet den Boden für Wunder, für mystische Begegnungen und alchimistische Zauberkunststücke, für einen überfeinerten Lebensstil und für einen der wohl berühmtesten Hofskandale der europäischen Geschichte: die Halsbandaffäre der Jahre 1785-86, in die die größten Namen Frankreichs verwickelt sind und die zugleich auch die Gesellschaft am Vorabend der Revolution wie kein anderes Ereignis erschüttert.
Hier kreuzen sich die Schicksale der unglücklichen Königin Marie Antoinette und ihres Gemahls Ludwig XVI., des ehrgeizigen Kardinals Rohan, der gewissenlosen Abenteurerin Jeanne de La Motte, der schillernden Figur des Grafen Cagliostro, d
Hier kreuzen sich die Schicksale der unglücklichen Königin Marie Antoinette und ihres Gemahls Ludwig XVI., des ehrgeizigen Kardinals Rohan, der gewissenlosen Abenteurerin Jeanne de La Motte, der schillernden Figur des Grafen Cagliostro, d
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 29.12.2005Was der Königin gefällt
Lauter fixe Ideen: Antal Szerb untersucht die Halsband-Affäre
"Schon im Jahre 1785 erschreckte mich die Halsbandsgeschichte wie das Haupt der Gorgone. Durch dieses unerhört frevelhafte Beginnen sah ich die Würde der Majestät untergraben, schon im voraus vernichtet, und alle Folgeschritte von dieser Zeit an bestätigten leider allzusehr die furchtbaren Ahnungen", schreibt Goethe rückblickend in der "Campagne in Frankreich". Nicht nur ihm galt die berühmte Halsbandaffäre als Vorzeichen der kommenden Revolution, als Fanal, das aller Welt die Morbidität des französischen Königtums deutlich vor Augen führte.
Der Ungar Antal Szerb (1901 bis 1945), der mit den Romanen "Die Reise im Mondlicht" (F.A.Z. vom 29. November 2003) und "Die Pendragon-Legende" (F.A.Z. vom 24. Dezember 2004) jüngst für den deutschen Buchmarkt wiederentdeckt wurde, hat dieser Geschichte sein letztes Buch gewidmet, das 1943 erschien. Es ist wohl am ehesten als großangelegter Essay zu bezeichnen, der das Porträt einer im Untergang begriffenen Epoche zeichnet und der symbolischen Aussagekraft des Ereignisses nachspürt.
Wie in einem Tableau arrangiert Szerb zunächst sein Personal, das er mit spitzer Feder skizziert. Da gibt es die Goldschmiede Boehmer und Bassenge, die ein Collier herstellen, "das nicht schöner, sondern teurer war als alle anderen"; die armselig aufgewachsene Gräfin Jeanne de La Motte, "die nie zufrieden sein kann"; den ehrgeizigen Kardinal Prinz Louis de Rohan, der verzweifelt versucht, die Gunst der Königin zu gewinnen; die Königin Marie Antoinette, deren Ausschweifungen Szerb in mildes Licht taucht, und schließlich den Hochstapler Cagliostro, dessen Name bis heute unlösbar mit der Affäre verknüpft ist, obwohl er hineingeriet "wie Pilatus ins Credo".
Es bedarf nach Szerb nur eines kleinen Schrittes, daß sich dieses Ausgangspotential zu einer Staatskrise verdichtet: "Es besteht kein Zweifel, daß Rohan wie unter einer Zwangsvorstellung an der Sehnsucht litt, das Wohlwollen der Königin zu erwerben. Das ist die zweite fixe Idee unserer Geschichte. Nach Carlyle war die erste Boehmers Geschichte mit dem Collier. Wenn zwei so fixe Ideen einander begegnen, werden Kräfte frei, mit denen man ganze Länder sprengen kann." Das verbindende Glied besteht in Jeanne de La Mottes rastlosem Treiben. Sie suggeriert Rohan durch fingierte Briefwechsel und ein nächtliches Stelldichein eine Aussöhnung mit der Königin und bringt ihn dazu, dieser das teure Collier zu besorgen, das sie in Wahrheit selbst Stück für Stück verkauft. Als der Handel aufzufliegen droht, versucht sie kurzerhand, Cagliostro die Schuld in die Schuhe zu schieben, so daß ein öffentlicher Prozeß Licht ins Dunkel bringen muß, der das so ahnungslose wie unbeteiligte Königspaar beschädigt zurückläßt.
Daß das Buch in einer Krisenzeit, auf dem Höhepunkt des Zweiten Weltkrieges, entstanden ist, merkt man ihm kaum an, und doch konnte es so wohl nur vor 1945 geschrieben werden. Es nimmt in souveräner Weise einen europäischen Standpunkt ein: Die Namen deutscher, französischer oder auch russischer Schriftsteller und Gelehrter, darunter vieler Exilierter wie Thomas Mann oder Stefan Zweig, stehen gleichberechtigt nebeneinander, und die umfassende Belesenheit des Autors läßt ein Panorama weltbürgerlicher Bildung aufblitzen, das in größtem Kontrast zu den ausufernden Nationalismen der Zeit steht. Man kommt zudem kaum umhin, einigen Passagen eine aktuelle Bedeutung zuzusprechen, wenn etwa von der Überzeugung die Rede ist, "daß unter allen Sternbildern die Freiheit mehr gilt als die Knechtschaft". Und bezieht sich der Zweifel am "großen deutschen Weltgeist" wirklich nur auf Hegel?
Genützt haben Antal Szerb diese Zweifel allerdings wenig. Schon länger in seiner Arbeit behindert, wurde der Sohn eines assimilierten jüdischen Kaufmanns im Sommer 1944 zum Arbeitsdienst eingezogen und ist im Januar 1945 im Lager Balf ums Leben gekommen.
THOMAS MEISSNER
Antal Szerb: "Das Halsband der Königin". Aus dem Ungarischen übersetzt von Alexander Lenard. Überarbeitet von Ernö und Renate Zeltner. Deutscher Taschenbuch Verlag, München 2005. 282 S., br., 9,50 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Lauter fixe Ideen: Antal Szerb untersucht die Halsband-Affäre
"Schon im Jahre 1785 erschreckte mich die Halsbandsgeschichte wie das Haupt der Gorgone. Durch dieses unerhört frevelhafte Beginnen sah ich die Würde der Majestät untergraben, schon im voraus vernichtet, und alle Folgeschritte von dieser Zeit an bestätigten leider allzusehr die furchtbaren Ahnungen", schreibt Goethe rückblickend in der "Campagne in Frankreich". Nicht nur ihm galt die berühmte Halsbandaffäre als Vorzeichen der kommenden Revolution, als Fanal, das aller Welt die Morbidität des französischen Königtums deutlich vor Augen führte.
Der Ungar Antal Szerb (1901 bis 1945), der mit den Romanen "Die Reise im Mondlicht" (F.A.Z. vom 29. November 2003) und "Die Pendragon-Legende" (F.A.Z. vom 24. Dezember 2004) jüngst für den deutschen Buchmarkt wiederentdeckt wurde, hat dieser Geschichte sein letztes Buch gewidmet, das 1943 erschien. Es ist wohl am ehesten als großangelegter Essay zu bezeichnen, der das Porträt einer im Untergang begriffenen Epoche zeichnet und der symbolischen Aussagekraft des Ereignisses nachspürt.
Wie in einem Tableau arrangiert Szerb zunächst sein Personal, das er mit spitzer Feder skizziert. Da gibt es die Goldschmiede Boehmer und Bassenge, die ein Collier herstellen, "das nicht schöner, sondern teurer war als alle anderen"; die armselig aufgewachsene Gräfin Jeanne de La Motte, "die nie zufrieden sein kann"; den ehrgeizigen Kardinal Prinz Louis de Rohan, der verzweifelt versucht, die Gunst der Königin zu gewinnen; die Königin Marie Antoinette, deren Ausschweifungen Szerb in mildes Licht taucht, und schließlich den Hochstapler Cagliostro, dessen Name bis heute unlösbar mit der Affäre verknüpft ist, obwohl er hineingeriet "wie Pilatus ins Credo".
Es bedarf nach Szerb nur eines kleinen Schrittes, daß sich dieses Ausgangspotential zu einer Staatskrise verdichtet: "Es besteht kein Zweifel, daß Rohan wie unter einer Zwangsvorstellung an der Sehnsucht litt, das Wohlwollen der Königin zu erwerben. Das ist die zweite fixe Idee unserer Geschichte. Nach Carlyle war die erste Boehmers Geschichte mit dem Collier. Wenn zwei so fixe Ideen einander begegnen, werden Kräfte frei, mit denen man ganze Länder sprengen kann." Das verbindende Glied besteht in Jeanne de La Mottes rastlosem Treiben. Sie suggeriert Rohan durch fingierte Briefwechsel und ein nächtliches Stelldichein eine Aussöhnung mit der Königin und bringt ihn dazu, dieser das teure Collier zu besorgen, das sie in Wahrheit selbst Stück für Stück verkauft. Als der Handel aufzufliegen droht, versucht sie kurzerhand, Cagliostro die Schuld in die Schuhe zu schieben, so daß ein öffentlicher Prozeß Licht ins Dunkel bringen muß, der das so ahnungslose wie unbeteiligte Königspaar beschädigt zurückläßt.
Daß das Buch in einer Krisenzeit, auf dem Höhepunkt des Zweiten Weltkrieges, entstanden ist, merkt man ihm kaum an, und doch konnte es so wohl nur vor 1945 geschrieben werden. Es nimmt in souveräner Weise einen europäischen Standpunkt ein: Die Namen deutscher, französischer oder auch russischer Schriftsteller und Gelehrter, darunter vieler Exilierter wie Thomas Mann oder Stefan Zweig, stehen gleichberechtigt nebeneinander, und die umfassende Belesenheit des Autors läßt ein Panorama weltbürgerlicher Bildung aufblitzen, das in größtem Kontrast zu den ausufernden Nationalismen der Zeit steht. Man kommt zudem kaum umhin, einigen Passagen eine aktuelle Bedeutung zuzusprechen, wenn etwa von der Überzeugung die Rede ist, "daß unter allen Sternbildern die Freiheit mehr gilt als die Knechtschaft". Und bezieht sich der Zweifel am "großen deutschen Weltgeist" wirklich nur auf Hegel?
Genützt haben Antal Szerb diese Zweifel allerdings wenig. Schon länger in seiner Arbeit behindert, wurde der Sohn eines assimilierten jüdischen Kaufmanns im Sommer 1944 zum Arbeitsdienst eingezogen und ist im Januar 1945 im Lager Balf ums Leben gekommen.
THOMAS MEISSNER
Antal Szerb: "Das Halsband der Königin". Aus dem Ungarischen übersetzt von Alexander Lenard. Überarbeitet von Ernö und Renate Zeltner. Deutscher Taschenbuch Verlag, München 2005. 282 S., br., 9,50 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
" Rezensent Thomas Meissner mochte dieses Buch, das seinen Informationen zufolge die Halsband-Affäre um die französische Königin Marie-Antoinette zum Gegenstand hat. Der Rezensent beschreibt das Buch als "Porträt einer im Untergang begriffenen Epoche". Wie in einem Tableau arrangiere Antal Szerb in seinem "großangelegten Essay" zunächst sein "mit spitzer Feder" skizziertes Personal, um die Ereignisse dann zur Staatskrise zu verdichten und der "symbolischen Aussagekraft" des Ereignisses nachzuspüren. Beeindruckt registriert der Rezensent auch die Grundierung des Buchs durch ein "Panorama weltbürgerlicher Bildung". Auch merke man dem Text nicht an, dass er mitten im Zweiten Weltkrieg entstanden sei. Antal Szerb selbst sei 1945 im KZ ums Leben gekommen.
© Perlentaucher Medien GmbH"
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