Die Entdeckung Ägyptens als touristisches Ziel war begleitet von einer reichen Produktion fotografischer Bilder. Diese hatten mit der Lebenswirklichkeit der Bewohner Ägyptens kaum mehr etwas zu tun, umso mehr aber mit den Phantasien und Phantasmen der westlichen Touristen.Die Aufnahmen stammten alle aus den Ateliers auswärtiger Fotografen und zeigten nach dem Prinzip des Orientalismus das, wodurch sich die traditionelle muslimische Kultur von der westlichen unterschied. Ein besonders beliebtes Motiv waren die Haremsfenster oder Mashrabiyas, die das Erscheinungsbild der traditionellen Stadtviertel Kairos prägten. Die an den privaten Wohnräumen angebrachten Erker erlaubten es den Frauen, das Treiben im Hof und auf der Straße zu beobachten, ohne dabei selbst gesehen zu werden. Für die Fotografen wurde der architektonische Schleier zu einem emblematischen Zeichen, das den Orient als solchen charakterisierte.
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Mit großem Interesse hat Rezensent Jan von Brevern dieses Buch des Kunsthistorikers Felix Thürlemann gelesen, das ihm einen ganz neuen Blick auf Fotografien Ägyptens aus dem 19. Jahrhundert eröffnet. Denn Thürlemann weise detailreich nach, wie europäische Fotografen mit teils inszenierten oder bei ägyptischen Fotografen gekauften Genre-Bildern den Blick auf Kairo prägten - etwa der Fotograf Otto Schoefft, der im Hinterhof seines Ateliers verschiedene Szenerien mit orientalischen Kulissen inszenierte. Ein wichtiges Objekt war dabei die Maschrabiya, lernt der Kritiker, der allerdings gern mehr über die Funktion dieses "architektonischen Schleiers" erfahren hätte. Darüber hinaus vermisst der Rezensent ein paar Informationen über die ägytptische "Wirklichkeit" jenseits der Fotografien. Nichtsdestotrotz kann er dieses kluge und erhellende Buch, das auch verschiedene Motive untersucht, unbedingt empfehlen.
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 17.08.2016Frauen hinter allen Fenstern
Der Orient auf der Freiluftbühne des Fotostudios: Felix Thürlemann zeigt an frühen Genrebildern aus Kairo, was die Imagination westlicher Touristen besonders bewegte.
In der zweiten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts war Kairo eine aufstrebende, sich rasch modernisierende Stadt. Ganze mittelalterliche Straßenzüge mit ihrer traditionellen arabischen Architektur wurden abgerissen, um Häusern im europäischen Stil, wie sie nun bei der ägyptischen Mittel- und Oberschicht beliebt waren, Platz zu machen. Ein Opfer dieses Modernisierungsprozesses waren die sogenannten Maschrabiyas, jene Fenstergitter und Erker aus kunstvoll gedrechselten Holzstäben, die das Stadtbild von Kairo bis dahin geprägt hatten. Die europäischen Touristen jedoch, die schon damals zahlreich den Orient besuchten, waren gerade auf der Suche nach diesem schon im Verschwinden begriffenen Kairo. Sie fanden es, wie der in Konstanz lehrenden Kunsthistoriker Felix Thürlemann schreibt, zwar immer spärlicher in der Wirklichkeit, dafür umso konzentrierter im Medium der Fotografie.
Es waren europäische Fotografen, die sich in Ägypten niedergelassen hatten, um ein europäisches Publikum mit Bildern zu versorgen. Erst 1888 kam die erste portable Kodak-Box-Kamera auf den Markt, die es Touristen erlaubte, ihre eigenen Fotos zu machen. Davor funktionierte die touristische Bildpraxis noch anders: Die Reisenden kauften einzelne Bilder oder sogar ganze Bildserien bei ortsansässigen Fotografen und integrierten sie in ihre Alben und Reisetagebücher. Besonders gefragt waren Genrebilder: Fotografien von "typischen" Bewohnern der Stadt, von Berufsgruppen und alltäglichen Tätigkeiten. Im Baedeker war vermerkt, welche Fotoateliers einen Besuch lohnten. In Kairo war das unter anderem das Studio des aus Pest stammenden Fotografen Otto Schoefft.
Thürlemann stellt den bislang eher unbekannten Schoefft ins Zentrum seines Buches über die "fotografische Eroberung Ägyptens". Das erscheint insofern gerechtfertigt, als er überzeugend darlegen kann, dass Schoefft mit seinen originellen Motivfindungen Vorbild für eine ganze Generation von Fotografen in Kairo war und so das Bild, das man sich im Westen von Kairo und seinen Bewohnern machte, nachhaltig prägte. Besonders seine Serie "Le Caire pittoresque" - eine Auftragsarbeit für die Wiener Weltausstellung von 1873 - ist dabei von Interesse. Für diese Genrebilder baute Schoefft im Hinterhof seines Ateliers eine Freiluftbühne aus orientalisch anmutenden Versatzstücken auf, die als Umgebung für ganz unterschiedliche Szenen diente. Die Kulisse für einen Friseursalon konnte so leicht auch als Kaffeehaus durchgehen. Der Realitätseffekt dieser Inszenierungen, so Thürlemann, übertraf die früheren Studioaufnahmen, bei denen noch gemalte Hintergründe verwendet wurden, bei weitem. Eine Leistung von Schoefft war es dabei, die Maschrabiya zu einem zentralen Requisit seiner Fotografie zu machen. Fortan sollte sie beim westlichen Publikum zum Symbol für das traditionelle Ägypten werden.
Die Maschrabiya ist, neben Schoefft, ein weiterer Protagonist in Thürlemanns anregendem Buch. Tatsächlich scheint sie ein Objekt gewesen zu sein, das die Phantasie der Europäer enorm beflügelt hat. Angeblich vor den Frauengemächern angebracht, ermöglichte sie den Blick von innen nach außen, blieb für Blicke von außen jedoch undurchdringlich. Thürlemann bezeichnet die Maschrabiya als "quasi-aktives Objekt", das es den Bewohnerinnen des Harems ermöglichte zu sehen, ohne gesehen zu werden. Damit sei die soziale Hierarchie der Geschlechter in der islamischen Gesellschaft verhandelt worden. In den Fotografien, wie sie Schoefft und seine Kollegen geschaffen haben, sei davon allerdings nicht mehr als ein Klischee übrig geblieben - wenn auch ein sehr wirkungsvolles.
Gerne hätte man etwas mehr erfahren über die Funktion der Maschrabiyas. Wenn man sich alte Fotografien aus Kairo ansieht, scheint es schwer vorstellbar, dass sich hinter jedem der zahllosen Erker ein Frauengemach verbarg. Passt die Metapher vom "architektonischen Schleier", oder schreibt sich darin der Orientalismus des neunzehnten Jahrhunderts, der ja eigentlich dekonstruiert werden soll, ein Stück weit fort? Geht es bei diesem Objekt überhaupt vorrangig um "Regime des Blicks", wie es im Buch heißt?
Vielleicht schon, aber anhand des vorgestellten Materials wird das nicht deutlich. Die wenigen zeitgenössischen Quellen betonen eher die kühlende Funktion der Holzgitter: Sie ließen frische Luft herein, schirmten die Sonne aber ab. Sicher scheint zu sein, dass die Maschrabiyas eine Vielzahl von Funktionen hattendarunter auch die Strukturierung des Verhältnisses von "privat" und "öffentlich".Weil das im Buch aber nur angedeutet wird, bleibt die angekündigte Objektgeschichte der Maschrabiya etwas unbefriedigend.
Auch wenn Thürlemann immer wieder die "Künstlichkeit" der damaligen Fotografien hervorhebt, die mit der ägyptischen "Wirklichkeit" kaum etwas zu tun gehabt hätten, wünscht man sich als Leser zumindest ein paar Informationen darüber, wie diese Wirklichkeit denn ausgesehen haben könnte. Die Stärken des Buches zeigen sich hingegen immer dann, wenn es um die konkreten Fotografien geht - um den eigentlich kunsthistorischen Kern dieser Studie also. In erstaunlicher Detailliertheit werden hier einzelne Motive analysiert und ganze Motiventwicklungen rekonstruiert. Die produktive Zusammenarbeit der verschiedenen europäischen Fotografen in Kairo, vor allem aber auch der damalige westliche Blick auf Ägypten, werden dadurch in den Bildern selbst sichtbar.
So blickt man nach der Lektüre tatsächlich völlig anders auf diese faszinierenden Fotografien. Von Timothy Mitchell entlehnt der Autor die Formulierung "The world as a picture": Der Orient musste erst zum Bild werden, um für die westliche Imagination - ob richtig oder falsch - zugänglich zu werden. Für diese These liefert Thürlemanns Buch einen wichtigen Baustein.
JAN VON BREVERN
Felix Thürlemann: "Das Haremsfenster". Zur fotografischen Eroberung Ägyptens im 19. Jahrhundert.
Wilhelm Fink Verlag, Paderborn 2016. 176 S., Abb., br., 26,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Der Orient auf der Freiluftbühne des Fotostudios: Felix Thürlemann zeigt an frühen Genrebildern aus Kairo, was die Imagination westlicher Touristen besonders bewegte.
In der zweiten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts war Kairo eine aufstrebende, sich rasch modernisierende Stadt. Ganze mittelalterliche Straßenzüge mit ihrer traditionellen arabischen Architektur wurden abgerissen, um Häusern im europäischen Stil, wie sie nun bei der ägyptischen Mittel- und Oberschicht beliebt waren, Platz zu machen. Ein Opfer dieses Modernisierungsprozesses waren die sogenannten Maschrabiyas, jene Fenstergitter und Erker aus kunstvoll gedrechselten Holzstäben, die das Stadtbild von Kairo bis dahin geprägt hatten. Die europäischen Touristen jedoch, die schon damals zahlreich den Orient besuchten, waren gerade auf der Suche nach diesem schon im Verschwinden begriffenen Kairo. Sie fanden es, wie der in Konstanz lehrenden Kunsthistoriker Felix Thürlemann schreibt, zwar immer spärlicher in der Wirklichkeit, dafür umso konzentrierter im Medium der Fotografie.
Es waren europäische Fotografen, die sich in Ägypten niedergelassen hatten, um ein europäisches Publikum mit Bildern zu versorgen. Erst 1888 kam die erste portable Kodak-Box-Kamera auf den Markt, die es Touristen erlaubte, ihre eigenen Fotos zu machen. Davor funktionierte die touristische Bildpraxis noch anders: Die Reisenden kauften einzelne Bilder oder sogar ganze Bildserien bei ortsansässigen Fotografen und integrierten sie in ihre Alben und Reisetagebücher. Besonders gefragt waren Genrebilder: Fotografien von "typischen" Bewohnern der Stadt, von Berufsgruppen und alltäglichen Tätigkeiten. Im Baedeker war vermerkt, welche Fotoateliers einen Besuch lohnten. In Kairo war das unter anderem das Studio des aus Pest stammenden Fotografen Otto Schoefft.
Thürlemann stellt den bislang eher unbekannten Schoefft ins Zentrum seines Buches über die "fotografische Eroberung Ägyptens". Das erscheint insofern gerechtfertigt, als er überzeugend darlegen kann, dass Schoefft mit seinen originellen Motivfindungen Vorbild für eine ganze Generation von Fotografen in Kairo war und so das Bild, das man sich im Westen von Kairo und seinen Bewohnern machte, nachhaltig prägte. Besonders seine Serie "Le Caire pittoresque" - eine Auftragsarbeit für die Wiener Weltausstellung von 1873 - ist dabei von Interesse. Für diese Genrebilder baute Schoefft im Hinterhof seines Ateliers eine Freiluftbühne aus orientalisch anmutenden Versatzstücken auf, die als Umgebung für ganz unterschiedliche Szenen diente. Die Kulisse für einen Friseursalon konnte so leicht auch als Kaffeehaus durchgehen. Der Realitätseffekt dieser Inszenierungen, so Thürlemann, übertraf die früheren Studioaufnahmen, bei denen noch gemalte Hintergründe verwendet wurden, bei weitem. Eine Leistung von Schoefft war es dabei, die Maschrabiya zu einem zentralen Requisit seiner Fotografie zu machen. Fortan sollte sie beim westlichen Publikum zum Symbol für das traditionelle Ägypten werden.
Die Maschrabiya ist, neben Schoefft, ein weiterer Protagonist in Thürlemanns anregendem Buch. Tatsächlich scheint sie ein Objekt gewesen zu sein, das die Phantasie der Europäer enorm beflügelt hat. Angeblich vor den Frauengemächern angebracht, ermöglichte sie den Blick von innen nach außen, blieb für Blicke von außen jedoch undurchdringlich. Thürlemann bezeichnet die Maschrabiya als "quasi-aktives Objekt", das es den Bewohnerinnen des Harems ermöglichte zu sehen, ohne gesehen zu werden. Damit sei die soziale Hierarchie der Geschlechter in der islamischen Gesellschaft verhandelt worden. In den Fotografien, wie sie Schoefft und seine Kollegen geschaffen haben, sei davon allerdings nicht mehr als ein Klischee übrig geblieben - wenn auch ein sehr wirkungsvolles.
Gerne hätte man etwas mehr erfahren über die Funktion der Maschrabiyas. Wenn man sich alte Fotografien aus Kairo ansieht, scheint es schwer vorstellbar, dass sich hinter jedem der zahllosen Erker ein Frauengemach verbarg. Passt die Metapher vom "architektonischen Schleier", oder schreibt sich darin der Orientalismus des neunzehnten Jahrhunderts, der ja eigentlich dekonstruiert werden soll, ein Stück weit fort? Geht es bei diesem Objekt überhaupt vorrangig um "Regime des Blicks", wie es im Buch heißt?
Vielleicht schon, aber anhand des vorgestellten Materials wird das nicht deutlich. Die wenigen zeitgenössischen Quellen betonen eher die kühlende Funktion der Holzgitter: Sie ließen frische Luft herein, schirmten die Sonne aber ab. Sicher scheint zu sein, dass die Maschrabiyas eine Vielzahl von Funktionen hattendarunter auch die Strukturierung des Verhältnisses von "privat" und "öffentlich".Weil das im Buch aber nur angedeutet wird, bleibt die angekündigte Objektgeschichte der Maschrabiya etwas unbefriedigend.
Auch wenn Thürlemann immer wieder die "Künstlichkeit" der damaligen Fotografien hervorhebt, die mit der ägyptischen "Wirklichkeit" kaum etwas zu tun gehabt hätten, wünscht man sich als Leser zumindest ein paar Informationen darüber, wie diese Wirklichkeit denn ausgesehen haben könnte. Die Stärken des Buches zeigen sich hingegen immer dann, wenn es um die konkreten Fotografien geht - um den eigentlich kunsthistorischen Kern dieser Studie also. In erstaunlicher Detailliertheit werden hier einzelne Motive analysiert und ganze Motiventwicklungen rekonstruiert. Die produktive Zusammenarbeit der verschiedenen europäischen Fotografen in Kairo, vor allem aber auch der damalige westliche Blick auf Ägypten, werden dadurch in den Bildern selbst sichtbar.
So blickt man nach der Lektüre tatsächlich völlig anders auf diese faszinierenden Fotografien. Von Timothy Mitchell entlehnt der Autor die Formulierung "The world as a picture": Der Orient musste erst zum Bild werden, um für die westliche Imagination - ob richtig oder falsch - zugänglich zu werden. Für diese These liefert Thürlemanns Buch einen wichtigen Baustein.
JAN VON BREVERN
Felix Thürlemann: "Das Haremsfenster". Zur fotografischen Eroberung Ägyptens im 19. Jahrhundert.
Wilhelm Fink Verlag, Paderborn 2016. 176 S., Abb., br., 26,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main