Sie haben sich geliebt, nun lernen sie sich zu hassen. Die schleichende Erosion einer Beziehung.Antonio steht auf der Leiter, die an einem Granatapfelbaum im Garten lehnt, und verliert plötzlich den Halt. Claudia sieht, wie er schwankt, zu Boden fällt und nicht wieder aufsteht. Die Sanitäter tragen ihn in den Krankenwagen, sie bitten Claudia einzusteigen. Aber sie kehrt zurück ins Haus und beginnt aufzuräumen. Danach bestellt sie in der Bar einen Cappuccino, erst dann geht sie in die Klinik. Sie haben nie gestritten, auch dann nicht, wenn es Gründe dafür gegeben hätte. Ihre Liebe war einzigartig und doch alltäglich. Was ist passiert? Wann schlägt Enttäuschung in Kälte und Hass um? Präzise seziert Frandino die Geschichte einer Verletzung und zeigt eine Eskalation von Grausamkeit, die atemlos macht.
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Rezensent Thomas Steinfeld bewundert Barbara Frandinos "kleinen" Roman für seine ausgesprochene Klugheit. Er erzählt von einer Frau, die sich nach dem Unfall ihres Mannes, dem sie sich fremd fühlt, mit dessen Gewohnheiten und Macken und mit dem Ende ihrer Liebe auseinandersetzt. Dass der Roman dabei an keiner Stelle versuche, sich über die Alltäglichkeit dieser Geschichte zu erheben, weil das auch gar nicht geht, findet der Rezensent toll. Stattdessen erzähle Frandino in "trockener", nicht aber mechanischer Sprache und mit großem Gespür für Pathos und Sinnlichkeit von dieser Situation, von Eifersucht und von der "Fatalität von Nähe", lobt Steinfeld.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 28.08.2021Brutalität
der Nähe
Barbara Frandinos Roman
„Das hast du verdient“
Ein Mann fällt von der Leiter, die er im Garten gegen einen Granatapfelbaum gelehnt hatte. Seine Frau lässt den Bewusstlosen liegen, eine halbe Stunde lang vielleicht. Erst dann ruft sie den Krankenwagen. Denn der Mann, mit dem sie seit vielen Jahre zusammenlebt, hatte sie betrogen und war ihr ein vertrauter Fremder, vielleicht sogar ein Feind geworden. Aber er ist immer noch ihr Mann.
Im Krankenhaus beginnt daher nicht nur eine lange Rekonvaleszenz, die nie ganz gelingen wird, sondern auch eine Auseinandersetzung der Frau mit dem Gatten, den Lebensgewohnheiten, mit seinen Vorlieben und Gerüchen, mit den Rauchgewohnheiten und den Katzen. Auch die Auseinandersetzung mit dem Gatten wird nicht an ein gutes Ende führen. Zu viel ist geschehen, was sich nicht gutmachen lässt, und wenn die Erzählerin ihren Lebensunterhalt als Ghostwriterin in Sachen Lebenshilfe verdient, so liegt darin keine Pointe, sondern eine Einsicht in die Hilflosigkeit des guten Rats.
Dieses Buch ist mehr ist eine Erzählung vom Ende einer Liebe. Es ist ein Buch über die Fatalität von Nähe. Sein Mittel ist eine trockene, präzise Sprache oder, was beinahe dasselbe ist, eine Genauigkeit des Hinsehens und Formulierens, die keine Unschärfe und keine weichen Stellen durchgehen lässt, keinen Betrug am anderen und erst recht keinenan sich selbst: „Das Licht fiel auf das Durcheinander auf dem Sofa und dem Schreibtisch, auf dem ein Haufen Nippes standen, die mir plötzlich sehr geschmacklos vorkamen. Die weißen Wände waren zu kalt und der Teppich verblichen. Alles schien plötzlich anders, doch ich war es, die anders geworden war.“
Zur Eifersucht gehören zwei Empfindungen: das Gefühl, gedemütigt worden zu sein, und ein Bewusstsein von Ohnmacht. Beide vertragen sich schlecht mit der mechanisch wirkenden Ironie, mit der so häufig von der Eifersucht erzählt wird. Frandinos Erzählerin hingegen lässt keinen Zweifel daran, dass sie sich nicht im Griff hat: Sie erkennt, was geschieht, ahnt zumindest, warum es passiert, weiß sich aber keinen Rat, und so nimmt das Unheil seinen Lauf, beiderseits. Frandino versteht etwas von den Affekten, die Menschen umhertreiben, vom Pathos, das sich schon deshalb an den anderen Menschen in dessen Einzigartigkeit heftet, weil es Gründe genug gibt, an der Einzigartigkeit dieses Menschen wie an der Einzigartigkeit der Liebe zu zweifeln. Sie versteht auch etwas von der Sinnlichkeit, die dem Pathos den Grund und den Stoff liefert. Sie kennt den Zweifel, der sich, einmal gefasst, in eine besondere, manchmal grobe, meist aber feine Grausamkeit kleidet und zuletzt auch vom Granatapfelbaum wenig übrig lässt. Und sie versteht, von einer lebenstypischen Situation mit lebenstypischen Mitteln zu erzählen. Einfach ist die Geschichte, die Frandino erzählt, gewöhnlich ist sie auch. Aber sie ist mit einer seltenen Wahrhaftigkeit geschrieben, ohne Eitelkeit, ohne auch nur den Versuch, sich über eine Situation zu erheben, über die man sich nicht erheben kann. Klein ist dieses Buch, und klug ist es auch.
THOMAS STEINFELD
Die Erzählerin weiß, dass sie
sich nicht im Griff hat
Barbara Frandino:
Das hast du verdient. Roman. Aus dem
Italienischen von Karin
Fleischanderl. Folio-Verlag, Wien 2021.
165 Seiten, 22 Euro.
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der Nähe
Barbara Frandinos Roman
„Das hast du verdient“
Ein Mann fällt von der Leiter, die er im Garten gegen einen Granatapfelbaum gelehnt hatte. Seine Frau lässt den Bewusstlosen liegen, eine halbe Stunde lang vielleicht. Erst dann ruft sie den Krankenwagen. Denn der Mann, mit dem sie seit vielen Jahre zusammenlebt, hatte sie betrogen und war ihr ein vertrauter Fremder, vielleicht sogar ein Feind geworden. Aber er ist immer noch ihr Mann.
Im Krankenhaus beginnt daher nicht nur eine lange Rekonvaleszenz, die nie ganz gelingen wird, sondern auch eine Auseinandersetzung der Frau mit dem Gatten, den Lebensgewohnheiten, mit seinen Vorlieben und Gerüchen, mit den Rauchgewohnheiten und den Katzen. Auch die Auseinandersetzung mit dem Gatten wird nicht an ein gutes Ende führen. Zu viel ist geschehen, was sich nicht gutmachen lässt, und wenn die Erzählerin ihren Lebensunterhalt als Ghostwriterin in Sachen Lebenshilfe verdient, so liegt darin keine Pointe, sondern eine Einsicht in die Hilflosigkeit des guten Rats.
Dieses Buch ist mehr ist eine Erzählung vom Ende einer Liebe. Es ist ein Buch über die Fatalität von Nähe. Sein Mittel ist eine trockene, präzise Sprache oder, was beinahe dasselbe ist, eine Genauigkeit des Hinsehens und Formulierens, die keine Unschärfe und keine weichen Stellen durchgehen lässt, keinen Betrug am anderen und erst recht keinenan sich selbst: „Das Licht fiel auf das Durcheinander auf dem Sofa und dem Schreibtisch, auf dem ein Haufen Nippes standen, die mir plötzlich sehr geschmacklos vorkamen. Die weißen Wände waren zu kalt und der Teppich verblichen. Alles schien plötzlich anders, doch ich war es, die anders geworden war.“
Zur Eifersucht gehören zwei Empfindungen: das Gefühl, gedemütigt worden zu sein, und ein Bewusstsein von Ohnmacht. Beide vertragen sich schlecht mit der mechanisch wirkenden Ironie, mit der so häufig von der Eifersucht erzählt wird. Frandinos Erzählerin hingegen lässt keinen Zweifel daran, dass sie sich nicht im Griff hat: Sie erkennt, was geschieht, ahnt zumindest, warum es passiert, weiß sich aber keinen Rat, und so nimmt das Unheil seinen Lauf, beiderseits. Frandino versteht etwas von den Affekten, die Menschen umhertreiben, vom Pathos, das sich schon deshalb an den anderen Menschen in dessen Einzigartigkeit heftet, weil es Gründe genug gibt, an der Einzigartigkeit dieses Menschen wie an der Einzigartigkeit der Liebe zu zweifeln. Sie versteht auch etwas von der Sinnlichkeit, die dem Pathos den Grund und den Stoff liefert. Sie kennt den Zweifel, der sich, einmal gefasst, in eine besondere, manchmal grobe, meist aber feine Grausamkeit kleidet und zuletzt auch vom Granatapfelbaum wenig übrig lässt. Und sie versteht, von einer lebenstypischen Situation mit lebenstypischen Mitteln zu erzählen. Einfach ist die Geschichte, die Frandino erzählt, gewöhnlich ist sie auch. Aber sie ist mit einer seltenen Wahrhaftigkeit geschrieben, ohne Eitelkeit, ohne auch nur den Versuch, sich über eine Situation zu erheben, über die man sich nicht erheben kann. Klein ist dieses Buch, und klug ist es auch.
THOMAS STEINFELD
Die Erzählerin weiß, dass sie
sich nicht im Griff hat
Barbara Frandino:
Das hast du verdient. Roman. Aus dem
Italienischen von Karin
Fleischanderl. Folio-Verlag, Wien 2021.
165 Seiten, 22 Euro.
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