Produktdetails
  • Piper Taschenbuch
  • Verlag: Piper
  • Abmessung: 194mm x 120mm x 13mm
  • Gewicht: 190g
  • ISBN-13: 9783492110044
  • Artikelnr.: 26768156
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 06.08.2010

Süddeutsche Zeitung Bibliothek

Menschliches,
Unmenschliches
„Das Haus an der Moskwa“
von Jurij Trifonow
Jurij Trichonow gilt längst als einer der herausragenden Schriftsteller in der Geschichte der sowjetischen Literatur und „Das Haus an der Moskwa“ als eine der gelungensten literarischen Abrechnungen mit der sowjetischen Intelligenz der fünfziger, sechziger und siebziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts. Verschiedene Erzählebenen elegant verknüpfend erzählt der Roman die Geschichte des aus kleinen Verhältnissen stammenden, gealterten Moskauer Literaturwissenschaftlers Vadim Glebow, der eines Tages im Jahr 1972 seinen alten Schul- und Studienfreund Levka Schulepnikow trifft. Schulepnikow, Stiefsohn eines hohen Parteifunktionärs, hatte einst skrupellos Karriere gemacht, bevor ihn eine von ihm selbst angezettelte Intrige so schwere Gewissensbisse bereitete, dass er der Alkoholsucht verfiel. Jetzt ist er Hilfsarbeiter – und der Auslöser für Glebow, sich an die schuldhaften Verstrickungen seines eigenen, scheinbar geglückteren Lebens zu erinnern.
Das kaum 200 Seiten umfassende Buch ist ein historisches Dokument. Trifonow kannte die Milieus, in denen die Geschichte spielt, genau. Er wuchs selbst zunächst im Moskauer Luxusviertel Arbat auf, musste jedoch, nachdem sein Vater 1937 den Stalinistischen Säuberungen zum Opfer gefallen war, das berühmte „Haus an der Moskwa“ verlassen und in ein heruntergekommenes kommunales Mietshaus umziehen. Wer das Buch aber nur liest, um einen Eindruck vom Leben im real existierenden Kommunismus zu bekommen, unterschätzt es. Eigentlich geht es um die Menschlichkeit und die Unmenschlichkeit des ganz alltäglichen Karrierismus. Und vor allem darum, wie schwer es sein kann, eben diesen mit dem Gewissen zu vereinbaren.
Erstmals abgedruckt wurde „Das Haus an der Moskwa“ 1976 in einer russischen Zeitschrift. Als Buch durfte der Roman dennoch vorerst nicht erscheinen. Er war ideologisch schlicht nicht linientreu genug. Die unserer Neuausgabe zugrundeliegende deutsche Fassung von Alexander Kaempfe erschien dagegen schon 1979. 1980 war eine dramatisierte Fassung des Buches einer der größten Theatererfolge der Sowjetunion. Die russische Erstausgabe ermöglichte 1986 erst Gorbatschows Modernisierung des
Landes.
JENS-CHRISTIAN RABE
Jurij Trifonow.
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