Ein leises, aber gewaltiges Buch
Noah Turner hat seinen Vater nie wirklich kennengelernt, da dieser an einem Gehirntumor starb, bevor er geboren wurde. Weder seine Mutter noch seine Schwestern erzählen von ihm, doch eines vereint die Familie: Sie führen ein Gruselhaus. Das war Harrys großer Traum
und ist nun der Lebensunterhalt der Familie. Noah weiß instinktiv, dass er anders ist, als andere…mehrEin leises, aber gewaltiges Buch
Noah Turner hat seinen Vater nie wirklich kennengelernt, da dieser an einem Gehirntumor starb, bevor er geboren wurde. Weder seine Mutter noch seine Schwestern erzählen von ihm, doch eines vereint die Familie: Sie führen ein Gruselhaus. Das war Harrys großer Traum und ist nun der Lebensunterhalt der Familie. Noah weiß instinktiv, dass er anders ist, als andere Kinder. Er kommuniziert mit einem echten Monster. Dieses ist sein Freund, und deshalb lässt er es irgendwann auch ins Haus …
Die Story entwickelt sich ganz gemächlich und das Auftauchen der Monster und „finsteren Träume“ geschieht sporadisch und quasi am Rande des Gesichtsfeldes. So wird der Leser quasi in Sicherheit gewogen und die Ereignisse erscheinen nicht so wirklich schlimm und böse. Shaun Hamill lässt seinen Protagonisten mit der Erzählung weit ausholen. Er erzählt sogar von Ereignissen und Geschehnissen aus der Zeit vor seiner eigenen Geburt, als hätte er das selbst erlebt. Das erscheint ein wenig gewöhnungsbedürftig, ist aber meiner Meinung nach ein gelungener Kniff.
Noahs Begegnung mit dem Wesen und seine Freundschaft mit ihm sind verwirrend. Man kann nicht glauben, dass das echt, nicht nur eingebildet, ist, doch muss es ja sein, da gewisse Ereignisse sonst so nicht hätten geschehen können. Man wundert sich lange Zeit, dass Noah vom „Wesen“ spricht und ganz selten mal vom „Monster“. Sein Vertrauen hat zwar von Anfang an kleine Risse, dennoch genießt er das Zusammensein mit ihm in mehr als einer Hinsicht sehr. Mehr noch, es scheint ziemlich schnell sehr wichtig für Noah zu werden, das Wesen an seiner Seite zu wissen. Die Veränderungen gehen langsam voran und obwohl der Leser das direkt mitbekommt, sind die Folgen erschreckend und ziehen einem schon die Füße weg. So kommt Shaun Hamill fast komplett ohne Blutbad aus, trifft aber noch viel härter.
Das recht beschauliche Leben der Turners, die immer ein bisschen am Rande der Gesellschaft leben und mit harten Schicksalsschlägen zu kämpfen haben, sieht in diesem Licht betrachtet doch völlig anders aus. Jedes einzelne Familienmitglied erlebt ganz alltägliche Dinge, auch die üblichen Dramen eines Lebens, macht Entwicklungen durch, probiert sich aus, kämpft und strampelt – und doch sind da immer wieder diese Einschläge, von denen man selbst immer ganz fest überzeugt ist, dass sie immer nur die anderen treffen, nie einen selbst.
Immer wieder gibt es Szenen und Stellen, die fast schon philosophisch sind. So hat mich ganz besonders ergriffen, als Noah die Bathöhle entdeckt, sie so gerne haben möchte und dann feststellt, dass das Geschenk nicht auf die richtige Weise zu ihm kam. Die Freude bleibt aus, kehrt sich ins Gegenteil um und hinterlässt ein tiefes, schwarzes Loch in der Seele. Es ist ein leises Buch, das umso tiefer unter die Haut geht. Das Ende ist phantastisch, stimmig, logisch, folgerichtig, genial und wunderschön. Das ist definitiv Horror vom Feinsten.
Auf der Rückseite des Buches ist Stephen King zitiert, der sagt, er liebt das Buch und der Leser wird das auch. Ich gehe noch weiter und sage, ich traue dem Meister zu, dass er mal wieder ein Experiment wagte und sich ein neues Pseudonym zugelegt hat. Dieses Buch ist atemberaubend gut und ganz im Stile des genialen Autors, den Leser in Sicherheit zu wiegen, einzulullen, den Horror kleinzureden, kleine Andeutungen zu machen, die sehr viel später sich dann als hammerharte Tiefschläge zu erkennen geben. Entweder hat sich Shaun Hamill stark inspirieren lassen oder King erlaubt sich mal wieder einen Spaß mit den Lesern. So oder so – mich hat „Das Haus der finsteren Träume“ sehr gut unterhalten, in Atem gehalten und auch bis auf die Knochen entsetzt. Auch das Ende weiß zu überzeugen – und das schaffen nicht viele Bücher. Das belohne ich mit den vollen fünf Sternen! Und ja, Stephen Kings Worte stimmen: ich liebe dieses Buch!