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August 1895: Ein Schiff mit jüdischen Siedlern erreicht den Hafen von Jaffa, unter ihnen der junge Agrarwissenschaftler Isaac Luminsky mit seiner schönen Frau Esther - frisch verheiratet und voller Zukunftserwartungen. Doch bereits der erste Kontakt mit den palästinensischen Arabern verläuft unglücklich: Esthers Koffer landen im Wasser. Isaac freundet sich mit dem zwölfjährigen muslimischen Salach Rajani an, der verträumt, mitunter etwas verstört auf dem weitläufigen Familienanwesen am Stadtrand abgeschottet aufwächst. Mehr und mehr interessiert sich Isaac allerdings für dessen attraktive…mehr

Produktbeschreibung
August 1895: Ein Schiff mit jüdischen Siedlern erreicht den Hafen von Jaffa, unter ihnen der junge Agrarwissenschaftler Isaac Luminsky mit seiner schönen Frau Esther - frisch verheiratet und voller Zukunftserwartungen. Doch bereits der erste Kontakt mit den palästinensischen Arabern verläuft unglücklich: Esthers Koffer landen im Wasser.
Isaac freundet sich mit dem zwölfjährigen muslimischen Salach Rajani an, der verträumt, mitunter etwas verstört auf dem weitläufigen Familienanwesen am Stadtrand abgeschottet aufwächst. Mehr und mehr interessiert sich Isaac allerdings für dessen attraktive Mutter Afifa und das fruchtbare Land der Rajanis. Die Ereignisse überschlagen sich, als der Vater des Jungen nach langer Geschäfts- reise zurückkehrt, Salach seine Mutter und Isaac in flagranti erwischt und die arabischen Arbeiter vom Land der Familie vertrieben werden. Freundschaft schlägt in Hass um, Salachs geistige Verwirrung nimmt zu, die Grenzen zwischen Realität und Phantasie verschwimmen ...
In seinem neuen Roman, der in Israel enormes Aufsehen erregte, entwirft Alon Hilu ein farbiges und genaues Bild Palästinas Ende des 19. Jahrhunderts, erzählt sinnlich, komisch und spannend in Form wechselnder Tagebucheinträge von einem dramatischen Konflikt, der bis heute anhält. So bekommt man einen ungeschminkten, jüdischen wie palästinensischen Blick auf die historischen Ereignisse.
Autorenporträt
Alon Hilu wurde 1972 in Jaffa geboren. Zunächst verfasste er Hörspiele, in den 1990er Jahren veröffentlichte er Kurzgeschichten in diversen Literaturmagazinen. Neben Jura studierte Hilu an der Universität in Tel Aviv Dramatic Writing, u. a. bei Israels führenden Dramatikern Jehoschua Sobol und Schmuel Hasfari. Heute lebt der Autor in Herzeliya.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 02.03.2011

Die Säure der Orangen
„Ich bin kein Anti-Zionist“: Unterwegs in Jaffa mit dem israelischen Autor Alon Hilu, der einen Roman über Palästina um 1900 geschrieben hat
Ein Buch über die palästinensische Vergangenheit Tel Avivs, schon dieser Halbsatz genügt, um zu ahnen, dass Alon Hilu, als Sohn aus Damaskus geflohener syrischer Juden 1972 in Jaffa geboren, mit seinem zweiten Roman „Das Haus der Rajanis“ in Israel in ein Wespennest gestochen hat. Als Hilu für den Roman, der Ende Februar, in der Woche der Jerusalemer Buchmesse, auf Deutsch erschienen ist, 2009 den Sapir-Preis, das israelische Booker-Äquivalent, erhielt, wurde ihm die Auszeichnung gleich wieder aberkannt.
Er hatte bei der Preisverleihung die palästinensische Vertreibung und Flucht nach dem Krieg von 1948 als Nakba bezeichnet, also mit dem „offiziellen“ arabischen Wort, das der erzkonservative Außenminister Avigdor Lieberman kurz zuvor unter Bann gestellt hatte. Schließlich einigte man sich per Anwalt, dass Hilu die Hälfte des Preisgelds behalten durfte. „Bis jetzt wurde kein Nachfolger für den Preisträger 2009 bestellt“, sagt der betont sanft auftretende Provokateur, als wir ihn im alten Hafen von Jaffa treffen.
Natürlich war Hilus Auftritt bei der Preisverleihung nicht das einzige Problem. Das ganze Buch ist ein politischer Balanceakt in Form eines historischen Romans. Er spielt 1895, zur Zeit der Ankunft der ersten Zionisten in Jaffa, als deren Vertreter Hilu den Polen Isaac Luminsky ins Leben ruft. Er hieß in der hebräischen Originalausgabe noch Kalvarisky, wie sein historisches Vorbild. Doch die Nachkommen Kalvariskys gingen, durchaus verstehbar, vor Gericht, weil Hilu den richtigen Namen mit einem gänzlich fiktiven Tagebuch verknüpfte, das Kalvarisky in Zusammenhänge bringt, die ihm kaum gefallen hätten. Man einigte sich auf einen neuen Namen für die internationalen Ausgaben. Doch die Provokation, die in Thema und Darstellungsweise des Romans lag, blieb bestehen.
Schön ist die Ankunft von Luminsky und Frau in Jaffa gezeichnet. Schon der Junge, der das Gepäck so schwungvoll in Empfang nimmt, dass Frau Luminskys kostbare Kleider mit Meersalz getränkt werden, hat dunkle Haut. Und „als wir im Hafen anlangten, schlotterten unsere Knochen ob der Felsen, die aus den Wellen stachen. Am Pier wurden wir etlicher hundert anderer Angehöriger dieser Rasse ansichtig, die Araber genannt“. Luminsky ist ein landwirtschaftlich gut ausgebildeter, recht naiver junger Kolonialherr, der mit einer schönen, aber arg klischeehaft als frigide beschriebenen Frau frisch verheiratet ist. Er genießt das gelobte Land, die Meeresgerüche und das Zirpen der Grillen, ist zwar etwas irritiert, nicht der erste im Paradies zu sein, aber als sich ihm seine Frau beharrlich verweigert, sieht er sich bei arabischen Prostituierten um. Vom „Kaminitz“ aus, einem komfortablen Hotel der deutschen Templer, in das sich die Luminskys nach einem beängstigend blutigen Hafen-Streit zwischen zwei Arabern schnell zurückgezogen haben. Kein zionistisches Modellverhalten.
„Ja, man hat mich öfter als Anti-Zionisten bezeichnet“, sagt Hilu beim Gang durch das zum attraktiven Tourismuszentrum hochrenovierte, seiner arabischen Bevölkerung weitgehend entleerte Hafen-Jaffa, während weiter hinten das einst palästinensische Viertel verkommt, „aber das stimmt nicht. Mich beschäftigt das Ausgeblendete der eigenen Kultur. Wäre ich Araber, würde ich wohl mein Volk mit dem Holocaust konfrontieren, der dort noch oft geleugnet wird“.
Auch kommen „die Araber“ bei Hilu durchaus nicht nur positiv weg. In Gestalt eines zuhälterhaften Rosencrantz & Guildenstern-Paars sowie durch Luminskys Gegenpart als Erzähler, den somnambul verwirrten Sohn eines arabischen Landherrn, werden sie stattdessen, einigermaßen boulevardesk, mit Gaunertum, überschießender Phantasie und Homosexualität in Verbindung gebracht. Was zwar nicht negativ gewertet ist, aber immerhin so suspekt wirkt, dass das Buch auch in der rechtsgerichteten israelischen Presse Liebhaber fand, die die „Schwäche“ der arabischen Figuren und die Verwahrlosung ihrer einst blühenden landwirtschaftlichen Anlagen hervorhoben.
„Von arabischer Seite“, sagt Hilu, „ hatte ich kaum Proteste. Es schien mir eher so, als ob sie sich freuten, dass ein Jude sich überhaupt mit der Geschichte der Palästinenser befasst, die vor der Gründung von Tel Aviv in der Region lebten.“ Normalerweise sehen sich Palästinenser mit einer Version der Geschichte konfrontiert, die in einem klassischen Foto von 1908 ins Bild gesetzt ist. Es mythisiert die Gründung von Tel Aviv: In der kleinen Senke, durch die der heutige Boulevard Rothschild verläuft, sieht man zwei Dutzend Männer, die in wüstengleicher Umgebung verwegen staubig und siedlerhaft wirken. Die um sie herum längst bestehenden arabischen Siedlungen und deutsche Kolonialbauten werden durch die Wahl des Ausschnitts wirkungsvoll ignoriert.
In Hilus Roman geschieht zionistische Landnahme anders. Das erste größere Grundstück, das sich Luminsky sichert, erreicht er über die Liebesaffäre mit einer Frau aus der arabischen Oberschicht, deren Mann viel auf Reisen ist und schließlich stirbt. Wie ihr Sohn Salah, für den Luminsky Vaterersatz und Engel, Fremder und Teufel zugleich ist, fühlt sie sich vom jüdischen Kolonialherrn angezogen.
Hilus Erzählkonstruktion ist literarisch so interessant wie problematisch. Beide Stimmen, über die die Handlung vermittelt wird, die Luminskys wie die des arabischen Jungen, sind Tagebuchfiktionen. Luminskys Stil hat Hilu aus Texten des späten 19. Jahrhunderts entwickelt, dem unfreiwillig-komischen, handwerklich-zupackenden Charakter der Figur gemäß. Die Stimme Salahs jedoch hat nichts mit dem 19.Jahrhundert zu tun, sondern stammt aus historischen arabischen Erzählungen, was dem halluzinierenden arabischen Erzähler etwas Kindlich-Phantastisches gibt.
In der deutschen Übersetzung sind beide Stimmen nicht immer gut aufeinander abgestimmt, doch war die stilistische Differenz zwischen den Kontrahenten mit Sicherheit Teil von Hilus Plan. Die Stimmen kommentieren bis in die Fakten hinein dieselben Vorkommnisse verschieden.
Literarisch wie politisch ist von Bedeutung, dass Hilu keiner der Stimmen eindeutige Präferenz gewährt. Verfügt Luminsky über eine verlässlichere Wahrnehmung der aktuellen Wirklichkeit, so sind in Hilu Salahs angstbesetzte Schwärmereien auch Facetten einer Vision aggressiver israelischer Politik im 20.Jahrhundert eingeschrieben.
Das Skandalbuch „Das Haus der Rajanis“ ist also kein nahtlos elegant erzählter Roman, sondern eine vielkantige Mischung aus politischer Stellungnahme und poetischer Phantasie. In all seinem irritierenden, manchmal bizarren Schillern bleibt das Buch durchaus geeignet, festgefügte Bilder in Frage zu stellen. Es ist, mit seinen Stillleben-Orangen auf dem Umschlag, aufgemacht wie eine süffige, kulinarische Angelegenheit, aber eigentlich nur für den, der Säure und Bitterkeit in einigen Früchten gern unterschätzt.
HANS-PETER KUNISCH
ALON HILU: Das Haus der Rajanis. Roman. Aus dem Hebräischen von Markus Lemke. Verlag C. H. Beck, München 2011. 355 Seiten, 19,95 Euro.
„Wäre ich Araber, würde
ich wohl mein Volk mit dem
Holocaust konfrontieren“
Ankunft in einem scheinbar menschenleeren Land: Mitglieder zweier zionistischer Siedlerorganisationen bei einer Versammlung im September 1909 in der Wüste nahe Jaffa. Die Stadt, die sie hier errichten wollten, nannten sie „Tel Aviv“, Frühlingshügel. Foto: Corbis
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Nur nicht die Bitterkeit der Geschichte unterschätzen, rät uns Hans-Peter Kunisch mit Blick auf die Orangen auf dem Buchumschlag. Nicht halb so süffig, wie das Cover suggerieren mag, scheint ihm Alon Hilus Palästinenser-Geschichte aus der Zeit vor der Gründung Tel Avivs. Für Israel ist sie purer Sprengstoff. Kunisch aber verlegt sich lieber auf eine Analyse der Erzählkonstruktion. So interessant sie ihm vorkommt, so problematisch findet er sie auch: Zwei Tagebuchfiktionen, eine des Zionisten Luminsky im Stil des späten 19. Jahrhunderts, die andere des arabischen Erzählers gehalten wie eine historisch-arabische Erzählung. Eine stilistische Differenz, die der Autor nur beabsichtigt haben kann, wie Kunisch vermutet, die ihn als Leser aber mitunter stolpern lässt, ebenso wie Hilus Mischung aus politischem Kommentar und poetischer Fantasie. Allem Aufruhr, den das Buch in Israel verursacht hat, hält Kunisch das bizarre, doch auch erfrischende Schillern der Geschichte und ihrer Form entgegen und dass der Autor keiner seiner beiden Erzählstimmen eindeutige Präferenz gewährt.

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