Ein Äskulapstab im umgekehrten Dreieck – das Abenteuer unseres Lebens
„Die Organisation Äskulap informiert Angehörige von Patienten, wenn diesen die Vernichtung droht, entweder durch den Abtransport oder durch eine tödlich wirkende sogenannte Behandlung. Die Verwandten holen die Patienten dann
meist vorher ab. Äskulap hat in Krankenhäusern, Heimen und Forschungseinrichtungen Leute, die…mehrEin Äskulapstab im umgekehrten Dreieck – das Abenteuer unseres Lebens
„Die Organisation Äskulap informiert Angehörige von Patienten, wenn diesen die Vernichtung droht, entweder durch den Abtransport oder durch eine tödlich wirkende sogenannte Behandlung. Die Verwandten holen die Patienten dann meist vorher ab. Äskulap hat in Krankenhäusern, Heimen und Forschungseinrichtungen Leute, die Informationen weitergeben. Manchmal schützt Äskulap auch direkt bedrohte Menschen.“
Um den Tod ihres Zwillingsbruders an der Front in Russland zu verarbeiten wird die Tochter des Rüstungsfabrikanten Max Rotstetter im Jänner 1943 in das österreichische Sanatorium Schattwald geschickt. Die Begegnung der empfindsamen jungen Frau mit den Ärzten und Patienten in Schattwald verändern Charlotte Rotstetters Leben.
Viele Jahrzehnte später ereilt Anne Südhausen die Nachricht vom Tod ihrer Großmutter Charlotte. Die in Scheidung lebende Karrierefrau reist daraufhin nach Innsbruck, um die Beerdigung der zweiundneunzigjährigen alten Dame zu organisieren und den Nachlass zu regeln. Oma Charlotte hat Anne nicht nur das Haus in Innsbruck sowie ihren kleinen, schlappohrigen Hund namens Leo hinterlassen, sondern auch einige Aufzeichnungen aus den Vierzigerjahren, die sich als Charlottes Tagebücher entpuppen. Fasziniert taucht Anne in die Vergangenheit ein und erfährt von einer bewegten Zeit im Leben ihrer Großmutter. Doch auch andere Personen zeigen auffälliges Interesse an diesen alten, eng beschriebenen Kladden, und Anne beschleicht das Gefühl, dass Fremde sich in ihrer Abwesenheit Zutritt ins Haus verschaffen.
Dieser Roman aus der Feder von Barbara Dribbusch schildert die Erlebnisse einer mutigen jungen Frau „in einem Sanatorium in den verschneiten Bergen, mit einem Hausmeister namens Luzifer, einem Chefarzt im Pelerinenmantel, einer stummen Pianistin und einem Grammofon, aus dem in sternenklarer Bergnacht die Andrew Sisters erklangen.“ In einem einnehmenden Schreibstil, verbunden mit einem gewissen Spannungsbogen, macht die Autorin die angeordneten Gnadentode des Adolf Hitler, die sogenannten „Krankenmorde“ zum zentralen Thema ihres Buches. Sie beschreibt den systematischen Mord an geistig Behinderten und chronisch psychisch Erkrankten und erzählt von Menschen, die sich im Widerstand gegen das Naziregime organisieren und sogar ihr eigenes Leben aufs Spiel setzen, um so vielen Patienten wie möglich zu helfen.
Barbara Dribbusch präsentiert ihre Geschichte in zwei verschiedenen Handlungssträngen. Während in der Gegenwart, im Dezember des Jahres 2014, Charlottes Enkelin Anne zur Beerdigung nach Innsbruck reist, umfassen die Rückblenden in die Vergangenheit jene Ereignisse des Jahres 1943, als die junge Charlotte Rotstetter in Schattwald eintraf. Die handelnden Figuren dieses Buches empfand ich als sehr gut charakterisiert und überzeugend dargestellt. Charlotte und Anne galt zwar die größte Aufmerksamkeit, ihnen wurden jedoch interessante Nebenfiguren zur Seite gestellt, beispielsweise Charlottes Zwillingsbruder Robert, Hausmeister Lukas Waldhofer und Dr. Carl Amberg. Der böse Antagonist wird durch den Obergutachter bei der Euthanasie-Aktion T4 unter Adolf Hitler, Prof. Dr. Hermann Josef Kettenbach, verkörpert. Für latente Bedrohung sorgt der unheimliche Assistenzarzt Josef Stühling, während in der Gegenwart der Neurobiologe Siegfried Rattler sowie der Medizinhistoriker Hendrik van Dijk eine wichtige Rolle für Anne Südhausen spielen.
„Das Haus des Dämmerlichts“ war ein faszinierender, aber auch nachdenklich stimmender Roman, der mir ausgezeichnet gefallen hat und den ich sehr gerne weiterempfehle.